Rainer Hank: Lob der Macht
Klett Verlag 2017, 20 Euro
"Söder ist ein Pracht-Machtexemplar"
Als grandiosen Techniker der Macht erlebt der Wirtschaftsjournalist Rainer Hank den CSU-Politiker Markus Söder. Er habe die Gunst der Stunde genutzt, um bayerischer Ministerpräsident zu werden. Nun werde es für ihn schwieriger.
"An Söder ist vieles typisch Machtmensch, er ist gerade zu ein Pracht-Machtexemplar", sagte der Wirtschaftsjournalist Rainer Hank im Deutschlandfunk Kultur. Der FAZ-Redakteur hat sich in seinem Buch "Lob der Macht" mit Machtmenschen beschäftigt und festgestellt, dass man einen langen Atem brauche. Mit gewisser Faszination beobachtete er, wie sich Söder im Machtkampf in der CSU gegen seinen Rivalen Horst Seehofer durchgesetzt hat und nun mit ihm eine Doppelspitze bilden soll. "Gestern war der schönste Tag im Leben von Söder". Von nun an werde es schwieriger, weil er kämpfen müsse, um seine Macht zu verteidigen.
Strauß-Poster schon im Jugendzimmer
Söder habe schon als Jugendlicher sein Franz-Josef Strauß Poster an der Wand gehabt, während andere Leute lieber Bilder von Che Guevara aufhängten. "Er hatte deutlich gemacht, wohin der Weg führt und er hat an ihm festgehalten", sagte Hank. "Langer Atem, klare Vorbilder." Der Machtmensch benötige außerdem viel Empathie. "Er muss wirklich bis in den letzten Bezirk Oberbayerns wissen, wie die Leute denken, was sie wollen und er wird ja von ihnen zum Mächtigen ermächtigt – Macht ergreift man nicht, sondern Macht wird einem zugeteilt." Söders sei ein grandioser Techniker der Macht und beherrsche auch die Politfolklore.
Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Jetzt muss er dann auch liefern. Die bayerische Landtagswahl im kommenden Jahr ist auch eine Abstimmung über Markus Söder als Ministerpräsident in München. Wann genau der Wechsel erfolgt, steht noch nicht fest, aber es wird wohl das erste Quartal 2018 werden. Söder steht damit vor dem größten Erfolg seiner politischen Karriere.
Dafür hat er jahrelang Hände geschüttelt, Kontakte geknüpft und Fördergelder verteilt. Aber was genau ist der Trick, damit man an die Macht kommt und da auch bleibt? Rainer Hank ist einer, der sich darüber Gedanken gemacht hat. Er ist Autor des Buchs "Lob der Macht" und Leiter der Wirtschaftsredaktion bei der "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Guten Morgen, Herr Hank!
Rainer Hank: Hallo, Frau Welty, schönen guten Morgen!
Welty: Wenn Sie sich Söder so anschauen, was ist an ihm typisch Machtmensch?
Hank: An Söder ist vieles typisch Machtmensch, er ist geradezu ein Pracht-Macht-Exemplar, würde ich sagen. Wenn ich vielleicht ein paar zentrale Punkte zunächst sage – das Erste ist, man braucht einen langen Atem, das sieht man bei ihm. Als Jugendlicher hatte er bereits sein Franz-Josef-Strauß-Poster, da haben die anderen Leute Che Guevara oder so aufgehängt. Er hatte deutlich gemacht, wohin der Weg führt, und er hat an ihm festgehalten. Also langer Atem, klare Vorbilder wäre das Erste.
Das Zweite ist, man stellt sich Machtmenschen immer so als Kraftkerle vor, die irgendwie ohne Rücksicht auf Verluste durch die Welt trampeln. Das wäre das Falscheste, was er machen könnte, und das hat er auch nicht gemacht. Der Machtmensch braucht viel Empathie. Das heißt, er muss wirklich bis in den letzten Bezirk Oberbayerns wissen, wie die Leute denken, was sie wollen. Und er wird ja von ihnen zum Mächtigen ermächtigt. Macht ergreift man nicht, sondern Macht wird einem zugeteilt, und das weiß er auch ganz genau.
Da ist sehr eindrucksvoll, vor ein paar Wochen war er bei der Jungen Union, die gibt es bei der CSU ja auch, und die standen da mit Schildern "MP Söder", also Ministerpräsident Söder. Da hat er so leicht, das kriegt er auch großartig hin, verlegen gelächelt, so als wolle er das gar nicht, aber nach dem Motto, ich kann ja auch nichts dafür. Er wurde fast gezogen. Und das könnte man ellenlang weiter machen. Er ist da wirklich ein ganz grandioser Techniker der Macht.
Moment von Seehofers Schwäche
Welty: Wo Sie die Geschichte mit dem Poster von Franz-Josef-Strauß über dem Bett ansprechen: Er schmückt sich auch gern damit, dass das nicht unbedingt jedes Mädchen toll fand, das er mit nach Hause brachte. Inwieweit bedient sich Söder an dieser Stelle auch der gepflegten Polit-Folklore?
Hank: Genau. Polit-Folklore ist wunderbar. Das ist ja auch ein leichtes Durchbrechen, wie soll man sagen, des Juste Milieu, des Mainstreams, also er hat da auch durchbrochen die Erwartungen und gerade damit sich wichtig gemacht, darin sich interessant gemacht. Es scheint ja auch irgendwie ganz gut funktioniert zu haben. Und wenn man dann weitergeht, was ihn noch auszeichnet, im richtigen Punkt die Schwächen des Gegners zu nutzen zu wissen. Da ist jetzt vor allem der höchste Punkt seines Machtkampfes, er hat es jetzt geschafft, das war der Punkt der größten Schwäche von Seehofer jetzt durch die letzten Bundestagswahl und dann auch durch die missglückten Jamaika-Verhandlungen.
Einen besseren Zeitpunkt hätte er nicht wählen können. Man muss wirklich auch das "window of opportunity" zum richtigen Zeitpunkt nehmen. Hätte er es jetzt nicht gemacht, wäre es, denke ich, vorbei gewesen mit seiner Karriere. Und was Weiteres: Das macht nicht jeder in der Politik, und das ist eine besondere Stärke wiederum von Söder, es ist aber hochriskant, gezielt foul zu spielen, also gezielt Seehofer, der ihn natürlich ständig demontiert und denunziert hat, also gezielt auch Seehofer zu denunzieren zu versuchen und foul zu spielen.
Es wurde ja immer offen darüber geredet, dass Söder es gewesen ist, der das offene Geheimnis ausgeplaudert hat, Seehofer habe auch ein uneheliches Kind in Berlin. Er hat das natürlich mit Abscheu immer von sich geworfen, aber weiterhin haben sich diese Geschichten gehalten, und womöglich ist schon was dran gewesen. Also ihm, dem Seehofer, Charakterschwäche vorgeworfen hat. Er hat einfach den Spieß umgedreht und hat, wenn er es denn war und ausgeplaudert hat, gesagt, dann wollen wir doch mal gucken, wo die Charakterschwäche ist. In Bayern ist das nun wirklich eine gezielte Demontage.
Das Licht der Öffentlichkeit
Welty: Wenn es denn auch eine gewisse Skrupellosigkeit braucht, gelten dann für Politiker in der Außenwahrnehmung andere moralische Maßstäbe als für ich sag mal normale Menschen?
Hank: Das würde jetzt, glaube ich, den Politikern Unrecht tun. Bei den Politikern sehen wir es einfach ständig, weil es im Licht der Öffentlichkeit ist, weil Journalisten da rumstehen. Nicht, weil die Journalisten das alles herausbekommen, aber weil andere den Journalisten das stecken. Die Transparenz, das Ausgesetzt sein der Öffentlichkeit und natürlich vielleicht von jedem ein bisschen mehr, ein Schuss mehr Machtwillen als von einem Zeitgenossen, der gerade auf dem Weg ist, Abteilungsleiter in seiner Abteilung zu werden.
Aber die Gesetze der Macht, die gelten überall genauso. Wir gucken nur nicht überall genauso hin. Das können wir gar nicht machen, das ist auch nicht interessant beim Abteilungsleiter. Aber bei Markus Söder ist es natürlich extrem interessant. Zu sagen, die Politiker sind die moralischen Schweine, und wir sind moralisch in Ordnung – so haben Sie es gar nicht gefragt, aber –
Welty: Das ist aber schön, dass Sie das erwähnen …
Hank: Damit würden wir es uns zu einfach machen.
Welty: Wo verläuft die Grenze zwischen Skrupellosigkeit und krimineller Energie? Wenn ich da zu Guttenberg denke, der ja nun tatsächlich belogen hat im Zusammenhang mit seiner Doktorarbeit?
Hank: Ich glaube, kriminelle Energie war es bei zu Guttenberg auch nicht. Der wollte nur schnell seine Doktorarbeit hinter sich bekommen und hat gedacht, ich mache mir die Sache ein bisschen einfacher, und hat gedacht, womit er ja auch recht hatte in der Vermutung, da wird schon keiner so drauf schauen, wer schaut sich schon irgendwelche Doktorarbeiten an irgendwelchen staatswissenschaftlichen Fakultäten an? Da hat er sich verkalkuliert. Kriminelle Energie wäre an der Stelle einen Tick zu hart gesagt.
Ich meine, kriminelle Energie gibt es schon, wenn wir nach Russland schauen, wenn wir nach Polen schauen oder in andere Länder. Aber ich glaube, da sind wir weit von entfernt. Es ist so die Grenze der Moralität, es ist im Grunde der Machtwille, der es manchmal nicht so ganz genau nimmt und eben die Grenzen dabei nicht ganz genau anschaut. Aber es ist keine kriminelle Energie. Es ist vor allem umgekehrt sehr interessant: Wir verkleiden natürlich den nackten Machtwillen mit sehr viel Moralisierung. Wenn man gehört hat, wie viel Söder gestern die ganze Zeit von Vertrauen, Verantwortung, Aufgabe, Gestaltungswillen redet, da kriegt man dann doch zu viel. Er hat es fast ein bisschen übertrieben an Scheinheiligkeit.
Gesetz der Macht
Welty: Söder hat lange um das Amt des Ministerpräsident gekämpft, lange dafür gearbeitet. Wie schwer wird er es haben, dieses Amt dann auch zu behalten?
Hank: Das ist interessant. Man kann darin fast ein Gesetz der Macht sehen. Die Macht ist am interessantesten auf dem Weg an die Macht. Das hat man bei Söder gesehen, und der Höhepunkt quasi des Erlebens des Vollbesitzes der Machtlust hat man in dem Moment, wo man sie errungen hat. Da gibt es große Vorbilder, Richard III. von Shakespeare zum Beispiel. Nun ist Söder allenfalls ein kleiner Richard III., also wir wollen ihm nicht zu viel der Ehre antun.
Aber wenn das stimmt, dann war gestern der schönste Tag in seinem Leben. Er hat es endlich erreicht, alle Getreuen verneigen sich vor ihm, selbst Seehofer, der ja nun wirklich die Macht abgeben muss, der weiß, jetzt geht es mit ihm zu Ende, der musste rumsülzen. Aber ab jetzt wird es schwieriger, und das hängt nicht persönlich an Söder, sondern das hängt tatsächlich am Zyklus von Machtergreifung oder Machtzuteilung und Machtverlust.
Ab jetzt werden die neuen Söders – wir kennen sie noch gar nicht –, aber ab jetzt – die sitzen längst in den Startlöchern, und die Eingeweihten, vielleicht Söder selbst, wenn er gut ist, kennt sie auch schon – ab jetzt muss er kämpfen, die Macht zu behalten, und das wird schwieriger, er wird misstrauischer, noch misstrauischer werden. Und er wird Schwächen haben, weil die Selbstüberschätzung, die er sehr präzise auf dem Weg an die Macht eingesetzt hat, nämlich mit Empathie, die wird er verlieren.
Er wird glauben, dass er der mächtigste Mann zumindest zwischen Neuschwanstein und Erlangen ist. Das wird abnehmen. Es wird schwieriger werden. Es ist trivial zu sagen, dass man die Macht irgendwann verliert. Das ist auch gut. Das ist in der Demokratie ja das Bauprinzip. Trotzdem, für den Einzelnen ist es nicht nur lustig, das wird Söder jetzt spüren.
Söder als Ironiker
Welty: Jedes Jahr zu Fasching zeigt der Franke Söder, was er verkleidungstechnisch so drauf hat, ob als Marilyn Monroe oder als Homer Simpson. Wird er sich einen solchen Spaß als Ministerpräsident noch erlauben können?
Hank: Das ist wieder was Interessantes. Ich glaube ja schon, dass Söder auch ein Ironiker ist, und das ist bei Politikern eher selten, sich von sich selbst distanzieren zu können, natürlich in höherer Absicht, zu höherer Ehre, von sich selbst, aber das ist eine zusätzliche Fähigkeit von Söder, die wenige andere haben. Das wird man sehen, ob er jetzt sehr staatsmännisch wird.
Wenn man gestern die Auftritte sieht, dann platzt er vor Staatsmännischkeit, dann wird er sich das nicht mehr erlauben. Aber wenn der Schalk weiterhin aus seinen Augen blitzt – wie sagte Kubicki, ich bin der Schalk –, wenn er also weiter sagt, ich bin auch ein Schalk, dann wird er das weitermachen. Wenn Sie jetzt fragen, wenn ich tippe, dann muss man sehr weit in die Zukunft tun, was man noch nicht kann.
Ich würde es ihm wünschen, dass er diese Ironie nicht verliert. Es wäre auch für uns Bürger nicht nur lustiger weiterhin, wir würden, glaube ich, die Breite dieser Persönlichkeit, die es durchaus gibt, mehr schätzen, als wenn er jetzt nur diese langweiligen Staatsreden hält.
Welty: Die Zukunft von Markus Söder als bayerischer Ministerpräsident, das habe ich mit Rainer Hank besprochen, der ein Buch über Machtmenschen geschrieben hat – "Lob der Macht". Herr Hank, haben Sie herzlichen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.