Dem Gehirn auf den Nerv fühlen
Wie ticken wir? Und warum ticken wir, wie wir ticken? Manfred Spitzer, der bekannte Autor und Professor für Psychiatrie aus Ulm, betrachtet das komplizierteste Organ des Menschen aus mannigfaltigen Perspektiven und vermittelt in kurzen, eingängigen Texten nicht nur Einsichten in die Fähigkeiten unseres Gehirns, sondern wirft auch einen kritischen, begeisterten und mitunter augenzwinkernden Blick auf die Entwicklung und Zukunft seines Faches.
Seit 1998 gestaltet Manfred Spitzer den psychiatrischen Teil der Fachzeitschrift "Nervenheilkunde" mit, indem er Geleitworte und eigene Artikel verfasst. Ein Großteil dieser Texte ist bereits gesammelt in drei Büchern erschienen. Mit "Nervensachen. Geschichten vom Gehirn" liegt eine neu zusammengestellte und ergänzte Ausgabe dieser Geschichten vor.
Eine Einsicht seines Faches möchte er dabei auch in seinem Buch umsetzen: Es werden die Dinge am besten behalten, die uns nicht nur als reine Informationen begegnen, sondern die durch Emotionen Betroffenheit auslösen oder die uns überraschen. Aus diesem Grund trägt das Buch auch den Untertitel "Geschichten vom Gehirn" und nicht etwa "Fakten aus der Nervenheilkunde". Geschichten bewegen, Fakten langweilen uns. Deswegen erzählt er, warum sich Heuschrecken "Krieg der Sterne" anschauen mussten, warum der fünfte Geschmack Jahrzehnte lang von der Wissenschaft ignoriert wurde, berichtet, dass wir erwiesenermaßen gewalttätiger werden, wenn wir dauernd Gewalt im Fernsehen sehen, und warum Laktoseintoleranz keine Krankheit ist.
Das Schwärmen über das eigene Fach gehört zum Handwerk. Fast ist man am Ende des Buches wie der Autor überzeugt, dass die Nervenheilkunde (Psychiatrie und Neurologie) neben der Genforschung im Augenblick das interessanteste Gebiet der Medizin darstellt. Seit wenigen Jahren stehen bildgebende Verfahren zur Verfügung, wie die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT), die es zum ersten Mal erlauben, das Gehirn beim Denken zu beobachten und dadurch einen Einblick in die Abläufe komplexer geistiger Leistungen bieten, z. B. wie wir lernen, verdrängen oder Entscheidungen treffen. Selbst Fragen, die eher als Domäne der Philosophie gelten, werden erforschbar, etwa die nach den Bedingungen moralischen Handelns. Manfred Spitzer beschreibt seine Disziplin als ein Fach im Umbruch, von dem viele neue Erkenntnisse zu erwarten sind.
Nicht minder spannend lesen sich seine Stellungnahmen zur Forschungspolitik, sein Plädoyer für selbst bestimmte Forschungsfreiheit der Wissenschaftler im Allgemeinen, sowie seine Forderung zur Umgestaltung des Medizinstudiums mit dem Ziel größerer Praxisnähe im Besonderen (einer Forderung, die er in seiner Antrittsvorlesung an der Universität Ulm 1997 bereits Ausdruck gab).
Einen Mangel erlebt man als Laienleser bei den dargebotenen Streifzügen durch manche experimentellen Beobachtungen mitunter durch das Fehlen einer Gehirnkarte. Oder gehört es neuerdings zum Allgemeinwissen, wo der mediale orbitofrontale Kortex, der posteriore Gyrus cinguli oder das hippocampale Areal liegt? Obwohl das Buch Sachtexte vereint, wird offenbar: es handelt sich im strengen Sinn mehr um ein Lesebuch als ein Sachbuch. Es besitzt weder ein Glossar noch einen Index.
Wer das Buch linear liest, wird deutlich merken, dass es aus einzelnen, voneinander unabhängigen Abschnitten entstanden ist. Es fehlt ein übergreifendes Ganzes, eine die Teile zusammenschließende Idee. So präsentiert das Buch leckere Häppchen, gut verdauliche Appetitanreger und kurzweilige Hors d'œuvres. Zwar will es auch gar nichts anderes sein, stellt seinen Mangel an Zusammenhang durch diese Rechtfertigung aber trotzdem mehr heraus, als dass es ihn verbergen würde. Das ist aber auch schon das einzige, was sich gegen diese engagierten Geschichten aus der Hirnforschung sagen ließe. Zum Stöbern sind sie nämlich wärmstens zu empfehlen.
Manfred Spitzer: Nervensachen. Geschichten vom Gehirn
Suhrkamp Taschenbuch, Frankfurt 2005,
380 Seiten, 12 Euro.
Eine Einsicht seines Faches möchte er dabei auch in seinem Buch umsetzen: Es werden die Dinge am besten behalten, die uns nicht nur als reine Informationen begegnen, sondern die durch Emotionen Betroffenheit auslösen oder die uns überraschen. Aus diesem Grund trägt das Buch auch den Untertitel "Geschichten vom Gehirn" und nicht etwa "Fakten aus der Nervenheilkunde". Geschichten bewegen, Fakten langweilen uns. Deswegen erzählt er, warum sich Heuschrecken "Krieg der Sterne" anschauen mussten, warum der fünfte Geschmack Jahrzehnte lang von der Wissenschaft ignoriert wurde, berichtet, dass wir erwiesenermaßen gewalttätiger werden, wenn wir dauernd Gewalt im Fernsehen sehen, und warum Laktoseintoleranz keine Krankheit ist.
Das Schwärmen über das eigene Fach gehört zum Handwerk. Fast ist man am Ende des Buches wie der Autor überzeugt, dass die Nervenheilkunde (Psychiatrie und Neurologie) neben der Genforschung im Augenblick das interessanteste Gebiet der Medizin darstellt. Seit wenigen Jahren stehen bildgebende Verfahren zur Verfügung, wie die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT), die es zum ersten Mal erlauben, das Gehirn beim Denken zu beobachten und dadurch einen Einblick in die Abläufe komplexer geistiger Leistungen bieten, z. B. wie wir lernen, verdrängen oder Entscheidungen treffen. Selbst Fragen, die eher als Domäne der Philosophie gelten, werden erforschbar, etwa die nach den Bedingungen moralischen Handelns. Manfred Spitzer beschreibt seine Disziplin als ein Fach im Umbruch, von dem viele neue Erkenntnisse zu erwarten sind.
Nicht minder spannend lesen sich seine Stellungnahmen zur Forschungspolitik, sein Plädoyer für selbst bestimmte Forschungsfreiheit der Wissenschaftler im Allgemeinen, sowie seine Forderung zur Umgestaltung des Medizinstudiums mit dem Ziel größerer Praxisnähe im Besonderen (einer Forderung, die er in seiner Antrittsvorlesung an der Universität Ulm 1997 bereits Ausdruck gab).
Einen Mangel erlebt man als Laienleser bei den dargebotenen Streifzügen durch manche experimentellen Beobachtungen mitunter durch das Fehlen einer Gehirnkarte. Oder gehört es neuerdings zum Allgemeinwissen, wo der mediale orbitofrontale Kortex, der posteriore Gyrus cinguli oder das hippocampale Areal liegt? Obwohl das Buch Sachtexte vereint, wird offenbar: es handelt sich im strengen Sinn mehr um ein Lesebuch als ein Sachbuch. Es besitzt weder ein Glossar noch einen Index.
Wer das Buch linear liest, wird deutlich merken, dass es aus einzelnen, voneinander unabhängigen Abschnitten entstanden ist. Es fehlt ein übergreifendes Ganzes, eine die Teile zusammenschließende Idee. So präsentiert das Buch leckere Häppchen, gut verdauliche Appetitanreger und kurzweilige Hors d'œuvres. Zwar will es auch gar nichts anderes sein, stellt seinen Mangel an Zusammenhang durch diese Rechtfertigung aber trotzdem mehr heraus, als dass es ihn verbergen würde. Das ist aber auch schon das einzige, was sich gegen diese engagierten Geschichten aus der Hirnforschung sagen ließe. Zum Stöbern sind sie nämlich wärmstens zu empfehlen.
Manfred Spitzer: Nervensachen. Geschichten vom Gehirn
Suhrkamp Taschenbuch, Frankfurt 2005,
380 Seiten, 12 Euro.