Der abgehobene Kandidat

Von Stephan Detjen |
Eine Woche nach seiner Nominierung lässt der Kandidat erkennen, wie er als Kanzler regieren würde. Der Stil, den Steinbrück in den ersten Tagen seiner neuen, politischen Existenzform demonstriert, lässt sich in einem knappen Wort beschreiben: abgehoben.
Der Begriff ist nicht so abwertend gemeint, wie er klingen mag. Er beschreibt zunächst einmal ganz nüchtern die Distanzverhältnisse, die Steinbrück mit gezielten Gesten in alle politischen Himmelsrichtungen ausbaut. Der Kandidat bemüht sich nicht allein darum, sich von der Kanzlerin abzuheben, die die SPD mit einem großkoalitionären Klammergriff in die Mitverantwortung für ihre wichtigsten Regierungsentscheidungen gezwungen hat. Steinbrück hebt sich zugleich von der eigenen Partei ab, die ihm ihrerseits in weiten Teilen mit kühler Distanz gegenübersteht.

Dass Steinbrücks Auftreten von seinen Kritikern auch als abgehoben im Sinne einer arroganten Überheblichkeit wahrgenommen wird, ist aus innerparteilicher Sicht eine eher nachrangige Frage des persönlichen Stilempfindens. Für die SPD wiegt schwerer, dass Steinbrück mit seinen inhaltlichen Positionierungen eine Provokation für all jene Sozialdemokarten ist, die gehofft hatten, die Ära Schröder als schmerzvolle aber überwundene Phase der eigenen Parteigeschichte historisieren zu können. Jetzt kehrt Steinbrück als Wiedergänger der Agenda-Epoche von seinen lukrativen Vortrags- und Lesereisen in die Gegenwart der SPD zurück.

Dieser Kanzlerkandidat ist für die eigene Partei genau so eine Herausforderung wie für Angela Merkel. Die vertrackte Besonderheit der jetzigen Konstellation ist es indes, dass die programmatischen Brüche zwischen dem Kandidaten und seiner Partei im Augenblick noch deutlicher zu Tage liegen als die inhaltlichen Gegensätze zu der Kanzlerin, die er ablösen möchte.

Zu gegenwärtig ist die Erinnerung an den legendären Auftritt von Merkel und Steinbrück, bei dem beide am Beginn der Bankenkrise ihre Garantieerklärung für die Spareinlagen der Deutschen abgaben. Das war gestern auf den Tag genau vor vier Jahren. Der damalige Schulterschluss der Kanzlerin mit ihrem sozialdemokratischen Finanzminister ist bis heute das Sinnbild für die Bewährung einer Großen Koalition in krisenhaften Zeiten. Steinbrück wird es nicht abschütteln können. Er muss seinen Wahlkampf auch gegen die messbare Sehnsucht vieler Wähler nach einer Neuauflage des schwarz-roten Regierungsbündnisses führen, in das er selbst sich partout nicht noch einmal fügen möchte.

Umso mehr wird er sich von der Kanzlerin gerade durch seinen politischen Stil absetzen. Was manchen Genossen als selbstverliebte Anmaßung gegen den Strich geht, wird Steinbrück im Wahlkampf zielgerichtet als Beleg für Führungsstärke und Entschlossenheit gegen Merkel ausspielen. Hier die Zauderin im Kanzleramt, die alle Gegensätze in ihrer zermürbten Koalition durch quälende Moderationsprozesse zersetzt, anstatt sie durch beherzte Ausübung ihrer Richtlinienkompetenz zu lösen. Dort der vor Kompetenz und Selbstbewusstsein strotzende Kandidat, der auf die großen Fragen unserer Zeit mit der Gewissheit seines Förderers Helmut Schmidt zu antworten weiß. Das ist das Bild, das Steinbrück in den kommenden Monaten von sich verfestigen wird.

Dabei wird er kaum darüber hinwegtäuschen können, wie sehr er sich zugleich dem Rollenverständnis der Kanzlerin annähert. Die Forderung nach "Beinfreiheit", mit der Steinbrück sich die eigene Partei schon vorsorglich vom Leibe hält, ist ein anderer Ausdruck für die systemischen Verschiebungen im Machtgefüge der Politik, die auch den Regierungsstil Merkels prägen. Je mehr die Kanzlerin als Krisenmanagerin auf europäischer Ebene gefordert wurde, desto mehr entrückte sie sich als präsidial agierende Kanzlerin den hergebrachten Bindungen nationaler Politik.

Der eigenen Partei stand Merkel lange kaum fremder gegenüber als Steinbrück heute der SPD. Und kaum weniger hat sie sich im Laufe der Zeit von dem Regierungsbündnis emanzipiert, das ein Jahr vor dem Ende der Legislaturperiode unter einer politisch abgehoben agierenden Kanzlerin formal fortbesteht, aber längst wie eine entleerte Hülle wirkt. So treffen in diesem Wahlkampf zwei politische Solisten aufeinander. Es wird ein Personenwahlkampf, wie es ihn schon lange nicht mehr gegeben hat. Im besten Fall macht gerade das seinen Reiz aus. Im schlechteren seine inhaltliche Leere.

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