Der beliebte Baumwoll-Millionär
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Benin gilt als Ursprung der alten Voodoo-Religion und stabile Demokratie in Westafrika. Doch die friedlichen Machtwechsel könnten mit Präsident Patrice Talon enden. Am Sonntag sind Wahlen. Beobachter sprechen vom derzeitigen Regime als "Wahlautokratie".
Auf einer Baustelle in Fidjrossè, einem beliebten Viertel in Benins Hafenmetropole Cotonou. Es liegt im Westen der Stadt und direkt am Strand. Vor einem halb fertigen Gebäude brummt ein alter, verrosteter Zementmischer. Ein junger Mann schaufelt säckeweise Zement und orangefarbene Kieselsteine hinein.
Anschließend wird das Gemisch mit einer Seilwinde aufs Dach des zweistöckigen Rohbaus transportiert. Dort überwacht Ingenieur José Marie Houssou die Arbeit.
"Es gibt sehr viele Gebäude, die gerade entstehen. Das sieht man von hier oben gut. Die Infrastruktur ändert sich enorm. Das hat mit dem 'Projekt Asphaltierung' der Regierung zu tun. Viele Straßen sind gebaut oder ausgebessert worden. Das passiert aber längst nicht nur in Cotonou. Wenn man die Stadt verlässt, sieht man es überall. Im ganzen Land wird gebaut: in Parakou, in Natitingou, in Boukombé."
Wie sehr Cotonou im Baufieber ist, wird besonders in Fidjrossè deutlich. In den vergangenen drei bis vier Jahren sind zahlreiche Mehrfamilienhäuser gebaut worden. Sie haben die kleinen Holz- und Wellblechhütten verdrängt. Neben lokalen Kneipen wurden gutgehende Restaurants eröffnet. Asphaltierte Straßen sind entstanden.
Auch hier, entlang des sandigen Weges, an dem der Rohbau steht, werden gleich zwei weitere Häuser hochgezogen. Das schafft zusätzlichen Wohnraum in der Nähe des Zentrums. Es treibt aber auch die Preise nach oben, sagt Ingenieur Houssou.
"Es ist teurer als früher, was ganz normal ist. Je mehr sich eine Stadt entwickelt, desto stärker ziehen die Besitzer die Preise an. Cotonou, wie es einst war, lässt sich also gar nicht mit dem Cotonou von heute vergleichen. Es gibt viel mehr Gebäude, und die gesamte Infrastruktur hat sich verbessert. Aber nicht nur hier. Auch Calavi hat sich verändert, Parakou. Wenn Sie dorthin reisen, werden Sie sehen: Das ganze Land entwickelt sich."
Anhängerin: Talon hat viel für das Land und die Frauen getan
Die Verbesserung der Infrastruktur in dem westafrikanischen Küstenstaat ist mit einem Namen verbunden.
Präsident Patrice Talon betritt das Kongressgebäude. Es liegt an der Marina, der neu ausgebauten sechsspurigen Küstenstraße. Der schmale Mann mit dem breiten, schwarzen Brillengestell trägt einen weißen Anzug und ein Käppi. Als er langsam zur Bühne geht, bejubeln ihn hunderte Anhänger. Viele sind Studierende. Vor ihnen hält Talon seine Auftaktrede für den Wahlkampf. Die Abstimmung um das Präsidentenamt findet am kommenden Sonntag statt.
Auch Madis Vigninou will den Regierungschef unbedingt live sehen. Sie lebt in der Stadt Abomey-Calavi, einer angrenzenden Pendlerstadt. Heute ist sie extra nach Cotonou gekommen.
"Er hat sehr viel für das Land und ganz besonders für die Frauen getan. Mikrokredite gibt es beispielsweise. Straßen sind gebaut worden, weshalb das Land sein Gesicht sehr verändert hat. Mir gefällt, dass sich unsere Kinder heute auf Stellen bewerben können, ohne Kontakte zu haben. Das war lange nicht möglich. Heute sind wir stolz darauf, dass ein persönliches Netzwerk keine Vorteile mehr bringt. Das ist wichtig."
Als Talon 2016 zum ersten Mal gewählt wurde, hatte er eine Regierung des Umbruchs angekündigt. Der heute 62-Jährige wollte alte Strukturen und Seilschaften aufbrechen. Damit verbunden war auch die Aussage, nach einem Mandat nicht mehr anzutreten. Davon ist heute aber nichts mehr zu spüren. Anhängerinnen wie Madis Vigninou haben mit diesem Wortbruch kein Problem.
"Das, was er angefangen hat, muss er auch fertigmachen. Diese Chance müssen wir ihm lassen. Der Staat ist eine Kontinuität. Er hat uns ja viel versprochen. Deshalb sagt er im Wahlkampf immer: Das, was angefangen wurde, muss fortgesetzt werden. Das ist der Moment dafür."
Präsident Talon soll Vermögen von 350 Millionen Euro haben
Eigentlich wollte Talon Pilot werden, scheiterte aber am medizinischen Test. Nach seinem Mathematik- und Physikstudium begann er 1983 mit dem Handel von Verpackungen und landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Schritt für Schritt baute er sein Imperium auf. Hauptstandbein ist die Baumwolle, Benins Exportgut Nummer eins. Nach Einschätzung des Wirtschaftsmagazins Forbes soll er über ein Vermögen von mehr als 350 Millionen Euro verfügen und somit der reichste Mann im Land sein.
Aber auch der politischen Elite stand er als Berater seines Vorgängers Boni Yayi nahe. 2012 überwarf er sich jedoch mit ihm und ging nach Frankreich ins Exil. Nach seiner Rückkehr drei Jahre später kündigte Talon erstmals seine Kandidatur um das Präsidentenamt an.
Daran kann sich Roger Gbégnonvi, einstiger Alphabetisierungsminister und politischer Analyst, gut erinnern. Die beiden sind seit 15 Jahren befreundet.
"Als er sich entschied zu kandidieren, habe ich ihm in Cotonou gesagt: 'Mein junger Bruder, mach‘ das nicht. Du bist Geschäftsmann. Dieses Land braucht keinen Geschäftsmann an der Spitze.' Er wurde trotzdem Kandidat und dann gewählt. Ich habe den Eindruck, dass er dieses Land wie ein Unternehmen führt: Es muss funktionieren. Dafür müssen Entscheidungen getroffen werden. Auch schreckt er vor großen Einschnitten nicht zurück."
Nur noch zwei Parteien im Parlament
Dazu gehört der Kahlschlag der politischen Landschaft. 278 Parteien und politische Allianzen gab es noch bis vor wenigen Jahren. Jetzt sind es nur noch 14. Im Parlament mit seinen 83 Abgeordneten sind seit zwei Jahren sogar nur noch zwei Parteien vertreten, die beide Talon nahestehen. Eine richtige parlamentarische Opposition gibt es nicht mehr. Auch am Sonntag hat er nur noch zwei Herausforderer. Alle anderen Kandidaten wurden nicht zugelassen.
Die Folgen beschreibt Analyst Roger Gbégnonvi: "Ich habe viele Wahlen in meinem Land erlebt, aber diese ist einzigartig. Zum ersten Mal gibt es nicht 20 oder noch mehr Kandidaten, sondern nur drei. Auch hat der Präsident etwas vorzuweisen. Wenn die Menschen also zum Wählen gehen, und es ist schon recht klar, für wen sie stimmen werden, dann gibt es zum zweiten Mal in der Geschichte einen ‚Coup K.O.‘, wie wir es in Afrika nennen. Es wird keinen zweiten Wahlgang geben."
Möglich wird das durch das neu eingeführte Patensystem. Jeder Bewerber brauchte im Vorfeld die Unterstützung von zehn Prozent der Abgeordneten oder Bürgermeistern, um überhaupt als Kandidat zugelassen zu werden. 17 Bewerbungen wurden so abgelehnt. Auch von der bekannten Oppositionspolitikerin Reckya Mandougou. Die sitzt sogar seit Anfang März in Untersuchungshaft. Der Vorwurf lautet: Mandougou soll terroristische Aktivitäten finanziert haben. Andere Spitzenpolitiker aus Benin sind längst ins Exil nach Frankreich und in die USA gegangen.
Roger Gbégnonvi verteidigt die Einführung der Patenschaft dennoch. "Das System wurde von Präsident Talon eingeführt, damit nicht jeder Staatsoberhaupt werden kann. Das hat funktioniert. Auch in Frankreich gibt es im ersten Wahlgang der Präsidentenwahl keine 26 Kandidaten. Und in den USA gibt es einen Wahlgang mit zwei Parteien."
Opposition: Politische Gefangene freilassen!
Allerdings: In den USA gab es zuletzt zehn Präsidentschaftskandidaten und in Frankreich elf. In Benin gibt es am Sonntag drei. Darunter auch Corentin Kohoué, der gemeinsam mit seinem Vize Iréné Agossa genügend Paten unter den Abgeordneten und Bürgermeistern gefunden hat. Sie treten – wie alle anderen Bewerber auch – als Team an: Kohoué ist der Spitzenkandidat.
"Ich habe Freunde, mit denen ich mich getroffen habe. Sie sind meine Brüder, mit denen ich nicht notwendigerweise die gleiche politische Meinung teile. Ich habe ihnen aber gesagt: Ich will kandidieren. Könnt Ihr mich unterstützen? Man muss das auf jeden Fall versuchen. Das hat auch Iréné Agossa schon sehr zeitig gemacht."
Vize-Präsidentschaftsbewerber Iréné Agossa spricht auf einer Wahlkampfveranstaltung. Immer wieder Applaus. Die Botschaft des Duos ist deutlich: Es verspricht einen engagierten Wahlkampf gegen den Amtsinhaber. Mit viel Einsatz sei der Machtwechsel möglich.
Das betont einige Tage später Corentin Kohoué erneut in einem Interview: "Die Massen haben die Nase voll von Präsident Talon. Sie werden sich jenen anschließen, die ihn bekämpfen. Sie sind nur noch müde, was die Ergebnisse zeigen werden. Selbst jene, die ihm nahestehen, wollen seine Diktatur nicht mehr."
Kohoué gilt als Überraschungskandidat, dem es allerdings an Bekanntheit fehlt. Auch ein Wahlprogramm präsentiert er im Gespräch nicht. Sollte er dennoch gewählt werden, hat er folgende Ziele:
"Niemand spricht mehr über Benin. Dabei war das Land ein Aushängeschild der Demokratie. Man muss unverzüglich all jene, die im politischen Exil sind, zurückholen. Auch müssen politische Gefangene freigelassen werden. Jeder soll sich an den Wahlen in Benin beteiligen. Auch kann es nicht sein, dass das Justizsystem manche schützt und andere für 20 Jahre wegsperrt. Das ist doch nicht normal."
Entwickelt sich Benin zum Einparteien-System wie in Ruanda?
Kritiker des Präsidenten werfen ihm vor, er wolle ein "beliebter Autokrat" werden und sehe sein Vorbild in dem Einparteien-System von Ruanda. Und tatsächlich könnte sich Benin in diese Richtung entwickeln. Analysen zu Demokratie, Pressefreiheit, Situation der Zivilgesellschaft und Menschenrechten zeigen: Benin hat sich in den vergangenen Jahren verschlechtert.
Die Nichtregierungsorganisation Freedom House bewertet das Land nur noch als "teilweise frei". Im Ranking von "Reporter ohne Grenzen" hat es innerhalb eines Jahres gleich 17 Plätze eingebüßt.
Hans-Joachim Preuß, Repräsentant der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Benin, spricht deshalb von einer Wahlautokratie. In dieser haben es Oppositionelle zunehmend schwer.
"Es gibt Proteste der politischen Klasse, einige Intellektuelle und wenige Teile der Zivilgesellschaft, die sich dagegenstellen. Aber auf der anderen Seite sind mittlerweile auch gewisse Repressionsmechanismen in Kraft, die für eine gewisse Einschüchterung sorgen, sodass selbst diejenigen, die bisher das Wort ergriffen haben, sich sehr zurückhalten."
Tatsächlich haben mehrere Vertreter der Zivilgesellschaft in Benin Interviewanfragen für diese Sendung nicht beantwortet oder Termine wieder abgesagt. Die genauen Hintergründe dafür sind unklar.
Ein Großteil der Bevölkerung interessiert sich allerdings wenig für den Wahlkampf. Knapp 60 Prozent der Einwohner sind Analphabeten, rund 40 Prozent haben täglich weniger als 1,90 US-Dollar zur Verfügung. Sie sind mit dem Überleben beschäftigt. Ihr Wohlstand hat sich mit den demokratischen Entwicklungen seit den 1990er-Jahren kaum verbessert, so Stiftungsleiter Hans-Joachim Preuß.
"Es gibt einen anderen Gesichtspunkt, den man schon erwähnen sollte, dass in Benin, das immerhin seit 30 Jahren als Demokratie existiert, dass eine demokratische Rendite für einen Großteil der Bevölkerung nicht eingefahren werden konnte. Das heißt, die Situation der ländlichen Bevölkerung, was die Wasserversorgung, was die Stromversorgung, Infrastruktur angeht, hat sich nicht erheblich verbessert."
Die Demokratie hat das Leben der Fischer nicht verbessert
Zurück auf der neu ausgebauten Marina, an der auch der Hafen von Cotonou liegt. Am späten Nachmittag herrscht hier Feierabendverkehr. Lastwagen wollen Waren zu den Schiffen bringen. Von diesem wuseligen Wirtschaftsleben sind es mit dem Auto nur fünf Minuten bis ins Viertel Xwlacodji.
Vom neuen Glanz Cotonous ist hier nichts zu spüren. Es erscheint wie eine andere Welt: Keine einzige Straße ist asphaltiert worden. Überall versuchen Frauen, frittierten Yams und Getränke zu verkaufen, um ein bisschen Geld zu verdienen. Ein Auto hat niemand. Hinter den schiefen Türen aus Wellblech liegen die Höfe der Fischer. In einem ist Pierre Avinou zu Hause. Eigentlich sollte er zum Fischen unterwegs sein. Doch der hagere Mann sitzt auf dem abgewetzten Sofa und zuckt mit den Schultern. Er wirkt resigniert.
"Früher war es besser. Heute gibt es ja kaum noch Fisch. Im Fluss ist immer mehr Sand. Im Meer ist es nicht besser. Es ist alles leer, nirgendwo lässt sich noch fischen. Wir müssen deshalb so leben und können daran nichts ändern. Alleine in unserer Familie sind wir acht. Auf dem Hof leben mindestens 30 Menschen."
Die Gewässer sind überfischt. Andere Lebensperspektiven haben sich für die Fischer nicht aufgetan. Programme zur Unterstützung gibt es nicht.
Gleichzeitig wird der Wohnraum immer knapper und unbezahlbarer. Auch steigen die Ausgaben für Strom, Wasser und Lebensmittel in Benin. Perspektiven gibt es kaum.
Geändert hat das auch nicht die Tatsache, dass Benin seit 30 Jahren als stabile Demokratie gilt. Vor allem die Verfassung hat für viele Länder der Region Vorzeigecharakter. Aber nicht alle haben davon profitiert, sagt der Fischer.
"Hier in Benin hat die Demokratie wohl das Leben der Arbeiter verändert. Aber das der Fischer? Davon merke ich nichts. Es heißt, dass es Spenden geben soll. Davon haben wir hier in Xwlacodji aber nichts gesehen. Wir wissen nicht, ob der Präsident etwas für uns tun wird."
Dabei würde Fischer Avinou gerne einmal mit ihm persönlich sprechen. Er möchte ihm das andere Cotonou fernab der neuen Häuser, ausgebauten Straßen und schicken Restaurants zeigen.
"Meine Botschaft an den Präsidenten, der ein zweites Mandat holen wird, lautet: Er sollte mal kommen und sich unser Leben anschauen. Es wäre gut, wenn er einen besseren Platz zum Leben für uns hat. Der muss aber am Wasser sein. Wie sollten wir sonst als Fischer überleben?"