Demonstrationen gegen Geflüchtete

Wird Cottbus das neue Dresden?

Cottbus: Ein Demonstrant filmt mit dem Handy die Plakate auf dem Oberkirchplatz. Der Verein Zukunft Heimat e.V. hatte zu der Demonstration aufgerufen.
Gegen Zuwanderung, gegen die Presse, gegen die etablierten Parteien - in Cottbus droht die Situation zu eskalieren. © picture alliance / Bernd Settnik
Von Sylvia Belka-Lorenz und Vanja Budde |
Neonazis jagen Flüchtlinge durch die Straßen, junge Syrer ziehen gegen Deutsche das Messer, Bürger demonstrieren gemeinsam mit Rechtsradikalen gegen Zuwanderung: In Cottbus droht die Lage weiter zu eskalieren.
Neujahrsnacht 2018: Bahador, Hamid und Mustafa werden die ersten Opfer fremdenfeindlicher Übergriffe in diesem Jahr. Eine Gruppe Deutscher beleidigt die drei jungen Afghanen erst an einer Haltestelle im Cottbuser Stadtteil Sachsendorf, greift sie dann an. Bahadors Kiefer bricht, als einer der Männer ihm eine Flasche ins Gesicht schlägt. Er geht bewusstlos zu Boden. Seine afghanischen Freunde werden bis zu ihrer Flüchtlingsunterkunft verfolgt. Die Angreifer gelangen an den Wachschützern vorbei in das Gebäude, traktieren Hamid und Mustafa mit Fäusten und Füßen. Als die Polizei eintrifft, sind die Männer krankenhausreif geschlagen. Ihre Angreifer entkommen unerkannt. Zwei Jahre nach seiner Flucht vor den Taliban muss Bahador feststellen:
"Ich habe jetzt genau das gleiche Gefühl wie in Afghanistan. Angstzustände. Ich fühle mich so."
Erst eine Woche nach dem Überfall wird der Fall öffentlich: nicht durch die Polizei, sondern durch eine Bürgerinitiative. Bis heute ist nicht geklärt, wie die Schläger an den Wachmännern vorbei kamen. Die Neujahrsnacht - Auftakt für eine neue Eskalationsstufe der Fremdenfeindlichkeit. Im Januar gibt es wöchentlich schwere Auseinandersetzungen, bei denen Geflüchtete mal Opfer, mal Täter sind. Als schließlich ein syrischer Jugendlicher einen deutschen mit einem Messer im Gesicht verletzt, scheint die Stimmung in der Stadt endgültig zu kippen.
"Deutschland ist unser Land!"
"Es werden Menschenopfer gebracht."
"Wir sind Zukunft Heimat."

Gegen Flüchtlinge, Presse und Politiker

Der Verein "Zukunft Heimat" aus Golßen war zunächst im Spreewald aktiv. Seit Monaten organisiert der Verein auch in Cottbus Demonstrationen. Obwohl Brandenburgs zweitgrößte Stadt mit 100.000 Einwohnern mehr als die ihr zugewiesenen Flüchtlinge aufnimmt, kommen anfangs immer nur ein paar hundert Leute zusammen, um ihren Unmut über die Flüchtlingspolitik von Bund, Land und Stadt kundzutun. Kurz nach den Messerangriffen und -drohungen von Syrern sind es dann aber Ende Januar 1500 Teilnehmer. Darunter auch Neonazis und Anhänger der rechtsextremen Identitären Bewegung, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Die Stimmung an diesem Samstag ist aggressiv – und es geht nicht nur gegen Politiker.
"Merkel muss weg!"
"Lügenpresse"
"Volksverräter"
"Lügenpresse, Volksverräter". Aus tausend Kehlen. Ähnlich zornig und hasserfüllt wie auf die Flüchtlinge sind die Wutbürger auf uns. Die Presse. In Cottbus erleben wir es seit Jahren, ob bei den Demos der NPD oder den sogenannten besorgten Bürger: Sie sagen uns, man werde sich unsere Gesichter merken - für später! Dass man uns filmt, fotografiert. Von der Bühne wird gegen uns gehetzt, werden die Namen von Kollegen genannt.
"Scheiß RBB"
Der Hass gegen Medien ist derselbe wie der Hass gegen Eliten, gegen "die da oben". Fakten und freie Berichterstattung stören da nur. Mich herrscht ein Mann auf der Demo an, er wolle nicht hören, wie viele Straftaten es gegen Flüchtlinge gab. Er will nur hören, welche Straftaten sie begangen haben. Sonst nichts. Tatsächlich ist die Zahl der Straftaten durch Zuwanderer angestiegen. Sogenannte Roheitsdelikte, Körperverletzung, Raub, Nötigung. Von zehn Fällen im Jahr 2015 auf mehr als 100 Taten im vergangenen Jahr. Im selben Zeitraum kamen die meisten der etwa 4000 Flüchtlinge nach Cottbus. Auf der anderen Seite verzeichnet der Verein "Opferperspektive" eine Zunahme rechter Gewalttaten und spricht von einem "rassistischen Ausnahmezustand in der Stadt".

Verein "Zukunft Heimat" organisiert den Protest

Im August 2015 wird der Verein "Zukunft Heimat" gegründet, angesichts der vielen nach Deutschland kommenden Flüchtlinge aus muslimischen Ländern. Aus Sorge ums Land. Weil ein Großteil der meist jungen Männer aus dem Nahen Osten nicht integrierbar sei, sondern Parallelgesellschaften bilden werde. So sagt es der Vereinsvorsitzende Hans-Christoph Berndt aus Golßen am Rande des Spreewaldes. Er hat nach einigem Zögern einem Interview in einer Gaststätte in Golßen zugestimmt. Die Neonazis auf den Demos seien Randfiguren, sagt Berndt. Keinesfalls würden die Extremisten den Ton angeben, daher müsse er sie auch nicht ausschließen.
"Warum auch. Solange das Randerscheinungen sind, muss man das erdulden. Und da ist es sogar von Vorteil, wenn die sehen: Ich kann ein legitimes Interesse in adäquater Weise vortragen. Ich muss nicht mit dem Baseballschläger rumlaufen."
Insofern sei die Teilnahme der Rechtsextremisten an den Demos von "Zukunft Heimat" eine Schule der Demokratie, meint Hans-Christoph Berndt.
"Und ich denke, diese Frage wird uns deswegen gestellt, weil wir als Personen selber, wir, die das organisieren, nicht in Verbindung mit Rechtsextremismus oder Extremismus gebracht werden können. Wir sind ganz normale, einfache Leute. Also versucht man, das jetzt mit dieser Frage, sozusagen dieses Nazi-Argument, um eine inhaltliche Auseinandersetzung mit uns zu vermeiden."
Das sieht der Politikwissenschaftler Gideon Botsch vom Moses-Mendelssohn-Zentrum der Universität Potsdam anders.
"Wenn man über Cottbus spricht, muss man natürlich sehen, dass wir eine brandenburgische Großstadt haben, die seit langer, langer Zeit in Brandenburg die Stadt ist, die das größte Problem mit Rechtsextremismus vorhält. Wir haben es hier also mit lange gewachsenen Strukturen zu tun, die tatsächlich spätestens seit der Zeit der Wende, wahrscheinlich schon sogar noch in der späten DDR, sich entwickelt und stabilisiert haben und die eine ganze Reihe von unterschiedlichen Strömungen miteinander verbinden. Und wir haben natürlich politische Akteure, die hier ganz gezielt diese Situation auch erkannt haben und in diese Situation reinmobilisieren."
Ein Mitarbeiter des Ordnungsamtes und zwei Beamte der Bereitschaftspolizei gehen auf Streife in Cottbus.
Ein Mitarbeiter des Ordnungsamtes und zwei Beamte der Bereitschaftspolizei gehen auf Streife in Cottbus.© dpa-Bildfunk / Patrick Pleul

Sorge ums Land - Organisatoren fürchten Parallelgesellschaften

Ein wichtiger Akteur in Cottbus sei die AfD, erklärt Botsch. Birgit Bessin, stellvertretende Landesvorsitzende der AfD, spricht auf der "Zukunft Heimat"-Demo Ende Januar in Cottbus ein Grußwort. Zur Stimmungsmache gegen Journalisten schweigt die Landtagsabgeordnete, was ihr öffentlich Kritik einbringt. Nach Ansicht von Politikwissenschaftler Botsch sind die besorgten Bürger mittlerweile in der Minderheit bei den Demonstrationen von "Zukunft Heimat":
"Das reicht dann tatsächlich in den Bereich des harten Rechtsextremismus, des gewaltbereiten Neonazismus. Wir sehen hier Identitäre, wir sehen hier die bundesweit tätige Plattform Ein Prozent am Wirken. Das geht bis ins Kameradschaftsspektrum. Das geht bis in den Bereich der NPD rein. NPD-Aktivisten nehmen hier auch an diesen Demonstrationen mit einer gewissen Regelmäßigkeit teil."
Zwei Wochen später, am 3. Februar, bringt das rechte Bündnis "Zukunft Heimat" etwa 3000 Menschen auf die Straße. Auf den Plakaten steht "Schnauze voll" und "Grenzen dicht". Von der Bühne schallt die Warnung vor der Masseneinwanderung, die schuld sei an den gewalttätigen Attacken der vergangenen Wochen. Das Angst- und Katastrophenszenario – diesem Demonstranten spricht es aus der Seele:
"Ich bin eigentlich nicht wegen mir hier, ich bin wegen meiner Enkelkinder hier. Damit die in Ruhe vernünftig wieder zur Disco gehen können oder abends durch Cottbus gehen können, so wie ich das kenne. Das möchte ich."

Der Verein "Zukunft Heimat" arbeitet eng mit der Dresdener "Pegida" zusammen:
"Und um das Widerstandsgesicht perfekt zu machen: Lutz Bachmann von Pegida!"
"Liebe Grüße aus Dresden, von Pegida Dresden an Euch alle in Cottbus. Endlich bewegt sich hier auch was und wir stehen nicht mehr alleine da, Weltklasse, wirklich Gänsehautfeeling …"
Ein Syrer zeigt bei der Demonstration von Flüchtlingen und Cottbusern unter dem Motto "Leben ohne Hass" eine Flyer mit der Aufschrift "Freiwillig in Cottbus".
Ein Syrer zeigt bei der Demonstration von Flüchtlingen und Cottbusern unter dem Motto "Leben ohne Hass" eine Flyer mit der Aufschrift "Freiwillig in Cottbus".© dpa/Bernd Settnik
Diejenigen in Cottbus, die anders über die 4000 Flüchtlinge in ihrer Stadt denken, haben lange geschwiegen. Doch ebenfalls am 3. Februar, einige Stunden vor der Zusammenkunft von "Zukunft Heimat", strömen knapp 1000 Menschen auf den Platz in der Innenstadt: Familien mit Kindern, Rentner, Studenten der BTU Cottbus. Etwa die Hälfte der Teilnehmer sind Flüchtlinge wie Hassan.
"Ich bin gegen Hass. Darum bin ich hier."
Von den Übergriffen ihrer Landsleute wollen sich die demonstrierenden Flüchtlinge distanzieren. Sie sprechen von "widerlichen Taten", die sie genauso verurteilten wie die Attacken der Einheimischen.
"Überall gibt es schlecht und gut, überall. Deswegen demokratieren wir heute."
Cottbus' Oberbürgermeister Holger Kelch von der CDU ist bei dem Demonstrationszug des liberalen Bürgerbündnisses nicht dabei. Er habe andere Termine, heißt es aus dem Rathaus. Kelch hat vor dem Innenausschuss des Potsdamer Landtages ein düsteres Bild von der Lage in seiner Stadt gezeichnet: Zu einzelnen Flüchtlingsfamilien trauten sich Sozialarbeiter nur noch in uniformierter Begleitung; Frauen würden ohnehin nicht ernst genommen.

Innenminister verhängt Zuzugsstopp

"Wenn wir es nicht schaffen, dort reinzukommen, werden wir Verhältnisse haben, wie leider in vielen westdeutschen Metropolen. Und dann werden wir rechtsfreie Räume haben, das kann nicht im Sinne des Rechtstaates sein."
Brandenburgs SPD-Innenminister Karl-Heinz Schröter verfügt darum einen Zuzugsstopp für Flüchtlinge, schickt mehr Polizisten nach Cottbus und verspricht 40 zusätzliche Stellen für Sozialarbeiter. Der Zuzugsstopp sei ein falsches und fatales Signal, kritisiert der Kenner der rechten Szene in Brandenburg, Gideon Botsch. Innenminister Schröter habe dem Druck der Straße nachgegeben.
Heute Nachmittag ab 17 Uhr können die liberalen Kräfte ein zweites Mal Flagge zeigen: Ein breites Bündnis demokratischer Initiativen und Parteien hat zu einem Sternmarsch durch Cottbus aufgerufen.
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