"Demokratie kommt nicht über Nacht"

Klaus Brandner (SPD), Vorsitzender der deutsch-ägyptischen Parlamentarier-Gruppe, hat sich dafür ausgesprochen, in Ägypten weiter den Dialog mit muslimisch-geprägten Gruppen zu suchen und Feindbilder abzubauen. Der Prozess der Demokratisierung werde noch längere Zeit in Anspruch nehmen.
Christopher Ricke: Mehrere Tote, Dutzende Verletzte, aufeinander einschlagende Demonstranten, Militäreinsatz, so geht es zu in Ägypten drei Wochen vor der Präsidentenwahl, 15 Monate nach dem Sturz Mubaraks. Es herrscht noch immer der Militärrat, es gibt noch immer Proteste, der Verdacht, dass das Militär manchmal Schlägertrupps auf Demonstranten ansetzt, ist auch nicht ausgeräumt. In Ägypten ist zurzeit die Deutsch-Ägyptische Parlamentariergruppe unterwegs, geleitet wird sie vom SPD-Bundestagsabgeordneten Klaus Brandner. Herr Brandner, was bekommen Sie denn in diesen Tagen in Ägypten von der angespannten Sicherheitslage mit?

Klaus Brandner: Ja, Herr Ricke, wir hatten für gestern Nachmittag ein Gespräch beim Militärrat vereinbart, um natürlich mit ihm darüber zu reden, inwieweit er bereit ist oder bereit wäre, nach einer demokratischen Wahl die Verantwortung auch wirklich umfangreich der dann gewählten Leitung des Staates zu übergeben, also dem Präsidenten zu übergeben und damit auch einer frei gewählten Regierung zu übergeben. Dazu ist es jetzt nicht gekommen, weil wir gestern Abend diesen Gesprächstermin absagen mussten, weil die Sicherheitslage aus unserer Sicht das nicht mehr hergab. Elf Tote und kaum noch eine Möglichkeit, die Räumlichkeiten der Militärregierung zu erreichen, haben uns davon abgehalten. Und ich glaube auch, es wäre nicht gerade ein gutes Signal gewesen in einer solchen Situation, mit der Militärregierung zu reden. Denn bei aller Akzeptanz, dass in der Vergangenheit sicherlich auch durch die Militärregierung die Revolution so vonstatten gehen konnte, muss man schon sagen, die Politik, die sie während der Zeit gemacht hat, in der sie die Macht übernommen hat, hat das Volk nicht zufriedengestellt. Unter dem Gesichtspunkt sind die Auseinandersetzungen einfach auch erklärlich.

Ricke: Jetzt gibt es aber eine gewählte demokratische Institution, das Parlament, das ist schon gewählt, auch wenn der Präsident noch fehlt. Sie hatten erste Begegnungen mit ägyptischen Abgeordneten, welche Eindrücke bringen Sie denn da in ein paar Tagen nach Deutschland mit zurück?

Brandner: Es ist sehr erfreulich, dass sich auch durch unseren Besuch eine ägyptische Parlamentariergruppe erstmals gebildet hat als eine Parlamentariergruppe, die spezielle Freundschaftsbeziehungen zu Deutschland entwickeln will. Diese Parlamentariergruppe setzt sich auch aus fast allen im Parlament, im neuen Parlament vertretenen Parteien zusammen, das ist ein ganz wichtiges Kriterium für uns gewesen. Und diese Parlamentariergruppe hat große Erwartungen an die Zusammenarbeit mit Deutschland, sowohl was die Frage Parlamentberatung angeht, als natürlich auch, welche Maßnahmen werden von Deutschland unternommen, um den Demokratieprozess zu stabilisieren.

Ricke: Konnten Sie denn da den ägyptischen Kollegen Zusagen machen?

Brandner: Wir haben zum einen deutlich gemacht, was durch die Transformationspartnerschaft schon entwickelt worden ist; zum Zweiten ist die Frage schon so, dass wir in der Entwicklungszusammenarbeit mit Ägypten sehr deutliche Volumina zur Verfügung stellen in den Bereichen erneuerbare Energie, Wasser und Müllbeseitigung und -wiederverwertung. Und was auch wichtig ist, dass wir die deutsche Kulturarbeit verstärken. Das heißt, zum Ausbau der deutschen Sprache und auch über das Goethe-Institut Beratung und Aktivitäten organisieren, die den demokratischen Prozess hier im Lande einfach stabilisieren helfen.

Ricke: Im Parlament sehr stark vertreten sind muslimisch geprägte, religiöse Parteien. Haben Sie da irgendwelche Berührungsängste?

Brandner: Ich persönlich nicht, weil ich davon überzeugt bin, nur wenn man miteinander spricht und auch eine klare Positionierung hat, kann man natürlich auch Feindbilder und teilweise auch Vorurteile abbauen helfen. Ein solcher Veränderungsprozess braucht Zeit, die Demokratie kommt nicht über Nacht. Aber da, wo der Wille da ist, die Menschenrechte zu akzeptieren und den religiösen Einfluss als staatlich bestimmenden, politischen Einfluss zurückzudrängen, also zu akzeptieren, dass man mit den Religionen, mit den verschiedenen, lebt und gegenseitig sich auch diese Toleranz zusichert, diese Lebensform und diese Bekenntnisform ausüben zu können, wächst sicherlich ein wichtiger und guter Prozess in Ägypten. Und da sind solche Gespräche, die ja oft dann gemeinsam am Tisch stattfinden, einfach hilfreich.

Ricke: Das klingt sehr schön und sehr wünschenswert, aber erfahren Sie denn zum Beispiel von den Muslimbrüdern, dass das auch so gedacht und gewollt ist?

Brandner: Gerade die Muslimbrüder erklären uns fast durchweg, dass sie nicht einen religiös bestimmten Staat forcieren, dass sie natürlich aus einer Entwicklung kommen, wo sie ihre Religion als bedeutende gesellschaftliche Grundlage, Lebensgrundlage ansehen. Unser Beitrag dazu ist, dass wir die Toleranz einfordern den anderen Religionen gegenüber und letztlich auch darauf hinweisen, wie die Geschichte des Landes Ägyptens ist. Es ist ja nicht immer ein muslimischer Staat gewesen. In der Geschichte haben ja die christlichen Religionen in der Historie vorgeherrscht sogar. Und dieser Wandlungsprozess ist oft auch wichtig, daran zu erinnern, dass das Miteinander eine Form ist, die wir als wichtige demokratische Grundlage ansehen, wenn Ägypten als Freund Deutschlands auf die Akzeptanz stoßen soll, wie wir sie uns erhoffen.

Ricke: Gerade die koptischen Christen fürchten aber oft die Übermacht der Muslime in einem neuen Ägypten. Sind Sie als Vertreter eines europäischen Parlaments hier auch Anwalt der Christen?

Brandner: Ja, natürlich bin ich das. Und meine, so, wie ich Anwalt für die politischen Stiftungen hier im Land bin, bin ich selbstverständlich Anwalt für die Christen hier im Land, dass man ganz deutlich darüber spricht, welchen Freiraum Christen hier im Land erwarten und welche Unabhängigkeit eine Regierung darstellen muss. Und vom Verfassungsprozess – das ist ja das Entscheidende – erwarten wir uns natürlich genau die Grundlagen, dass deutlich wird, dass man das Miteinander der Religionen akzeptiert und dass die kleineren Religionen ihren Lebensfreiraum haben. Und dazu ist, wie viele hier sagen, Bildung, Bildung und nochmals auch Bildung notwendig, um genau aufzuklären und nicht die Chance zu lassen, dass man genügend Menschen verführen kann, indem man sie von den natürlichen Entwicklungen eines Landes und auch von den Bildungsmöglichkeiten entfernt.

Ricke: Klaus Brandner in Ägypten, der SPD-Bundestagsabgeordnete leitet die Deutsch-Ägyptische Parlamentariergruppe. Vielen Dank, Herr Brandner!

Brandner: Gerne, Herr Ricke!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema