Außerdem in der Sendung: Ausgerechnet am Istanbuler Taksimplatz - Symbol für Freiheit, Widerstand und Protest - plant Erdogan einen neuen Kulturpalast. Der soll Ankündigungen zufolge der schönste, größte und beste Kultur-Neubau der Welt werden. Mindestens. Was dahinter steckt, hat Luise Sammann recherchiert.
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Kunst und Kultur im Widerstand
In Istanbul hat ein Prozess gegen 17 Mitarbeiter der regierungskritischen Zeitung "Cumhuriyet" begonnen - sie sollen "terroristische Gruppen" unterstützt haben. Es ist nur ein Beispiel von vielen, das zeigt, wie gefährdet die Demokratie in der Türkei ist. Ein monothematischer "Kompressor" hat untersucht, wie sich Kunst und Kultur in dem Land gegen Druck und Repression behaupten.
Wie behauptet sich die Kunst- und Kulturszene in der Türkei derzeit? Was steckt hinter den Plänen von Präsident Erdogan, ausgerechnet am Taksim-Platz ein neues bombastisches Kulturzentrum zu errichten? Wie erleben türkische Künstler ihr Exil in Berlin? Fragen, denen sich ein monothematischer "Kompressor" gewidmet hat.
"Kulturelle Revolution in der Türkei"
Mit dabei: Der Kunstkritiker, Autor und Türkeikenner Ingo Arend. Laut Arend findet in der Türkei gerade eine "Kultur-Revolution" statt. Präsident Erdogan und seiner AKP gehe es nicht nur um die Sicherung der Macht, sondern zugleich auch darum, die Türkei von Staatsgründer Atatürk zu schleifen, sagte er. Erdogan habe einen "langfristigen Plan" und wolle einen Staat und eine Lebensweise nach islamischem Vorbild:
"Da kommt es eben zu dieser Mischung aus polizeistaatlichen Methoden und eben immer stärker einengenden moralischen Vorbildern, die öffentlich propagiert werden, wie die Türken zu leben haben, wie sie sich zu verhalten haben."
Es gebe in der Türkei dennoch viele Künstler, Schriftsteller und Filmemacher, die weitermachen wollen, sagte Arend: "Bis zu dem Punkt, wo sie das Gefühl haben: 'Jetzt kann ich einfach nicht mehr.'" Dieser Mut sei bewundernswert.
"Gewisse Form der Selbstzensur"
Die Aktivistin Asena Günal, Mitbegründerin der Plattform "Siyah Bant", die sich mit Zensur in der Türkei beschäftigt, sagte in der Sendung, der Ausnahmezustand sei in der Türkei inzwischen zum Normalzustand geworden. Günal hatte vor dem Gespräch mit Deutschlandfunk Kultur vor dem Gerichtsgebäude in Istanbul demonstriert, in dem der Cumhuriyet-Prozess stattfindet. Leider seien bei der Demonstration nur 400 bis 500 Menschen gewesen, so Günal.
Günal arbeitet auch für ein Kultur- und Debattenzentrum. Der Einfluss Erdogans reicht, wenn man ihr zuhört, inzwischen weit.
"Auch wenn wir nicht direkt zensiert werden, üben wir doch eine gewisse Form der Selbstzensur", gab sie offen zu: "Wir sind nicht mehr so frei wie früher. Wir überlegen uns zwei Mal, bevor wie etwas veröffentlichen."
Situation auf der Kippe
Günal sagte, die Kultur sei in der Türkei noch nicht so unter Druck wie Journalisten und Menschenrechtler. Momentan würden im Kulturbereich vor allem Stimmen unterdrückt und Etats gekürzt. Künstler gingen deswegen ins Ausland, Filmemacher müssten sich Geldgeber außerhalb der Türkei suchen.
Eine kulturelle Revolution wie Arend sieht sie dennoch nicht. Zwar unterdrücke der Staat die "kulturelle Produktion der Opposition". Erdogan habe "dem aber nichts Eigenes (an Kultur) entgegen zu setzen", betonte sie.
Darauf verlassen sollte man sich aber nicht. Türkeiexperte Arend erwartet eine "kulturpolitische Offensive" der Erdogan-Regierung. Man müsse sich noch auf einige Überraschungen gefasst machen, betonte er:
"Es ist eine Situation auf der Kippe, von der man nicht genau weiß, wie sie ausgeht."
(ahe)
Das Gespräch mit Günal zum Nachhören:
Von türkischen Kulturschaffenden, die eine neue Bleibe in Berlin gefunden haben, erzählt Benjamin Dierks.
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