Demokratie muss mit neuen Mitteln verteidigt werden

Von Vlad Georgescu |
Solange die Geheimdienste weltweit im Übermaß private Daten sammeln, werden opponierende Experten versuchen, diese Pläne mit Verrat zu durchkreuzen. Denn eine außerparlamentarische Protestbewegung im Internet lässt sich weder lokalisieren noch einkerkern: Anonymous.
Prism, Isis, Tempora – diese High-Tech-Programme staatlicher Überwachung markieren einen Wendepunkt. Es werden nicht nur sämtliche Bürger lückenlos elektronisch ausspioniert, sondern es sind wenige Entscheider auf Geheimdienstebene, die über unsere Daten bestimmen – und das ohne jegliche demokratische Legitimation. Sie errichteten einen Staat im Staat.

Den Kreuzzug der Algorithmen aus der Tiefe des Internets gegen die Privatsphäre mag man abtun, solange er nur den Datenschutz verletzt. Doch niemand möchte ins Fadenkreuz der Sicherheitsbehörden geraten, zumal die Grenzen zwischen Ausspähen, Strafverfolgung und Missbrauch verwischen.

Amerikanische Dienste sind seit 2001 im Krieg gegen den Terror unterwegs, Verdächtige aufzuspüren, festzunehmen und in geheimen Gefängnissen zu verhören – und das irgendwo auf der Welt, ohne jeden Rechtsschutz.

Dabei spielt die NSA die entscheidende Rolle: Mit Hilfe der sogenannten Signal Intelligence liefert sie das elektronische Rückgrat sämtlicher Geheimdienstoperationen der Vereinigten Staaten. Die NSA hört demnach nicht nur alles ab. Die mächtigste Geheimdienstorganisation der USA liefert Diensten wie der CIA die elektronische Auswertung aller globalen Datensignale.

Somit ist das, was Edward Snowden offenlegte, weitaus mehr als ein reiner Abhörskandal: Die spähenden Algorithmen der NSA dienen vollkommen unkontrolliert und am geltenden Recht der europäischen Bündnispartner vorbei als Grundlage für die operativen Einsätze der anderen amerikanischen Dienste weltweit.

Hinterhältiger Missbrauch bleibt im Verborgenen
Gerade das macht jene NSA-Algorithmen, die durch die Datenbanken der Welt geschickt werden, so unheimlich. Sie können gleichermaßen zum Aufklären, Verfolgen und Töten genutzt werden - hinterhältiger Missbrauch bleibt dabei im Verborgenen. Und die herkömmlichen demokratischen Kontrollgremien haben keine Chance, die unheimlichen Bits und Bytes aus der Pipeline der Geheimdienste zu stoppen.

Selbst die Aufdeckung durch Whistleblower erweist sich letztendlich als ineffektiv. Edward Snowden – untergetaucht. Aaron Swartz – tot. Bradley Manning – in Haft. Zwar schafften es die Geheimnisträger im Dienste der Bürgerrechte auf die Titelseiten der westlichen Medien. Doch das illegale und ethisch unhaltbare Treiben jener Dienste zu stoppen, für die sie einst arbeiteten, vermochten sie nicht.

Müssen wir demnach resignieren? Mitnichten. Es gibt eine außerparlamentarische Internet-Protestbewegung, die sich weder lokalisieren noch einkerkern lässt: Anonymous. Deren elitäre Hacker haben keine Probleme damit, selbst hochgesicherte Server der Sicherheitsorgane anzugreifen. Und auch Edward Snowden wird vermutlich nicht der letzte Whistleblower sein.

Nur wäre es schon seltsam, wenn mit Anonymous eine illegal operierende Organisation sich aufmachte, die illegalen Praktiken staatlicher Behörden zu stoppen. Denn wir reden ja nicht von öffentlichen Kampagnen à la Greenpeace, sondern von anonymen Aktionen, die sich auf Dauer ebenso wenig kontrollieren ließen wie das staatliche Abhören rund um den Globus. Das Internet, so scheint es, hat nicht nur seine Unschuld verloren. Das Internet lehrt uns, dass die Demokratie mit neuen Mitteln verteidigt werden muss.

Fest steht: Stoppen ließe sich Anonymous nur, wenn der Staat seine Totalüberwachung einstellte, wenn die Parlamente dies wirkungsvoll überprüften und die Rechte der Bürger wieder respektiert würden. Dabei soll die Devise der weltweit agierenden Hacker durchaus abschrecken: "Wir sind Anonymous. Wir sind Viele. Wir vergeben nicht. Wir vergessen nicht. Erwartet uns."


Vlad Georgescu, 1966 geboren, studierte Chemie an der TU Hannover und Journalistik an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover. Er ist freier Wissenschafts- und Wirtschaftsjournalist und leitet zusammen mit Marita Vollborn seit 2001 das international erscheinende Biotech-Webzine LifeGen.de. Gemeinsam mit Marita Vollborn schrieb er "Die Joghurt-Lüge. Die unappetitlichen Geschäfte der Lebensmittelindustrie" und "Kein Winter, nirgends. Wie der Klimawandel Deutschland verändert".
Vlad Georgescu
Vlad Georgescu© privat
Mehr zum Thema