"Der Annan-Plan allein reicht nicht"
Die Leiterin des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul, Ulrike Dufner, sieht in der Konferenz der "Freunde Syriens" ein Signal an die Vereinten Nationen, den Druck auf das Assad-Regime zu verstärken - am besten mit einem weiteren Beschluss des UN-Sicherheitsrates.
Marcus Pindur: Die Gewalt in Syrien sei unerträglich, sie müsse endlich gestoppt werden und es gebe einen klaren Verantwortlichen für diese Gewalt, nämlich das Regime von Assad – so Außenminister Westerwelle auf der Konferenz der Freunde Syriens, einer Koalition von Staaten, die das syrische Regime jetzt stärker unter Druck setzen will. Gestern wurden in Istanbul unter anderem neue Sanktionen beraten, langsam schließt sich ein diplomatischer Belagerungsring um das Regime in Damaskus und von dem hofft man, dass er früher oder später auch Früchte trägt.
Ich begrüße jetzt Dr. Ulrike Dufner, sie ist die Geschäftsführerin der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul, guten Morgen, Frau Dufner!
Ulrike Dufner: Guten Morgen!
Pindur: Viel Substanzielles kam ja auf dieser Konferenz auf den ersten Blick zumindest nicht raus: Es soll jetzt eine Arbeitsgruppe über neue Sanktionen beraten. Wie bewerten Sie denn die Ergebnisse dieser Konferenz?
Dufner: Ich glaube, es konnte letztlich auf dieser Konferenz zunächst erst mal nicht wesentlich mehr herauskommen. Das war, glaube ich, eher auch ein Signal an die UNO, zu sagen, der Annan-Plan, so wie er jetzt ist, reicht letztlich nicht. Es wurde ja von dem türkischen Außenminister in der Eröffnungsrede sehr deutlich kritisiert, dass es keinen Zeitplan gibt, dass es auch keine Sanktionen eben gibt in diesem Plan, der gegebenenfalls die syrische Regierung dazu zwingen könnte, die Waffen schweigen zu lassen.
Insofern ist das ein Versuch, über den Annan-Plan hinaus weiter Druck auszuüben und auch gegenüber der UNO deutlich zu sagen, der Annan-Plan allein reicht nicht, wir brauchen einen weiteren Beschluss des UN-Sicherheitsrates. Und zumindest auf türkischer Seite wurde deutlich auch gesagt, sollte dieser eben nicht erfolgen, gäbe es eben auch eine Coalition of the Willings – es waren ja immerhin Vertreter von 83 Ländern hier –, gegebenenfalls auch weitere Schritte ohne UN-Sicherheitsratsbeschluss hinzunehmen.
Pindur: Man will sich von Assad also nicht weiter an der Nase herumführen lassen. Welche Druckmittel hat man denn aber konkret in der Hand?
Dufner: Ich glaube zunächst einmal, das ist eben genau das Dilemma, in dem alle stehen und in dem natürlich insbesondere die zur Regionalmacht gerne aufstrebende Türkei selber steht: Man hat eigentlich nicht wirklich viele Druckmittel in der Hand. Das Einzige, was man hofft, ist, dass die syrische Opposition sich vereinen wird in der nächsten Zukunft, und man hofft letztlich, eigentlich diese zu unterstützen und darüber das Regime in die Zange zu nehmen. Das ist, glaube ich, das Stärkste. Es zeichnet sich ab, dass man sagt, man möchte Sanktionen, aber wir wissen ja auch von der Türkei, wie schwierig es ist, oder auch aus anderen Fällen, wie schwierig ist, ein Sanktionsregime aufrechtzuerhalten.
Pindur: Wenn man die Aussagen des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan auf der Konferenz und die von Außenminister Westerwelle nebeneinanderstellt und vergleicht, dann stellt man fest, dass Erdogan in der Rhetorik auf jeden Fall sehr viel schärfer ist. Vermuten Sie, dass die türkische Regierung sich auch auf die Beteiligung an einem bewaffneten Konflikt in Syrien vorbereitet, auf welche Art auch immer?
Dufner: Nun, man hat gehört, dass zumindest für einen Monat der zivile Luftverkehr nach Syrien eingestellt wurde. Ob man das als ein Signal in diese Richtung werten soll oder nicht, würde ich offen lassen. Aber es ist doch ein, denke ich, nicht unbedeutender Schritt, aber ich glaube gegenwärtig, ohne sozusagen eine größere Koalition würde sich die Türkei in ein solches Unterfangen nicht einlassen wollen. Zu sehr würde sie, glaube ich, dann auch mit ihrem weiteren Nachbarn, mit dem Iran und natürlich auch mit Irak in Schwierigkeiten geraten. Das ist ein Pulverfass, in dem die Türkei sich befindet zurzeit, und alles deutet darauf hin, dass die Türkei davon erst mal absehen wird.
Pindur: Glauben Sie auch, dass das ausschließt, dass es Waffenlieferungen geben wird aus der Türkei an die syrische Opposition?
Dufner: Das halte ich für eher wahrscheinlich. Man hört ja auch, dass sozusagen gerade die Türkei ja als Erste ja relativ stark auch noch mal gesagt hat, dass sie den syrischen Nationalrat als die Vertretung der syrischen Bevölkerung ansieht, und nicht als eine Vertretung. Das unterscheidet sich ja auch von dem Beschluss auf der Konferenz: Die Türkei will eben auch, dass sich sozusagen die syrische Opposition, die sich ja an der Grenze zu Syrien eben auch militärisch organisiert, dass diese sich sozusagen zusammenschließt. Und ich glaube, man möchte und würde wahrscheinlich zu diesem Schritt diesen ... quasi diese bewaffneten Truppen zu unterstützen, eben auch militärisch als ... Das halte ich für die wahrscheinlichste Variante, ja.
Pindur: Es ist erstaunlich, wie schnell und radikal sich die Politik Erdogans gedreht hat, denn jahrelang hat er ja enge Beziehungen zu Assad gesucht, hat damit auch das Regime dort stabilisiert. Jetzt findet man Erdogan auf einmal an der Spitze der syrischen Revolution. Welches Kalkül steht Ihrer Ansicht nach hinter dieser Politik?
Dufner: Sie müssen sich vorstellen, wir sind wirklich tatsächlich umringt von einem Faktor der Instabilität. Die Drohung Israels und die Diskussion darüber, ob es einen israelischen Schlag gegen den Iran gibt, die Aufforderung an die Türkei, die Sanktionen gegenüber dem Iran zu verstärken beziehungsweise überhaupt erst richtig einzusetzen, die Tatsache, dass es auch im Irak selbst nicht wirklich eine stabile Situation ist, und Syrien zunehmend ja auch quasi in den Fokus dieser verschiedenen Interessen gerät, lässt der Türkei, glaube ich, gar keine Alternative, als zu versuchen, hier eine entscheidende Rolle zu spielen.
Insbesondere natürlich auch vor dem Hintergrund, dass die Türkei, glaube ich, starke Sorge hat, die kurdische Opposition sozusagen, die ja auch angekündigt hat, eine nationale Kurdenkonferenz im Irak demnächst abzuhalten, dass die sich erneut zusammenschließen könnte. Das heißt, die Türkei hat ein großes Interesse, sozusagen ein Player zu bleiben, um die Entwicklung der Region in ihrem Sinne mit beeinflussen zu können.
Pindur: Frau Dufner, vielen Dank für das Gespräch!
Dufner: Gerne geschehen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Ich begrüße jetzt Dr. Ulrike Dufner, sie ist die Geschäftsführerin der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul, guten Morgen, Frau Dufner!
Ulrike Dufner: Guten Morgen!
Pindur: Viel Substanzielles kam ja auf dieser Konferenz auf den ersten Blick zumindest nicht raus: Es soll jetzt eine Arbeitsgruppe über neue Sanktionen beraten. Wie bewerten Sie denn die Ergebnisse dieser Konferenz?
Dufner: Ich glaube, es konnte letztlich auf dieser Konferenz zunächst erst mal nicht wesentlich mehr herauskommen. Das war, glaube ich, eher auch ein Signal an die UNO, zu sagen, der Annan-Plan, so wie er jetzt ist, reicht letztlich nicht. Es wurde ja von dem türkischen Außenminister in der Eröffnungsrede sehr deutlich kritisiert, dass es keinen Zeitplan gibt, dass es auch keine Sanktionen eben gibt in diesem Plan, der gegebenenfalls die syrische Regierung dazu zwingen könnte, die Waffen schweigen zu lassen.
Insofern ist das ein Versuch, über den Annan-Plan hinaus weiter Druck auszuüben und auch gegenüber der UNO deutlich zu sagen, der Annan-Plan allein reicht nicht, wir brauchen einen weiteren Beschluss des UN-Sicherheitsrates. Und zumindest auf türkischer Seite wurde deutlich auch gesagt, sollte dieser eben nicht erfolgen, gäbe es eben auch eine Coalition of the Willings – es waren ja immerhin Vertreter von 83 Ländern hier –, gegebenenfalls auch weitere Schritte ohne UN-Sicherheitsratsbeschluss hinzunehmen.
Pindur: Man will sich von Assad also nicht weiter an der Nase herumführen lassen. Welche Druckmittel hat man denn aber konkret in der Hand?
Dufner: Ich glaube zunächst einmal, das ist eben genau das Dilemma, in dem alle stehen und in dem natürlich insbesondere die zur Regionalmacht gerne aufstrebende Türkei selber steht: Man hat eigentlich nicht wirklich viele Druckmittel in der Hand. Das Einzige, was man hofft, ist, dass die syrische Opposition sich vereinen wird in der nächsten Zukunft, und man hofft letztlich, eigentlich diese zu unterstützen und darüber das Regime in die Zange zu nehmen. Das ist, glaube ich, das Stärkste. Es zeichnet sich ab, dass man sagt, man möchte Sanktionen, aber wir wissen ja auch von der Türkei, wie schwierig es ist, oder auch aus anderen Fällen, wie schwierig ist, ein Sanktionsregime aufrechtzuerhalten.
Pindur: Wenn man die Aussagen des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan auf der Konferenz und die von Außenminister Westerwelle nebeneinanderstellt und vergleicht, dann stellt man fest, dass Erdogan in der Rhetorik auf jeden Fall sehr viel schärfer ist. Vermuten Sie, dass die türkische Regierung sich auch auf die Beteiligung an einem bewaffneten Konflikt in Syrien vorbereitet, auf welche Art auch immer?
Dufner: Nun, man hat gehört, dass zumindest für einen Monat der zivile Luftverkehr nach Syrien eingestellt wurde. Ob man das als ein Signal in diese Richtung werten soll oder nicht, würde ich offen lassen. Aber es ist doch ein, denke ich, nicht unbedeutender Schritt, aber ich glaube gegenwärtig, ohne sozusagen eine größere Koalition würde sich die Türkei in ein solches Unterfangen nicht einlassen wollen. Zu sehr würde sie, glaube ich, dann auch mit ihrem weiteren Nachbarn, mit dem Iran und natürlich auch mit Irak in Schwierigkeiten geraten. Das ist ein Pulverfass, in dem die Türkei sich befindet zurzeit, und alles deutet darauf hin, dass die Türkei davon erst mal absehen wird.
Pindur: Glauben Sie auch, dass das ausschließt, dass es Waffenlieferungen geben wird aus der Türkei an die syrische Opposition?
Dufner: Das halte ich für eher wahrscheinlich. Man hört ja auch, dass sozusagen gerade die Türkei ja als Erste ja relativ stark auch noch mal gesagt hat, dass sie den syrischen Nationalrat als die Vertretung der syrischen Bevölkerung ansieht, und nicht als eine Vertretung. Das unterscheidet sich ja auch von dem Beschluss auf der Konferenz: Die Türkei will eben auch, dass sich sozusagen die syrische Opposition, die sich ja an der Grenze zu Syrien eben auch militärisch organisiert, dass diese sich sozusagen zusammenschließt. Und ich glaube, man möchte und würde wahrscheinlich zu diesem Schritt diesen ... quasi diese bewaffneten Truppen zu unterstützen, eben auch militärisch als ... Das halte ich für die wahrscheinlichste Variante, ja.
Pindur: Es ist erstaunlich, wie schnell und radikal sich die Politik Erdogans gedreht hat, denn jahrelang hat er ja enge Beziehungen zu Assad gesucht, hat damit auch das Regime dort stabilisiert. Jetzt findet man Erdogan auf einmal an der Spitze der syrischen Revolution. Welches Kalkül steht Ihrer Ansicht nach hinter dieser Politik?
Dufner: Sie müssen sich vorstellen, wir sind wirklich tatsächlich umringt von einem Faktor der Instabilität. Die Drohung Israels und die Diskussion darüber, ob es einen israelischen Schlag gegen den Iran gibt, die Aufforderung an die Türkei, die Sanktionen gegenüber dem Iran zu verstärken beziehungsweise überhaupt erst richtig einzusetzen, die Tatsache, dass es auch im Irak selbst nicht wirklich eine stabile Situation ist, und Syrien zunehmend ja auch quasi in den Fokus dieser verschiedenen Interessen gerät, lässt der Türkei, glaube ich, gar keine Alternative, als zu versuchen, hier eine entscheidende Rolle zu spielen.
Insbesondere natürlich auch vor dem Hintergrund, dass die Türkei, glaube ich, starke Sorge hat, die kurdische Opposition sozusagen, die ja auch angekündigt hat, eine nationale Kurdenkonferenz im Irak demnächst abzuhalten, dass die sich erneut zusammenschließen könnte. Das heißt, die Türkei hat ein großes Interesse, sozusagen ein Player zu bleiben, um die Entwicklung der Region in ihrem Sinne mit beeinflussen zu können.
Pindur: Frau Dufner, vielen Dank für das Gespräch!
Dufner: Gerne geschehen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.