Der Amazonas unter unseren Füßen
Weltweit ist unter der Erdoberfläche 60 bis 70 mal mehr Süßwasser gespeichert als in allen Flüssen, Seen und Feuchtgebieten des Planeten zusammen. Dieses Reservoir dient uns als Trinkwasser - und ist zugleich ein Lebensraum für mikroskopisch kleine Tiere, die das Ökosystem sauber halten.
Millimeterklein ist die Gestalt in der transparenten Plastikschale auf dem Labortisch von Hans-Jürgen Hahn. Der Grundwasserökologe von der Universität Koblenz-Landau schaut sich den bizarren Winzling unter dem Lichtmikroskop genauer an: Etliche Beinpaare, die hastig umherrudern; Antennen vorn am Kopf, die heftig zittern und vibrieren - alles ist in Bewegung an diesem weißen, milchig-trüben Wesen:
"Was wir hier sehen ist eine Grundwasserassel, eine entfernte Verwandte der Kellerassel. Sie sehen das ja auch: Sieht eigentlich aus wie eine Kellerassel, genauso breit, schön segmentiert, die Fühler – also in jeder Hinsicht eine Assel. Aber sie ist blind - keine Augen. Sie ist komplett durchscheinend. Sie sehen hier so weiße Punkte überall im Körper, das sind Fetteinlagerungen, Speicherstoffeinlagerungen für schlechte Zeiten."
Winzige Fettpolster im Gedärm einer Wasserassel - der ungetrübte Blick in den transparenten Körper gibt Aufschluss über seine Überlebensstrategie. Nahrung im Überfluss gibt es nicht, da muss der bleiche Winzling Vorräte anlegen, um in drangvoller Enge zu überleben:
Berkhoff: "Ja, das kann sehr eng werden. Wir haben häufig Porengrundwasser, also wo Lockergesteine, Sande und Kiese vorhanden sind. Das hängt dann davon ab natürlich, wie die Körnung ist; ob sehr kleine oder sehr große Lückenräume vorhanden sind; dann haben wir häufig Kluftgrundwasser, also Spalten im Gestein; und dadurch ist der Platzmangel natürlich ganz evident im Grundwasser."
Der Grundwasserökologe Sven Berkhoff erforscht in der Arbeitsgruppe von Hans-Jürgen Hahn einen der größten Lebensräume überhaupt - das Grundwasser. Weltweit ist im Untergrund 60 bis 70 Mal mehr Süßwasser gespeichert als in allen Flüssen, Seen und Feuchtgebieten des Planeten zusammen:
"Grundwasser ist sicher einer der größten kontinentalen Lebensräume, weil unter unseren Füßen befindet sich eigentlich fast überall Grundwasser. Es geht nicht nur in die Fläche, sondern natürlich auch in verschiedene Tiefen; Grundwasser kann nach wenige Zentimetern unterhalb des Bodens beginnen und kann viele tausend Metern unterhalb enden - sodass man sagen kann, dass das Ökosystem wirklich eines der Größten auf der Welt ist."
Trotz dieser Größe gibt es mehr Biologen, die über die Artenfülle in tropischen Regenwäldern Bescheid wissen als über das, was im Grundwasser geschieht. Dabei hat sich in der Dunkelheit zwischen Sandkörnern und Kieselsteinen eine erstaunliche Artenfülle etabliert.
Allein in Europa konnten die Biologen mehr als 2.000 Tierarten nachweisen - allesamt bizarre Gestalten mit langen, tentakelähnlichen Fühlern, stacheligen Beinen und haarigen Borsten: winzige Krebse und Würmer, Schnecken und Milben. Artenreich wie der Amazonas. Und mindestens genauso wichtig. Denn ohne diese Bewohner in dieser fein verästelten Welt gäbe es kein sauberes Grundwasser und damit auch kein Trinkwasser:
Berkhoff: "Man hat bei mehreren Untersuchungen festgestellt, dass die Tiere einen ganz wichtigen Beitrag leisten, um das Ökosystem Grundwasser sauber zu halten. Also, sie halten vor allen Dingen das Lückensystem sauber, indem sie abgestorbenes organisches Material wegfressen - was den Lückenraum verstopfen würde - und den Biofilm entfernen, der sich um Partikel bildet, also so Bakterienfilme, die dann von den Tieren abgegrast werden. Und daher leisten die einen ganz wichtigen Beitrag für die Reinhaltung des Grundwassers."
Diese Ökodienstleistung ist gratis - gleichwohl schaden wir diesen Lebensgemeinschaften, meist ohne es zu wissen: Im Bereich menschlicher Siedlungen verderben Fäkalkeime aus undichten Abwasserrohren das kostbare Nass, hinzu kommen Chemikalien, vor allem aus Altlasten und Industriebrachen. Auf dem Land belasten Landwirte mit giftigen Pestiziden und übermäßigen Düngergaben das Oberflächenwasser, das irgendwann in die Tiefe sickert.
Zwei tropfenförmige Tiere mit langen, borstenähnlichen Beinfortsätzen an den spitzen Enden begegnen sich im Labor von Hans-Jürgen in der nächsten Probe. Beides sind Ruderfußkrebse - "Megacyclops" genannt. Der eine ist winzig und transparent - ein typischer Grundwasserbewohner eben. Doch der andere ist deutlich größer, schillert in gelb-grünlichen Farbtönen und tastet sich mit zwei markanten Fühlern voran, die aussehen wie die gekrümmten Hörner eines Widders:
Hahn: "Dreimal so groß, farbig; wenn man genau hinguckt sieht man hier oben auch ein Auge, hier oben. Und wenn Sie jetzt da drauf gucken: Das linke ist eine Oberflächenart und das rechte ist eine Grundwasserart, dann ist das nichts anderes als Bio-Indikation: Die Probe, aus der diese Tiere stammen, ist keine reine Grundwasserprobe, sondern hier fließt Oberflächenwasser nach unten."
Nun ist jeder Tropfen im Grundwasser irgendwann mal von oben nach unten gesickert. Doch ein Problem kann das sein, wenn dieses Wasser an der Erdoberfläche mit Umweltgiften belastet wurde:
"Wenn Sie jetzt ein Wasserwerk betreiben und stellen so was fest, dann haben Sie zumindest die Aufgabe, sich intensiv um ihre Qualitätssicherung zu kümmern. Denn das Oberflächenwasser, das uns dieser Megacyclops anzeigt, bringt natürlich nicht nur den Megacyclops nach unten, sondern auch Keime und Schadstoffe, die dann direkt auch ein Problem für das Wasserwerk darstellen könnten."
Deswegen wäre es denkbar, diese Grundwassertiere als Bio-Indikatoren zu nutzen, als natürliche Anzeiger für die Qualität des geförderten Grundwassers. Je unverfälschter das Artenspektrum in einer Probe ist, desto reiner und naturbelassener ist dann auch das Grundwasser.
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Winzige Fettpolster im Gedärm einer Wasserassel - der ungetrübte Blick in den transparenten Körper gibt Aufschluss über seine Überlebensstrategie. Nahrung im Überfluss gibt es nicht, da muss der bleiche Winzling Vorräte anlegen, um in drangvoller Enge zu überleben:
Berkhoff: "Ja, das kann sehr eng werden. Wir haben häufig Porengrundwasser, also wo Lockergesteine, Sande und Kiese vorhanden sind. Das hängt dann davon ab natürlich, wie die Körnung ist; ob sehr kleine oder sehr große Lückenräume vorhanden sind; dann haben wir häufig Kluftgrundwasser, also Spalten im Gestein; und dadurch ist der Platzmangel natürlich ganz evident im Grundwasser."
Der Grundwasserökologe Sven Berkhoff erforscht in der Arbeitsgruppe von Hans-Jürgen Hahn einen der größten Lebensräume überhaupt - das Grundwasser. Weltweit ist im Untergrund 60 bis 70 Mal mehr Süßwasser gespeichert als in allen Flüssen, Seen und Feuchtgebieten des Planeten zusammen:
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Berkhoff: "Man hat bei mehreren Untersuchungen festgestellt, dass die Tiere einen ganz wichtigen Beitrag leisten, um das Ökosystem Grundwasser sauber zu halten. Also, sie halten vor allen Dingen das Lückensystem sauber, indem sie abgestorbenes organisches Material wegfressen - was den Lückenraum verstopfen würde - und den Biofilm entfernen, der sich um Partikel bildet, also so Bakterienfilme, die dann von den Tieren abgegrast werden. Und daher leisten die einen ganz wichtigen Beitrag für die Reinhaltung des Grundwassers."
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Zwei tropfenförmige Tiere mit langen, borstenähnlichen Beinfortsätzen an den spitzen Enden begegnen sich im Labor von Hans-Jürgen in der nächsten Probe. Beides sind Ruderfußkrebse - "Megacyclops" genannt. Der eine ist winzig und transparent - ein typischer Grundwasserbewohner eben. Doch der andere ist deutlich größer, schillert in gelb-grünlichen Farbtönen und tastet sich mit zwei markanten Fühlern voran, die aussehen wie die gekrümmten Hörner eines Widders:
Hahn: "Dreimal so groß, farbig; wenn man genau hinguckt sieht man hier oben auch ein Auge, hier oben. Und wenn Sie jetzt da drauf gucken: Das linke ist eine Oberflächenart und das rechte ist eine Grundwasserart, dann ist das nichts anderes als Bio-Indikation: Die Probe, aus der diese Tiere stammen, ist keine reine Grundwasserprobe, sondern hier fließt Oberflächenwasser nach unten."
Nun ist jeder Tropfen im Grundwasser irgendwann mal von oben nach unten gesickert. Doch ein Problem kann das sein, wenn dieses Wasser an der Erdoberfläche mit Umweltgiften belastet wurde:
"Wenn Sie jetzt ein Wasserwerk betreiben und stellen so was fest, dann haben Sie zumindest die Aufgabe, sich intensiv um ihre Qualitätssicherung zu kümmern. Denn das Oberflächenwasser, das uns dieser Megacyclops anzeigt, bringt natürlich nicht nur den Megacyclops nach unten, sondern auch Keime und Schadstoffe, die dann direkt auch ein Problem für das Wasserwerk darstellen könnten."
Deswegen wäre es denkbar, diese Grundwassertiere als Bio-Indikatoren zu nutzen, als natürliche Anzeiger für die Qualität des geförderten Grundwassers. Je unverfälschter das Artenspektrum in einer Probe ist, desto reiner und naturbelassener ist dann auch das Grundwasser.
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