Demonstration gegen TTIP und CETA

TTIP "noch nicht ausverhandelt"

Demonstranten mit Schildern, auf denen die Wörter TTIP und CETA durchgestrichen sind
In Brüssel wurde bereits im Mai gegen TTIP und CETA protestiert © picture alliance / dpa / EPA / Olivier Hoslet
BDI-Außenwirtschaftsexpertin Stormy-Annika Mildner im Gespräch mit Katrin Heise |
Für Stormy-Annika Mildner, Abteilungsleiterin Außenwirtschaftspolitik des BDI, hat das CETA-Abkommen mit Kanada "Vorbildcharakter". Bei TTIP hingegen sieht sie noch Verhandlungsbedarf zum Investorenschutz - und hofft auf eine US-Präsidentin Clinton.
Zigtausende Menschen werden erwartet, wenn heute in mehreren deutschen Städten gegen die Freihandelsabkommen CETA und TTIP demonstriert wird. Auch die Abteilungsleiterin Außenwirtschaftspolitik beim Bund der Deutschen Industrie (BDI), Stormy-Annika Mildner, sieht beim geplanten Freihandelsabkommen mit den USA, TTIP, noch Diskussionsbedarf. Ihrer Ansicht nach ist TTIP noch nicht ausverhandelt.
Ein kritischer Punkt sei weiterhin der Investorenschutz. Aber auch hier sei "noch nicht aller Tage Abend", betont die Leiterin der Abteilung Außenwirtschaftspolitik des BDI: "Wenn aus den Wahlen Frau Clinton als Gewinnerin hervorgehen sollte, (…) sind vielleicht auch die Chancen der EU nochmal deutlich größer, sich hier auf einen Kompromiss im Sinne der EU zu verständigen."

Wir brauchen "gute soziale Abfederungssysteme"

CETA hingegen bescheinigt Mildner Vorbildcharakter: "Auf der einen Seite wird CETA Märkte öffnen, auf der anderen Seite wird es auch uns helfen, die Globalisierung mitzugestalten durch gute Regeln." Sie betont, dass auch kleine und mittelständische Unternehmen von diesem Abkommen profitieren würden – sei es, dass sie selbst im Export tätig seien, sei es, dass sie als Zulieferer von Exportunternehmen arbeiteten.
Man müsse allerdings auch sehen, dass jede Handelsliberalisierung mehr Wettbewerb und mehr Umverteilung schaffe. "Wir können es uns nicht leisten, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen eben nicht von der Globalisierung profitieren", mahnt Mildner. "Deswegen ist es wichtig, dass man eben gute soziale Abfederungssysteme auch hat."

Das Interview im Wortlaut:

Katrin Heise: In Hamburg, Köln, in München, Stuttgart, Frankfurt, Leipzig und Berlin wird es heute Mittag ganz schön voll auf der Straße. Es wird nämlich demonstriert gegen die geplanten Handelsabkommen. "CETA und TTIP stoppen! Für einen gerechten Welthandel!", so lautet der Slogan und die Veranstalter rechnen mit, na, 250.000 Teilnehmern. Und denen geht es ja schon lange nicht mehr nur um die Chlorhühnchen, sondern es geht ums Ganze, ums Prinzip.
So weit gehen ja auch ehemalige Befürworter inzwischen, siehe Frankreich. Da nehmen der ehemalige, aber auch der jetzige Wirtschaftsminister Abstand von TTIP. Der deutsche Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel dagegen muss am Montag erst mal vor seiner SPD das Abkommen mit Kanada, also CETA verteidigen, und das könnte auch seiner Meinung nach das Vorbild für das Abkommen zwischen Europa und den USA sein.
((Bericht))
Die größten Unterschiede zwischen den Handelsabkommen CETA und TTIP, aber es wird heute gemeinsam gegen beide demonstriert. Am Telefon begrüße ich Stormy-Annika Mildner, sie ist Abteilungsleiterin Außenwirtschaftspolitik beim Bundesverband der Deutschen Industrie, also BDI. Schönen guten Morgen!
Stormy-Annika Mildner: Guten Morgen!

CETA ist ein "sehr gutes Abkommen"

Heise: Bei den Unterschieden, die wir gerade gehört haben, warum werden diese beiden Abkommen eigentlich in einem Atemzug diskutiert?
Mildner: Ich denke, weil es sich dabei um Handelsabkommen der modernen Art handelt, um Handelsabkommen, bei denen es nicht mehr nur alleine um den Abbau von Zöllen geht, also Regulierungskooperation, öffentliche Auftragsgabe, vor allen Dingen auch den Investitionsschutz oder auch das Nachhaltigkeitskapitel. Das unterscheidet sie doch von alten Handelsabkommen der EU, die nicht so weitreichend waren.
Eine Frau zeigt mit einem Plakat ihren Protest gegen TTIP (TAFTA) in Paris.
Auch in Frankreich gibt es erheblichen Widerstand gegen das TTIP-Abkommen. © JOEL SAGET / AFP
Heise: Hat denn Ihrer Meinung nach Sigmar Gabriel recht, wenn er sagt, CETA könnte man unterschreiben und das könnte dann eine Blaupause für TTIP sein?
Mildner: Aus unserer Sicht ist CETA ein tatsächlich sehr gutes Abkommen geworden. Die Verhandler haben sieben Jahre hart an diesem Text gearbeitet und er ist aus unserer Sicht ein moderner Text, der zum Beispiel ein sehr modernes anderes Investitionskapitel enthält als Investitionsschutzabkommen in der Vergangenheit.
Auf der einen Seite wird CETA Märkte öffnen, auf der anderen Seite wird es auch uns helfen, die Globalisierung mitzugestalten durch gute Regeln. Und dementsprechend sind wir der Meinung, dass CETA sehr gut Vorbildcharakter nicht nur für TTIP haben kann, sondern für die vielen, vielen Handelsabkommen, die die EU auch noch gerade verhandelt, beispielsweise mit Japan oder mit Indien.

Auch kleine und mittelständische Unternehmen profitieren

Heise: Sie haben gerade gesagt Märkte öffnen. Kritiker sehen ja den Gewinn der Handelsabkommen, was gerade auch das Märkte-Öffnen angeht, eben eigentlich überhaupt nicht für die klein- und mittelständischen Unternehmen, sondern klar immer für die Großkonzerne. Wo liegt tatsächlich ein Vorteil, ich sage jetzt mal, für einen Tischlereibetrieb in Hessen?
Mildner: Ja, also, auch kleine mittelständische Unternehmen sind ja im Export unterwegs. Und kleine mittelständische Unternehmen leiden im Vergleich zu den großen noch viel stärker an Handelsbarrieren. Die würden davon profitieren, wenn beispielsweise Zollverfahren deutlich einfacher wären.
Es gibt aber auch eine ganze Reihe von Unternehmen, die heute noch gar nicht im Export unterwegs sind, aber Zulieferer sind für größere mittelständische oder auch große Unternehmen in Deutschland oder Europa, die wiederum in die USA exportieren. Und auch die Zulieferer profitieren natürlich davon, wenn es den Großen gut geht, wenn die Großen mehr exportieren können.
Heise: Das heißt quasi, in zweiter Linie sehen Sie vor allem den Vorteil?
Mildner: Nein, nicht nur. Also, es gibt kleine mittelständische Unternehmen, die sind schon im Export, die würden auch von Vereinfachungen beim Handel ganz deutlich profitieren, aber auch als Zulieferer profitieren mittelständische Unternehmen.

"Unzählige versteckte Weltmeister" in Deutschland

Heise: Es gibt aber eben auch viele Kleine, die eigentlich durch die Zölle geschützt werden, die dann ja eben diesen Schutz nicht mehr hätten.
Mildner: Wir haben unzählige versteckte Weltmeister, die sehr spezialisierte Produkte herstellen, ganz genau auf den Kunden zugeschnitten und einzigartig sind in den Produkten, die sie herstellen. Ich glaube, wir müssen uns da nicht unter den Scheffel stellen. Wir sind dem Wettbewerb gewachsen und sehen darin mehr Chancen auch für mehr Innovation als darunter eine Gefahr.
Blockupy-Proteste gegen die EZB: Aktivisten befestigen ein Transparent mit der Aufschrift "Kapitalismus tötet" an der Fassade des Hochhauses Skyper
Aktivisten befestigen ein Transparent mit der Aufschrift "Kapitalismus tötet" an der Fassade des Hochhauses Skyper in Frankfurt© Michael Braun
Aber man muss natürlich auch sehen: Jede Handelsliberalisierung und jeder Handel schafft mehr Wettbewerb und er schafft auch Umverteilung. Das ist Teil der Globalisierung und darauf müssen natürlich Länder und Regierungen auch reagieren. Wir können es uns nicht leisten, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen eben nicht von der Globalisierung profitieren. Deswegen ist es wichtig, dass man eben gute soziale Abfederungssysteme auch hat.
Heise: Ja, genau, so muss man natürlich auch schützen, dass keiner abgehängt wird wiederum.
Mildner: Genau.

Kritischer Diskurs zur Globalisierung tut not

Heise: Bei den letzten bundesweiten Protesten – heute stehen ja wieder welche an –, 2015 war das, gingen deutschlandweit 100.000 von Menschen auf die Straße, die werden ja für heute auch erwartet. Die Kritik an den Handelsabkommen ist gerade bei uns im Land ja doch am allergrößten. Sind wir hier in Deutschland nur besser informiert oder einfach zu skeptisch? Wie sehen Sie das?
Mildner: Ich denke, das kann man gar nicht so einfach und monokausal beantworten, da gibt es viele Gründe für. Ein Grund ist sicherlich auch der, dass wir uns in Deutschland noch gar nicht in der Vergangenheit so intensiv mit Handel und Globalisierung auseinandergesetzt haben, es ist also in gewisser Weise auch ein Aufholprozess. Auch in den USA hat es schon eine viel stärkere Auseinandersetzung gegeben zu Handels- und Globalisierungsfragen.
Und dass wir uns jetzt mit diesen Fragen auseinandersetzen, ist gut so. Denn nur in einem kritischen Diskurs und in der konstruktiven Auseinandersetzung mit Handel und Globalisierung können wir diese auch verbessern. Und ein gutes Beispiel dafür, dass auch die Kritik gehört wird und dass am Ende ein besseres Ergebnis dabei herauskommen kann, ist aus meiner Sicht der Investitionsschutz.
Heise: Können Sie die noch mal in zwei Worten erklären?
Mildner: Das neue Investitionsschutzmodell der EU beinhaltet beispielsweise ein neues Verfahren für die Lösung von Konflikten, also einen öffentlichen Gerichtshof, in dem permanente Richter oder Schiedsrichter bestimmt werden, die werden von der EU und von Kanada, gegebenenfalls auch später von den USA, aber das muss noch ausverhandelt werden, ausgewählt. Es ist also nicht mehr der Ad-hoc-Mechanismus, den wir in der Vergangenheit gehabt haben.

Mit Hillary Clinton Kompromiss zum Investorenschutz möglich

Heise: Da sprechen wir aber von CETA und hartleibig zeigt sich die USA ja eben bei TTIP, und da setzt die größere Kritik ja an.
Mildner: Ich würde sagen, dass TTIP noch nicht ausverhandelt ist. Also, auch mit den Kanadiern hat man immerhin sieben Jahre verhandelt. Und vor den Wahlen in Kanada hatte CETA auch noch das alte Investitionsschutzmodell, als Teil des Vertrages. Nach den Wahlen in Kanada wurde dann noch mal gesprochen und da ist es der EU dann auch gelungen, dieses neue Modell in CETA zu etablieren. Ich würde sagen, es ist noch nicht aller Tage Abend, auch mit den USA wird man weiter verhandeln. Wer weiß, wenn aus den Wahlen Frau Clinton als Gewinnerin hervorgehen sollte, sie hat sich kritisch gegenüber dem jetzigen Investitionsschutz geäußert, sind vielleicht auch die Chancen der EU noch mal deutlich größer, sich hier auf einen Kompromiss im Sinne der EU zu verständigen.
Heise: Gibt aber auch noch einen anderen Kandidaten. Auf jeden Fall setzt Stormy-Annika Mildner vom BDI auf Verhandlungenen und auf, ja, starke Nerven, würde ich sagen …
Mildner: Ja.
Heise: … zu CETA und TTIP. Danke schön!
Mildner: Herzlichen Dank!
Heise: Und jetzt ist es kurz vor sieben, in zwei Stunden, nach neun geht es übrigens in unserem "Gespräch" auch um CETA und TTIP, also, genauer gesagt: um den gerechten Welthandel geht es da. Sie können sich natürlich beteiligen, telefonisch oder per Mail.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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