Was Heideggers Hütte über den Philosophen verrät
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In dem Aufsatz "Warum bleiben wir in der Provinz?" begründet Martin Heidegger 1934, warum er die Berufung nach Berlin abgelehnt hat. Im Sinne der NS-Blut-und-Boden-Ideologie schreibt er von der "Bodenständigkeit" seines Denkens - und von seiner Hütte im Schwarzwald. Heute steht diese noch: Ein Besuch von Heideggers Denk- und Schreibort.
"Arnika, Augentrost, der Trunk aus dem Brunnen mit dem Sternwürfel drauf." - Es ist genau so, wie Paul Celan es am Beginn seines Gedichtes Todtnauberg beschreibt: Ganz am Rande, auf einer Wiese hoch über dem Dorf, wenige Meter unterhalb der Baumgrenze, versteckt zwischen Wäldern, Wollgräsern und gelben und lila Bergblumen, steht Heideggers Hütte. Und noch immer steht auch der hölzerne Brunnen mit dem Sternwürfel davor.
"Das sieht erst einmal ganz putzig aus, es sieht auch aus wie so eine mythische griechische Szene mit dem Willkommenstrunk für den Gast, der Gastfreundschaft, und das reine und helle Wasser. Und gleichzeitig im Vordergrund die Beziehung zu den Elementen, also das ist das Griechische, zu den vier Elementen, Beziehungsweise zum Geviert, wie er sagt. Das hat einen mythischen Grundzug."
Clemens Pornschlegel ist Professor für Germanistik in München und lebt in Freiburg. Der Philosoph Martin Heidegger beschäftigt ihn seit 40 Jahren.
"Hoffnung, auf eines Denkenden kommendes Wort im Herzen"
"Das, was er Dasein nennt, ist individuell gedacht, und eine Beziehung zu dem sogenannten Sein, sprich zu der Transzendenz. Und das ist, glaube ich, wonach er sucht, und das versucht er neu zu fundieren, und deswegen dieser symbolische Ort, also so ein Meditationsort, und deswegen interessiert er sich für das Dorf und das Dorfleben nicht, sondern baut sich seine Hütte genau an diesen Rand, fast jenseits der Menschen. Das ist auch dieser anti-humanistische Zug."
Pornschlegels Interesse gilt insbesondere Heideggers Verhältnis zur Literatur, auch der Begegnung des vielleicht berühmtesten deutschen Denkers mit dem größten Dichter deutscher Sprache im 20. Jahrhundert: Heidegger war am 24. Juli 1967 zur Lesung von Celan in Freiburg gegangen und hatte den Lyriker eingeladen, ihn auf seiner Hütte, unweit der Universitätsstadt, zu besuchen. Am nächsten Tag fuhr Celan in den Schwarzwald. Bei Heidegger angekommen, trägt Celan sich wie alle Gäste in das Hüttenbuch ein.
"In der Hütte, die in das Buch - wessen Namen nahm's auf vor dem meinen?"
Clemens Pornschlegel: "Also, das ist völlig klar angesprochen, dass die Kontakte, die Heidegger pflegte, nicht die feinen waren."
"Schuld kommt nicht vor"
Celan ist sich völlig bewusst, dass Heidegger nach wie vor mit vielen anderen Alt-Nazis, die nun unbescholten und reuelos die Bundesrepublik aufbauen, Freundschaften pflegt. Und trotzdem hofft Celan, dass Heidegger, der Verehrer von Hölderlin, anders ist. Diese Hoffnung bringt er in seinem Eintrag zum Ausdruck:
"(…) die in dies Buch geschriebene Zeile von einer Hoffnung, heute, auf eines Denkenden kommendes Wort im Herzen (…)"
Eine Hoffnung, die enttäuscht wird. Heidegger schweigt. Macht dicht. So wie auch heute, fast 50 Jahre später, die blau-grünen Fensterläden und Türen der grauen Schindelhütte fest verschlossen sind. Kein Wort der Anteilnahme am Schicksal der ermordeten Juden, zu denen auch Celans Eltern zählen. Kein Eingeständnis der eigenen Schuld, keine Reue, dass er 1933 die Gunst der Stunde ergriff und sich von den Nazis zum Rektor der Universität Freiburg ernennen ließ und bis 1945 NSDAP-Mitglied blieb. Kein Wort zu alledem gegenüber Celan, und auch davor und danach so gut wie keines.
Clemens Pornschlegel: "Ich glaube, er fühlt sich wirklich nicht schuldig. Heideggers Denken hat mit Schuld nichts zu tun. Schuld kommt nicht vor. Ich glaube, dem ist dazu, während ihm zu Hitler sehr viel eingefallen ist, aber dazu ist ihm nichts eingefallen. Und ich glaube, das ist für Celan ziemlich traumatisch gewesen."
"Waldwasen, uneingeebnet, Orchis und Orchis, einzeln, Krudes, später, im Fahren, deutlich, der uns fährt, der Mensch, der’s mit anhört."
Clemens Pornschlegel: "Krudes, dieses ganze unsägliche, merkwürdige Nicht-Gespräch, Kommunikation im landläufigen Sinne ist bei Heidegger, glaube ich, auch nicht sonderlich vorgesehen, er diktiert, glaube ich, lieber."
"Die halbbeschrittenen Knüppelpfade im Hochmoor, Feuchtes, viel."
Clemens Pornschlegel: "Also, ich lese dieses Gedicht als eine Entzauberung des Todtnauberg-Mythos, und zwar dieser Mythos, der von der Härte, der Härte des Daseins, von der Einfachheit des Daseins bei Heidegger kündet, und dann hier - bei Celan – geht es dann doch im Feuchten aus, 'Feuchtes, viel'. Es endet im Sumpf. Im Sumpf, in dem auch Knüppel da sind."
Fabriken und Großstadttreiben waren ihm ein Graus
Martin Heidegger hat Großes versucht: Er hat das "Seyn" zu denken versucht und das Verhältnis von Mensch und Technik als "Ge-Stell". Politik, Normen, das Soziale hat er nicht gedacht. Bei seiner Fundamentalontologie ging es ihm um das "Zeug" und das "Ding" an sich. Er schrieb über "Felsen", die "dauern".
Alles Moderne und Urbane hingegen, Fabriken und das Großstadttreiben waren ihm ein Graus. Sein lebenslanger Antisemitismus hängt damit zusammen: Er richtete sich nicht gegen einzelne Menschen, wie den Lyriker Celan, sondern vor allem gegen den als "jüdisch" gebrandmarkten, industriellen Kapitalismus. Den wollte er mit seiner Existenzphilosophie überwinden. Vernichtungslager wie Auschwitz waren für Heidegger das Gleiche wie "industrielle Tierzucht", beides Ausdruck der technischen, verderbten Moderne, die er grundsätzlich ablehnte. Eine Haltung, die sich auch im Schweigen gegenüber Paul Celan ausdrückt. Zugleich eine erschreckende emotionale Kälte und ein blinder Fleck seines Denkens.
Nachdenklich schweift der Blick der Besucher von der Hütte über die Weite der Berge und Täler, die sich vor ihnen bis zu den Alpen erstreckt. Es zirpen die Grillen. Leis' rauschen die Wälder.