Der Architekt - Geschichte und Gegenwart eines Berufsstandes

Von Adolf Stock |
Zum Abschied des langjährigen Architekturmuseumsleiters Winfried Nerdinger zeigt die Pinakothek der Moderne eine letzte Ausstellung über den Beruf des Architekten. Sie lässt sich als ein kleines Vermächtnis verstehen und es gibt auch einen ausführlichen Katalog.
Der französische Baumeister Claude Nicolas Ledoux sah sich im 18. Jahrhundert als "Titan der Erde". Bescheidenheit sieht anders aus. Den Architekten gibt es nicht. Das Berufsbild hat sich im Laufe der Geschichte oft verändert, und die Architekten selbst waren manchmal bescheiden und häufig auch selbstbewusst. In der Ausstellung wird diese Geschichte chronologisch erzählt. Winfried Nerdinger:

"Im ersten Teil wird ein Durchgang durch die Geschichte gezeigt vom alten Ägypten. Es wird jeweils der Status des Architekten in den einzelnen Epochen gezeigt und an Bildern, Skulpturen, entsprechenden Materialien vorgeführt und gleichzeitig auch die Entwicklung."

Die Besucher werden von ägyptischen Baumeistern und Architekten begrüßt. Imhotep hat 2650 vor Christus gelebt. Es ist der älteste Architektenname, den wir kennen. Im Mittelalter war der Beruf des Architekten unbekannt, es gab nur Handwerker. Erst in der Renaissance wurden die Baumeister stolz und selbstbewusst. Wer nach Italien schaut, trifft auf klangvolle Namen wie Donato Bramante oder Michelangelo. Im Barock wird noch einmal alles anders. Auf den Bildern aus jener Zeit wirft sich der barocke Herrscher in Pose, zu seinen Füßen kniet der Architekt und breitet seine Pläne aus. Glaubt man den Malern, dann wurde auch St. Petersburg nach diesem Muster erbaut.

Damals waren Architekten Künstler und Ingenieure zugleich. Später trennten sich die Wege. Ingenieur wurde ein eigener Beruf, und im Extremfall blieb dem Architekten nur noch das Dekor. Der Architekt als Dekorateur. Die nachfolgenden Generationen waren damit beschäftigt, den schroffen Gegensatz wieder zu mildern. Im 20. Jahrhundert wollten Architekten an der Spitze des technischen Fortschritts stehen. Sozial engagiert, wollten sie die Welt verbessern, oder sie wollten auch einfach nur Künstler sein. In München wird nichts hinterfragt. Kritik findet nur im Kopf des Betrachters statt.

"Wenn man Kritik üben will, dann ergibt sie sich immanent, also indem man einfach die Entwicklung des Berufsstandes verfolgt, dann sieht man eben, dass im 20. und dann jetzt auch im 21. Jahrhundert sich ein Teil der Architektenschaft zum Künstler stilisiert, auch entsprechend Primadonnahaft auftritt. Wir zeigen auch, wie ist das mit der grauen Bürotätigkeit, diese Global-Player-Aktivitäten werden dargestellt, also wie sich auch der Architektenberuf auflöst, und das wird dann kompensiert durch ein hypertrophes Künstlertum, also das ist immanent alles vorhanden."

Und so wirkt die "Mutter aller Künste" momentan etwas angeschlagen. Drei Stationen der Ausstellung beschäftigen sich mit Film, Theater und Musik, es sind Randbereiche, wo sich die Architektur mit anderen Künsten verbindet. Doch am Spannendsten ist das Verhältnis der Architektur zur Musik. Es ist eigentlich eine uralte Beziehung, die in ihrer existenziellen Bedeutung fast vergessen ist. Winfried Nerdinger:

"Seit Alberti wird das als Aufgabe des Architekten gesehen. Harmonie in der Gesellschaft auch durch Architektur zu erzeugen, und dazu muss die Architektur harmonisch, sprich musikalisch sein, auf Proportionen, auf Rhythmen entsprechend basieren. Das hat man leider in der modernen Architektur viel zu wenig erkannt, aber wir versuchen da auch schon wieder, Anstöße mit der Ausstellung zu geben, das mehr zu beachten."

Eine letzte große Abteilung will zeigen, wie aus Ideen Architektur entsteht. Es ist die Werkstatt der Architekten, und auch hier ändert sich viel. Während die Zeichnungen der digitalen Welt mehr und mehr verschwinden, ist der Modellbau weiterhin en vogue. Die neuen Architekturmodelle sind nicht mehr handgebastelt aus Pappmaschee. Sie werden computergeneriert und maschinell gefertigt. Zwischen diesen Hightech-Produkten und den historischen Holzmodellen, die kaum ein Museum mehr ausleihen mag, weil sie so empfindlich sind, liegen Welten. In München stehen sie jetzt friedlich nebeneinander. Wenn es nach Winfried Nerdinger geht, sollen seine Besucher stets hinter die schöne Oberfläche schauen.

"Ich hoffe, dass er diese geschichtliche Entwicklung mitnehmen kann, diese unendlichen vielen Facetten dieses Berufstandes im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende, und dann aber auch sieht, wie vielgestaltig die Arbeit des Architekten ist, wie sich das verändert, bis hin heute zum Arbeiten mit Computern und CNC-Fräsen, und gleichzeitig sieht man auch, wie eben immer mehr der Architekt an Kompetenz verliert. Das sollte dazu führen, das ein Besucher nach der Ausstellung doch etwas anders auf den Architekten und damit auch auf seine gebaute Umwelt schaut."

Winfried Nerdinger (Hg.): Der Architekt - Geschichte und Gegenwart eines Berufsstandes
Prestel Verlag, München 2012
2 Bände im Schuber, 650 teils farbige Abbildungen
816 Seiten, 98 Euro

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