Demo-Hochburg Portland

Weißes Engagement für schwarze Belange

23:30 Minuten
Nächtlicher Protest der Black Lives Matter Bewegung in Portland.
Die „Black Lives Matter“-Proteste in Portland werden auch von vielen Weißen unterstützt. © picture alliance / Media Punch / Damairs Carter
Von Katharina Wilhelm |
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Hipster, Liberale, weiße Mittelschicht – das ist Portland. 2020 mutierte die alternative Stadt an der US-Westküste zur Protesthochburg. Wie konnte eine vor allem weiße Stadt zum Zentrum der Demonstrationen der „Black Lives Matter“-Bewegung werden?
Der Wettergott meint es nicht gut mit dem Demonstrierenden auf dem Pioneer Square in Portland, der auch das Wohnzimmer der Stadt genannt wird. Es regnet sich gerade richtig ein. Wie jeden Freitagvormittag kommen trotzdem die "Nurses For Black Lives Matter", also die Krankenschwestern für die "Black Lives Matter"-Bewegung hierhin, um gegen Rassismus und Polizeigewalt zu demonstrieren. Julia in ihrer camouflage-grünen Jacke, deren Kapuze ihr tief ins Gesicht ragt, gehört dazu:
"Das weiße Portland rechnet gerade ernsthaft mit seiner Haltung ab, so unglaublich liberal zu sein, keine Hautfarben zu sehen und der ganze Quatsch. Ich denke, viele weiße Menschen öffnen sich jetzt und das ist toll!"

Die weißeste Großstadt der USA

Julia und die anderen Protestierenden sind alle – weiß. So wie die Mehrheit der rund 650.000 Einwohnerstadt Portland. Sie wird oft als die weißeste Großstadt der USA bezeichnet. Rund 77 Prozent der Bevölkerung sind Weiße, während nur etwa 6,5 Prozent der Bevölkerung schwarz sind. Zum Vergleich – der Anteil Schwarzer an der US-Gesamtbevölkerung beträgt etwa zwölfeinhalb Prozent.

Portland hat in den USA den Ruf auch die Hipster-Hauptstadt zu sein. Ein Ort, an dem sich weiße, linksintellektuelle, umweltbewusste Menschen wohlfühlen, – Hipsterbart, selbst gebrautes Bier, glutenfreier Kuchen und Einrad inklusive. Dass Portland so gesehen wird, hat auch mit der knapp zehn Jahre alten TV Show "Portlandia" zu tun, die das Klischee der Öko-Links-Hochburg stark beförderte:
Eine Wandschrift mit dem Slogan "Keep Portland Weird".
Portland hat einen nationalen Ruf als Stadt mit seltsamen und unabhängigen Menschen.© Getty Images North America
"Portland ist eine Stadt, in der junge Menschen in Rente gehen", ist ein Satz des Comedians Fred Armissan. Hier seien die 90er-Jahre noch am Leben, singt er weiter.

Die Stadt der "Aufständischen, Aufrührer, Anarchisten"

Mit dieser lustig-ironischen TV-Show ist Portland dieser Tage kaum noch vergleichbar – plötzlich ist Portland im Blickfeld der US-Regierung, wird von US-Präsident Donald Trump als ein "Desaster" bezeichnet, in dem der linke Mob wütet:
"Die heldenhaften Bundesbeamten haben das Bundesgericht gerettet – vor gesetzlosen Aufständischen, Aufrührer, Anarchisten. Der Bürgermeister der Stadt, Ted Wheeler, konnte nichts ausrichten. Er unterliegt der Gnade des Mobs. Die linksgerichtete Gewalt ist eine Gefahr für unser Land. Und wir haben sie gestoppt."

Seit Ende Mai wird in Portland protestiert – und das heftig. Tränengas kommt regelmäßig zum Einsatz. Während tagsüber meist friedlich demonstriert wird, ziehen am Abend radikalere Gruppen durch die Stadt. Das Justizgebäude in der Innenstadt Portlands ist zur Kampfzone der Proteste der "Black Lives Matter"-Bewegung und der Gegendemonstrationen geworden. Sperrholzplatten verriegeln Fenster und Türen.

"Wir wollen, dass die Bundesbeamten gehen"

Um das Gebäude zu schützen, schickte die Trump-Regierung Bundesbeamte nach Portland. Ihnen wurde vorgeworfen, nicht nur wie angeordnet das Gebäude zu schützen, sondern auch Demonstrierende festzunehmen, in ungekennzeichnete Autos zu sperren und sich aufzuführen wie Milizen. Dagegen wehrten sich nicht nur die Protestierenden, sondern auch Bürgermeister Ted Wheeler:
"Ihre Anwesenheit hier führt tatsächlich zu mehr Gewalt und mehr Vandalismus. Wir haben nie um sie gebeten, wir wollen, dass sie gehen."
In Portland wuchs die Wut auf die Bundesbeamten, die Polizei und auch gegen die amerikanische Regierung weiter an. Die Proteste bekamen Unterstützung – unter anderem von "Müttergruppen", die sich in gelben T-Shirts vor die Demonstranten stellten. Auch die "Portland Dads" sind ein Phänomen: Männer, die mit Laubbläsern die Tränengaswolken wegpusten, Luft zum Atmen schaffen wollen.

Portland bleibt im Fokus von Donald Trump

Die Bundesbeamten verließen zwar die Stadt: Portland bleibt aber im Fokus Trumps – ein Symbol für linksradikalen Terror. Viele konservative bis moderate Amerikaner gehen da mit. Sie haben Probleme mit den Forderungen der Black Lives Matter Bewegung, vor allem, weil diese zum Teil fordern, die Polizei anders und vor allem geringer zu finanzieren. Während Trump für "Recht und Ordnung" plädiert, wollen die Aktivisten, dass Polizeibeamte anders ausgebildet werden, weniger aggressiv vorgehen und zum Teil durch Sozialarbeiter ersetzt werden.


"Das hier war mal der Eingang des Justizzentrums, aber sie haben alles verriegelt, als die Proteste anfingen", erklärt mir Teela Foxworth. Die junge Frau mit einer knallgelben Bluse ist Professorin für Sozialwissenschaften und versteht wie kaum jemand die Komplexität des Konfliktes:
Porträt von Teela Foxworth, in knallgelber Bluse.
Teela Foxworth, Professorin für Sozialwissenschaften: " Ich weiß nicht, ob es einen Fortschritt geben kann, wenn man nicht miteinander redet."© Deutschlandradio / Christine Schacht
"Ich bin hier praktisch aufgewachsen. Mein Vater hat hier als Undercover-Polizist angefangen, mein Onkel war beim FBI, mein Bruder ist bei der Polizei. Ich habe also eine familiäre Verbindung dazu, mein erster Job war hier. Ich lebe zwischen diesen beiden Welten. Denn ich bin auch eine schwarze Frau, in einer der weißesten Städte der USA.
Ich habe also die Erfahrungen aus meinem Alltag. Dazu unterrichte ich unter anderem Kurse zum Thema Ethnien und Rassismus, habe also diesen wissenschaftlichen Hintergrund. Und es macht mich traurig, dass es keine Gespräche zwischen den verschiedenen Gruppen gibt. Ich weiß nicht, ob es einen Fortschritt geben kann, wenn man nicht miteinander redet."

Warum kommt der Präsident nicht persönlich nach Portland?

Die Polizei abschaffen, wie es manche Demonstranten fordern – keine Option für sie. Doch die Demonstranten als Terroristen bezeichnen, sei ebenfalls falsch. Verständnis für alle Seiten sei ihr wichtig. Als Mitglied einer Familie, in der viele in der Strafverfolgung arbeiten, führe sie viele emotionale Gespräche derzeit:
"Ich habe meinem Bruder gesagt, ich sehe die Menschen im Klassenzimmer an ihren guten Tagen, wo sie ihr Leben verbessern wollen. Er sieht sie an ihren schlechten Tagen, bei Festnahmen."
Foxworth führt mich zum Apple-Laden in der Innenstadt, ein Hotspot der Proteste. Von dem Laden ist wenig zu sehen, er ist mit Holzplatten verkleidet, und mit bunten Graffitis und Streetart übersät. Das Porträt von George Floyd, der in diesem Jahr von Polizisten getötet wurde, ist zu sehen. Es herrscht eine gespenstische Ruhe in der sonst belebten Innenstadt. Wie erlebt die Sozialwissenschaftlerin die Proteste, die Gewalt – ist Portland eine Stadt der autonomen Szene geworden, wie Präsident Trump es beschreibt?
"Es sind vielleicht fünf Blocks, die so aussehen – aber der Rest von Portland eben nicht. Wenn der Präsident wirklich denkt, dass diese Stadt brennt, warum schickt er dann Bundesbeamte rein und kommt nicht persönlich vorbei, so wie bei Naturkatastrophen auch? Portland brennt nicht."

"Echte Amerikaner sehen die Hautfarbe nicht"

Vor dem Justizgebäude steht eine Handvoll Demonstrierende – sie schwenken eine blau-schwarz-weiße US-Flagge. Ein Zeichen der Solidarität mit der Polizei.
"Es gibt eine Notwendigkeit für Recht und Gesetz. Als Homeland Security hier waren, war es besser. Denn ohne Recht und Gesetz überlässt man die Gesellschaft den Wölfen."
Ein Mann mit schwarzer Gesichtsmaske und in einem Trump T-Shirt wird interviewt. In seinen Händen hält er ein Transparent mit der Aufschrift "Support Police".
Ein Demonstrant vor dem Justizgebäude: "Wir werden weiße Nationalisten genannt, aber nein, wir unterstützen nur die Polizisten."© Deutschlandradio / Christine Schacht
Das erzählt mir Steve. Er trägt eine schwarze Gesichtsmaske und ein schwarzes Trump T-Shirt. Er ärgert sich über die Gewalt der Demonstranten, die hier die Gebäude zerstörten und so wie er sagt, den Steuerzahler Geld kosteten. Der Grund, warum überhaupt so wütend demonstriert wird, verstehe er trotzdem:
"Wir glauben hundert Prozent, dass schwarze Leben wichtig sind. Wir werden weiße Nationalisten genannt, aber nein, wir unterstützen nur die Polizisten. Aber ehrlich: Echte Amerikaner sehen die Hautfarbe nicht, die sehen die Persönlichkeit. Die meisten von uns sind christlich und wollen nur tun, was richtig ist."

Epizentrum der "Black Lives Matter"-Proteste

Teela Foxworth wundert es manchmal, dass ausgerechnet das super-weiße Portland zu einem Epizentrum der "Black Lives Matter"-Proteste geworden ist:
"Ich dachte nach der Ermordung von George Floyd, dass die Menschen in Minneapolis länger auf der Straße gehen, als wir hier. Ich finde es schon gut, dass so viele dabei sind. Meine Oma sagte mir am Telefon - ich hätte nie gedacht, dass ich das in meinem Leben noch sehen würde. Geht raus, seid genauso sauer wie wir. Dieses Land wurde auf einer Konstitution aufgebaut, als Schwarze noch Sklaven waren. Die Gesetze von damals sollten nie auf Menschen angewendet werden, die aussehen wie ich."
Doch sie und auch andere Aktivisten haben auch einen kritischen Blick auf die weißen Demonstrierenden. Zum Beispiel, als ein Bild einer weißen Frau, die sich bei den Demos in Portland komplett nackt auf die Straße legte und sich fotografieren ließ, durch die Presse ging.
"Was bringt das für Schwarze? Erst mal zeigt sie damit ihr Privileg als weiße Frau, eine Straftat zu begehen vor Polizeibeamten und nicht verhaftet zu werden. Schwarze Körper würden so etwas nie erleben."
Sagt Foxworth. Sie glaubt, dies habe auch viel mit den Sozialen Medien zu tun und dem Wunsch nach Aufmerksamkeit.
"Ich denke, unsere Stadt ist noch immer sehr rassistisch und dass wir Leute haben die ihr Engagement gern zeigen, aber nicht so ernst meinen. Ich habe schon ein Problem damit, wenn die Leute demonstrieren gehen und dann nach Nord-Ost Portland gehen in ihre sehr gentrifizierten Nachbarschaften, aus denen Schwarze lange systematisch rausgehalten wurden. Manche Leute kennen die Geschichte unseres Staates nicht und warum es hier so aussieht, wie es eben aussieht."

Oregon hat eine rassistische Vergangenheit

Oregon hat eine besonders heftige rassistische Vergangenheit, nicht ohne Grund leben in Portland und auch im Umland vor allem Weiße.
"Das gleiche Gesetz, dass die Sklaverei in der Verfassung Oregons verbot, verbannte Schwarze aus dem Bundesstaat, sie durften hier nicht leben. Darin stand auch, dass ihnen die Bestrafung mit der Peitsche droht, bis sie den Staat verlassen. Diese Sprache hielt sich in unserer Verfassung bis 2001!"
Das erklärt Aktivistin, und Autorin Walidah Imarisha im Nachrichtensender CBS. In Oregon und speziell in Portland siedelte sich der rassistische Ku-Klux-Klan an. Noch in den 1920er-Jahren war es kein Geheimnis, dass beispielsweise Polizeichef und Bezirksstaatsanwälte Mitglieder dieser Vereinigung waren.

Portland wurde vom rassistischen zum liberalen Ort

Genau diese rassistische Vergangenheit habe die Stadt zum Guten verändert, meint John Kent Harrison. Der Regisseur ist bekennender Demokrat, er kommt eigentlich aus Kanada und schätzt die seiner Ansicht nach offene Stimmung der Stadt:
"Es war wirklich ein rassistischer Ort, fast ironischerweise ist Portland ein liberaler Ort geworden mit einer tollen Literaturszene, Kunst, Kultur, Theater. Interessant ist, dass das die Leute außerhalb der Stadt nicht mögen, sie hassen Portland, die meisten von ihnen sind Trump-Befürworter."
Der Regisseur John Kent Harrison hat eine Basecap, mit der Aufschrift "KAMALA", auf und steht neben einer weiblichen Begleitung (links).
Regisseur und bekennender Demokrat John Kent Harrison: "Es war wirklich ein rassistischer Ort."© Deutschlandradio / Christine Schacht
Dass in Portland linke auf rechte Gruppen treffen, ist nicht neu. Seit 2016 beispielsweise sind die sogenannten "Proud Boys" immer wieder in der Stadt, national-rechte Gruppen vor allem junger Männer. Der Soziologe Randy Blazak studiert seit Jahren die radikalen Gruppen in Portland. Im Interview mit den Lokalnachrichten sagt er, dass das progressive Portland diese rechten Vereinigungen sehr anziehe:
"Da Portland eine ziemlich starke Anti-Rassismus-Community hat, wurden den Rechten schnell klar: Wenn sie kämpfen wollen müssen sie nach Portland, Oregon."

"Sobald du aufs Land kommst, siehst du Trump Flaggen"

In Oregon scheinen die Extreme der USA besonders hervorzutreten, die Konflikte wirken fast exemplarisch für das Land. Eine mehrheitlich weiße Gesellschaft, die Städte, das urbane Leben ist beherrscht von Demokraten und einem liberalen Weltbild. Blaue Punkte nennt man diese Städte, blau steht für die Demokraten. Draußen auf dem Land wird rot gewählt, republikanisch. Diese Beobachtung macht auch Kirsten Seyferth, die Deutsche lebt nur wenige Kilometer außerhalb von Portland.
"Sobald du aufs Land kommst, siehst du die Trump Flaggen. Was ich so mitkriege, ist die Bereitschaft zur Gewalt stärker, die Bereitschaft, die Waffen, die sich so angesammelt haben, auch zu verwenden."


Seyferth lebt idyllisch, Haus, Hof umgeben von drei Pferden, zwei Hunden und Hühnern. Doch die Idylle habe einen Knacks bekommen, mit Sorge betrachte sie, wie die Schlangen vor dem örtlichen Waffenladen anwachsen. Und über Politik unterhalte sie sich nur selten:
Kirsten Seyferth, auf ihrem Hof wenige Kilometer außerhalb von Portland.
Kirsten Seyferth vermeidet es, mit den Nachbarn über Politik zu reden. © Deutschlandradio / Christine Schacht
"Ich vermeide es, darüber mit den Nachbarn ins Gespräch zu kommen."

Das Land ändert sich

In Portland eskaliert die Gewalt Anfang September als ein Mann am Rande von Demonstrationen erschossen wird, offenbar ein Mitglied der rechten Gruppierung "Patriot Prayer". Der mutmaßliche Schütze ein Antifa-Mitglied, wurde bei der versuchten Festnahme kurz darauf von Polizeibeamten erschossen.
Portland kommt nicht zur Ruhe. Gut finden das die Aktivisten der "Black Lives Matter"-Bewegung. Tim, eine der Pflegekräfte, die mitten im Regen demonstrieren gehen sagt mir, er glaube, das Land ändere sich wirklich:
"Die Menschen wachen auf, vor allem die Weißen, die so lange am längeren Hebel saßen. Wir werden jedenfalls nicht aufhören."
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