Der Autor des Romans und Hörspiels "Fake Metal Jacket"

    "Wahrheit ist ein viel zu großes Wort"

    Sven Recker in Sri Lanka
    Sven Recker, Autor von "Fake Metal Jacket" und Ausbilder von Journalisten in Krisenregionen. © Foto: privat
    Sven Recker im Gespräch mit Sarah Murrenhoff |
    Das zweiteilige Kriminalhörspiel "Fake Metal Jacket" beruht auf dem gleichnamigen, mediensatirischen Roman von Sven Recker. Im Interview spricht der Journalist und Schriftsteller über Fakes und ausgeschmückte Geschichten, über Journalismus in Kriegsgebieten und darüber, was passieren kann, wenn man das Mediensystem kritisiert.
    Deutschlandfunk Kultur: Sven Recker, Ihr Roman "Fake Metal Jacket" liest sich wie eine Mediensatire. Der Kriegsreporter Peter Larsen denkt sich Geschichten aus und fälscht Videos, angeblich mitten aus dem syrischen Bürgerkrieg. Doch in Wirklichkeit lässt er es sich in Berlin gut gehen, dreht auf Seen in Brandenburg und verkauft die Videos als Mittelmeer-Reportagen. Er weiß die Nachfrage der Redaktionen bestens zu bedienen. Interessanterweise kam "Fake Metal Jacket" Anfang 2018 heraus, bevor Claas Relotius mit seinen Fälschungen aufgefallen ist. Sie haben Relotius sozusagen antizipiert. Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass weitere Figuren wie Larsen existieren?
    Sven Recker: Für sehr wahrscheinlich. Nicht wie bei Relotius, dass komplette Geschichten erfunden sind, aber in dem Sinne, dass Geschichten gepimpt werden, damit sie besser oder spektakulärer sind.
    Deutschlandfunk Kultur: Gab es für den Roman einen konkreten Ausgangspunkt?
    Sven Recker: Vor fast 15 Jahren habe ich nach dem Tsunami in Sri Lanka für die Caritas als Öffentlichkeitsarbeiter gearbeitet. Einer der Orte, Mullaitivu an der Ostküste, war komplett vom Tsunami zerstört. Es war einer der schlimmsten Orte, an denen ich je war: Dort lagen Leichenberge, die gebrannt haben, es sah schrecklich aus. Und zeitgleich war ein heute sehr bekannter Krisen- und Kriegsreporter dort, der damals noch nicht so berühmt war. Er hat eine Geschichte über diesen Ort gemacht. Und es hätte komplett gereicht, den Schrecken, den man dort gesehen hat, so nüchtern wie möglich darzustellen. Um seine Geschichte aber besser lesbar und gefälliger zu machen, hat er sich ProtagonistInnen in der Psychiatrie gesucht. Außerdem hat er einen Zyklon, den es letztendlich gar nicht gab, auf Mullaitivu zurauschen lassen. Er hat alles noch mal wahnsinnig überdramatisiert. Es war nicht alles erfunden, es war kein Fake im klassischen Sinne, wie es Relotius gemacht hat, sondern es war das Herauspicken von Details, um die Geschichte noch größer zu machen.
    Deutschlandfunk Kultur: Sie sind auch Journalist, geben inzwischen Seminare für JournalistInnen in Krisengebieten. Wie kann man dagegen vorgehen, dass eine nüchternere Berichterstattung ausgeschmückt wird zu einer schöner lesbaren, gefälligeren?
    Sven Recker: Wir brauchen eine Rückbesinnung auf mehr Sachlichkeit und auf weniger sensationsheischendes Gebrüll. Manchmal sehne ich mich nach den Zeiten vor 1998, als man im Spiegel zum Beispiel noch keine Autorennamen hatte. Aber generell muss, um Glaubwürdigkeit beim Publikum zurückzugewinnen, eine Form von Journalismus her, die sachlicher ist, die wesentlich konstruktiver in der Berichterstattung ist. Die nicht nur problemorientiert berichtet, sondern nach dem Problem weiter recherchiert: Gibt es irgendwo Ansätze für eine Lösung dieses Problems?
    Deutschlandfunk Kultur: In "Fake Metal Jacket" spielt Social Media eine große Rolle. Der Kriegsreporter Larsen berichtet am Ende mehr für seine Follower auf Facebook und Twitter als für Zeitungsredaktionen.
    Sven Recker: Ja. Darauf wurde ich durch einen Kollegen aufmerksam, mit dem ich ganz eng zusammenarbeite. Er ist mittlerweile Deutscher, kommt aber aus Syrien. Als der Bürgerkrieg in Syrien damals anfing, ist er jeden Tag tiefer in seinem Laptop versunken. Er saß mir auf der Arbeit gegenüber, und irgendwann meinte ich: "Zeig mir doch mal, was schaust Du Dir da eigentlich alles an?" Der Krieg in Syrien war mit der erste, wo man sich per Facebook damals als Hauptmedium live in den Krieg hineinknallen konnte. Es hatte vorher von Kriegen noch nie so viele Bilder gegeben, die sofort kursierten. Und dann hat er mir alle Webseiten gezeigt, die er sich ansah, auch vom Regime betriebenen Seiten. Und da wurde relativ schnell klar, wie viel da gelogen wird.
    Deutschlandfunk Kultur: Auf beiden Seiten?
    Sven Recker: Ja. Am Anfang hat es hauptsächlich das Regime gemacht. Die haben tatsächlich einen Schauspieler eingesetzt. An einem Tag war er Polizist, an einem anderen Tag war er ein normaler Mensch auf einer Straße, dann war er wieder was anderes. Der ist regelmäßig in Beiträgen aufgetaucht, was sehr skurril war. Und die Rebellen… Die haben sich am Anfang ja Medienaktivisten genannt, sie haben zunächst nur versucht, die Demonstrationen und die Kriegsverbrechen vom Regime zu dokumentieren, das war am Anfang schon noch alles authentisch, was sie geliefert haben. Aber auch bei denen konnte man irgendwann nicht mehr auseinanderhalten, was ist jetzt eigentlich wahr und was ist falsch, was wurde inszeniert, was hat bestimmte Ausschnitte der Wirklichkeit gezeigt und andere ignoriert. Aber ich glaube, im Krieg wurde immer schon so viel gelogen von beiden Seiten, und jetzt hat man eben durch die sozialen Medien noch andere Instrumente gefunden, mit denen man das noch effektiver machen kann und noch mehr Leute erreicht.
    Deutschlandfunk Kultur: Larsen hat eine interessante, abgebrühte, auch opportunistische Definition von "Wahrheit". Er sagt, er produziere keine Fakes, sondern "Kopien von der Wahrheit", also einer Wahrheit, die sowieso alle schon kennen und die er nur mit neuen, erwartbaren Bildern befüllt. Wie nah ist das, was Larsen macht, an "der Wahrheit"?
    Sven Recker: Ein Fake ist ein Bericht, der nicht den Fakten entspricht. "Wahrheit" finde ich im journalistischen Kontext ohnehin ein viel zu großes Wort. Wenn ein Journalist einfach darüber berichtet, was er sieht, sich an die Fakten hält, dann reicht das. Das, wovon Larsen spricht, sind Geschichten, die einem Bild entsprechen, das die Öffentlichkeit von einer Gegend hat. Und für diese Art von Geschichten räumen die Redaktionen mehr Platz ein. Andere Geschichten sind schwieriger unterzubringen.
    Deutschlandfunk Kultur: Welche Werte braucht ein Journalist oder eine Journalistin?
    Sven Recker: Das ist eine große Frage. (lacht) Ich weiß gar nicht, ob ich das Werte nennen würde. Es reicht eigentlich schon, dass man mit offenen Augen durch die Welt geht und versucht, einem Publikum einen Sachverhalt näher zu bringen. Und das auf eine Art und Weise, bei der man sich selbst und seine Arbeit immer wieder hinterfragt. Die Grundlagen der journalistischen Ethik reichen: Man sollte so ausgewogen wie möglich berichten, sich nicht auf eine Seite fokussieren, sondern auch die Stimme der Gegenseite einholen. Ich würde von handwerklichen – nicht von moralischen – Richtlinien sprechen.
    Deutschlandfunk Kultur: Seit zehn Jahren reisen Sie in Krisengebiete, um JournalistInnen vor Ort zu unterrichten und lokale Redaktionen aufzubauen, die ausgewogen und konfliktsensitiv berichten sollen. Was sind dabei die größten Herausforderungen?
    Sven Recker: Wir wollen bei lokalen JournalistInnen im Irak, in Libyen, in Tunesien, Ägypten, Sudan, Südsudan den Sinn für eine Berichterstattung schärfen, die Konflikte nicht weiter anheizt. Ein Problem in ganz vielen dieser Länder ist eben immer, dass sich Bericht und Kommentar mischen, also dass sich in journalistischen Artikeln Hate-Speech-Elemente finden, weil der Journalist denkt, jetzt kann ich ja endlich mal schreiben, was ich denke. Solchen Entwicklungen versucht man Einhalt zu gebieten, indem man die JournalistInnen in den Grundlagen unterrichtet. Indem man sagt, guck mal hier, Du darfst im Journalismus Deine Meinung sagen, dafür gibt’s den Kommentar, der folgt den und den Regeln. Aber wenn Du einen Bericht schreibst, vermeide es dort. Das Ziel ist, einen nicht stärker aufheizenden Einfluss auf die JournalistInnen vor Ort zu haben.
    Sven Recker in einem Essenssaal in Nordkorea
    Sven Recker in Nordkorea, wo er eine Fortbildung für Sportkommentatoren gegeben hat.© Foto: privat
    Deutschlandfunk Kultur: Wie kamen Sie selbst von der Realität, vom journalistischen Schreiben, zur Fiktion? Sind Sie im Grunde der fairere Larsen?
    Sven Recker: Es ist eher andersrum. Mit 19, 20 habe ich eher davon geträumt, Romane zu schreiben und Schriftsteller zu sein. Und hatte natürlich überhaupt keinen Plan, wie so was funktionieren soll. Und da ich halt gerne geschrieben habe, bin ich Journalist geworden.
    Deutschlandfunk Kultur: "Fake Metal Jacket" wurde vom Schauspielhaus Graz aufgenommen, jetzt haben Sie den Roman gemeinsam mit Wolfgang Seesko als zweiteiliges Kriminalhörspiel adaptiert. Gleichzeitig wurde der Roman auch von Neuen Rechten für sich vereinnahmt. Die Publizistin Ellen Kositza hat das Buch ausdrücklich empfohlen und fragt sich, warum der Roman nicht das Feuilletonthema des Sommers 2018 geworden ist. Außerdem vertreibt der rechte Antaios Verlag den Roman über seinen Buchshop. Wie gehen Sie mit diesen unterschiedlichen Lesarten um?
    Sven Recker: Na ja, wenn man mit so etwas in die Öffentlichkeit geht, hat man wenig Einfluss darauf, was passiert. Natürlich bin ich nicht für die Reaktionen verantwortlich, sondern der jeweilige Rezipient. Als diese Lobhudelei in der Literatursendung von Antaios mit der Buchhändlerin Susanne Dagen in Dresden Loschwitz und Ellen Kositza kam, war natürlich mein erster Reflex, mich zu rechtfertigen. Dann habe ich aber überlegt: Die Rechten wollte ich nicht größer machen als sie sind. Es hat mir dann aber doch keine Ruhe gelassen. Bei Lesungen gab es natürlich auch immer Diskussionen. Gleich bei meiner ersten Lesung im Rahmen der Buchmesse in Leipzig ging es darum: Kann man denen da oben noch trauen? "Ist doch eh alles Lügenpresse" und so weiter. Da habe ich gemerkt: Man kann, wenn man mit den Menschen über Produktionsprozesse innerhalb des Journalismus redet, wenn man journalistische Prozesse transparent macht, doch etwas erreichen innerhalb solcher Diskussionen. Und dann habe ich gedacht, jetzt probiere ich es mal, und habe dann Susanne Dagen angeschrieben und gesagt, "ich will in Deiner Buchhandlung lesen. Ich möchte den Versuch wagen, in Dialog zu treten."
    Deutschlandfunk Kultur: Es gab schon einen Termin für die Lesung, aber letztendlich kam sie nie zustande. Warum?
    Sven Recker: Das ging leider aus mehreren Gründen echt in die Hose. Zum einen habe ich versucht, Zeitungsredaktionen anzusprechen, damit ich begleitet werde zu diesem Besuch. Damit ich eben nicht am Ende dastehe als der, der sich mit den Rechten ins Bett legt. In dieser Ecke wollte ich natürlich nicht landen. Deswegen habe ich Redaktionen gefragt, ob jemand Lust hat, über den Versuch, mit Rechten in Dialog zu treten, zu berichten. Und das war leider wenig erfolgreich. Und so stand ich relativ blöd und nackt da. Und dann gab es auf der Seite von Ellen Kositza, "Sezession im Netz", sie gehört auch zum Antaios Verlag, einen rassistischen Tweet, der mir so dermaßen die Schuhe ausgezogen hat und den sie unkommentiert einfach zwei, drei Tage haben stehen lassen. In der Regel achten sie darauf, Grenzen nicht zu überschreiten, haben aber bei diesem Tweet wirklich auf allen Ebenen so eine Grenze überschritten, dass ich dann keine Basis mehr gesehen habe, mit irgendjemanden von ihnen überhaupt reden zu können.
    Deutschlandfunk Kultur: Wie erklären Sie sich, dass Redaktionen Sie nicht zu einer Lesung in die Buchhandlung Loschwitz in Dresden begleiten wollten?
    Sven Recker: Nun, zum einen bin ich kein großer Autorenname. Zum anderen ist der Journalismus nicht gerade eine kritikfähige Branche. So sehr man immer nach außen hin austeilt, so empfindlich ist man, wenn es um Kritik, sei es auch überspitzte oder satirische Kritik wie in meinem Fall, an dem Mediensystem geht. Das zeigt sich schon an der ganzen Aufarbeitung von Relotius innerhalb des Spiegels. Das haben zwei Spiegel-Redakteure und Brigitte Fehrle, die ehemalige Chefredakteurin der Berliner Zeitung, aufgearbeitet. Das ist so, als ob Winterkorn, Piëch und noch ein weiterer den Dieselskandal aufarbeiten dürften. Und was aus Juan Moreno gemacht wird: Mit Relotius hat man jetzt den einen Helden getötet. Jetzt reitet der nächste Held auf dem weißen Schimmel durch die Landschaft.

    Das Gespräch für Deutschlandfunk Kultur führte Sarah Murrenhoff.

    Sven Recker und Wolfgang Seesko haben "Fake Metal Jacket" zu einem zweiteiligen Kriminalhörspiel adaptiert:
    Krimi-Hörspiel: Der Fälscher und Kriegsreporter Larsen - Fake Metal Jacket (2/2)
    (Deutschlandfunk Kultur, Kriminalhörspiel, 16.12.2019)