Jens Liljestrand: "Der Anfang von morgen"

Depressiver Klima-Nihilismus

05:39 Minuten
Cover des Romans "Der Anfang von morgen" von Jens Liljestrand.
© S. Fischer

Jens Liljestrand

Aus dem Schwedischen von Thorsten Alms, Karoline Hippe und Franziska Hüther

Der Anfang von morgenS.Fischer, Frankfurt 2022

544 Seiten

24,00 Euro

Von Patrick Wellinski |
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Jen Liljestrand erzählt in „Der Anfang von morgen“ von einem Waldbrandsommer in Schweden. Der Klimawandel bringt den Menschen Ohnmacht, Leid und Tod: bleischwere Feel-bad-Prosa, von der nichts anderes bleibt als Resignation.
Ein brütend heißer Sommer in Europa. Die Temperaturen sinken nie unter 30 Grad. Die Folgen für die Natur sind seit Jahren verheerend. Das 1,5 Grad-Ziel wurde nicht erreicht. Ende August brechen in Schweden mörderische Waldbrände aus, die die Bäume im Land förmlich explodieren lassen.
Vor diesem apokalyptischen Flammenmeer flüchtet Didrik mit seiner Frau und den drei Kindern. Eigentlich wollten sie einen Urlaub am See verbringen, doch jetzt sind sie Klimaflüchtlinge im eignen Land. In dem Chaos der Flucht verliert sich die Familie aus Augen.

Die fundamentalen Folgen des Klimawandels

Während Didrik mit seinem jüngsten Kind mit dem Zug in die Stadt fliehen kann, bleibt seine Frau mit den beiden anderen Kindern in einem Flüchtlingscamp zurück, ohne zu wissen, dass ihr Mann sich in die Arme seiner Liebhaberin Melissa begibt. Zeitgleich hadert der dicke André - Sohn einer schwedischen Tennislegende - mit dem hedonistischen Leben seines Vaters und rächt sich mit einem klimaaktivistischen Raubzug.
Doch den fundamentalen Folgen des Klimawandels können letztlich alle nicht entkommen.
Begleittext zu Fridays for Future
Dem schwedischen Roman „Der Anfang von morgen“ geht ein kleiner Hype voraus. Schließlich thematisiert der Text direkt und akut die Folgen des Klimawandels, den wir mit Dürresommern, Flutkatastrophen und Waldbränden bereits zu spüren bekommen.
Es ist ein Roman wie ein Begleittext zu Fridays for Future; und das auch noch aus dem Heimatland der ikonischen Klimaaktivistin Greta Thunberg. Das kann sich kein Verlag entgehen lassen.

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Der Autor Sven Liljestrand erzählt seine leicht in eine nicht allzu ferne Zukunft verlegte Handlung aus der Sicht von vier Protagonisten, die die fatalen Auswirkungen eines großen Waldbrandes in Schweden erleben. Didrik, seine älteste Tochter Vilja, Didriks Influencer-Affäre Melissa und der Tennisstar-Sohn André sind wütend auf das bodenlose Versagen der Politik und die älteren Generationen. Alle Zeichen des Klimawandels wurden ignoriert und jetzt leiden die Menschen, flüchten, sterben.
In ausufernden, inneren Monologen lassen die Figuren des Romans ihrer Enttäuschung freien Lauf. Sie fühlen sich allein gelassen, finden keinen lebenswerten Gedanken, keinen Funken Hoffnung. Wozu noch leben?
Ein Bad im Ohnmachtsgefühl
Man könnte sagen, sie alle leiden an Sostalgie, jenem belastenden Gefühl gegenüber der Veränderung und Zerstörung der Welt. „Der Anfang von morgen“ badet förmlich in diesen Ohnmachtsgefühlen, die bei allen Figuren allerdings sehr ähnlich sind. Das liegt auch daran, dass Didrik, Melissa, André und Vilja keine unterschiedlichen Sprachen für ihre Seelenlage haben. Sie deklamieren gebetsmühlenartig alle bekannten klimaethischen Fakten und Warnsignale. Sie wiederholen sich dabei, so dass man sie letztlich in ihrer Haltung kaum unterscheiden kann.
Liljestrand kaschiert diese erzählerische Monotonie mit einer filmischen Cliffhanger-Dramaturgie, die aber seltsam ziellos in der Luft hängen bleibt. Allzu oft wirken seine Figuren wie Platzhalter für mahnende, publizistische Einlassungen, die letztlich nur in die allzu bekannte Generationenklage münden: Wieso habt ihr nichts gemacht?
Da hilft es auch wenig, dass zum Beispiel Didrik mit seiner Fremdgeherfahrung durchaus Zeichen des Widerstands gegen sein ultra-klimagerechtes Leben zeigt. Er zerbricht letztlich an seinen hedonistischen Bedürfnissen und der Pflicht, ein klimaneutrales Leben zu führen. An diesen - viel zu selten sichtbaren - moralisch nachvollziehbaren Bruchkanten wird im Roman deutlich, welchen Preis individueller Verzicht haben kann, und wie wenig er letztlich nützt, wenn die Wälder längst brennen.
Nihilistisch und ermüdend
Wirklich problematisch wird Liljestrands Text allerdings dann, wenn man sich vor Augen führt, dass er nur Figuren schildert, die sich schämen, Mensch zu sein. Besser wäre es, wägt Didrik einmal ab, gar nicht geboren worden zu sein. Das sind schon gewaltige philosophische Gedankenspiele, denen der Autor erzählerisch nicht gewachsen ist. Denn die Folgen dieses angedeuteten nihilistischen Antinatalismus sind Stillstand und Depression.
„Der Anfang vom morgen“ täuscht daher nur vor, ein dystopisch gefärbtes und mahnendes Manifest gegen die Zerstörung unseres Planeten zu sein. Im Grunde ist es ein Plädoyer gegen den Überlebenswillen des Menschen. Wie sich aus dieser bleischweren, fast 600 Seiten langen Resignation ein Aufbäumen gegen den Klimawandel ableiten leiten lassen soll, gar ein - wie der Titel suggeriert - Neuanfang, das bleibt nach der Lektüre dieser Feel-bad-Prosa ein Rätsel.
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