Österreich und die Opfer-These
Vor 80 Jahren fand der "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich statt. Die Eingliederung erfolgte ohne nennenswerten Widerstand - im Gegenteil, sie stieß sogar auf hohe Zustimmung. Trotzdem hält sich in der Alpenrepublik immer noch die Opfer-These.
"Heil, mein Führer, Adolf Hitler, wir erwarten unseren Führer…"
Es ist der 15. März, auf dem Heldenplatz zelebriert Adolf Hitler vor jubelnden Menschenmassen und einem Meer von Hakenkreuzfahnen den Anschluss ans Deutsche Reich. Die Inszenierung des NS-Regimes weist Arthur Seyß-Inquardt, den Hitler einen Monat zuvor als willigen österreichischen Innenminister und für zwei Tage als Bundeskanzler in Wien platziert hat, die Rolle zu, die Übergabe zu verkünden:
"Heute grüßen alle Deutschen auf Ewigkeit den Führer als den Vollender. Mein Führer, wie immer der Weg führt: Wir folgen nach."
"Ein Volk, ein Reich, ein Führer."
"Als Führer und Kanzler der deutschen Nation und Reichs, melde ich vor der deutschen Geschichte nunmehr den Eintritt meiner Heimat in das Deutschen Reich."
"Sieg Heil!"
"Heute taucht schon die Version auf: Ja, wir waren überrumpelt durch die Begeisterung, aber wir wollten das auch nicht, was dann gekommen ist, und wir waren nur kurzfristig begeistert. Stimmt, diese Begeisterungen sind sehr volatil."
Gerhard Botz, emeritierter Professor für Zeitgeschichte der Universität Wien, hat einen erheblichen Teil seiner jahrzehntelangen Forschungsarbeit diesem einen Thema gewidmet: dem Anschluss der ersten Republik Österreich, die sich zunächst erst, im November 1918 als "Republik Deutschösterreich" gegründet hatte und dessen Folgen.
"Anschluss ist ab 1918, ab den 20er-Jahren, in anderen Gesichtspunkten ab den 30er-Jahren, immer in der politischen Öffentlichkeit."
Eine Mittäterschaft wurde negiert
Nach dem Untergang des Habsburger Reichs und dem Verlust der imperialen Vielvölker-Größe entscheidet die provisorische Nationalversammlung Ende 1918: Die frisch ausgerufene Republik solle an die deutsche Republik angeschlossen werden. Österreichs Sozialdemokraten fordern in ihrem Parteiprogramm: Zusammenschluss mit einem sozialistischen Deutschland – erst 1933 streichen sie diesen Passus.
Die politische Bewertung des Anschlusses war in Österreich einem beständigen Wandel ausgesetzt. Nahezu alle politischen Kräfte hätten damals – anders als in der Bundesrepublik – eine Mittäterschaft an den Verbrechen des NS-Regimes zunächst negiert:
"In Österreich hat man die Opferthese kodiert. Weil ja unsere Staatspolitik damit - ich meine, es hat auch selbstkritische Infragestellung gegeben. Die Überlebenden haben natürlich gewusst, dass sie auch Österreicher waren. Aber nach offizieller Version waren wir die Opfer, wir haben damit nichts zu tun, das sind die Deutschen gewesen."
Vor allem anlässlich der Wiederkehr runder Jahrestage wird das nationale Selbstbewusstsein in Frage gestellt. Wie ordnet man etwa die fast hundertprozentige Zustimmung der wahlberechtigten Österreicher ein, zum Anschluss an das NS-Reich bei der Volksabstimmung vom 10. April 1938?
"Bis heute wird meine Position da nicht sehr gerne gesehen. Und es ist immer natürlich – ganz klar- kein demokratischer Vorgang, aber es nicht gefälscht. Es ist ein Mobilisierungsvorgang, der die Anhängerschaft mobilisiert und eine unglaubliche Dynamik diese Machtübernahme auf allen Ebenen vorbereitet."