Demokratie

Warum die Ukraine Neuwahlen braucht

Viktor Janukowitsch
Viktor Janukowitsch nach seinem Sturz als Präsident der Ukraine © dpa / picture alliance / Sergey Pivovarov
Von Wolodimir Kowalenko und Wjatscheslaw Navrotskii |
Einen eigenen Weg empfahl Peter-Alexis Albrecht der Ukraine an dieser Stelle vor drei Wochen. Er lehnte eine Einmischung der EU und verlangte Rücksichtnahme auf Russland. Nun antworten ihm zwei seiner ukrainischen Kollegen aus Lviv: Wolodimir Kowalenko und Wjatscheslaw Navrotskii rechtfertigen den Sturz des gewählten Präsidenten und den Ruf des "Maidan" nach vorgezogenen Neuwahlen in der Ukraine.
Stellen Sie sich einen Moment lang vor, ihr geliebtes Deutschland würde rechtmäßig von einer Person geführt, die zuvor wiederholt verurteilt worden war, Straftaten begangen zu haben, insbesondere Raub, Entführung, Körperverletzung.
Stellen Sie sich vor, der Sohn dieser Person, ein mäßig erfolgreicher Zahnarzt, würde innerhalb von einem oder zwei Jahren zu einem der reichsten Menschen des Landes, und die Freunde dieses Sohnes würden dann staatliche Schlüsselpositionen berufen, würden zum Innenminister oder Finanzminister ernannt. Und alle, die ein – mehr oder weniger bedeutendes – öffentliches Amt besetzen, kämen aus derselben Region wie das Staatsoberhaupt.
Stellen Sie sich weiter vor, diese Person beschränkte alle ihre Handlungen im Präsidialamt darauf, ihr eigenes Wohlergehen und ihren persönlichen Wohlstand zu sichern, finanziert durch den öffentlichen Haushalt. Und stellen Sie sich vor, die Hälfte der Bürger Berlins stünde jeden Tag im Verkehrsstau, weil die Straßen gesperrt sind, damit diese eine Person reibungslos zu ihrem Privatanwesen fahren kann – eine Residenz, größer und luxuriöser als die eines jeden Staatschefs in anderen Ländern.
Stellen Sie sich außerdem vor, innerhalb weniger Jahre dieser Präsidentschaft sei das Justizsystem zerstört worden, die Freiheit der Rede würde stetig verletzt, und es wären alle Voraussetzungen geschaffen worden, dass die Wahlen das gewünschte Ergebnis ergeben, nur nicht den wahren Willen des Volkes.
Stellen Sie sich vor, deutsche Bürger kämen deshalb zu einem friedlichen Protest, organisiert im Rahmen der Verfassung, und diese friedlichen Demonstranten würden nachts von der Polizei vertrieben, unter dem Vorwand, einen Weihnachtsbaum aufstellen zu müssen. Stellen Sie sich vor, die deutsche Polizei, angeführt von einem Freund des zweiten Sohnes des Bundespräsidenten, würde deutsche Bürger, die keinen Widerstand leisten, mit Schlagstöcken auf die Schädel schlagen, unbewaffneten Bürgern und Frauen − und niemand würde dafür bestraft.
Und stellen Sie sich schließlich vor, die deutsche Polizei würde einen Demonstranten in der Kälte nackt ausziehen und ihn vor Kameras zur Schau stellen, nur um das Luxusleben des Staatsführers zu erhalten. Und Polizisten würden, verkleidet als Zivilisten, in Berlin und in anderen deutschen Städten Krawalle beginnen, Autos anzünden, Menschen kidnappen und foltern. Und Scharfschützen der Polizei würden am helllichten Tag auf Demonstranten schießen, und sie würden Dutzende töten an nur einem Tag.
Können Sie sich all das in Deutschland auch nur vorstellen? In der Ukraine erleben wir es jeden Tag!
Recht auf Selbstverteidigung
Wir begraben die besten Söhne unseres Mutterlandes, deren einzige Schuld darin besteht, sich nicht mit einem kriminellen Regime abfinden zu wollen. Wir wollen uns nicht mit dem Unrecht und den Verbrechen gegen sie abfinden. Deshalb unterstützen wir jene, die gegenwärtig in Kiew auf die Barrikaden gehen.
Wir können gegen diese kriminellen Autoritäten kämpfen und wir müssen gegen sie kämpfen. Wir nutzen unser Recht auf Selbstverteidigung.
Hoffentlich werden wir den Tag erleben, da wir unseren Standpunkt nicht allein auf wissenschaftlichen Konferenzen, sondern auch vor Gericht vertreten können, um eine gerechte Entscheidung über all die herbeizuführen, die jetzt Ukrainer unterdrücken, blutige Hände haben und versuchen, sich dadurch zu rechtfertigen, sie hätten nur Befehle ausgeführt.
Deswegen war es uns ein Anliegen zu erläutern, warum wir auf der Seite der Demonstranten stehen und warum für uns die "politische Arithmetik" nicht akzeptabel ist, Wahlen erst in den Jahren 2015 und 2017 durchzuführen, weil es turnusmäßig so vorgesehen war.
Wolodimir Kowalenko, geboren in Lviv, Rechtsanwalt und Assistenzprofessor für Kriminalwissenschaft an der Lviv State University of Internal Affairs.
Wolodimir Kowalenko
Wolodimir Kowalenko© Bild: privat
Wjatscheslaw Navrotskii, geboren 1956 in Lviv, Dekan der juristischen Fakultät der Lviv State University of Internal Affairs, Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften sowie der wissenschaftlichen Beiräte des Obersten Gerichts und des Hohen Gerichts für Zivil- und Strafrecht der Ukraine.
Wjatscheslaw Navrotskii
Wjatscheslaw Navrotskii© Bild: privat
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