Den Dingen lauschen

Von Tobias Wenzel |
Aleš Šteger ist in seiner Heimat Slowenien berühmt für seine Gedichte über Fußmatten oder Frühstückseier. Mit leisem Humor wechselt er die Blickwinkel und ermöglicht dadurch neue Ansichten. Der Suhrkamp Verlag hat Štegers "Buch der Dinge" zur Leipziger Buchmesse auf Deutsch veröffentlicht.
Aleš Šteger, ein schlanker Mann im dunkelblauen Mantel mit gleichfarbiger Schirmmütze geht auf einen Hauseingang zu. Unter der Mütze gucken seine asymmetrisch geschnittenen dunkelblonden Haare hervor. Auf der einen Seite reichen sie ihm bis zur Schulter, auf der anderen nur bis zum Ohr.

"Wer bist du, woher kommst du, mit wem zu Besuch?
In ihren Augen fließt deine Zeit auf der Stelle."


So beginnt das Gedicht "Fußmatte" aus dem "Buch der Dinge". Die Titel der Gedichte sind Namen alltäglicher Dinge:

"Schokolade, Fußmatte, Fenster, Kerze, Stein."

Als Jugendlicher las Aleš Šteger ein Gedicht des mexikanischen Schriftstellers Octavio Paz. Eine radikale Erfahrung sei das für ihn gewesen, die ihn letztlich selbst zum Schreiben von Gedichten veranlasste. Heute verbannt Aleš Šteger das lyrische Ich aus seinen Gedichten. Auch wenn er von sich selbst spricht, vermeidet er gerne das Wort "ich":

"Man kann vielleicht einen utopischen Versuch unternehmen, sich so weit wie möglich zurückzuhalten und zu hören, wie die Dinge zu einem sprechen."

Im Gedichtband "Buch der Dinge" hat ein Paket einen zugeklebten Mund und eine Fußmatte Haare und Augen. Das Objekt wird zum Subjekt. Dichter und Leser werden zum passiven Betrachter. Seine Eltern, der Vater ein Schaufensterdekorateur, die Mutter eine Postangestellte, kennen auch diese neuen Gedichte, erzählt Šteger. Beide haben seine literarischen Ambitionen immer respektiert:

"Mein Vater ist auch Musiker; und ich bin dann sehr viel mit Musik aufgewachsen. Ich glaube, das hat auch eine gewisse Rolle gespielt hinsichtlich auf die Musik der Worte, die wahrscheinlich jeder Lyriker versucht zu entdecken, erfolgreich oder nicht."

Šteger wuchs in Ptuj auf, einer Kleinstadt der slowenischen Steiermark, in einem Weinanbaugebiet voller Traditionen und Mythen.

"Ich zog von da nach Ljubljana, wo sich gerade die großen historischen Umwälzungen ereigneten. Es war natürlich eine Aufbruchstimmung, es war eigentlich so ein Zeitrausch, in dem man glaubte, dass wirklich alles möglich ist, und der als solcher sehr schwierig nachzuvollziehen ist."

1991 erklärte Slowenien seine Unabhängigkeit von Jugoslawien. In dieser Zeit studierte Aleš Šteger in Ljubljana Deutsch und veröffentlichte mit 22 Jahren seinen ersten Gedichtband, der ganz schnell vergriffen war. Schnell wurde Aleš Šteger zu einem der wichtigsten Autoren seines Landes. Und zu einem Reisenden. Im Ausland mystifizieren die Slowenen gerne ihr eigenes Land, erzählt der slowenische Dichter und Verlagslektor:

"Aber sobald man wieder nach Hause gekommen ist, will man sofort wieder aufbrechen, irgendwohin, wo es keine Slowenen gibt, was eigentlich nicht so leicht ist. Denn obwohl wir nur ein Zwei-Millionen-Volk sind, findet man fast überall einen Slowenen, mehr ist schon problematisch, aber einen findet man fast überall."

Aleš Šteger muss es wissen, so viel, wie er gereist ist, alleine oder mit seiner Frau. Wenn allein, dann meistens nach Lateinamerika. Zum Beispiel auf den Spuren des peruanischen Dichters César Vallejo. Aber sein Heimatland verliert der 33 Jahre alte Dichter nicht aus dem Blick:

"Vor 50 Jahren sang man noch, wenn man sich am Abend zusammen tat, und heute schaut man fern. Wahrscheinlich ist in dem Fall Slowenien ein stinknormales, eine stinknormale Nation wie jede andere."

Dem Fernseher hat Aleš Šteger in seinem "Buch der Dinge" kein Gedicht gewidmet. Dann schon lieber dem Ei:

"Als du’s am Pfannenrand erschlägst, bemerkst du nicht,
Dass dem Ei im Tod ein Auge wächst.

So winzig ist es, dass es keinen noch so
Leichten Morgenappetit befriedigt.

Schon starrt’s, schon stiert’s in deine Welt.
Wie sehen seine Horizonte aus, in wessen Perspektive?

Sieht es die Zeit, die teilnahmslos umherzieht?
Schlitz, Schlitz, zerplatze Schalen, Chaos oder Ordnung?

Große Fragen für ein kleines Ei zu so früher Stunde."