Der amerikanischste aller Flüsse
Einen Hang zum Drama hatte der Hudson River schon immer - nicht erst seit der spektakulären Notlandung eines US-Passagierflugzeugs im vergangenen Jahr: An seinen Ufern fanden viele Kämpfe des Unabhängigkeitskrieges statt, und George Washington errichtete hier sein Hauptquartier. Als Handelsweg brachte er auch Reichtum und diente als Inspiration für Maler und Schriftsteller.
"Das Land ist das beste zur Bebauung, auf das ich je in meinem Leben einen Fuß gesetzt habe, und es bringt auch Bäume jeder Art im Überfluss hervor. Wir fuhren weiter und gingen an Land auf der westlichen Seite des Flusses und fanden guten Boden für Mais und Gartenkräuter mit großen Lagern von Schiefer und anderen guten Steinen."
Aus dem Logbuch von Henry Hudsons Entdeckungsfahrt.
Der englische Entdecker Henry Hudson gab dem Fluss seinen Namen. Der amerikanische Schriftsteller Hudson Talbott bekam seinen Namen von dem Fluss.
Hudson Talbott: "Für mich bedeutet der Hudson Inspiration. Als Amerikaner, und als jemand, der im Hudson Valley lebt und auch noch Hudson heißt, verkörpert er amerikanische Geschichte und die Idee vom amerikanischen Traum. Denn die Geschichte der USA ist die eines gelobten Landes, in dem Menschen reich werden und ihren Traum leben können, und das ist zum ersten Mal hier geschehen, im Hudson Valley."
Der Hudson nährt Träume, und er hat viele reich gemacht. Über drei Jahrhunderte war der Fluss Amerikas wichtigster Verkehrsweg, auf dem die Schiffe Handelswaren vom Landesinneren nach New York und von dort in die ganze Welt brachten. Eisenbahnen, 150 Wagen lange Güterzüge, rattern immer noch die Ufer entlang. Das Hudson Valley ist fruchtbares Land, ein Fjord, von Gletschern der Eiszeit geformt. Der Fluss bringt Süßwasser und Salzwasser aus dem Atlantik mit sich, die Gezeiten sind bis hoch nach Albany zu spüren, 250 Kilometer von New York entfernt. "Träne der Wolken", heißt der See in den Adirondack-Bergen, in dem der Hudson seinen Ursprung hat.
Folklegende Pete Seeger lebt am Hudson und hat ihn in vielen seiner Lieder besungen. Autor Hudson Talbott hat dem Fluss ein Buch gewidmet. Schon als kleiner Junge, als er weit weg in Kentucky in seinem Bett lag, träumte er von dem Fluss, dessen Namen er trägt. Jetzt sitzt der bärtige Mann auf einem Hügel hoch über einer Flussbiegung, er schaut auf die silbernen Wasser und auf die wogenden Hänge der Catskill Mountains am anderen Ufer - eine magische Stimmung.
Hudson Talbott: "Viele Orte in den Catskill Mountains haben diese Aura von Geheimnis und Mythos – sie waren den Indianern heilig. Das war Mohikaner-Land, und direkt hier am Fluss gab es viele Kämpfe mit den Mohawks, weil jeder diese Land wollte. Die Mohawks lebten weiter im Norden in den Adirondacks. Weiter im Süden waren die Lenni-Lenape, die Manhattan an Peter Minuit verkauft haben. Aber hier war Mohikaner-Land, sie nannten sich selbst 'Das Volk vom großen Fluss', weil ihre ganze Kultur auf dem Fluss basierte."
Der Fluss gab ihnen Fisch, reiche Böden und Wälder voller Tiere; sie lebten an seinen Uferhängen, und er war ihr Transportweg, wohin sie wollten, flussauf- oder flussabwärts, alles war möglich. Denn es war der "Mahekanituck", wie es in ihrer Sprache hieß, "der Fluss, der in beide Richtungen fließt", mit der Ebbe und mit der Flut.
Der Zug verlässt New York in Richtung Norden und fährt am Ufer des Flusses an seinen grünen Hängen entlang. Auf der Westseite sind die schroffen Klippen der Palisades zu sehen, auf der Ostseite lösen sumpfige Buchten und Yachthäfen sich ab, Bahnarbeiter sitzen auf Geländern und machen Kaffeepause.
In Auenwäldern bewachsen Ranken abgestorbene Bäume, kleine Rinnsale wollen sich mit dem großen Fluss vereinen. Alte Pierreste und abgesoffene Pontons liegen im Wasser. Fabriken mit geziegelten Schornsteinen wechseln sich mit Picknickplätzen am Wasser ab. Selten schwingt sich eine Brücke über die majestätische Weite.
Leuchttürme stehen auf Landzungen und Inseln, Inseln wie Bannerman Island mit einem veritablen verfallenen Schloss, das gut aus einem Gruselroman stammen könnte. Viele der Orts- und Straßennamen im Hudson Valley erzählen von der Herkunft der ersten Bewohner: Rensselaer, Defreetville und Watervliet, oder Rhinebeck, Hamburg, New Hamburg, Wurtemburg und Germantown.
Alle ihre Gründer hatten Träume: die meisten träumten von Freiheit.
"Ich heiße Otto Leuschel und habe in Germantown einen Supermarkt."
Germantown ist ein Ort mit der Kreuzung einer Bundesstraße, drei Tankstellen und einer Schule. Der Besuch von Assemblyman Joe Lopez ist ein großes Ereignis. Otto Leuschels Lebensmittelgeschäft ist auch die örtliche Nachrichtenzentrale.
Otto Leuschel: "Im 17. Jahrhundert gründeten Hugenotten aus der Pfalz den Ort, sie waren erst nach England geflohen, Queen Anne sandte sie dann in die Kolonien. Viele Einwohner sind Nachfahren der ersten Siedler aus der Pfalz, und darum heißt es Germantown."
Im Hudson Valley stolpert man bei jedem Schritt über Geschichte, sie fließt durch das Tal und kündet von vielen verwirklichten Träumen.
Die Militärakademie West Point thront grau und bedrohlich auf den steilen Klippen über dem Fluss. George Washington hatte hier während des Unabhängigkeitskrieges sein Hauptquartier aufgeschlagen, der Hudson ist an dieser Stelle 70 Meter tief, aber dafür sehr schmal und kurvig. Schiffe müssen ihre Fahrt verlangsamen, das machte sie damals zu leichten Zielen für Kanonen.
An Durchkommen war nicht zu denken, dafür sorgte auch Washingtons Uhrkette. So wurde die riesige Kette genannt, die sich quer über den Hudson spannte, jedes Glied 60 Zentimeter lang und 50 Kilogramm schwer. Die Briten zogen sich vom Hudson zurück und kämpften in Virginia weiter, wo sie schließlich geschlagen wurden. Der Traum der Unabhängigkeit wurde Wirklichkeit.
Noch vor den Briten hatten die Holländer hier geträumt - vom Handel. Viele ließen sich hier nieder, nachdem Henry Hudson im Auftrag der niederländischen Ost-Indien-Compagnie Bericht erstattet hatte von den fruchtbaren Böden und dem schwunghaften Pelzhandel mit den Indianern.
Hudson: "Bis ins 19. Jahrhundert wurde hier Holländisch gesprochen, ihre Kultur war lange prägend. Im Telefonbuch findet man Van Sluit, Van Wachten, Van Wedder - alle Van-Namen gibt es hier schon seit 300 oder 400 Jahren. Für uns im Hudson Valley sind die Niederlande das Mutterland, nicht Großbritannien. Das ist ein großer Unterschied, sie waren Händler, es ging nicht um Religion, sondern ums Geschäft. Eines ihrer Hauptprinzipien: Toleranz!"
Toleranz zahlte sich aus für die Holländer und ihre Nachfolger. Das Hudson Valley boomte, Schiffe drängten sich auf dem Fluss: Schoner, Barken und Schaluppen transportierten Waren von den Feldern und aus den neuen Fabriken hinab nach New York und von dort weiter in alle Welt.
Peebles Island, weit oben im Norden des Staates New York.
Ein altes Fabrikgebäude beherrscht das kleine Eiland. "Cluett, Peabody und Konsorten" haben einst Herrenhemden auf dieser Insel zwischen drei Wassern gefärbt: Hier mündet der Mohawk River in den Hudson, und hier beginnt der Erie Canal. Er verbindet seit 1825 den großen Fluss mit den Großen Seen
Paul Terry: "Der Kanal hat die ganze Gegend hier revolutioniert. Viele Fabriken siedelten sich im Norden an. Vorher waren sie nahe am Meer, an den Häfen. Der Kanal hat sie alle angelockt. Er bringt einen von hier bis nach Buffalo, und damit zu den großen Seen."
Der Kanal sei die Eintrittskarte zum Rest der Vereinigten Staaten, erzählt Paul Terry von der historischen Erie-Canal-Gesellschaft. Papiermühlen, Baumwollmühlen, Hemdenmanufakturen - plötzlich prägten sie das Bild der bis dahin ländlichen Gegend. Und Werften, die die Kanalboote bauten - schmal, lang und mit wenig Tiefgang.
Paul Terry: "Heute fahren vor allem Urlauber den Kanal entlang. Manchmal wird er auch noch industriell genutzt: Neulich mussten Turbinen für General Electric aus dem Süden hoch transportiert werden - die waren so groß und schwer, das wäre mit LKW nicht möglich gewesen. Also haben sie sie über den Kanal geschickt."
Heute verfallen viele der Industrieanlagen. An einer maroden Papiermühle prangt über eingeschmissenen Fensterscheiben das Banner: "Hier entstehen Luxuslofts!" Angekündigt für 2005.
Im 19. Jahrhundert komplettierten weitere Kanäle das Transportsystem. Kanadas Forstprodukte, Pennsylvanias Kohle, alles reihte sich in den Strom ein, der Hudson wurde zum Super-Highway.
New York, die Stadt am Ende des Flusses wuchs - praktischerweise wurden die Ziegel für die neuen emporstrebenden Bauten aus dem Uferlehm des Hudsons gefertigt. Im Winter, wenn der Fluss gefroren war, sattelten die Ziegelbrenner um und stachen das dicke Eis ab - in den Küchen und Salons von New Yorks High Society war großer Bedarf.
Hudson: "In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts herrschte ein Boom in Amerika, vor allem im Hudson Valley. Täglich wurde ein neuer Millionär gemacht, Wall Street wurde groß, Industrielle und Finanziers haben ihre Landsitze an den Ufern des Hudsons gebaut, die Eisenbahn-Imperien reichten von den Ufern des Hudson entlang und dann quer durch Amerika bis nach Kalifornien."
Franklin Delano Roosevelts Heim, die Villa von Samuel Morse, der Landsitz Wilderstein, den Juwelier Tiffany gestaltet hat, alle stehen auf den Hängen des Hudsons. Viele Landsitze – wie das Anwesen der Vanderbilts oder Lyndhurst, einst Wohnsitz des Eisenbahnmoguls Jay Gould - hatten einen Eisenbahnanschluss, so dass die Magnate schnell von der Wall Street in die Landidylle zurückkehren konnten. Den Kalkstein für die neogotische Fassade von Lyndhurst schlugen Häftlinge aus dem Gefängnis Sing Sing, weiter den Fluss hinauf. In diesem Zuchthaus endeten viele Träume: von Reichtum, Freiheit oder Macht.
Für andere wurden Träume wahr, auch für Hudson Talbott:
"Nach New York zu gehen, war schon ein Kindheitstraum. Mein Gute-Nacht-Gebet hieß: Lieber Gott, beschütze Mummy und Daddy und gib mir ein Pferd und lass mich nach New York gehen. Amen. Ich wusste nur, dass New York ein magischer Ort voller Möglichkeiten war, der am Hudson lag, es war mein Land der Träume. Und dann kam ich hierher, baute mir eine Karriere auf und kaufte ein Haus im Hudson Valley. Ich bin einer von vielen Träumern, die vom Hudson angelockt worden sind."
Jessy Kirk ist rasende Reporterin für einen lokalen Fernsehsender, sie ist viel unterwegs und kennt das Hudson Valley in- und auswendig
Kirk: "Für mich ist es eine der schönsten Gegenden der Welt. Ich bin zwar noch nicht viel rumgekommen, aber ich finde es hier am schönsten. Guck dir nur diese Aussichten an!"
Spricht sie, während sie in ihrem kleinen Nissan über eine Brücke saust. Der Fluss wälzt seine Wassermassen durch die grünen Hügel, an seinem Ufer rollen Güterzüge entlang, die Städtchen schmiegen sich malerisch an die Hänge.
Kick: "Ich bin buchstäblich unter jeder Brücke durchgefahren, von Battery Park in New York bis hoch nach Albany. Und wenn du auf so einem dominanten Gewässer in einem Boot sitzt, wird dir klar, wie klein wir in dieser Welt sind. Darum ist für mich der Fluss das Beste an unserer Region, nicht die Anwesen und historischen Gebäude oder Museen. Sie alle sind ja nur an diesem Fluss angesiedelt."
Die Bewohner des Hudson Valleys wissen, was ihr Fluss ihnen wert ist. Das war nicht immer so.
Hudson Talbott: "Der Hudson hat viele Menschen stinkreich gemacht; sie haben ihn nur zum Stinken gebracht. Jeder konnte einfach eine Fabrik errichten und die Abwässer direkt in den Fluss leiten. Es gab eine Autofabrik von General Motors direkt am Ufer, und der Fluss änderte seine Farbe, je nachdem, in welcher Farbe die Autos an dem Tag gerade lackiert wurden. Das ist eine so widerliche Haltung gegenüber der Natur, der Fluss war eine offene Toilette für sie!"
Von der industriellen Revolution an bis weit in die Sechzigerjahre flossen nicht nur Fäkalien in den Hudson, sondern auch Chemikalien und Gifte. Der Fischbestand sei bis heute ruiniert - selbst oben an der Mündung des Erie Canals, erzählt Paul Terry.
Paul Terry: "Wir haben zwar hier alle Arten, aber man kann die Fische nicht essen. Die Fabriken oben am Fluss haben die PCBs in den Fluss geleitet, in den Vierziger-, Fünfzigerjahren. Jetzt müssen sie das Wasser reinigen. Die Fische darf man weiterhin nur fangen und muss sie dann wieder reinwerfen."
Als es zum so genannten Storm King-Fall kam, war das Maß voll. 1963 wollte der Stromkonzern conEdison ein Kraftwerk bauen - in den Berg namens Storm King hinein. Der ragt wie ein Dom direkt aus dem Fluss hervor.
Hudson Talbott: "Aber eine Dame sagte: Wenn der Berg nicht für sich sprechen kann, dann spreche ich für ihn. Das war Franny Reese. Sie war die erste, die für die Umwelt sprach, niemand sonst hatte das bisher getan."
Es dauerte noch viele Jahre, bis der Stromkonzern seinen Plan aufgab. Aber in der Zwischenzeit war in der Bevölkerung ein Bewusstsein dafür entstanden, wie Menschen mit der Natur umgehen und dass sie sie schützen müssen. Die Umweltbewegung war geboren. Gesetze zum Schutz von Luft und Wasser, von Fauna und Flora folgten.
Der Folksänger und Hudson-Valley-Bewohner Pete Seeger kaufte die Schaluppe Clearwater und warb in der Öffentlichkeit für den Schutz der Gewässer. Viele Benefizkonzerte und das jährliche Clearwater-Festival unterstützen sein Engagement.
Jessi: "Sie haben diese Bewegung in Gang gesetzt, und sie geht immer weiter: Darum gibt es jetzt Parks wie hier in Poughkeepsie oder die Uferpromenade in Newburgh. Die Menschen sollen Zugang zum Wasser und saubere Ufer haben - wegen der Schönheit des Flusses, zur Erholung und aus geschichtlichen Gründen."
Aus dem Logbuch von Henry Hudsons Entdeckungsfahrt.
Der englische Entdecker Henry Hudson gab dem Fluss seinen Namen. Der amerikanische Schriftsteller Hudson Talbott bekam seinen Namen von dem Fluss.
Hudson Talbott: "Für mich bedeutet der Hudson Inspiration. Als Amerikaner, und als jemand, der im Hudson Valley lebt und auch noch Hudson heißt, verkörpert er amerikanische Geschichte und die Idee vom amerikanischen Traum. Denn die Geschichte der USA ist die eines gelobten Landes, in dem Menschen reich werden und ihren Traum leben können, und das ist zum ersten Mal hier geschehen, im Hudson Valley."
Der Hudson nährt Träume, und er hat viele reich gemacht. Über drei Jahrhunderte war der Fluss Amerikas wichtigster Verkehrsweg, auf dem die Schiffe Handelswaren vom Landesinneren nach New York und von dort in die ganze Welt brachten. Eisenbahnen, 150 Wagen lange Güterzüge, rattern immer noch die Ufer entlang. Das Hudson Valley ist fruchtbares Land, ein Fjord, von Gletschern der Eiszeit geformt. Der Fluss bringt Süßwasser und Salzwasser aus dem Atlantik mit sich, die Gezeiten sind bis hoch nach Albany zu spüren, 250 Kilometer von New York entfernt. "Träne der Wolken", heißt der See in den Adirondack-Bergen, in dem der Hudson seinen Ursprung hat.
Folklegende Pete Seeger lebt am Hudson und hat ihn in vielen seiner Lieder besungen. Autor Hudson Talbott hat dem Fluss ein Buch gewidmet. Schon als kleiner Junge, als er weit weg in Kentucky in seinem Bett lag, träumte er von dem Fluss, dessen Namen er trägt. Jetzt sitzt der bärtige Mann auf einem Hügel hoch über einer Flussbiegung, er schaut auf die silbernen Wasser und auf die wogenden Hänge der Catskill Mountains am anderen Ufer - eine magische Stimmung.
Hudson Talbott: "Viele Orte in den Catskill Mountains haben diese Aura von Geheimnis und Mythos – sie waren den Indianern heilig. Das war Mohikaner-Land, und direkt hier am Fluss gab es viele Kämpfe mit den Mohawks, weil jeder diese Land wollte. Die Mohawks lebten weiter im Norden in den Adirondacks. Weiter im Süden waren die Lenni-Lenape, die Manhattan an Peter Minuit verkauft haben. Aber hier war Mohikaner-Land, sie nannten sich selbst 'Das Volk vom großen Fluss', weil ihre ganze Kultur auf dem Fluss basierte."
Der Fluss gab ihnen Fisch, reiche Böden und Wälder voller Tiere; sie lebten an seinen Uferhängen, und er war ihr Transportweg, wohin sie wollten, flussauf- oder flussabwärts, alles war möglich. Denn es war der "Mahekanituck", wie es in ihrer Sprache hieß, "der Fluss, der in beide Richtungen fließt", mit der Ebbe und mit der Flut.
Der Zug verlässt New York in Richtung Norden und fährt am Ufer des Flusses an seinen grünen Hängen entlang. Auf der Westseite sind die schroffen Klippen der Palisades zu sehen, auf der Ostseite lösen sumpfige Buchten und Yachthäfen sich ab, Bahnarbeiter sitzen auf Geländern und machen Kaffeepause.
In Auenwäldern bewachsen Ranken abgestorbene Bäume, kleine Rinnsale wollen sich mit dem großen Fluss vereinen. Alte Pierreste und abgesoffene Pontons liegen im Wasser. Fabriken mit geziegelten Schornsteinen wechseln sich mit Picknickplätzen am Wasser ab. Selten schwingt sich eine Brücke über die majestätische Weite.
Leuchttürme stehen auf Landzungen und Inseln, Inseln wie Bannerman Island mit einem veritablen verfallenen Schloss, das gut aus einem Gruselroman stammen könnte. Viele der Orts- und Straßennamen im Hudson Valley erzählen von der Herkunft der ersten Bewohner: Rensselaer, Defreetville und Watervliet, oder Rhinebeck, Hamburg, New Hamburg, Wurtemburg und Germantown.
Alle ihre Gründer hatten Träume: die meisten träumten von Freiheit.
"Ich heiße Otto Leuschel und habe in Germantown einen Supermarkt."
Germantown ist ein Ort mit der Kreuzung einer Bundesstraße, drei Tankstellen und einer Schule. Der Besuch von Assemblyman Joe Lopez ist ein großes Ereignis. Otto Leuschels Lebensmittelgeschäft ist auch die örtliche Nachrichtenzentrale.
Otto Leuschel: "Im 17. Jahrhundert gründeten Hugenotten aus der Pfalz den Ort, sie waren erst nach England geflohen, Queen Anne sandte sie dann in die Kolonien. Viele Einwohner sind Nachfahren der ersten Siedler aus der Pfalz, und darum heißt es Germantown."
Im Hudson Valley stolpert man bei jedem Schritt über Geschichte, sie fließt durch das Tal und kündet von vielen verwirklichten Träumen.
Die Militärakademie West Point thront grau und bedrohlich auf den steilen Klippen über dem Fluss. George Washington hatte hier während des Unabhängigkeitskrieges sein Hauptquartier aufgeschlagen, der Hudson ist an dieser Stelle 70 Meter tief, aber dafür sehr schmal und kurvig. Schiffe müssen ihre Fahrt verlangsamen, das machte sie damals zu leichten Zielen für Kanonen.
An Durchkommen war nicht zu denken, dafür sorgte auch Washingtons Uhrkette. So wurde die riesige Kette genannt, die sich quer über den Hudson spannte, jedes Glied 60 Zentimeter lang und 50 Kilogramm schwer. Die Briten zogen sich vom Hudson zurück und kämpften in Virginia weiter, wo sie schließlich geschlagen wurden. Der Traum der Unabhängigkeit wurde Wirklichkeit.
Noch vor den Briten hatten die Holländer hier geträumt - vom Handel. Viele ließen sich hier nieder, nachdem Henry Hudson im Auftrag der niederländischen Ost-Indien-Compagnie Bericht erstattet hatte von den fruchtbaren Böden und dem schwunghaften Pelzhandel mit den Indianern.
Hudson: "Bis ins 19. Jahrhundert wurde hier Holländisch gesprochen, ihre Kultur war lange prägend. Im Telefonbuch findet man Van Sluit, Van Wachten, Van Wedder - alle Van-Namen gibt es hier schon seit 300 oder 400 Jahren. Für uns im Hudson Valley sind die Niederlande das Mutterland, nicht Großbritannien. Das ist ein großer Unterschied, sie waren Händler, es ging nicht um Religion, sondern ums Geschäft. Eines ihrer Hauptprinzipien: Toleranz!"
Toleranz zahlte sich aus für die Holländer und ihre Nachfolger. Das Hudson Valley boomte, Schiffe drängten sich auf dem Fluss: Schoner, Barken und Schaluppen transportierten Waren von den Feldern und aus den neuen Fabriken hinab nach New York und von dort weiter in alle Welt.
Peebles Island, weit oben im Norden des Staates New York.
Ein altes Fabrikgebäude beherrscht das kleine Eiland. "Cluett, Peabody und Konsorten" haben einst Herrenhemden auf dieser Insel zwischen drei Wassern gefärbt: Hier mündet der Mohawk River in den Hudson, und hier beginnt der Erie Canal. Er verbindet seit 1825 den großen Fluss mit den Großen Seen
Paul Terry: "Der Kanal hat die ganze Gegend hier revolutioniert. Viele Fabriken siedelten sich im Norden an. Vorher waren sie nahe am Meer, an den Häfen. Der Kanal hat sie alle angelockt. Er bringt einen von hier bis nach Buffalo, und damit zu den großen Seen."
Der Kanal sei die Eintrittskarte zum Rest der Vereinigten Staaten, erzählt Paul Terry von der historischen Erie-Canal-Gesellschaft. Papiermühlen, Baumwollmühlen, Hemdenmanufakturen - plötzlich prägten sie das Bild der bis dahin ländlichen Gegend. Und Werften, die die Kanalboote bauten - schmal, lang und mit wenig Tiefgang.
Paul Terry: "Heute fahren vor allem Urlauber den Kanal entlang. Manchmal wird er auch noch industriell genutzt: Neulich mussten Turbinen für General Electric aus dem Süden hoch transportiert werden - die waren so groß und schwer, das wäre mit LKW nicht möglich gewesen. Also haben sie sie über den Kanal geschickt."
Heute verfallen viele der Industrieanlagen. An einer maroden Papiermühle prangt über eingeschmissenen Fensterscheiben das Banner: "Hier entstehen Luxuslofts!" Angekündigt für 2005.
Im 19. Jahrhundert komplettierten weitere Kanäle das Transportsystem. Kanadas Forstprodukte, Pennsylvanias Kohle, alles reihte sich in den Strom ein, der Hudson wurde zum Super-Highway.
New York, die Stadt am Ende des Flusses wuchs - praktischerweise wurden die Ziegel für die neuen emporstrebenden Bauten aus dem Uferlehm des Hudsons gefertigt. Im Winter, wenn der Fluss gefroren war, sattelten die Ziegelbrenner um und stachen das dicke Eis ab - in den Küchen und Salons von New Yorks High Society war großer Bedarf.
Hudson: "In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts herrschte ein Boom in Amerika, vor allem im Hudson Valley. Täglich wurde ein neuer Millionär gemacht, Wall Street wurde groß, Industrielle und Finanziers haben ihre Landsitze an den Ufern des Hudsons gebaut, die Eisenbahn-Imperien reichten von den Ufern des Hudson entlang und dann quer durch Amerika bis nach Kalifornien."
Franklin Delano Roosevelts Heim, die Villa von Samuel Morse, der Landsitz Wilderstein, den Juwelier Tiffany gestaltet hat, alle stehen auf den Hängen des Hudsons. Viele Landsitze – wie das Anwesen der Vanderbilts oder Lyndhurst, einst Wohnsitz des Eisenbahnmoguls Jay Gould - hatten einen Eisenbahnanschluss, so dass die Magnate schnell von der Wall Street in die Landidylle zurückkehren konnten. Den Kalkstein für die neogotische Fassade von Lyndhurst schlugen Häftlinge aus dem Gefängnis Sing Sing, weiter den Fluss hinauf. In diesem Zuchthaus endeten viele Träume: von Reichtum, Freiheit oder Macht.
Für andere wurden Träume wahr, auch für Hudson Talbott:
"Nach New York zu gehen, war schon ein Kindheitstraum. Mein Gute-Nacht-Gebet hieß: Lieber Gott, beschütze Mummy und Daddy und gib mir ein Pferd und lass mich nach New York gehen. Amen. Ich wusste nur, dass New York ein magischer Ort voller Möglichkeiten war, der am Hudson lag, es war mein Land der Träume. Und dann kam ich hierher, baute mir eine Karriere auf und kaufte ein Haus im Hudson Valley. Ich bin einer von vielen Träumern, die vom Hudson angelockt worden sind."
Jessy Kirk ist rasende Reporterin für einen lokalen Fernsehsender, sie ist viel unterwegs und kennt das Hudson Valley in- und auswendig
Kirk: "Für mich ist es eine der schönsten Gegenden der Welt. Ich bin zwar noch nicht viel rumgekommen, aber ich finde es hier am schönsten. Guck dir nur diese Aussichten an!"
Spricht sie, während sie in ihrem kleinen Nissan über eine Brücke saust. Der Fluss wälzt seine Wassermassen durch die grünen Hügel, an seinem Ufer rollen Güterzüge entlang, die Städtchen schmiegen sich malerisch an die Hänge.
Kick: "Ich bin buchstäblich unter jeder Brücke durchgefahren, von Battery Park in New York bis hoch nach Albany. Und wenn du auf so einem dominanten Gewässer in einem Boot sitzt, wird dir klar, wie klein wir in dieser Welt sind. Darum ist für mich der Fluss das Beste an unserer Region, nicht die Anwesen und historischen Gebäude oder Museen. Sie alle sind ja nur an diesem Fluss angesiedelt."
Die Bewohner des Hudson Valleys wissen, was ihr Fluss ihnen wert ist. Das war nicht immer so.
Hudson Talbott: "Der Hudson hat viele Menschen stinkreich gemacht; sie haben ihn nur zum Stinken gebracht. Jeder konnte einfach eine Fabrik errichten und die Abwässer direkt in den Fluss leiten. Es gab eine Autofabrik von General Motors direkt am Ufer, und der Fluss änderte seine Farbe, je nachdem, in welcher Farbe die Autos an dem Tag gerade lackiert wurden. Das ist eine so widerliche Haltung gegenüber der Natur, der Fluss war eine offene Toilette für sie!"
Von der industriellen Revolution an bis weit in die Sechzigerjahre flossen nicht nur Fäkalien in den Hudson, sondern auch Chemikalien und Gifte. Der Fischbestand sei bis heute ruiniert - selbst oben an der Mündung des Erie Canals, erzählt Paul Terry.
Paul Terry: "Wir haben zwar hier alle Arten, aber man kann die Fische nicht essen. Die Fabriken oben am Fluss haben die PCBs in den Fluss geleitet, in den Vierziger-, Fünfzigerjahren. Jetzt müssen sie das Wasser reinigen. Die Fische darf man weiterhin nur fangen und muss sie dann wieder reinwerfen."
Als es zum so genannten Storm King-Fall kam, war das Maß voll. 1963 wollte der Stromkonzern conEdison ein Kraftwerk bauen - in den Berg namens Storm King hinein. Der ragt wie ein Dom direkt aus dem Fluss hervor.
Hudson Talbott: "Aber eine Dame sagte: Wenn der Berg nicht für sich sprechen kann, dann spreche ich für ihn. Das war Franny Reese. Sie war die erste, die für die Umwelt sprach, niemand sonst hatte das bisher getan."
Es dauerte noch viele Jahre, bis der Stromkonzern seinen Plan aufgab. Aber in der Zwischenzeit war in der Bevölkerung ein Bewusstsein dafür entstanden, wie Menschen mit der Natur umgehen und dass sie sie schützen müssen. Die Umweltbewegung war geboren. Gesetze zum Schutz von Luft und Wasser, von Fauna und Flora folgten.
Der Folksänger und Hudson-Valley-Bewohner Pete Seeger kaufte die Schaluppe Clearwater und warb in der Öffentlichkeit für den Schutz der Gewässer. Viele Benefizkonzerte und das jährliche Clearwater-Festival unterstützen sein Engagement.
Jessi: "Sie haben diese Bewegung in Gang gesetzt, und sie geht immer weiter: Darum gibt es jetzt Parks wie hier in Poughkeepsie oder die Uferpromenade in Newburgh. Die Menschen sollen Zugang zum Wasser und saubere Ufer haben - wegen der Schönheit des Flusses, zur Erholung und aus geschichtlichen Gründen."