Rumänien war immer schon ein Sonderfall
Der Sturz Nicolae Ceaușescus gehörte zu den spektakulären Szenen der osteuropäischen Revolution 1989. Danach versank Rumänien allerdings rasch wieder in Korruption und Vetternwirtschaft. Lutz Rathenow wirft einen Blick auf ein schwer zu verstehendes EU-Mitglied.
Rumänien war immer für besondere Töne im Chor der sozialistischen Bruderstaaten gut. Zuerst prosowjetisch, besonders überzeugungsschrill. Dann kam ein neuer Mann namens Nicolae Ceaușescu, der spätestens ab 1968 Hoffnungsträger für viele im Lande und auch außerhalb war. Der Warschauer Pakt marschierte in Prag 68 ein; nur der Rumäne mit seiner später berüchtigten Frau Elena widersetzte sich dem sowjetdominierten Ostblock.
Das Gerücht machte die Runde, er würde die Arbeiter bewaffnen und gegen die Sowjetarmee kämpfen lassen, wenn die nur einen Fuß auf rumänisches Territorium setze. Ab da arbeiteten die ostdeutschen und rumänischen Geheimdienste nicht mehr zusammen. Sie bezeichneten einander als "befeindete Bruderstaaten". Und Rumänien schien zu einem Absurditätenkabinett zu werden, was den Blick auf die Tatsache versperrte, dass sich in diesem Land Brutalität und Flexibilität immer auf merkwürdige Weise vermischten.
Ein Land voller Absurditäten und Mutmaßungen
Rumäniens Beziehungen zur Sowjetunion wurden teilweise – aber nie völlig – gekappt, neue enge Bruderbande nach China aufgebaut. Noch heute sollen dort besonders viele chinesische Gastarbeiter sein. Aber vielleicht ist das auch nur ein Fake.
Rumänien wurde immer mehr zum Land der Mutmaßungen. Witz und bitterer Ernst waren einfach nicht mehr zu unterscheiden. Hatte der sich immer mehr als Diktator entpuppende Chef wirklich gesagt, wer hungere solle seinen Magen mit Kieselsteinen füllen, das beuge vor? Rumänien erstarrte in einem Nationalismus, der das Römische Reich aus dem Geist – und vor allem den Blut – der rumänischen Vorfahren zu erklären versuchte. Es war ein Land der Beziehungen, Kontakte, Absprachen, der Mangelverwaltung, bis dann der Westen kam, und das für einige aufhörte.
Korruption ist die Droge, die den Noch-Kommunismus und die Schon-Fast-Demokratie verbindet – ein Akt aktiv praktizierter Mißtrauensnostalgie: Wer sich bestechen lässt, wirft einem nicht gleich Bestechung vor. Wenn das eigene Volk sich den führenden politischen Schichten gar nicht entfremden muß, weil es keinerlei Vertrauen hat, ist Korruption auch eine Wahrnehmungsfrage. Bei den Jungen und Intellektuellen und in den Städten ist die Sozialismus-Nostalgie in Rumänien geringer als anderswo.
Gehört Rumänien wirklich in die EU?
Natürlich war es ein Fehler, Rumänien – wie auch Bulgarien – in die EU aufzunehmen. Andererseits hat die Aufnahme in Rumänien mächtige Verwestlichungsimpulse ausgelöst. Dem Netzwerk der Korruption stehen nun andere gegenüber, die keine Preissenkungen oder Rentenerhöhungen fordern, sondern ein Anti-Korruptionsgesetz nicht aufgeweicht haben wollen. Und die Wirkung dieser Netzwerke ist immens.
Hier wollen viele den Rechtsstaat und nicht nur eine trügerisch manipulierbare Gerechtigkeit, deren Wirkungsvoraussetzungen leicht zu beeinflußen sind. Kein Netz von Beziehungen und Vorteilsgewährungen mehr als flexible Mauer, die Insider von den Ausgegrenzten trennt!
Nach der Arabellion stimmen uns Demonstrationen an den zentralen Aufmarschplätzen eines Staates nicht an sich schon froh. Aber in Rumänien gibt es einige Gründe, die Hoffnung nicht fahren zu lassen.
Wie in Polen oder den USA werden Juristen und Gerichte zu Hoffnungsträgern der gesellschaftlichen Weiterentwicklung. Und auf der Straße lautet das gute Credo der Demonstranten: "Wir sind der Souverän! Und wir sind so souverän auszutesten, wie souverän wir agieren können." Rumänien könnte in dieser Situation als ein Beispiel für andere südosteuropäische Staaten dienen.
Hoffentlich als keines, das in Gewalt entgleist.
Lutz Rathenow wurde 1952 in Jena geboren, lebte bis zum Mauerfall in Ostberlin, heute in Dresden und Berlin. Lyriker, Kurzprosa-schreiber, Kinderbuchautor, zu DDR-Zeiten Nachrichtenübermittler. Flanierte zwischen politischer und subkultureller Opposition in Berlin. Kurze Zeit wegen des ersten Buches inhaftiert. Seit 2011 Sächsischer Landesbeauftragter zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Letzte Bücher: "Ostberlin" (mit Fotos von Harald Hauswald), veränderte Neuausgabe, Jaron, Berlin 2017. "Der Elefant auf dem Trampolin. Gedichte zum Größerwerden", Leiv Leipzig 2017 (mit Bildern von Egbert Herfurth).