Dem Zeitgeist widerstehen
Es ist schon merkwürdig. Während Rom der Millionen, die von ihrem Papst Abschied nehmen wollten, kaum Herr wurde, scheint auf den deutschen Medienkanälen nach dem ersten Trauerschock die Stunde der Kritiker gekommen. Von Drewermann über Küng zu Geißler wird der Reformstau beschworen, den der verstorbene Papst zu verantworten hat und der den Nachfolger belasten wird.
Zölibat, Sexualethik, Frauenordination, Ökumene und Demokratiedefizit lauten die Code-Wörter derjenigen, die Rom am Ende und den Zeitgeist als Sieger sehen. Es ist ein merkwürdig verengter Tunnelblick, eine deformation professionelle, die die Analyse trübt. Denn was die Anziehungskraft Roms in diesen Tagen ausmacht, schöpft aus zwei Quellen, die mit den Diskussionen der Medienkritiker wenig zu tun haben.
Da ist zum einen die hohe Glaubwürdigkeit eines Mannes, der aus dem Evangelium urteilend den autokratischen Sozialismus sowjetischer Prägung ebenso verurteilt hat wie den amerikanisch getönten Extremliberalismus und der neben Abtreibung und Sterbehilfe auch das Töten des Irakkrieges vor dem christlichen Gewissen verworfen hat, also eben jenen modernen Selektionsmechanismus zurückweist, der zwischen richtigem und falschen, zwischen zulässigem und unzulässigem Töten unterscheidet.
Man muss diese Meinung nicht teilen, aber allein, dass in einer Welt demokratischer Beliebigkeit und politisch korrekten Moralisierens eine Instanz auf die Einhaltung des 5. Gebotes, du sollst nicht töten, drängt und nichts als Entschuldigung gelten lässt, weder Lebensentwürfe noch Freiheitspathos, hat diesen Papst zu einem Unzeitgemäßen der säkularen Eliten und gleichzeitig zu einem Volkspapst werden lassen.
Die katholische Kirche ist durch ihn nicht schwächer, sondern stärker geworden, gerade weil er die Auslegung des Evangeliums nicht vom Sieg oder der Niederlage welthistorischer Kräfte abhängig gemacht hat.
Und das ist die zweite Quelle seines Erfolges. Je weiter sich diese Welt demokratisiert und die ewigen Wahrheiten einer dauernden Abstimmung unterworfen werden, umso größer wird das Bedürfnis nach dem Unveränderlichen, der historisch geheiligten Tradition, dem ästhetischen Abstand, dem ewigen Gesetz. Es ist schon richtig, wir können uns eine hierarchisch autokratische Welt nicht mehr vorstellen, auch weil ihre Repräsentanten immer wieder in der Geschichte versagt haben, von den Nachfolgern des heiligen Ludwig auf dem französischen Thron bis hin zu Kaiser und Zar, die im Weltkrieg unter einer revolutionären Flutwelle begraben wurden.
Geblieben ist das Bedürfnis der Menschen nach Anleitung und Führung, nach Maßstäben, an denen man sich ausrichten kann aber nicht muss, ein Bedürfnis, das kaum noch gestillt wird im Zeitalter von Selbstbestimmung und Selbstverantwortung. So wie der Zusammenbruch der alten Monarchien in Europa die falschen Propheten an die Macht gebracht hat, so würde das Ende der Papstkirche eine kraftlose Beliebigkeit heraufführen, wie sie im Protestantismus immer wieder zu Tage tritt. Es war ein ebenso großer wie edler Irrtum der Luther, Zwingli und Kant, dass der Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmüdigkeit eine auf Eigenverantwortung gegründete bessere Welt heraufführen würde, ein Irrtum, dem die katholische Kirche nie erlegen ist.
Wenn alle diejenigen, die jetzt von einem neuen Papst Reformen einfordern, Recht hätten, bliebe unerklärlich, warum der Protestantismus nicht weltweit längst die römische Kirche abgelöst und mit seiner reformierten Religiosität ihren Platz eingenommen hat. Denn den ganzen Katalog der Forderungen haben die unterschiedlichen Strömungen des Protestantismus seit Luthers Beginnen bereits abgearbeitet, ohne jene neuen Gläubigen zu gewinnen, die angeblich mit dem katholischen Verständnis vom Priesteramt und der nicht gesegneten Homosexualität nicht mehr leben können.
Es ist schon richtig, die Kirche hat im 19. Jahrhundert mit dem soeben selig gesprochenen Pius IX. eine lange Phase der Weltverweigerung erlebt, die sie Macht und Einfluss gekostet hat, aber eben nur weltliche Macht und weltlichen Einfluss, der der geistigen Macht der Kirche entgegenstand und sie zu Kompromissen zwang, die ihre Glaubwürdigkeit verletzten. Es ist auch vom Nachfolger Johannes Pauls nicht zu erwarten, dass er den Vatikan besenrein an den Lutherischen Weltbund übergibt.
Wer ein halbes Jahrtausend braucht, um zu bemerken, dass der Katholizismus an der Reformation nicht teilgenommen hat, kann kaum das Prädikat Vordenker für sich in Anspruch nehmen. Wäre es nicht auch einen Gedanken wert, ob die Glaubwürdigkeit einer Religion womöglich gerade darin besteht, dem Zeitgeist nicht hinterher zu laufen?
Dr. Alexander Gauland, geb. 1941 in Chemnitz, ist Herausgeber der Märkischen Allgemeinen Zeitung in Potsdam. Von 1987 bis 1991 war er Staatssekretär und Chef der hessischen Staatskanzlei. Anfang der 70er Jahre hatte Gauland im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung gearbeitet. Als Publizist hat er zahlreiche Artikel und Beiträge zu gesellschaftspolitischen Fragen, zur Wertediskussion und des nationalen Selbstverständnisses veröffentlicht. Letzte Buchveröffentlichung: "Anleitung zum Konservativsein".
Da ist zum einen die hohe Glaubwürdigkeit eines Mannes, der aus dem Evangelium urteilend den autokratischen Sozialismus sowjetischer Prägung ebenso verurteilt hat wie den amerikanisch getönten Extremliberalismus und der neben Abtreibung und Sterbehilfe auch das Töten des Irakkrieges vor dem christlichen Gewissen verworfen hat, also eben jenen modernen Selektionsmechanismus zurückweist, der zwischen richtigem und falschen, zwischen zulässigem und unzulässigem Töten unterscheidet.
Man muss diese Meinung nicht teilen, aber allein, dass in einer Welt demokratischer Beliebigkeit und politisch korrekten Moralisierens eine Instanz auf die Einhaltung des 5. Gebotes, du sollst nicht töten, drängt und nichts als Entschuldigung gelten lässt, weder Lebensentwürfe noch Freiheitspathos, hat diesen Papst zu einem Unzeitgemäßen der säkularen Eliten und gleichzeitig zu einem Volkspapst werden lassen.
Die katholische Kirche ist durch ihn nicht schwächer, sondern stärker geworden, gerade weil er die Auslegung des Evangeliums nicht vom Sieg oder der Niederlage welthistorischer Kräfte abhängig gemacht hat.
Und das ist die zweite Quelle seines Erfolges. Je weiter sich diese Welt demokratisiert und die ewigen Wahrheiten einer dauernden Abstimmung unterworfen werden, umso größer wird das Bedürfnis nach dem Unveränderlichen, der historisch geheiligten Tradition, dem ästhetischen Abstand, dem ewigen Gesetz. Es ist schon richtig, wir können uns eine hierarchisch autokratische Welt nicht mehr vorstellen, auch weil ihre Repräsentanten immer wieder in der Geschichte versagt haben, von den Nachfolgern des heiligen Ludwig auf dem französischen Thron bis hin zu Kaiser und Zar, die im Weltkrieg unter einer revolutionären Flutwelle begraben wurden.
Geblieben ist das Bedürfnis der Menschen nach Anleitung und Führung, nach Maßstäben, an denen man sich ausrichten kann aber nicht muss, ein Bedürfnis, das kaum noch gestillt wird im Zeitalter von Selbstbestimmung und Selbstverantwortung. So wie der Zusammenbruch der alten Monarchien in Europa die falschen Propheten an die Macht gebracht hat, so würde das Ende der Papstkirche eine kraftlose Beliebigkeit heraufführen, wie sie im Protestantismus immer wieder zu Tage tritt. Es war ein ebenso großer wie edler Irrtum der Luther, Zwingli und Kant, dass der Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmüdigkeit eine auf Eigenverantwortung gegründete bessere Welt heraufführen würde, ein Irrtum, dem die katholische Kirche nie erlegen ist.
Wenn alle diejenigen, die jetzt von einem neuen Papst Reformen einfordern, Recht hätten, bliebe unerklärlich, warum der Protestantismus nicht weltweit längst die römische Kirche abgelöst und mit seiner reformierten Religiosität ihren Platz eingenommen hat. Denn den ganzen Katalog der Forderungen haben die unterschiedlichen Strömungen des Protestantismus seit Luthers Beginnen bereits abgearbeitet, ohne jene neuen Gläubigen zu gewinnen, die angeblich mit dem katholischen Verständnis vom Priesteramt und der nicht gesegneten Homosexualität nicht mehr leben können.
Es ist schon richtig, die Kirche hat im 19. Jahrhundert mit dem soeben selig gesprochenen Pius IX. eine lange Phase der Weltverweigerung erlebt, die sie Macht und Einfluss gekostet hat, aber eben nur weltliche Macht und weltlichen Einfluss, der der geistigen Macht der Kirche entgegenstand und sie zu Kompromissen zwang, die ihre Glaubwürdigkeit verletzten. Es ist auch vom Nachfolger Johannes Pauls nicht zu erwarten, dass er den Vatikan besenrein an den Lutherischen Weltbund übergibt.
Wer ein halbes Jahrtausend braucht, um zu bemerken, dass der Katholizismus an der Reformation nicht teilgenommen hat, kann kaum das Prädikat Vordenker für sich in Anspruch nehmen. Wäre es nicht auch einen Gedanken wert, ob die Glaubwürdigkeit einer Religion womöglich gerade darin besteht, dem Zeitgeist nicht hinterher zu laufen?
Dr. Alexander Gauland, geb. 1941 in Chemnitz, ist Herausgeber der Märkischen Allgemeinen Zeitung in Potsdam. Von 1987 bis 1991 war er Staatssekretär und Chef der hessischen Staatskanzlei. Anfang der 70er Jahre hatte Gauland im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung gearbeitet. Als Publizist hat er zahlreiche Artikel und Beiträge zu gesellschaftspolitischen Fragen, zur Wertediskussion und des nationalen Selbstverständnisses veröffentlicht. Letzte Buchveröffentlichung: "Anleitung zum Konservativsein".