Gedankensalat und rauchende Colts
07:13 Minuten
Sieben Lipizzaner stehen auf einer Bühnenwiese in Wien. Sind sie die Stars oder doch die Schauspieler der Uraufführung von "Deponie Highfield"? Die jedenfalls wurde wie ein Popkonzert bejubelt - dank der gut geölten Regie-Methode von René Pollesch.
Eine ernst zu nehmende Zeitung in Berlin hatte sich dieser Tage erstaunlich weit aus dem Fenster gelehnt – für den Dramatiker und Regisseur René Pollesch als künftigen Intendanten der hauptstädtischen Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Der schreibt und inszeniert derzeit noch für mindestens vier der führenden Bühnen im deutschsprachigen Raum und war in jüngerer Zeit ziemlich omnipräsent: in Zürich, am Deutschen Theater in Berlin, am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg und am Wiener Burgtheater. Für die kommende Saison wird "ein neuer Pollesch" auch von den Münchner Kammerspielen angekündigt.
Der gefragte Künstler braucht also eigentlich keine Intendanz. Aber sowohl in Zürich als auch in Wien hören gerade die Intendantinnen auf, die auf Pollesch setzten: Barbara Frey und Karin Bergmann. Frey hatte schon "ihren" Pollesch in der finalen Saison. Bergmann bekam ihn gestern – "Deponie Highfield" heißt sein Wiener Abschied. Aber Namen, also Stücktitel, sind ja Schall und Rauch für Pollesch.
Amazonentrupp mit einem Cowboy-Hahn
Tatsächlich stehen sieben lebensgroße Lipizzaner auf der grünen Bühnenwiese von Katrin Brack, sechs blendend weiß, eins dunkelbraun. Und wie "Die glorreichen Sieben" im Kino-Western von John Sturges nehmen die Frauen (allerdings ironischerweise eben nur zu fünft, dafür aber umso mehr mit den Revolvern herumfuchtelnd!) um Martin Wuttke immer wieder Platz auf deren Rücken. Der Cowboy-Hahn im Amazonentrupp raucht sogar da oben – deshalb die auch in der Premiere absichtsvoll verstolperte Sinnfrage von Wuttke.
Die Kunst-Tiere können virtuos mit den Ohren wackeln und mit den Schwänzen wedeln in dramatischeren Momenten. Dann dampfen sie nebelwerferisch aus den Nüstern. Gegen Ende geht es einem der Rosse dann gar nicht gut, und ihm fällt dekorativ recht viel Sabber aus dem Maul. Die Tiere stehen allerdings nicht nur rum, sondern auch mit im Zentrum von Polleschs wie immer recht krude durcheinander gemischtem Gedankensalat. Nicht nur gegen Ende, wenn ziemlich albern mit der Verwechselbarkeit der Namen "Lipizza" (wo die Pferde herkommen) und "Ibiza" gespielt wird – wo Vizekanzler Strache bekanntlich die rechtskonservative Koalition versenkte. Der österreichische Politskandal brodelt weiter, und das Wiener Publikum hat seinen Spaß.
Die Kreatur lacht sich scheckig
Aber auch recht ernsthaft geht es um Tiere, speziell um vom Menschen dressierte. Wer führt hier eigentlich wen vor, lässt Pollesch fragen: tatsächlich Dompteurinnen und Dompteure die mehr oder weniger domestizierte Kreatur? Oder hält nicht eigentlich die den dummen Menschen auf Trab – und lacht sich innerlich scheckig über dessen Bemühen, ihm irgendetwas beizubringen.
Das ist aber (wie immer) nur einer der Denkstränge, an denen sich das Ensemble entlanghangelt. Vieles wirkt improvisierter als sonst, und die Souffleuse Sibylle Fuchs, gut sicht- und hörbar rechts am Bühnenrand im Akademietheater postiert, hat richtig viel zu tun in gut 100 Minuten. Vom dauernden Vergessen handelt obendrein ein weiterer Denk-Ansatz, der sich mischt mit Polleschs ewigem Thema: dem der verlorenen Liebe. Hier staunen rundum alle Beteiligten immer wieder von neuem darüber, wie unerhört schnell, zwei Tage nach der Trennung nur, selbst die größte Liebe des Lebens vergessen sein kann.
Obendrein spielt das Ensemble aber auch exzessiv und geradezu demonstrativ mit dem theatertypischen Hang, Text zu vergessen. Und karikiert die ziemlich absurde Erwartung des Publikums, dass ein "großer Abend" bitteschön noch viele, viele Tage, wenn nicht noch länger, präsent zu bleiben habe in Erinnerung und Bewusstsein der Kundschaft. "Deponie Highfield" gibt sich redlich Mühe, dass das in diesem Fall nicht so ist.
Und auch noch ein Denk-Konstrukt versucht dieser Pollesch-Abend praktisch zu belegen – immerzu werde das, worum es womöglich gehen könnte, umstandslos und rückstandsfrei ersetzt durch den, der diesen Inhalt "repräsentiert": die Schauspielerin und den Schauspieler. Und tatsächlich schauen wir mit Gewinn ja tatsächlich auch nur den Repräsentierenden zu: Kathrin Angerer im immer halb-beleidigten Nöl-Ton und Birgit Minichmair als ewiger Kratzbürste, der handfesten Caroline Peters und der noch recht frisch in der Truppe agierenden Irina Sulaver. Schließlich Martin Wuttke als alterndem Hippie-Cowboy mit Knickebeinen, wenn er vom Pferd steigt.
Zwei Mal furioses Geballer
Ihnen ist auch im forcierten Improvisieren dieses Abends gut zuzuhören, wenn auch sicher deutlich zu lang – während die szenischen Vorgänge bestenfalls knapp über Null rangieren. Als hätte "das Stück" drei Akte, bricht zweimal zwischendurch ein furioses Western-Geballer aus, und das Ensemble mimt "Rauchende Colts". Sonst ist nichts – alle stehen an ihren Pferden oder sitzen drauf, und am liebsten hocken sie wie am Lagerfeuer beieinander, rauchen in einen Scheuereimer und hören einander zu.
Das ist die immerzu und überall gut geölt funktionierende "Methode Pollesch", und dieses Quintett repräsentiert sie problemlos als hippes Ereignis. Jubel gibt es wie beim Popkonzert in Wien. Ach ja: Die "Deponie Highfield" wäre der Ort, wo all das endgelagert und verkompostiert wird. Ob es womöglich um mehr ging, außer um die Pferde – das ist schon jetzt, einen Tag danach, so gut wie vergessen.
Informationen des Burgtheaters Wien zu "Deponie Highfield"