Der "Balzac Ägyptens"

Von Suleman Taufiq |
Der einzige arabische Literatur-Nobelpreisträger, der Ägypter Nagib Machfus, ist tot. Er starb im Alter von 94 Jahren in einem Krankenhaus in seiner Heimatstadt Kairo. Viele seiner Geschichten entstanden im Viertel Gamalija der ägyptischen Hauptstadt.
Nagib Machfus: "Meine Liebe gilt den Bewohnern der Gassen. Nicht nur der alten Gassen von Kairo, sondern der Gassen der ganzen Welt."
Nagib Machfus wuchs in einem der ältesten historischen Viertel Alt-Kairos auf.
Der "Meister", wie er liebevoll von seinen Schülern und Freunden gerufen wurde, verbrachte viel Zeit in den Kafffeehäusern der Altstadt. Viele seiner Geschichten entstanden im Viertel Gamalija. Hier hörte er den einfachen Leuten zu, die als wunderbare Charaktere seine Bücher bevölkern.

Nagib Machfus: "In Gamalija habe ich die schönsten Tage meines Lebens verbracht. Es verging keine Woche, in der wir nicht nach Gamalija gingen und im Cafe Fischawi oder einem anderen Cafe in der Midaq-Gasse saßen."

In Gamalija wurde Machfus 1911 geboren. Die Kindheitseindrücke vom farbigen Leben im Schatten der alten Moscheen ließen ihn nicht mehr los. In diesem Umfeld spielen auch viele seiner Romane, wie die Midaq-Gasse und seine Kairo-Trilogie .

Man nennt Machfus in der arabischen Welt den "Balzac Ägyptens", rückte ihn in die Nähe von Tolstoi, Dickens und Thomas Mann. Er ist der "Vater des ägyptischen Romans".
Nagib Machfus hat sich für den Roman entschieden, eine Literaturgattung, die damals in der arabischen Welt noch völlig unbekannt war. Er hat alle Elemente der volkstümlichen Erzählkunst in sein episches Werk aufgenommen. Als erster wagte er es, schreibend "zu erzählen".

Nagib Machfus: "Bei uns verstand man damals unter Literatur den Essay, die Poesie und die Geschichtsschreibung. ….. Man betrachtete ‚Tausendundeine Nacht’ als ein Produkt der Volksdichtung, das keinerlei literarische Bedeutung hatte."

Das nahezu 50 Romane, Kurzgeschichten und Novellen umfassende Lebenswerk ist in die Weltliteratur eingegangen. Machfus ist bekannt für seinen trockenen Humor, der aus der Tiefe seines gesamten Denkens aufblitzt. Man erzählt in Kairo, dass die meisten politischen Witze von ihm im Kaffeehaus erfunden wurden.

Als engagierter Romancier setzte sich Nagib Machfus sein Leben lang für humanistische Grundwerte ein. Als aufgeklärter Zeitgenosse, plädierte er unerschrocken für eine Trennung zwischen Staat und Religion, d.h. für eine Säkularisierung der arabischen Gesellschaft. Das brachte ihm die Feindschaft der Fundamentalisten ein.

Die Nobelpreisverleihung 1988 schützte den Autor nicht vor dem Zorn der islamischen Fundamentalisten, die ihn als den Salman Rushdie Ägyptens bezeichneten. Diese Drohung wurde r im Oktober 1994 zur Tatsache. Mitten auf der Straße, auf dem Weg zu seinem Cafe wurde er von einem Terroristen niedergestochen. Sein Freund und Schriftstellerkollege Gamal al-Ghitani über die Gefahr für die künstlerische Freiheit in Ägypten.

Gamal Ghitani: "Es gibt eine Kraft, die die Freiheit des künstlerischen Ausdrucks tatsächlich bedroht: Man findet sie nicht in der Regierung, sondern auf der Straße. Das sind die islamisch-fundamentalistischen Kräfte, die der Literatur gegenüber sehr feindlich eingestellt sind.

.... ihre feindliche Haltung zur Literatur wurde durch die Verleihung des Nobelpreises an Nagib Machfus noch verstärkt. Jetzt erst wurden sie auf den Roman "Die Kinder unseres Viertels" aufmerksam, der von Al-Azhar Moschee, der höchsten Instanz im sunnitischen Islam bereits 1959 verboten worden war."