"Der Alltag hat eine solche Gewalt, dass er uns immer wieder einholt"
In der Nähe von München gibt es jetzt eine Akademie der Muße. Gestresste Führungskräfte sollen hier Ruhe finden. Ihr Gründer, der ehemalige Benediktinerpater Anselm Bigri, erklärt, wie man den Alltag entschleunigen kann - und warum die Teilnehmer manchmal einfach nur die Wand anstarren.
André Hatting: Muße – ein schönes Wort. Muße, das klingt nach - - Das waren jetzt vier Sekunden Ruhe für Sie, nur vier Sekunden. Aber diese Insel der Stille, die wirkt ganz schön groß inmitten von Dauerbeschallung, Alltagshektik und Smartphone-Terror. Ruhe, Stille, Muße – das muss man wieder lernen, meint der ehemalige Benediktinerpater und Prior von Kloster Andechs, Anselm Bilgri. Er eröffnet heute in Gräfelfing bei München die Akademie der Muße. Guten Morgen, Herr Bilgri!
Anselm Bilgri: Guten Morgen, Herr Hatting!
Hatting: Entschleunigung für Führungskräfte und Stressgeplante soll Ihre Akademie sein. Wie lerne ich das bei Ihnen?
Bilgri: Na ja, durch Üben vor allem, Einüben. Wir haben begonnen mit den Tagen des Innehaltens für Führungskräfte und Manager, das ist drei Tage gemeinsam. Da gibt es Impulse. Aber vor allem das wesentliche Merkmal ist, dass wir dreimal am Tag miteinander eine halbe Stunde Zen-Meditation machen. Da sitzen 20 Leute still in einem Raum, blicken auf die weiße Wand und denken an nichts möglichst. Das ist ganz schön schwierig, aber das hat auch einen ganz tollen Effekt, sozusagen zu lernen, eben nichts zu tun.
Hatting: Ja, das klingt in der Tat sehr anspruchsvoll. – In einem Vortrag, den Sie halten, heißt es: "Wir leiden nicht nur unter Informationsflut und Dauerberieselung, die wir passiv erdulden. Wir produzieren sie auch selbst." Und Ihre Empfehlung lautet, besser zuhören. Inwiefern fördert Zuhören die Muße?
Bilgri: Obwohl wir ja viel hören und lesen und überflutet werden mit E-Mails und SMS und allen möglichen Dingen, haben wir es aber verlernt, richtig aktiv hinzuhören, also achtsam auf etwas zu hören. Meistens geht es zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus. Auch das, glaube ich, ist gerade in einer Zeit dieser vielen technischen Möglichkeiten, die wir heute haben, ganz wichtig, auch wieder zu lernen, richtig hinzuhören, das, was der andere auch meint, wahrzunehmen, und nicht nur so Worthülsen aufzunehmen und dann irgendwie sofort wieder zu reagieren.
Hatting: Gut. Aber inwiefern fordert oder fördert das die Muße?
Bilgri: Ja ich denke, weil man Zeit braucht dazu. Es ist eher umgekehrt. Ich glaube, die Muße, die wir einüben müssen, also wieder zu lernen, auch einmal zurückzuschalten einen Gang oder Pausen einzulegen, die Gedanken frei schweifen zu lassen, die helfen uns eher, gut zuzuhören, und ich glaube, das gut Zuhören ist wichtig, um auch mit Menschen gut kommunizieren zu können.
Hatting: Jetzt haben wir viel über sich Zeit nehmen, besser zuhören gesprochen. Aber ist Muße nicht ein Luxus, für den man oft einfach keine Zeit hat, weil man arbeiten muss, weil man Geld verdienen muss?
Bilgri: Ich glaube, dass sehr viele Leute eben gerade diesen Luxus Zeit eigentlich lieber hätten als wie sonst was, denn wir können ja gar nicht mehr die Zeit genießen, oder wir haben die Zeit gar nicht mehr, um den Luxus, den Wohlstand, den wir uns erarbeitet haben, auch wirklich zu genießen, sondern ich denke immer, so viele Leute sagen, irgendwann einmal, am Ende meiner Arbeitszeit, nach der Pensionierung, wenn ich in Rente bin, dann kann ich das alles genießen, und meistens ist es dann zu spät, weil dann nur zwei, drei Jahre bleiben und man das gar nicht richtig ausnutzen kann. Ich denke, man muss jetzt auch lernen, schon sich freizuschwimmen von diesen vielfältigen Überlastungen, die das berufliche und auch das private Leben mit sich bringt. Denn ich denke, dass die Freizeit, die wir alle haben, also Wochenende, Urlaub, auch furchtbar durchgetaktet wird und verplant wird, und die Zeit zum nur sitzen und nichts tun, dass es die gar nicht mehr gibt.
Hatting: Für Ihre Zielgruppe, die Führungskräfte, kann ich mir das sehr gut vorstellen. Bei einer alleinerziehenden Mutter mit Vollzeitjob kann ich mir das allerdings nicht so gut vorstellen.
Bilgri: Ja. Ich glaube, dass auch eine alleinerziehende Mutter mit Fantasie schon so Momente des Innehaltens auch finden kann und sogar finden muss, um ihre vielfältigen Aufgaben auch zu bewältigen. Ich glaube schon, wenn man Zeit zum Atemholen hat und sich die gönnt, dass man dann auch gerade solch schwierige Situationen des Lebens besser bewältigen kann.
Hatting: Seit Jahren boomt der Markt für Ratgeber gegen Stress. Man kann damit richtig gut Geld machen. Und trotzdem nehmen die Klagen über zu wenig Zeit und zu viel Stress eher noch zu. Taugen die Seminare und Ratgeber alles nichts?
Bilgri: Na, ich glaube schon. Aber es ist halt so: Man muss es immer wieder machen. Das ist ja das Problem. Ich war ja Benediktiner, katholischer Geistlicher, und jetzt sage ich mal, die Kirche predigt seit 2000 Jahren Nächstenliebe, und trotzdem ist es wahnsinnig schwer, das jetzt zu leben. So ist es da ja auch: wir müssen es einfach lernen und immer wieder einüben und unermüdlich sein. Der Alltag, der hat halt eine solche Kraft und eine solche Gewalt, dass er uns immer wieder einholt, und da bedarf es einer inneren Stärke, um sich dem immer wieder zu widersetzen, und auch Instrumente, Methoden, wenn man das im Alltag einübt und auch durch Rituale verfestigt. Ich glaube, da kann jeder für sich was finden, und es genügt ja oft, eine Viertel Stunde, eine halbe Stunde am Tag Pause einzulegen und die Gedanken frei schweifen zu lassen.
Hatting: …, sagt der ehemalige Benediktinerpater und Prior von Kloster Andechs, Anselm Bilgri. Er eröffnet heute mit zwei Partnern die Akademie der Muße in Gräfelfing. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Bilgri.
Bilgri: Herzlichen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Anselm Bilgri: Guten Morgen, Herr Hatting!
Hatting: Entschleunigung für Führungskräfte und Stressgeplante soll Ihre Akademie sein. Wie lerne ich das bei Ihnen?
Bilgri: Na ja, durch Üben vor allem, Einüben. Wir haben begonnen mit den Tagen des Innehaltens für Führungskräfte und Manager, das ist drei Tage gemeinsam. Da gibt es Impulse. Aber vor allem das wesentliche Merkmal ist, dass wir dreimal am Tag miteinander eine halbe Stunde Zen-Meditation machen. Da sitzen 20 Leute still in einem Raum, blicken auf die weiße Wand und denken an nichts möglichst. Das ist ganz schön schwierig, aber das hat auch einen ganz tollen Effekt, sozusagen zu lernen, eben nichts zu tun.
Hatting: Ja, das klingt in der Tat sehr anspruchsvoll. – In einem Vortrag, den Sie halten, heißt es: "Wir leiden nicht nur unter Informationsflut und Dauerberieselung, die wir passiv erdulden. Wir produzieren sie auch selbst." Und Ihre Empfehlung lautet, besser zuhören. Inwiefern fördert Zuhören die Muße?
Bilgri: Obwohl wir ja viel hören und lesen und überflutet werden mit E-Mails und SMS und allen möglichen Dingen, haben wir es aber verlernt, richtig aktiv hinzuhören, also achtsam auf etwas zu hören. Meistens geht es zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus. Auch das, glaube ich, ist gerade in einer Zeit dieser vielen technischen Möglichkeiten, die wir heute haben, ganz wichtig, auch wieder zu lernen, richtig hinzuhören, das, was der andere auch meint, wahrzunehmen, und nicht nur so Worthülsen aufzunehmen und dann irgendwie sofort wieder zu reagieren.
Hatting: Gut. Aber inwiefern fordert oder fördert das die Muße?
Bilgri: Ja ich denke, weil man Zeit braucht dazu. Es ist eher umgekehrt. Ich glaube, die Muße, die wir einüben müssen, also wieder zu lernen, auch einmal zurückzuschalten einen Gang oder Pausen einzulegen, die Gedanken frei schweifen zu lassen, die helfen uns eher, gut zuzuhören, und ich glaube, das gut Zuhören ist wichtig, um auch mit Menschen gut kommunizieren zu können.
Hatting: Jetzt haben wir viel über sich Zeit nehmen, besser zuhören gesprochen. Aber ist Muße nicht ein Luxus, für den man oft einfach keine Zeit hat, weil man arbeiten muss, weil man Geld verdienen muss?
Bilgri: Ich glaube, dass sehr viele Leute eben gerade diesen Luxus Zeit eigentlich lieber hätten als wie sonst was, denn wir können ja gar nicht mehr die Zeit genießen, oder wir haben die Zeit gar nicht mehr, um den Luxus, den Wohlstand, den wir uns erarbeitet haben, auch wirklich zu genießen, sondern ich denke immer, so viele Leute sagen, irgendwann einmal, am Ende meiner Arbeitszeit, nach der Pensionierung, wenn ich in Rente bin, dann kann ich das alles genießen, und meistens ist es dann zu spät, weil dann nur zwei, drei Jahre bleiben und man das gar nicht richtig ausnutzen kann. Ich denke, man muss jetzt auch lernen, schon sich freizuschwimmen von diesen vielfältigen Überlastungen, die das berufliche und auch das private Leben mit sich bringt. Denn ich denke, dass die Freizeit, die wir alle haben, also Wochenende, Urlaub, auch furchtbar durchgetaktet wird und verplant wird, und die Zeit zum nur sitzen und nichts tun, dass es die gar nicht mehr gibt.
Hatting: Für Ihre Zielgruppe, die Führungskräfte, kann ich mir das sehr gut vorstellen. Bei einer alleinerziehenden Mutter mit Vollzeitjob kann ich mir das allerdings nicht so gut vorstellen.
Bilgri: Ja. Ich glaube, dass auch eine alleinerziehende Mutter mit Fantasie schon so Momente des Innehaltens auch finden kann und sogar finden muss, um ihre vielfältigen Aufgaben auch zu bewältigen. Ich glaube schon, wenn man Zeit zum Atemholen hat und sich die gönnt, dass man dann auch gerade solch schwierige Situationen des Lebens besser bewältigen kann.
Hatting: Seit Jahren boomt der Markt für Ratgeber gegen Stress. Man kann damit richtig gut Geld machen. Und trotzdem nehmen die Klagen über zu wenig Zeit und zu viel Stress eher noch zu. Taugen die Seminare und Ratgeber alles nichts?
Bilgri: Na, ich glaube schon. Aber es ist halt so: Man muss es immer wieder machen. Das ist ja das Problem. Ich war ja Benediktiner, katholischer Geistlicher, und jetzt sage ich mal, die Kirche predigt seit 2000 Jahren Nächstenliebe, und trotzdem ist es wahnsinnig schwer, das jetzt zu leben. So ist es da ja auch: wir müssen es einfach lernen und immer wieder einüben und unermüdlich sein. Der Alltag, der hat halt eine solche Kraft und eine solche Gewalt, dass er uns immer wieder einholt, und da bedarf es einer inneren Stärke, um sich dem immer wieder zu widersetzen, und auch Instrumente, Methoden, wenn man das im Alltag einübt und auch durch Rituale verfestigt. Ich glaube, da kann jeder für sich was finden, und es genügt ja oft, eine Viertel Stunde, eine halbe Stunde am Tag Pause einzulegen und die Gedanken frei schweifen zu lassen.
Hatting: …, sagt der ehemalige Benediktinerpater und Prior von Kloster Andechs, Anselm Bilgri. Er eröffnet heute mit zwei Partnern die Akademie der Muße in Gräfelfing. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Bilgri.
Bilgri: Herzlichen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.