Den eigenen Weg gehen

Von Anke Schaefer |
Kristin Feireiss hat sich einen Namen als Architekturkritikerin und -kennerin gemacht. Dass sie aus der Unternehmerfamilie Neckermann stammt, darüber hat sie nie viel gesprochen. Jetzt aber ist das Buch "Wie ein Haus aus Karten" erschienen, in dem sie ihre Familiengeschichte erzählt.
Sehr hell ist die Kreuzberger Dachgeschosswohnung, in der Kristin Feireiss lebt. Sehr weiß sind die Wände getüncht. Umso dunkler heben sich davor die afrikanischen Figuren und Masken ab. Über 100 Stück, in der ganzen Wohnung verteilt. Kristin Feireiss geht auf ein Figurenpaar zu:

"Das sind sozusagen die Stammeltern meiner Sammlung und die hatte jemand mit gebracht aus Burkina Faso. Jedes hat halt seine Geschichte – dieses waren die Ältesten aus seinem Stamm und die wurden abgebildet, unglaublich schwer!"

Schmal und filigran steht Kristin Feireiss mit ihren dunklen Locken vor dem beeindruckend ausdrucksstarken, etwa 1,20 Meter hohen Paar. Zärtlich legt sie der hölzernen Frau ihre Hand auf den Kopf.

Kristin Feireiss war oft in Afrika. Hat in Südafrika nach dem Ende der Apartheid die erste Ausstellung dort zum Thema Städtebau organisiert. Sie hat überhaupt viel erlebt in den 69 Jahren ihres Lebens. Jetzt war es Zeit, sich den Ahnen zuzuwenden. Die Lebensgeschichte zu schreiben. Dass ihre Ahnen Neckermann heißen, das hat sie lange nicht öffentlich gesagt. Zum ersten Mal, als sie Mitte der 1990er-Jahre in einem Fernseh-Interview live darauf angesprochen wurde:

"Nicht eher und auch später nie wieder. Lügen wollte ich nicht, was mir aber wichtig war, zu sagen – dass ich meinen Weg selber gehen wollte - ganz unbedingt."

Als Kristin Feireiss fünf ist, sterben ihre Eltern und ihr älterer Bruder bei einem Autounfall. Tini, wie sie damals genannt wird, wird mit ihren beiden Schwestern von Josef Neckermann und dessen Familie aufgenommen, er ist der Bruder ihrer Mutter. Während Kristin Feireiss’ Eltern sich um Konventionen und den äußeren Schein nicht gekümmert hatten, rauschende Feste feierten und eine offene Ehe führten, gelten bei den Neckermanns andere Wertmaßstäbe. Es waren die 50er-Jahre, die Zeit des Wirtschaftswunders in Deutschland:

"Was die Familie vereint hat – im besten Sinne, wenn man so will, war der Wunsch zum Erfolg und die Leistung."

Und Erfolg und Leistung erringt man durch Haltung und Disziplin. Das leben ihr die Pflegeltern vor:

" Mein Pflegevater mit einem Satz, der sich bei mir schon sehr früh eingeprägt hat – 'Die Niederlage beginnt beim zweiten Platz'. Das galt auch für ihn selbst. Und meine Pflegemutter, die mich von klein auf, wenn ich mal geweint habe oder traurig war – mit einem Satz getröstet hat – der mich auch mein Leben beschäftigt hat. Dieser Trost lautete: "Was uns nicht tötet, macht uns härter."

Sie hat lange gebraucht, sagt Kristin Feireiss, die sich jetzt an einen langen Küchentisch gesetzt hat, um sich von diesen Sätzen zu lösen. Was ihr die Kraft gab? Sicherlich ihre innige Beziehung zu ihrer Großmutter Jula Neckermann. Und dann hielt sie eines Tages eine große Kiste mit alten Dokumenten in der Hand. Darin war ein Brief der Eltern, ein Vermächtnis, in dem stand:

"Was ihr auch tut – steht zu euch, ihr könnt auch quer stehen zur Umgebung und zur Gesellschaft – zieht es einfach durch, was ihr für euch für wichtig haltet. Und wenn man die Eltern nicht erlebt hat, dann sind das so Botschaften – die man wunderbar findet, - wo man sagt: Hey, das machst du jetzt einfach, die hätten gesagt, das ist großartig."

Als Kristin Feireiss sich von ihrem ersten Mann scheiden lässt, trifft sie auch die Entscheidung, aus Frankfurt nach Berlin zu gehen. Die Scheidung war nicht im Sinne des katholischen Hauses Neckermann.

Doch Kristin Feireiss lässt sich nicht beirren. Sie ist Journalistin, studiert außerdem Kunstgeschichte. Und dann gründet sie – als Laiin - 1980 mit einer Freundin in Berlin die erste private Architekturgalerie weltweit: Aedes.

"Was mich fasziniert hat, ist der Gebrauchswert und die Ästhetik – und wie es Menschen beeinflussen kann. Und als ich dann begonnen habe, für mich selber subjektiv dazu Stellung zu beziehen, habe ich mir gedacht, das wäre eigentlich was Wunderbares, wenn man auch andere dazu anregen könnte, da ein Bewusstsein zu entwickeln."

Und so kommt es, dass Kristin Feireiss, als Architekturexpertin bekannt wird und ab 1996 fünf Jahre lang das Niederländische Architekturmuseum in Rotterdam leitet:

Sie nimmt beide Hände zur Stirn, schiebt ihre Locken nach hinten. Guckt auf den Küchentisch, lächelt leise. Die Musik, die wir hören, hat die Hochzeit mit ihrem Mann begleitet: 2000 heiratet sie den Architekturfotografen Hans-Jürgen Commerell, der heute auch ihr Partner ist in der Architekturgalerie Aedes. Er ist ihr vierter Mann:

"Es hat schrecklich lang gedauert, bis ich das Gefühl hatte, ich bin zuhause."

Kristin Feireiss steht wieder auf, vom Küchentisch - und geht noch mal zu dem afrikanischen Holz-Figurenpaar, den "Stammeltern" ihrer Sammlung, die vor der hellen weißen Wand stehen. Auf den ersten Blick sehen die beiden eher grimmig aus:

"Mein Enkel, der oft bei uns ist, der ist am Anfang erschrocken und jetzt lebt er sehr vergnüglich damit. Und ich habe gesagt, das sind alles gute Geister, die uns Wohl wollen - ja."

Informationen des Ullstein Verlags zu "Wie ein Haus aus Karten. Die Neckermanns - Meine Familiengeschichte"