Der Klang der Natur als ultimative Offenbarung
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Der Akustikökologe Gordon Hempton sucht Orte, an denen nur die Natur zu hören ist, es keine von Menschen gemachten, akustischen Verschmutzungen gibt. Diese Orte lässt er zertifizieren - und hofft darauf, dass die Menschen dort auch in sich hinein hören.
"Ich bekomme von Leuten immer wieder gut gemeinte Kommentare: Ruhe ist schön. Aber ist Ruhe nicht eher ein Luxus als eine Notwendigkeit?"
Gordon Hempton sitzt in seinem Büro in Port Townsend, einer kleinen Hafenstadt im US-Bundesstaat Washington, nahe der Grenze zu Kanada. Auch mit 67 Jahren ist Hempton immer noch ein sportlich-drahtiger Mann. Sein Büro liegt im vierten Stock eines gediegenen Altbaus, vor den Fenstern fliegen ab und an Möwen vorbei.
Durch Zufall das Hören entdeckt
Hempton war 27 Jahre, als er durch Zufall das Hören für sich entdeckte. Damals studierte er Biologie und wollte Botaniker werden. Eines Sommernachmittags, erzählt er, sei er mit dem Auto übers Land gefahren und plötzlich müde geworden.
"Ich parkte den Wagen am Straßenrand und legte mich in ein Feld, um auszuruhen. Der Himmel war voller Gewitterwolken. Der Sturm kam geradewegs auf mich nieder. Und wie er so rollte und grollte, konnte ich mir sogar mit geschlossenen Augen ein klares Bild vom Tal und der ganzen Umgebung machen. Als der Sturm vorbei war, war ich erschrocken. Wie kann ich 27 sein und noch nie richtig zugehört haben?"
Hempton schmiss sein Studium und wollte nur noch eines: Noch besser hören lernen. Seitdem reist er durch die Welt - auf der akustischen Jagd nach einem immer rarer werdenden Gut: der "Stille". Mit Stille meint er die Klänge der Natur. Unverfälscht von den Klangverschmutzungen der Zivilisation: von Flugzeugen, Handys, Klimaanlagen.
Das Geflüster von fallendem Schnee
"Die Stille ist das Lied eines Kojoten im Mondlicht, sie ist das Geflüster von fallendem Schnee. Stille ist der Klang von fliegenden Insekten."
Das hat Hempton in seinem Buch "Die Erde ist eine solarbetriebene Musikbox" geschrieben. Für ihn ist Stille lebensnotwendig. Ein schützenswertes Gut wie Wasser und saubere Luft.
Hemptons liebstes Klangrevier ist der Olympic-Nationalpark nahe seines Wohnortes. Dort liegt der Hoh-Regenwald, eines der ökologisch vielfältigsten unberührten Gebiete der Vereinigten Staaten. Hier hat Gordon Hempton seinen Ort gefunden, an dem er sich dem Leben am nächsten fühlt.
Seit jenem Aha-Erlebnis während des Gewitters vor 40 Jahren hat er Jahr für Jahr sein Gehör verfeinert. Wurde ein international gefragter Klang-Coach und Redner. Doch dann ereilte ihn die bittere Ironie des Schicksals: ein Hörsturz. Erst nach anderthalb Jahren konnte der Hörspezialist wieder richtig hören. Er beschloss, aktiv zu werden und rief im Jahr 2005 mitten im Hoh-Regenwald eine Schutzzone der Ruhe aus: den "Quadratzentimeter der Stille".
"Innerhalb eines Jahres brachte ich drei Fluggesellschaften dazu, ihre Flugrouten zu ändern. Ich schrieb ihnen, dass Stille eine geschützte natürliche Ressource sei, und schickte ihnen dazu Aufnahmen ihrer Lärmbelästigungen."
Bei den "größten Geigen" der Natur
Tausende von Menschen sind seither an diesen verwunschenen Ort der Stille gepilgert. Hempton selbst zieht es oft auch zum nahen Pazifik. Zum Rialto Beach. An den Kiesstrand werden bei Stürmen immer wieder Stämme von mächtigen Sitka-Fichten geschwemmt. Aus dieser Baumart werden die berühmten Stradivari-Geigen gemacht. Gordon Hempton nennt die gestrandeten Riesen "die größten Geigen der Natur".
In seinem Büro zeigt er am PC, was er damit meint:
"Hier sieht man einen riesigen Treibholzstamm. Die Wellen treffen zwar nicht auf die Stämme, aber das Tosen der Wellen bringt das Holz zum Vibrieren. Sie können sich in diese riesigen Fichtenstämme stellen. Und dann hören Sie das hier ..."
Der Klangjäger kämpft inzwischen mit einem dritten Hörsturz. Seine Mission, Stille zu schützen, verfolgt er dennoch weiter. Mit seiner Stiftung "Quiet Parks International" will der Akustikökologe stille Orte weltweit zertifizieren. Einen ersten zertifizierten Wildnis-Park gibt es in Ecuador, bald sollen "Stille Städteparks", "Stille Gemeinden" und "Stille Hotels" folgen.
"Stille ist ein Selbstläufer. Man muss einen Menschen nur dazu bringen, einmal still zu sein. Wenn wir uns dann selbst Fragen stellen und versuchen, sie zu beantworten und einfach lauschen, einfach hören: Die Antwort ist immer da."