Über das Gerichtsverfahren zum Relief an der Marienkirche in Wittenberg erhalten Sie hier noch weitere Informationen im Beitrag von André Damm:
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"Bilderverbote sind kontraproduktiv"
07:31 Minuten
Ein Gericht soll entscheiden, ob die "Judensau", ein mittelalterliches antijüdisches Relief in Wittenberg, entfernt werden muss. Derartige Kunst zu tilgen, sei keine Lösung, sagt Denkmalpflegerin Ulrike Wendland: Wir seien aufgeklärt genug, damit umzugehen.
Im Mittelalter waren herabwürdigende Darstellungen, wie die "Judensau" an der Marienkirche in Wittenberg, weit verbreitet. Die Skulptur an der dortigen evangelischen Stadtkirche zeigt ein Schwein, dem ein Rabbiner unter den Schwanz schaut und an dessen Zitzen sich Menschen laben, die Juden darstellen sollen. Diese Skulpturen sollten unter anderem Juden abschrecken, sich in der jeweiligen Stadt niederzulassen.
Die Grenze des Zeigbaren, hinsichtlich antisemitischer, rassistischer, frauenfeinlicher oder pädophiler Kunstwerke sei dort erreicht, wo es das Gesetz gebiete, sagt Ulrike Wendland. Die Archäologin ist seit 2005 Landeskonservatorin von Sachsen-Anhalt.
"Wer sind die Kläger und wo sind die Richter?"
So sei klar, das NS-Symbole verboten werden. "Ansonsten sollten wir uns nicht Bilderverboten aussetzen, denn wo fängt man an und wo hört man auf; wer sind die Kläger und wo sind die Richter? Das ist so kontraproduktiv und tötet ja auch die Diskussion. Wir sind aufgeklärt genug, dass wir mit schwierigen Bildern kommentierend umgehen." Und das sollte auch bei der Diskussion und den Prozess um das "Judensau"-Relief an Wittenbergs Marienkirche gelten.
Es gebe sehr viele herabwürdigende Darstellungen von Juden aber auch beispielsweise von behinderten Menschen an Kirchen: "Man wird nicht geschont, wenn man sich sakrale Kunst ansieht."
Für jede Generation neue Erläuterungen?
Darstellungen, wie das "Judensau"-Relief, sollten allerdings nicht mit unserem heutigen Wissen, der Geschichte des Nationalsozialismus im 20.Jahrhundert und unserem Gerechtigkeitssinn interpretiert werden, so Wendland. Stattdessen müsse die Bedeutung solcher Darstellungen an Kirchen und auch in Museen mit dem Wissen um die Entstehungszeit, die häufig im Mittelalter ihren Ursprung habe, in Zusammenhang gebracht werden.
"Ursprünglich war das Relief an der Westfront der Kirche und es war ein abwehrendes Zeichen gegen Juden, sich hier nicht niederzulassen. Es war ein Signal 'Ihr habt hier nichts zu suchen' - was sich durch die Stadtgeschichte vieler europäischer Städte zieht." Spannend sei bei der Wittenberger Schmähplastik, die seit mehr als 700 Jahren an der Kirchenfassade hängt, dass auch Kirchenreformator Martin Luther sich sehr mit dem Relief beschäftigt habe. Darum sei nach seinem Tod ein Text im Sinne Luthers an der Skulptur ergänzt worden. "Insofern hat es jetzt schon ein zweite Botschaft. Sie war auch antijüdisch."
Die Bedeutung des Gegenkunstwerks, das 1988 in der DDR unter ganz anderen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen entstanden ist, könne vielleicht nicht mehr gut genug verstanden werden und sei für den heutigen Kontext nicht mehr ausreichend. Problematisch werde es natürlich, wenn künftig für jede Generation erläuternde Schilder an kirchlichen Schmähdarstellungen aufgestellt würden.
"Bild der 'Judensau' ist für immer im Internet"
Ein Abhängen der Wittenberger "Judensau", wie es der Kläger aus der jüdischen Gemeinde fordert, sei allerdings nicht die Lösung. "Das Abnehmen des Bildes lässt es ja nicht verschwinden. Das Bild ist im Internet, wird da für immer bleiben, und auch im Museum wird es wirken. Es ist ja nicht mehr aus der Welt zu kriegen."
Gemeinsam müsste man überlegen, welche Erläuterung und Schuldanerkenntnis noch hinzukommen müssten, damit die Bedeutung der Skulptur auch für nichtdeutschsprachige Menschen verständlich werde.
(mle)