Der alltägliche Irrsinn des Britpop
"One to break the market, one to make the market", lautet ein schönes englisches Sprichwort, das den ganz simplen Fakt beschreibt: Alle handeln mit denselben Äpfeln, aber der, der damit begonnen hat, muss nicht unbedingt mit den prallsten Geldsäcken nach Hause gehen.
Der britische Musiker Luke Haines gehörte mit seiner Band "The Auteurs" am Beginn der 1990er-Jahre zu den Erfindern eines Musikstils, der bald in einer weniger kunstvoll gespielten Version zu einem Massenphänomen werden sollte, den die Musikpresse als Britpop bezeichnete.
Haines war in den frühen Tagen dieser Szene ein Star: zwar vornehmlich in Frankreich - aber das schien zunächst genug, um zu glauben, dass es nun, nach Jahren des Hungers und vieler Kämpfe, für ein Häuschen in London reichen könnte. Doch er wurde von dem Tsunami, den er selbst half in Bewegung zu setzen, begraben. Sein Herz bricht, als er für den renommierten Mercury Price nominiert wird und denkbar knapp gegen die schrecklich banalen Suede verliert.
Haines muss erleben, wie weitaus weniger talentierte Kollegen - etwa die Gallagher-Brüder von Oasis - alte Rock and Roll Klischees aufwärmen und mit einer bierseligen Britpop-Farce Millionen verdienen. Die Phono-Industrie macht fantastische Umsätze, und zum letzten Male glauben ihre Granden, nicht nur wirklich wichtig, sondern tatsächlich unsterblich zu sein. Für Haines und einige seiner Kollegen ist das eine fatale Entwicklung: Wo eben noch 30.000 verkaufte Alben einen schönen Erfolg für den Künstler und seinen Verleger bedeuteten, galt dies nach zwölf Millionen Exemplaren, die Oasis von ihrem Debüt-Album losschlugen, als veritabler Flop. Haines erträgt es immer weniger, dass das Ethos der frühen Independent-Rock-Tage verraten wird, und dass andere mit den von ihm kreierten Ideen Erfolge feiern.
Bald schon führen sein bitterböser Zynismus, den er auch immer wieder gegen sich selbst in Stellung zu bringen weiß, und die dem Rockstarleben immanenten Sünden dazu, dass Haines seine Karriere systematisch zerstört. Zum Tiefpunkt gerät 1996 ein Konzeptalbum namens "Baader Meinhof", das die wenigen Kritiker, die es hören, schlicht hassen. Haines verschwindet und taucht Jahre später im sommerlichen Zeltfestival-Zirkus zwischen Holland, Belgien und Südengland als Ein-Mann-Band wieder auf. Ein, wie es scheint, erledigter Fall.
Im vergangenen Jahr erschienen nun in England Haines Innenansichten unter dem Titel "Bad Vibes: Britpop and My Part in It's Downfall" (der Untertitel der deutschen Fassung "Britpop und der ganze Scheiß" entbehrt der Ironie des Originals und dürfte der Tatsache geschuldet sein, dass sie in der Reihe "Heyne Hardcore" erscheint). "Unglaublich witzig, ein großartiges Buch", meinte der für seine extrem blutigen Krimis bekannte Autor David Peace - und er hat recht. Luke Haines gehört nämlich zur raren Spezies der intelligenten Rockmusiker. Und: er kann schreiben! Mit dem lässigen Gestus des ländlichen Gentlemans, dessen Zynismus sehr unterhaltsam ist, erzählt er vom alltäglichen Irrsinn einer Zeit, in der eine ganze Generation von Musikern ihren Verstand im Kokain-Nebel zu verlieren drohte.
Wir erleben, wie ein brillanter Künstler an vor Gier verrückt gewordenen Ignoranten scheitert, wie ihm Karriere und Leben zerrinnen, wie er schließlich zwischen pathetischer Arroganz und nackter Angst beinahe vergeht. Aber wir hören auch von einer kaum mehr für möglich gehaltenen Kultur hemdsärmeliger Hinterzimmermanager: Zwielichtige Gestalten zwar, die für ihre Künstler aber irgendwie doch noch ein paar Pennys herausschlagen und erfahren, dass Paul McCartney ein von vielen jungen Musikern gefürchteter Dauergast in den Abbey Road Studios zu London ist, der nicht aufhören kann, die immer gleichen Anekdoten von einst zu erzählen.
Das ist weder Heldengeschichte noch tränenreiche Läuterungsliteratur; Sex- und Drogenskandale bleiben eher am Rande: der Autor nennt Namen, aber längst nicht alle. Haines weiß nach wie vor, dass er richtig liegt mit seiner Verachtung für die Dummheiten der Musikindustrie und ihrer Marionetten. Die leichte Milde des Alters lässt ihn nun heiter darüber schreiben; was das Buch dann eben auch interessant macht für Leser, die sich weniger für die blutigen Details einer Rock-and-Roll-Epoche interessieren als vielmehr für deren Strukturen.
"Urkomisch und bitterböse zugleich" findet der ebenfalls aus dem Rock and Roll ausgestiegene Ex-Promoter und Erfolgsautor John Niven dieses Buch. Genau.
Besprochen von Andreas Müller
Luke Haines: Bad Vibes: Britpop und der ganze Scheiß
Aus dem Englischen von Gunnar Kwisinski
Heyne Verlag, München 2010
320 Seiten, 12 Euro
Haines war in den frühen Tagen dieser Szene ein Star: zwar vornehmlich in Frankreich - aber das schien zunächst genug, um zu glauben, dass es nun, nach Jahren des Hungers und vieler Kämpfe, für ein Häuschen in London reichen könnte. Doch er wurde von dem Tsunami, den er selbst half in Bewegung zu setzen, begraben. Sein Herz bricht, als er für den renommierten Mercury Price nominiert wird und denkbar knapp gegen die schrecklich banalen Suede verliert.
Haines muss erleben, wie weitaus weniger talentierte Kollegen - etwa die Gallagher-Brüder von Oasis - alte Rock and Roll Klischees aufwärmen und mit einer bierseligen Britpop-Farce Millionen verdienen. Die Phono-Industrie macht fantastische Umsätze, und zum letzten Male glauben ihre Granden, nicht nur wirklich wichtig, sondern tatsächlich unsterblich zu sein. Für Haines und einige seiner Kollegen ist das eine fatale Entwicklung: Wo eben noch 30.000 verkaufte Alben einen schönen Erfolg für den Künstler und seinen Verleger bedeuteten, galt dies nach zwölf Millionen Exemplaren, die Oasis von ihrem Debüt-Album losschlugen, als veritabler Flop. Haines erträgt es immer weniger, dass das Ethos der frühen Independent-Rock-Tage verraten wird, und dass andere mit den von ihm kreierten Ideen Erfolge feiern.
Bald schon führen sein bitterböser Zynismus, den er auch immer wieder gegen sich selbst in Stellung zu bringen weiß, und die dem Rockstarleben immanenten Sünden dazu, dass Haines seine Karriere systematisch zerstört. Zum Tiefpunkt gerät 1996 ein Konzeptalbum namens "Baader Meinhof", das die wenigen Kritiker, die es hören, schlicht hassen. Haines verschwindet und taucht Jahre später im sommerlichen Zeltfestival-Zirkus zwischen Holland, Belgien und Südengland als Ein-Mann-Band wieder auf. Ein, wie es scheint, erledigter Fall.
Im vergangenen Jahr erschienen nun in England Haines Innenansichten unter dem Titel "Bad Vibes: Britpop and My Part in It's Downfall" (der Untertitel der deutschen Fassung "Britpop und der ganze Scheiß" entbehrt der Ironie des Originals und dürfte der Tatsache geschuldet sein, dass sie in der Reihe "Heyne Hardcore" erscheint). "Unglaublich witzig, ein großartiges Buch", meinte der für seine extrem blutigen Krimis bekannte Autor David Peace - und er hat recht. Luke Haines gehört nämlich zur raren Spezies der intelligenten Rockmusiker. Und: er kann schreiben! Mit dem lässigen Gestus des ländlichen Gentlemans, dessen Zynismus sehr unterhaltsam ist, erzählt er vom alltäglichen Irrsinn einer Zeit, in der eine ganze Generation von Musikern ihren Verstand im Kokain-Nebel zu verlieren drohte.
Wir erleben, wie ein brillanter Künstler an vor Gier verrückt gewordenen Ignoranten scheitert, wie ihm Karriere und Leben zerrinnen, wie er schließlich zwischen pathetischer Arroganz und nackter Angst beinahe vergeht. Aber wir hören auch von einer kaum mehr für möglich gehaltenen Kultur hemdsärmeliger Hinterzimmermanager: Zwielichtige Gestalten zwar, die für ihre Künstler aber irgendwie doch noch ein paar Pennys herausschlagen und erfahren, dass Paul McCartney ein von vielen jungen Musikern gefürchteter Dauergast in den Abbey Road Studios zu London ist, der nicht aufhören kann, die immer gleichen Anekdoten von einst zu erzählen.
Das ist weder Heldengeschichte noch tränenreiche Läuterungsliteratur; Sex- und Drogenskandale bleiben eher am Rande: der Autor nennt Namen, aber längst nicht alle. Haines weiß nach wie vor, dass er richtig liegt mit seiner Verachtung für die Dummheiten der Musikindustrie und ihrer Marionetten. Die leichte Milde des Alters lässt ihn nun heiter darüber schreiben; was das Buch dann eben auch interessant macht für Leser, die sich weniger für die blutigen Details einer Rock-and-Roll-Epoche interessieren als vielmehr für deren Strukturen.
"Urkomisch und bitterböse zugleich" findet der ebenfalls aus dem Rock and Roll ausgestiegene Ex-Promoter und Erfolgsautor John Niven dieses Buch. Genau.
Besprochen von Andreas Müller
Luke Haines: Bad Vibes: Britpop und der ganze Scheiß
Aus dem Englischen von Gunnar Kwisinski
Heyne Verlag, München 2010
320 Seiten, 12 Euro