Von der Brandopferstätte zum Abendmahlstisch
Die Abendsmahlsgaben stehen traditionell auf dem Altar. Er ist fester Bestandteil jeder Kirche, egal welcher Konfession. Dieser Tisch kann ganz unterschiedliche Formen annehmen: Er ist aber immer viel mehr als nur eine Abstellfläche für Kreuz, Bibel, Brot und Wein oder andere Gottesdienstutensilien.
Täglich besuchen in Jerusalem Gläubige aus aller Welt neben der Grabeskirche auch den als Coenaculum, Abendsmahlsaal, bezeichneten Raum auf dem Zionsberg. Im 14. Jahrhundert errichteten Franziskaner den gotischen Raum an dem Ort, an dem Jesus Christus zum letzten Abendmahl mit seinen Jüngern gesessen haben soll.
Pfarrer Wenzel: "Jesus hat ja mit seinen Jüngern am Tisch gesessen, hat gewusst, dass da einer aus der Gruppe ist, der ihn verrät, und hat ihn nicht vom Tisch verbannt."
Der Abendmahlssaal in Jerusalem ist schlicht. Gotische Deckenbögen, farbige Fenster, Holzbänke für die Gläubigen, mehr nicht. Und auch wenn die Tischgemeinschaft des letzten Abendmahls wohl nicht an einem Tisch saß, sondern - wie damals üblich - auf weichen Bodenkissen, so wurde der "mensa domini", der Tisch des Herrn, der zentrale Ort in jeder Kirche und bei jedem Gottesdienst.
Hier findet die christliche Feier der Danksagung statt, die Eucharistie. Brot und Wein, die der Gemeinde als Abendsmahl gereicht werden, sollen dabei nicht nur an das Opfer erinnern, das Jesus für die Menschen brachte. Für Michael Wenzel von der "Kirche zum Guten Hirten" in Berlin-Friedenau hat der "mensa domini" eine zentrale Stellung – auch im Glauben.
Die Geschichte des Tisches als Ort der Verehrung des Göttlichen
"Für mich ist das Wichtige, dass die christliche Botschaft, dass die Erlösungsbotschaft sich im Alltag widerspiegelt. Und der Tisch ist ein Symbol des Alltags. Tischgemeinschaften sind ein Symbol für Gemeinschaften überhaupt. Am Tisch passiert eine Menge. Am Familientisch, beim Essen in der Familie, am Runden Tisch. Und Glauben muss einen Sitz im Leben haben. Und auch das Essen, das Abendmahl, hat einen Sitz im Leben. Hat eine Bedeutung für mich. Dieses Gemeinschaftsereignis. Abendmahl kann ich auch nicht alleine feiern."
Die Geschichte des Tisches als Ort der Verehrung des Göttlichen reicht weit in die Geschichte der Menschheit zurück. In vielen Heiligtümern standen Opfertische für Brandopfer. Auch das Wort Altar weist nach neuesten Deutungen auf das Verbrennen von Opfergaben hin, das lateinische Wort "arare" bedeutet trocken, verbrannt sein.
Schon 4000 vor Christus waren solche Opfertische im Gebrauch, so steht auf der Mittelmeerinsel Malta ein großer monolithischer Tischaltar. Der älteste christliche Altar ist ein sogenannter Plattenaltar, das heißt eine einfach in den Boden eingelassene Platte. Später beteten die Christen vor Brand-, Feuer-, Kasten-, Block-, Sarkophagaltären, die im Mittelpunkt der Gottesdienste standen. Reise- oder Tragaltäre machten den Gottesdienst überall möglich. Für die Kirchenväter Eusebius und Ambrosius waren Altäre bedeutsam wie kaum etwas anderes im Christentum. Denn…
"Was ist nämlich der Altar anderes als ein Bild für den Leib Christi?"
Und natürlich waren und sind Altäre nicht nur der "mensa domini", wie die Berliner Kunsthistorikerin Heike Ularich erklärt.
"In der Kunst wird ja als ein Altar oft auch nur das gemalte Altarbild bezeichnet. Und kleine Andachtstafeln werden ‚Privataltäre‘ genannt, obwohl sie – vom Kirchenrecht her – keine Altäre sind, weil sie nicht geweiht sind. Und dann gibt‘s noch die Prozessionsaltäre, die über die Prozessionswege getragen werden. Das ist etwas, was man häufig in Süddeutschland sehen kann."
Das Abendmahl soll eine persönliche Erfahrung vermitteln
Und diese Form des Altars ist, sagt Julian Chapuis vom Berliner Bode-Museum, immer auch eine Art Fenster in die biblische Geschichte und dargestellten Vorstellungen des göttlichen Jenseits. Als Beispiel zeigt Julian Chapuis auf den berühmten Münnerstädter Alter von Tilman Riemenschneider.
"Riemenschneider ist der wichtigste deutsche Bildhauer der Dürerzeit. Wir haben die vier Evangelisten aus der Predella, das ist der Teil über dem Altartisch selbst, darüber erhebt sich der Altar selbst mit dem Schrein, mit den Flügeln. Die andere Sache, die wichtig ist, ist, dass diese Figuren auch eine Identifikation von uns mit ihnen erlaubt. Es sind sehr menschliche Gestalten, die verschiedene Charakterzüge zeigen, verschiedene Physiognomien. Und wir können uns wirklich in diesen Figuren erkennen."
Natürlich dienten solche Altäre, mit ihren kunstvollen Tafeln dahinter, den sogenannten Retabeln, nicht nur der Eucharistie.
"Es hat sicherlich mit Theatralität zu tun und Inszenierung, auch Identifikation mit der Kirche. Und natürlich hat dann das Retabel hat auch die Funktion, den Rang der Kirche zu verkünden. Natürlich hat es auch mit lokalem Stolz zu tun."
Diese Zeiten sind, was den "mensa Domini" betrifft, passé. Heute soll das Abendmahl am Tisch des Herrn vor allem eine persönliche Erfahrung vermitteln.
Pfarrer Wenzel: "Ich erfahre etwas, ich nehme etwas mit. Nicht nur geistig, sondern auch schmeck-bar, fühlbar, anfassbar. So war Jesus Christus unter seinen Jüngern und Jüngerinnen unterwegs: anfassbar, fühlbar, erfahrbar, schmeckbar, merkbar. Auch das kann Abendmahl vermitteln. Gerade in dem wir miteinander essen, miteinander die Tischgemeinschaft aufrechterhalten, gehen wir auch als Gemeinschaft auseinander. Die zwar in vielen Dingen unterschiedlicher Meinung ist, aber die sich doch noch gegenseitig akzeptiert, und das Brot und den Wein miteinander teilt. Das finde ich unheimlich wichtig."
"Die Teilnahme am Leib und Blute Christi will nichts anderes, als dass wir uns in das verwandeln, was wir empfangen."
Leo I., römischer Papst und Kirchenlehrer.