Demesmay: "Immer mehr Missverständnisse" in deutsch-französischen Beziehungen
Frankreich und Deutschland müssen sich einig sein – sonst findet die EU keinen Weg aus der Finanzkrise. Doch bisher fehlt die gemeinsame Linie. Das liegt auch an den unterschiedlichen Lösungsansätzen, sagt Claire Demesmay von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.
Jan-Christoph Kitzler: Deutschland und Frankreich in der Euro-Krise – darüber spreche ich mit Claire Demesmay, bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik ist sie zuständig für Frankreich und die deutsch-französischen Beziehungen. Schönen guten Morgen!
Claire Demesmay: Guten Morgen!
Kitzler: In wichtigen Fragen, zum Beispiel beim Schuldenschnitt für Griechenland, bei den Maßnahmen zur Bankenrettung gibt es keine Einigung zwischen Paris und Berlin. Liegt das auch an dem unterschiedlichen Blick in Deutschland und Frankreich auf die Europäische Union?
Demesmay: Ja, also, bei der Euro-Frage verfolgen beide Länder langfristig schon das gleiche Ziel: Sie wollen die gemeinsame Währung stabilisieren, das Schuldenproblem endlich lösen. Aber dabei haben sie sehr verschiedene und manchmal sogar auch widersprüchliche Lösungsansätze. Und das führt regelmäßig zu Missverständnissen und auch so zu Spannungen. Generell kann man sagen, dass die Franzosen dazu tendieren, immer wieder neue Institutionen gründen zu wollen. So war das mit dem französischen Vorschlag einer Wirtschaftsregierung, das war auch im Bereich der Außenpolitik der Fall mit der Gründung der Union für das Mittelmeer. Und immer wieder reagiert Deutschland mit Zurückhaltung dabei. Und das zentrale Argument Deutschlands ist, dass man keine neuen Mechanismen braucht, solange die vereinbarten Regeln nicht eingehalten werden. Und in Frankreich wird diese Reaktion oft als fehlende Motivation für die Vertiefung der Integration verstanden. Also, verschiedene Ansichten und auch immer mehr Missverständnisse.
Kitzler: Sie sprechen von Missverständnissen - woran liegen diese Missverständnisse, liegt das auch an der unterschiedlichen Kultur von Staatlichkeit, also dem stärkeren Zentralismus in Frankreich und dem föderalen System in Deutschland?
Demesmay: Ja, dieser Unterschied spielt natürlich eine Rolle beim institutionellen Denken der Franzosen, aber auch beim Entscheidungsmodus. In Frankreich ist der Präsident in der Außenpolitik der Hauptentscheidungsträger, und bei der Frage des EFSF wie jetzt muss er keine Rücksicht auf die Positionen des Parlaments nehmen. Er kann also sehr schnell reagieren, was viel mehr zum Tempo der Finanzmärkte passt als das parlamentarische System Deutschlands. Aber bei der Euro-Krise liegen die deutsch-französischen Divergenzen auch und vor allem an der unterschiedlichen Wirtschaftskultur und an der unterschiedlichen Wirtschaftssituation.
Kitzler: Eine neue Institution hat Frankreich Angela Merkel abgerungen, es soll eine gemeinsame Wirtschaftsregierung für Europa geben. Aber da hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf, denn Deutschland und Frankreich verstehen jeweils etwas ganz anderes darunter: Frankreich will eine Regierung mit echten Politikern, die Verantwortung haben, Deutschland schwebt eher so ein strenges Regelwerk vor, an das sich dann alle halten. Wie kann man da überhaupt zusammenkommen?
Demesmay: Es ist die Erfolgsformel der deutsch-französischen Zusammenarbeit. Wenn Paris und Berlin dazu bereit sind, sich aneinander anzunähern, dann kommen sie zu Kompromissen. Im Fall der Wirtschaftsregierung braucht man sowohl Sparmaßnahmen als auch eine bessere Wirtschaftskoordinierung der Euro-Länder. Beide Maßnahmen schließen sich überhaupt nicht aus, sie sind im Gegenteil komplementär. Und ich glaube, dass sich beide Länder in diesem Fall in der Tat angenähert haben, und so ist begrüßenswert, dass sich Deutschland bei der Sparpolitik durchgesetzt hat und dass mehrere Länder die Schuldenbremse in ihre Verfassung eingeführt haben. Und genau so begrüßenswert ist es, dass Koordinierungsmechanismen wie der EFSF gegründet werden. Allerdings können solche deutsch-französischen Kompromisse nicht immer funktionieren, manchmal müssen sich auch die Europäer zwischen zwei ganz verschiedenen Modellen entscheiden wie jetzt im Fall EFSF zwischen dem französischen Bankenmodell und dem deutschen Versicherungsmodell. Und am Ende muss sich ein Land durchsetzen, wie es jetzt Deutschland gelungen ist.
Kitzler: Jetzt gibt es Verzögerungen, bis Mittwoch wird es dauern, bis wir wissen, was letztendlich rauskommt. Ein Grund dafür ist auch, Angela Merkel muss sich noch vor dem Deutschen Bundestag verantworten, der Haushaltsausschuss hat da ein wichtiges Wörtchen mitzureden. Wie ist das eigentlich in Frankreich, gilt da sozusagen: "L’état, c’est Sarkozy"?
Demesmay: Ja, das ist wirklich so. Also, das ist einerseits so, dass der Präsident in der Tat tun darf, was er will bei dieser Frage. Natürlich muss er auch Rücksicht auf die Bevölkerung nehmen, auf die Opposition und auf die eigene Partei, aber er muss nicht jedes Mal vor der Assemblée nationale sprechen und die Meinung von der Assemblée nationale auch hören. Und in Frankreich ist es auch wichtig, dass die Trennung zwischen Staat und Politik nicht so streng wie in Deutschland ist, es ist nicht undenkbar, dass die Politik zum Beispiel in Entscheidungen der Zentralbank eingreift. Und das spielt auch eine Rolle bei diesen deutsch-französischen Divergenzen.
Kitzler: Ohne Deutschland und Frankreich läuft nichts in Europa, das hatte ich in meiner Anmoderation gesagt. Heißt das im Umkehrschluss auch, solange sich die beiden Staaten nicht einigen, läuft gar nichts, und der Druck ist entsprechend hoch, dass sich jetzt geeinigt werden muss?
Demesmay: Ja, so ist das. Paris und Berlin haben diese verschiedenen Wirtschaftsmodelle, sie vertreten dabei die gesamte Eurozone, Frankreich die Süd-Länder, Deutschland die Nord-Länder, und wenn sich Paris und Berlin einigen, ist die Chance in der Tat groß, dass alle mit dieser Entscheidung zufrieden sind. Wenn nicht, dann kommen die Europäer in der Regel zu keiner Entscheidung. Aber es kann nur funktionieren, wenn die EU-Partner mitmachen, und ein deutsch-französischer Kompromiss hätte in diesem Fall gar keine Wirkung, wenn zum Beispiel Italien beim eigenen Schuldenabbau nicht anpacken würde.
Kitzler: Dann hoffen wir mal, dass die Einigung bis zum Mittwoch steht. Das war Claire Demesmay von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, haben Sie vielen Dank für das Gespräch und einen schönen Tag!
Demesmay: Danke.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Sie können das vollständige Gespräch mit Claire Demesmay mindestens bis zum 24.03.2012 als MP3-Audio in unserem Audio-on-Demand-Angebot hören.
Claire Demesmay: Guten Morgen!
Kitzler: In wichtigen Fragen, zum Beispiel beim Schuldenschnitt für Griechenland, bei den Maßnahmen zur Bankenrettung gibt es keine Einigung zwischen Paris und Berlin. Liegt das auch an dem unterschiedlichen Blick in Deutschland und Frankreich auf die Europäische Union?
Demesmay: Ja, also, bei der Euro-Frage verfolgen beide Länder langfristig schon das gleiche Ziel: Sie wollen die gemeinsame Währung stabilisieren, das Schuldenproblem endlich lösen. Aber dabei haben sie sehr verschiedene und manchmal sogar auch widersprüchliche Lösungsansätze. Und das führt regelmäßig zu Missverständnissen und auch so zu Spannungen. Generell kann man sagen, dass die Franzosen dazu tendieren, immer wieder neue Institutionen gründen zu wollen. So war das mit dem französischen Vorschlag einer Wirtschaftsregierung, das war auch im Bereich der Außenpolitik der Fall mit der Gründung der Union für das Mittelmeer. Und immer wieder reagiert Deutschland mit Zurückhaltung dabei. Und das zentrale Argument Deutschlands ist, dass man keine neuen Mechanismen braucht, solange die vereinbarten Regeln nicht eingehalten werden. Und in Frankreich wird diese Reaktion oft als fehlende Motivation für die Vertiefung der Integration verstanden. Also, verschiedene Ansichten und auch immer mehr Missverständnisse.
Kitzler: Sie sprechen von Missverständnissen - woran liegen diese Missverständnisse, liegt das auch an der unterschiedlichen Kultur von Staatlichkeit, also dem stärkeren Zentralismus in Frankreich und dem föderalen System in Deutschland?
Demesmay: Ja, dieser Unterschied spielt natürlich eine Rolle beim institutionellen Denken der Franzosen, aber auch beim Entscheidungsmodus. In Frankreich ist der Präsident in der Außenpolitik der Hauptentscheidungsträger, und bei der Frage des EFSF wie jetzt muss er keine Rücksicht auf die Positionen des Parlaments nehmen. Er kann also sehr schnell reagieren, was viel mehr zum Tempo der Finanzmärkte passt als das parlamentarische System Deutschlands. Aber bei der Euro-Krise liegen die deutsch-französischen Divergenzen auch und vor allem an der unterschiedlichen Wirtschaftskultur und an der unterschiedlichen Wirtschaftssituation.
Kitzler: Eine neue Institution hat Frankreich Angela Merkel abgerungen, es soll eine gemeinsame Wirtschaftsregierung für Europa geben. Aber da hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf, denn Deutschland und Frankreich verstehen jeweils etwas ganz anderes darunter: Frankreich will eine Regierung mit echten Politikern, die Verantwortung haben, Deutschland schwebt eher so ein strenges Regelwerk vor, an das sich dann alle halten. Wie kann man da überhaupt zusammenkommen?
Demesmay: Es ist die Erfolgsformel der deutsch-französischen Zusammenarbeit. Wenn Paris und Berlin dazu bereit sind, sich aneinander anzunähern, dann kommen sie zu Kompromissen. Im Fall der Wirtschaftsregierung braucht man sowohl Sparmaßnahmen als auch eine bessere Wirtschaftskoordinierung der Euro-Länder. Beide Maßnahmen schließen sich überhaupt nicht aus, sie sind im Gegenteil komplementär. Und ich glaube, dass sich beide Länder in diesem Fall in der Tat angenähert haben, und so ist begrüßenswert, dass sich Deutschland bei der Sparpolitik durchgesetzt hat und dass mehrere Länder die Schuldenbremse in ihre Verfassung eingeführt haben. Und genau so begrüßenswert ist es, dass Koordinierungsmechanismen wie der EFSF gegründet werden. Allerdings können solche deutsch-französischen Kompromisse nicht immer funktionieren, manchmal müssen sich auch die Europäer zwischen zwei ganz verschiedenen Modellen entscheiden wie jetzt im Fall EFSF zwischen dem französischen Bankenmodell und dem deutschen Versicherungsmodell. Und am Ende muss sich ein Land durchsetzen, wie es jetzt Deutschland gelungen ist.
Kitzler: Jetzt gibt es Verzögerungen, bis Mittwoch wird es dauern, bis wir wissen, was letztendlich rauskommt. Ein Grund dafür ist auch, Angela Merkel muss sich noch vor dem Deutschen Bundestag verantworten, der Haushaltsausschuss hat da ein wichtiges Wörtchen mitzureden. Wie ist das eigentlich in Frankreich, gilt da sozusagen: "L’état, c’est Sarkozy"?
Demesmay: Ja, das ist wirklich so. Also, das ist einerseits so, dass der Präsident in der Tat tun darf, was er will bei dieser Frage. Natürlich muss er auch Rücksicht auf die Bevölkerung nehmen, auf die Opposition und auf die eigene Partei, aber er muss nicht jedes Mal vor der Assemblée nationale sprechen und die Meinung von der Assemblée nationale auch hören. Und in Frankreich ist es auch wichtig, dass die Trennung zwischen Staat und Politik nicht so streng wie in Deutschland ist, es ist nicht undenkbar, dass die Politik zum Beispiel in Entscheidungen der Zentralbank eingreift. Und das spielt auch eine Rolle bei diesen deutsch-französischen Divergenzen.
Kitzler: Ohne Deutschland und Frankreich läuft nichts in Europa, das hatte ich in meiner Anmoderation gesagt. Heißt das im Umkehrschluss auch, solange sich die beiden Staaten nicht einigen, läuft gar nichts, und der Druck ist entsprechend hoch, dass sich jetzt geeinigt werden muss?
Demesmay: Ja, so ist das. Paris und Berlin haben diese verschiedenen Wirtschaftsmodelle, sie vertreten dabei die gesamte Eurozone, Frankreich die Süd-Länder, Deutschland die Nord-Länder, und wenn sich Paris und Berlin einigen, ist die Chance in der Tat groß, dass alle mit dieser Entscheidung zufrieden sind. Wenn nicht, dann kommen die Europäer in der Regel zu keiner Entscheidung. Aber es kann nur funktionieren, wenn die EU-Partner mitmachen, und ein deutsch-französischer Kompromiss hätte in diesem Fall gar keine Wirkung, wenn zum Beispiel Italien beim eigenen Schuldenabbau nicht anpacken würde.
Kitzler: Dann hoffen wir mal, dass die Einigung bis zum Mittwoch steht. Das war Claire Demesmay von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, haben Sie vielen Dank für das Gespräch und einen schönen Tag!
Demesmay: Danke.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Sie können das vollständige Gespräch mit Claire Demesmay mindestens bis zum 24.03.2012 als MP3-Audio in unserem Audio-on-Demand-Angebot hören.