Denk-Räume

Carl Schmitt in Plettenberg

Die Burgruine Schwarzenberg in Plettenberg-Pasel. Aufnahme vom 17.04.2010. Foto: Horst Ossinger dpa
Die Burgruine Schwarzenberg in Plettenberg-Pasel, dem Heimatort des Staatsrechtlers und politischen Philosophen Carl Schmitt © picture alliance / dpa / Horst Ossinger
Von Stefan Osterhaus |
Der Staatsrechtler Carl Schmitt zählt zu den umstrittensten politischen Denkern des 20. Jahrhunderts. Durch sein Engagement für die Nationalsozialisten nach 1945 politisch kompromittiert, zog er sich in seinen Heimatort Plettenberg zurück.
"Ein früher Winternachmittag im Sauerland. Die Bäume kahl, die Sonne ohne Kraft, die Landschaft ohne Schnee. 'Sehen Sie', sagt der alte Herr, bleibt stehen und weist hinunter ins Flusstal: 'Das ist die Lenne. Die war früher auch mal sauber.'
Ein Taxi kommt langsam die Waldstraße entlang gefahren und stoppt. Fürsorglich öffnet der Fahrer die Tür und erkundigt sich, ob er den Herrn Professor wohl noch ein Stück mitnehmen könne.
Den Herrn Professor kennt jedermann in dieser Gegend. Das ist Carl Schmitt.
Carl mit C und Schmitt mit Doppel-T. Professor Carl Schmitt: Staats- und Verfassungsrechtler. Bis heute umstritten, verfemt und hochgelobt."
(Aus einer Radiosendung des SWF vom 6. Februar 1972)
Umstritten verfemt, hochgelobt. Eine durch und durch ambivalente Figur.
Kein Wunder also, dass sich die beiden Journalisten des Südwestrundfunks im Februar 1972 mit äußerster Vorsicht Carl Schmitt auf dessen heimatlichem Terrain im sauerländischen Plettenberg näherten.

Kronjurist der Nazis und scharfsinniger Analytiker

Carl Schmitt, der manchen als Kronjurist des Dritten Reiches galt, der Hitlers Machtstreben verfassungsrechtlich zu legitimieren versuchte.
Aber er war auch der scharfsinnige Essayist, der Analytiker, der noch heute zu Auseinandersetzungen anregt. Der den Begriff des Politischen in eine radikale Formel goss:
"Die spezifisch politische Unterscheidung, auf welche sich die politischen Handlungen und Motive zurückführen lassen, ist die Unterscheidung von Freund und Feind. Sie gibt eine Begriffsbestimmung im Sinne eines Kriteriums, nicht als erschöpfende Definition oder Inhaltsangabe. Die Unterscheidung von Freund und Feind hat den Sinn, den äußersten Intensitätsgrad einer Verbindung oder Trennung, einer Assoziation oder Dissoziation zu bezeichnen." (Aus: Carl Schmitt,"Der Begriff des Politischen")
Eine Formel, die heute auch linke Theoretiker wie die Belgierin Chantal Mouffe aufgreifen. Ebenso wie Carl Schmitts Gedanken zum Ausnahmezustand. Oder zum Partisanen als Synonym für das, was wir heute Terroristen nennen.

Carl Schmitt verglich sich gern mit Machiavelli

Nun lebte er wieder dort, woher er gekommen war: in Plettenberg, in Pasel, einem Vorort von 300 Einwohnern.
(Ernst Hüsmert:) "So, jetzt rechter Hand ist das Begräbnis von Carl Schmitt und seiner Frau. Das war also ein großes Begräbnis einschließlich der Nachbarbegräbnisse, wo also die Eltern von Carl Schmitt beerdigt sind. Sowohl er als auch seine Frau als auch die Asche der Sekretärin beziehungsweise Haushälterin, Fräulein Stand, die sind hier bestattet. Frau Stand wollte zu Füßen ihres Chefs beerdigt werden, ähnlich wie Lehnchen Demuth zu Füßen von Karl Marx liegt."
Wer sich auf die Spuren Schmitts in dessen Heimat begibt, der kommt an Ernst Hüsmert nicht vorbei. Er war der engste Vertraute Schmitts. 88 Jahre ist Hüsmert mittlerweile alt, ein ehemaliger Ingenieur der Firma Krupp. Er gehört der Carl-Schmitt-Gesellschaft an. Die Pflege des Andenkens ist laut Satzung ihr Ziel. Durchaus kritisch soll es bei der Erschließung von Schmitts Schaffen zugehen, dessen Spätwerk untrennbar mit der sauerländischen Heimat verbunden ist.

Der Heimatort als Exil

Nur hier, sagt Hüsmert, habe sich Schmitt in der Nachkriegszeit, die er selber als Verbannung verklärte - und sich mit Machiavelli verglich, nachdem dieser bei den Medici in Ungnade gefallen war - festen Boden unter den Füssen gespürt:
"Letzten Endes schätzte er dieses Kaff Plettenberg einfach als sein Exil. Er wusste: Hier hat meine Familie einen guten Klang, hier tut mir keiner was, und er war doch keine sehr, sehr mutige Person. Er war immer ängstlich, dass also irgendwelche Dinge auf ihn zukämen, die er nicht parieren konnte."
Aber Schmitt kam der Welt nicht abhanden. Im Gegenteil. Mit der Zeit fanden sich immer mehr Leute ein. Selbst ein Kanzler suchte ihn auf. Kurt Georg Kiesinger, wie Schmitt ein Parteigänger der NSDAP, fuhr nach Plettenberg, um mit ihm über Tocqueville zu diskutieren. Auch der Anthropologe Arnold Gehlen kam nach Plettenberg, der sich wie einst Schmitt tief in die NS-Ideologie verstrickt hatte.
Doch es kamen nicht nur einstige Nazis ins Sauerland. Zum Kreis gehörten auch Konservative wie die Publizisten Johannes Gross und Rüdiger Altmann. Rudolf Augstein, der Spiegel-Herausgeber, suchte Schmitts Rat.

"System Plettenberg" wurde Carl Schmitts Zirkel genannt

Auch der jüdische Religionsphilosoph Jacob Taubes fuhr ins Sauerland und besuchte Schmitt - wissend, dass er mit einem Antisemiten diskutierte. Taubes folgte damit einem Hinweis des französischen Hegel-Exegeten Alexandre Kojève, demzufolge Schmitt der einzige sei, mit dem es sich in Deutschland zu diskutieren lohne. Und es kam auch eine neue Generation von von Nachkriegsintellektuellen. Besonders intensiv war der Austausch mit einem jungen Juristen, der später als Rechtsphilosoph und als Verfassungsrichter in Karlsruhe eine bedeutenden Rolle spielen sollte: Ernst-Wolfgang Böckenförde.
"Am Anfang stand die Verfassungslehre, die habe ich gelesen, dieses Buch von ihm, und das hat mich schon fasziniert. Er lebte ja in Plettenberg, und da haben wir, mein Bruder und auch ich, ihm geschrieben, ob wir ihn mal besuchen dürfen. Und da bekamen wir einen Brief mit einer freundliche Antwort und haben ihn dann besucht und das war dann so ein Gespräch von einer Dreiviertelstunde und so weiter und dann hatte er doch wohl den Eindruck, dass der geistige Vorrat der jungen Leute erschöpft war."
Viele Treffen folgten. Voll rezipiert, sagt Böckenförde, habe er Schmitt nie. In der Abgrenzung zum antiliberalen Denken Schmitts lag gleichzeitig die eigentliche Prüfung für den Besuch. System Plettenberg, so wurde die Runde des Privatgelehrten genannt, die nie mehr war als ein loser Zirkel.
1985 verstarb Schmitt mit 96 Jahren in der Heimatstadt. Auf der Rückseite des Bungalows steht noch heute eine Bronzeinschrift, die er in den sechziger Jahren anbringen liess: "San Casciano - das Exil Machiavellis".
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