Kommentar
Entwarnung gegenüber den Gefährdungen der Demokratie ist ebenso fehl am Platze wie pauschaler Alarmismus, meint Wolfgang Merkel. © picture alliance / ZB / Sascha Steinach
Die Demokratie ist stabiler, als viele denken
04:33 Minuten
Das Erstarken des Rechtspopulismus gefährdet die Demokratie in Europa und den USA, heißt es. Doch um die Demokratie steht es in Wahrheit viel besser, als es die alarmistischen Diskurse derzeit vermuten lassen.
Die ganze Welt, so scheint es, spricht von der Krise. Und tatsächlich: Blickt man auf den akademischen Buchmarkt, findet man schnelle Bestätigung. Dort wird – zumindest in der Titelei – manche wissenschaftliche Differenzierungspflicht aufgegeben und es tönt: „Niedergang der Demokratie“, „Der Zerfall der Demokratie“ – und jüngst der internationale Bestseller „Wie Demokratien sterben“.
Die Beispiele, die das heute beglaubigen sollen, sind bunt: Erdogan als neuer Sultan, Putin als imperialer Gewaltherrscher, Orban als korrupter Westentaschen-Diktator, Meloni in Rom, Le Pen in Paris, Geert Wilders in Den Haag, die FPÖ demnächst in Wien und die rechtspopulistischen Liberalismusverächter der AfD in Thüringen, Sachsen und Brandenburg. Vom drohenden Schatten einer Wiederwahl Trumps gar nicht zu reden.
Allerdings wird hier vieles vermischt, was nur bedingt zusammengehört. Putin ist ein aggressiver Diktator, Russland war aber nie eine Demokratie. Erdogans Herrschaft trägt in der Tat sultanistische Züge, von einem Rechtsstaat war die Türkei aber selbst in guten Zeiten weit entfernt. Orban ist korrupt und autoritär, Ungarn aber keine Autokratie.
Das alles klingt wiederum beruhigender, als es klingen soll. Entwarnung gegenüber den Gefährdungen der Demokratie ist ebenso fehl am Platze wie pauschaler Alarmismus. Wie, ist deshalb zu fragen, geht es eigentlich unserer Demokratie?
Die Medien laufen in die Populismus-Falle
In der politischen Debatte überwiegen auch hier die Schwarz-weiß-Töne. Die AfD: überall das Thema. Jede Woche neue Umfragen, die der bisherigen Zehn-bis-zwölf-Prozent-Partei deutliche Zuwächse attestieren, im Osten der Republik bis zu 30 Prozent. Sofort heißt es dann: Lassen sich die ostdeutschen Länder ohne die AfD regieren? Steht die Brandmauer?
Björn Höckes neonazistische Sprachzündeleien werden immer wieder zitiert. Der Diskursraum aber, der ihm gewährt wird, hat nichts mit seiner politischen Bedeutung zu tun. Die Medien laufen in die allseits bekannte Populismus-Falle: Entrüstung gegenüber den populistischen Provokationen nützt niemandem mehr als den Provokateuren selbst.
Die Bevölkerung will keine „Alternative“ zur Demokratie
Um hier keine Zweifel aufkommen zu lassen: Die AfD ist eine populistische, extrem rechte Partei, deren Führung der Demokratie bestenfalls semi-loyal gegenübersteht. Knapp 90 Prozent Abgeordnete demokratischer Parteien stehen ihr aber im Bundestag entgegen, unser Rechtsstaat ist intakt, Wahlverlierer akzeptieren ihre Niederlage, die Bevölkerung will keine „Alternative“ zur liberalen Demokratie. Das Grundgesetz hat sich bewährt, 75 Jahre lang. Noch nie ist eine Demokratie gefallen, die so lange existiert hat. Weltweit.
Ist deshalb alles gut bei uns? Nein, keineswegs. Die Megakrise des Klimawandels, der russische Angriffskrieg im Osten, die illegale Immigration sind weit davon entfernt, gelöst zu werden. Die Wirtschaft schwächelt, das innergesellschaftliche Vertrauen sinkt. Die Regierung muss liefern, effizient und fair. Darum geht es. Das stärkt die Demokratie mehr als die ewige Wiederkehr gleicher Diskurse.