Den Fortschritt gezeichnet
Marie Marcks gilt als die wichtigste deutsche Karikaturistin. Mit ihren Zeichnungen hat sie den gesellschaftlichen Fortschritt der Bundesrepublik eingefangen. Zu ihrem 90.Geburtstag widmet ihr das Frankfurter Caricatura-Museum jetzt eine Austellung.
Er krümmt sich unter der Weltkugel auf seinen Schultern und schaut gequält. Sie sieht das ganz entspannt: "Roll doch das Ding, Blödmann!". Sie strebt mit vollen Einkaufstüten nach Hause, an ihrem Bein hängt ein kleiner Junge, die Tochter umklammert ihren Hals: "Ein Glück, dass Du uns hast, Mama..." – "Sonst wüsstest du gar nicht, wozu du da bist!"
Wozu Frauen da sind, wusste Marie Marcks aus eigener Erfahrung: Früh wird sie Mutter, bekommt fünf Kinder von drei Männern, lebt überwiegend alleinerziehend, zeichnet so ganz nebenbei die ironischsten und treffsichersten Karikaturen der Republik. Ihr Blick entstammt dem Familienchaos, dem Gezackel der Geschlechter, der Privatheit tapferer und überforderter Mütter und ist bei aller Genervtheit doch immer erstaunlich nachsichtig.
Vati steht nackt in der Dusche, die Kinder draußen vor der Badezimmertür: "Papa, dürfen wir Schweinchen Dick ansehen?" –"Meinetwegen – kommt schon rein! Aber ab heute sagen wir Penis dazu, nicht wahr?"
Dass Marie Marcks aus dem um Fortschrittlichkeit bemühten Familienchaos ihre Karikaturperlen züchtete, hat die Beteiligten nicht immer begeistert:
Marie Marcks: "Ich habe sie eigentlich immer gefragt. Ich hab auch die Namen geändert und so. Aber Sebastian, der mittelste, der hat mal gesagt: Du stellst uns bloß"."
Das Frankfurter Caricatura-Museum zeigt in seiner Hommage zum Neunzigsten der großen deutschen Karikaturistin nicht weniger als 372 Blätter: in Bleistift, koloriert, als Aquarell, als Siebdruck. Mit Verblüffung nimmt man wahr, wie sehr bestimmte Karikaturen uns begleitet haben: mit ihrem einfachen, dürren Strich und dem süffigen Humor. Und wie früh Marie Marcks das Kommende registriert hat: die Anti-Atomkraft-Bewegung; die Bildungsmisere, lange vor Pisa; die braune Mentalität; die 68er Selbstüberschätzung; die Frauenbewegung.
Zwei männliche Juristen vor der Statue der Justitia, die in ihren Waagschalen den Paragrafen 218 balanciert: "Und was, wenn Justitia Feministin ist?" – "Malen Sie die Teufelin nicht an die Wand, Kollege."
Von der Frauenbewegung wird Marie Marcks geradezu verehrt. Dabei ist sie nie mitmarschiert. Nur ihre Tuschfeder hat dazu getanzt. Zwischen ihr und Alice Schwarzer wollte es nicht so richtig klappen:
Marie Marcks: ""Mit der konnte ich nicht. Oder sie mit mir nicht. Ich sollte, als sie die Emma gründete, da sollte ich eigentlich die Karikaturistin werden. Gleich die erste Geschichte, die ich ihr gemacht hab. Ich war ihr zu männerfreundlich."
Wir alle erinnern uns an den Studienrat mit dem Backenbart, dessen runtergelassene Hose als Zieharmonika die Beine umspielt, während sein spilleriges Glied erwartungsvoll in die Gegend ragt. Sie hat ihn bei den Händen genommen: "Weißt du, dass du schön bist?"
Marie Marcks hat nicht nur "Brigitte", "Titanic", den "Spiegel", die "Zeit" beliefert, sondern auch mehr als 25 Jahre die "Süddeutsche Zeitung". Dort erschien ihre erste Arbeit 1964: Ludwig Erhard als feiste Kaffekanne, umgeben von folgsamen Sammeltassen.
Marie Marcks: "Und ich weiß noch, hab ich in der Redaktion gemacht. In der Süddeutschen. Die schüttelten den Kopf. Manche guckten zu. Und sie haben es gedruckt. Aber es war eben eine total andere Karikatur, als die gewohnt waren."
Damals war sie die einzige Frau in einer Männerdomäne und ist es lange geblieben. Eine vom fraulichen Alltagsstress immer etwas abgelenkte Chronistin der Bundesrepublik, so könnte man sie nennen. Früh hat sie Abrüstung betrieben und das Private zur kleinen, aber maßgeblichen Meßlatte des Öffentlichen gemacht. Das Frankfurter Caricatura-Museum zeigt in Einzelblättern den gesamten ersten Teil von Marie Marcks gezeichneter Autobiografie "Marie, es brennt", 1984 als Buch erschienen. Da erfährt man vom Architektenvater und der kunstsinnigen Mutter, die eine private Kunstschule leitete. Beide sahen Hitler als Katastrophe, vom spöttischen und künstlerischen Talent der beiden hat Marie Marcks profitiert. Und wir erfahren vom Lieblingswunsch des Kindes, von seiner höchsten Mission:
Marie Marcks: "Ich wollte als Kind die Indianer von den Weißen befreien. Habe ich aber noch nie versucht. Aber das war eigentlich das, was ich mir auf die – wie sagt man? – nicht die Fahnen... aber das war es, was ich mit vorgenommen hatte. Aber dann kommt immer die Liebe dazwischen. Und dann kriegt man Kinder. Und dann wird daraus nichts."
Schade für die Indianer, gut für uns. Aber es ist ja auch schön, wenn immer noch ein Wunsch offen bleibt.
Service:
Die Ausstellung "Marie Marcks" ist vom 9. August bis 21. Oktober 2012 im Caricatura - Museum für Komische Kunst Frankfurt zu sehen.
Mehr zum Thema auf dradio.de:
Subversion hinter polierten Oberflächen - Werkschau zum 60. Geburtstag Gerhard Haderers
Wozu Frauen da sind, wusste Marie Marcks aus eigener Erfahrung: Früh wird sie Mutter, bekommt fünf Kinder von drei Männern, lebt überwiegend alleinerziehend, zeichnet so ganz nebenbei die ironischsten und treffsichersten Karikaturen der Republik. Ihr Blick entstammt dem Familienchaos, dem Gezackel der Geschlechter, der Privatheit tapferer und überforderter Mütter und ist bei aller Genervtheit doch immer erstaunlich nachsichtig.
Vati steht nackt in der Dusche, die Kinder draußen vor der Badezimmertür: "Papa, dürfen wir Schweinchen Dick ansehen?" –"Meinetwegen – kommt schon rein! Aber ab heute sagen wir Penis dazu, nicht wahr?"
Dass Marie Marcks aus dem um Fortschrittlichkeit bemühten Familienchaos ihre Karikaturperlen züchtete, hat die Beteiligten nicht immer begeistert:
Marie Marcks: "Ich habe sie eigentlich immer gefragt. Ich hab auch die Namen geändert und so. Aber Sebastian, der mittelste, der hat mal gesagt: Du stellst uns bloß"."
Das Frankfurter Caricatura-Museum zeigt in seiner Hommage zum Neunzigsten der großen deutschen Karikaturistin nicht weniger als 372 Blätter: in Bleistift, koloriert, als Aquarell, als Siebdruck. Mit Verblüffung nimmt man wahr, wie sehr bestimmte Karikaturen uns begleitet haben: mit ihrem einfachen, dürren Strich und dem süffigen Humor. Und wie früh Marie Marcks das Kommende registriert hat: die Anti-Atomkraft-Bewegung; die Bildungsmisere, lange vor Pisa; die braune Mentalität; die 68er Selbstüberschätzung; die Frauenbewegung.
Zwei männliche Juristen vor der Statue der Justitia, die in ihren Waagschalen den Paragrafen 218 balanciert: "Und was, wenn Justitia Feministin ist?" – "Malen Sie die Teufelin nicht an die Wand, Kollege."
Von der Frauenbewegung wird Marie Marcks geradezu verehrt. Dabei ist sie nie mitmarschiert. Nur ihre Tuschfeder hat dazu getanzt. Zwischen ihr und Alice Schwarzer wollte es nicht so richtig klappen:
Marie Marcks: ""Mit der konnte ich nicht. Oder sie mit mir nicht. Ich sollte, als sie die Emma gründete, da sollte ich eigentlich die Karikaturistin werden. Gleich die erste Geschichte, die ich ihr gemacht hab. Ich war ihr zu männerfreundlich."
Wir alle erinnern uns an den Studienrat mit dem Backenbart, dessen runtergelassene Hose als Zieharmonika die Beine umspielt, während sein spilleriges Glied erwartungsvoll in die Gegend ragt. Sie hat ihn bei den Händen genommen: "Weißt du, dass du schön bist?"
Marie Marcks hat nicht nur "Brigitte", "Titanic", den "Spiegel", die "Zeit" beliefert, sondern auch mehr als 25 Jahre die "Süddeutsche Zeitung". Dort erschien ihre erste Arbeit 1964: Ludwig Erhard als feiste Kaffekanne, umgeben von folgsamen Sammeltassen.
Marie Marcks: "Und ich weiß noch, hab ich in der Redaktion gemacht. In der Süddeutschen. Die schüttelten den Kopf. Manche guckten zu. Und sie haben es gedruckt. Aber es war eben eine total andere Karikatur, als die gewohnt waren."
Damals war sie die einzige Frau in einer Männerdomäne und ist es lange geblieben. Eine vom fraulichen Alltagsstress immer etwas abgelenkte Chronistin der Bundesrepublik, so könnte man sie nennen. Früh hat sie Abrüstung betrieben und das Private zur kleinen, aber maßgeblichen Meßlatte des Öffentlichen gemacht. Das Frankfurter Caricatura-Museum zeigt in Einzelblättern den gesamten ersten Teil von Marie Marcks gezeichneter Autobiografie "Marie, es brennt", 1984 als Buch erschienen. Da erfährt man vom Architektenvater und der kunstsinnigen Mutter, die eine private Kunstschule leitete. Beide sahen Hitler als Katastrophe, vom spöttischen und künstlerischen Talent der beiden hat Marie Marcks profitiert. Und wir erfahren vom Lieblingswunsch des Kindes, von seiner höchsten Mission:
Marie Marcks: "Ich wollte als Kind die Indianer von den Weißen befreien. Habe ich aber noch nie versucht. Aber das war eigentlich das, was ich mir auf die – wie sagt man? – nicht die Fahnen... aber das war es, was ich mit vorgenommen hatte. Aber dann kommt immer die Liebe dazwischen. Und dann kriegt man Kinder. Und dann wird daraus nichts."
Schade für die Indianer, gut für uns. Aber es ist ja auch schön, wenn immer noch ein Wunsch offen bleibt.
Service:
Die Ausstellung "Marie Marcks" ist vom 9. August bis 21. Oktober 2012 im Caricatura - Museum für Komische Kunst Frankfurt zu sehen.
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