Der Begriff ist tot, es lebe das Gefühl

Von Mechthild Klein |
Das Wort Demut ist aus der Mode gekommen. Angestaubt klingt der Begriff und viele Menschen verbinden damit zunächst einmal etwas Negatives. Nicht zuletzt, weil in der Kirche Jahrhundertlang Demut und Unterwürfigkeit geradezu eingefordert wurde. Dennoch spricht einiges dafür, auch heute Konzepte der Demut anzuwenden.
Gerd-Rainer: "Demut - also wenn ich das Wort höre, dann kommt mir das Bild von einem alten Mütterchen, das mindestens einmal pro Tag in die Kirche rennt, in den Sinn."
Nikola: "Eigentlich finde ich, dass es schon 'n bisschen was Positives ist und was mit Respekt zu tun hat."
Christopher: "Ich kenn es so als Tugendbegriff - so demütig und bescheiden sein. Hab ich aber schon lange nicht mehr gehört, also ist mir 'n bisschen fremd geworden."

Das Wort Demut ist aus der Mode gekommen. Angestaubt klingt der Begriff und viele Menschen verbinden damit zunächst einmal etwas Negatives. Nicht zuletzt, weil in der Kirche Jahrhundertlang Demut und Unterwürfigkeit geradezu eingefordert wurde. Der Philosoph Friedrich Nietzsche hatte sich vor 130 Jahren über die demütige Haltung der Gläubigen lustig gemacht.

"Der getretene Wurm krümmt sich. So ist es klug. Er verringert damit die Wahrscheinlichkeit, von neuem getreten zu werden. In der Sprache der Moral: Demut." (Friedrich Nietzsche: Vorrede zur "Genealogie der Moral")

Das Gleichnis stammt aus spitzen Feder Nietzsches. Der Philosoph versucht den wahren Kern der Demut sowie jedes Altruismus in der Motivation zu entlarven. Und kommt zu dem Schluss, dass hier Berechnung im Spiel ist:

"Wer sich selbst erniedrigt, will erhöht werden."
(Quelle: Nietzsche: Menschliches, Allzumenschliches)

Über die Motivation von Demut kann man also durchaus streiten. Wenden wir uns dem Ursprung des Begriffs zu. Bereits in der hebräischen Bibel steht Demut für Gottesfurcht und Unterwerfung. Eine weitere Facette kommt im Christentum dazu, in der Jesus sich demütig dem Willen des Vaters unterwirft bis zum Tod am Kreuz. Jesus erklärte auch immer wieder seine Solidarität mit den Erniedrigten und Gedemütigten.

Der Apostel Paulus und zahlreiche Kirchenväter von Augustinus bis Thomas von Aquin haben dem Begriff immer wieder neue Wendungen gegeben. Im Hochmittelalter bildete sich eine regelrechte Erbauungsliteratur über die Demutsfrömmigkeit heraus.

Übrigens stammt das deutsche Wort Demut aus dem altenhochdeutschen "diomuoti", mittelhochdeutsch "diemüete" und bezeichnete die Gesinnung der Gefolgschaft.

"Die einzige Weisheit, die wir erwerben können, ist die Weisheit der Demut: Demut ist ohne Ende."

Thomas Stearns Eliot, US-amerikanischer Schriftsteller und Nobelpreisträger.
Bruder Gaudentius: "Demut ist unübersetzbar, eigentlich. Und ist schon die Übersetzung eines Begriffes aus anderen Sprachen."

Bruder Gaudentius Sauermann aus dem Benediktiner-Kloster Nütschau in Schleswig-Holstein:

"Die Christen meinen damit wie die Juden die Haltung des Menschen, der vor Gott lebt. Das ist es."

"Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade."

Heißt es bei Jakobus (Kapitel 4, Vers 6).

Liesbeth: "Ich glaube, Demut hat verschiedene Bedeutungen und deshalb mögen auch nicht alle Menschen das Wort."

Liesbeth, Musikerin.

"Demut hat natürlich sehr lange bedeutet für viele Leute, die christlich aufgewachsen und erzogen waren, dass man immer sehr bescheiden sein soll, nicht die eigene Talente ... immer bescheiden darüber sein soll und das man immer glauben soll, dass Gott alles für dich bestimmt und dass man auch die eigene Wille ein bisschen ausschalten soll und das passt natürlich gar nicht mehr bei jetzt."

Bruder Gaudentius: "Dann komme ich auf das Wort Demut, das ja mit Dienmut zusammenhängt. Mut zum Dienen. Und da haben wir ja durch die 68er einen Einbruch. Nicht nur durch die 68er. Dieses Wort Demut scheint den versklavten Menschen zu meinen, der abhängig gemacht worden ist von Mächtigen, die ihre Macht missbrauchen. Und das wird dann wieder gemeint. Davon müssen wir den Menschen befreien."

Tatsächlich glauben viele Leute heute, sie seien weitgehend autonom und selbstständig. Da widerspricht der Benediktinerpater.

"( ... )Aber diese Bedeutung, dass der Mensch total souverän und unabhängig ist, vernachlässigt, dass jeder Mensch vom Anfang des Lebens bis zuletzt auf den Dienst anderer angewiesen ist. Er lebt nicht von sich. Er ist nicht souverän, sondern er ist total abhängig. Es gibt menschliches Leben nur in Gemeinschaft. Mit Hilfe und Dienst anderer."

Margret Meyer, Hospizhelferin: "Für mich ist Demut eine bestimmte Einstellung oder Haltung oder Art sich zu geben oder zu leben. Und wenn einer jetzt demütig ist, dann denke ich ist er, und das kann man nur erstrebenswert halten oder nicht, dass er nicht immer alles haben will, sondern mit dem zufrieden ist, was er hat ..."

Die Hospizhelferin Margret Meyer aus Hamburg findet zwar eine Definition von Demut, kann mit dem Begriff in ihrer Arbeit aber wenig anfangen. Motivation für ihre Besuche bei Sterbenskranken würde sie eher unter dem Begriff "sinnvoll Helfen wollen" zusammenfassen und ...

" ( ... ) dass mir das häufig sehr leid tut, wie der Mensch da liegt und kümmerlich und in sich zusammengesunken und alles nicht mehr kann und auf Hilfe angewiesen ist. Und auch eigentlich nicht mehr richtig sprechen kann oder überhaupt nicht mehr sprechen kann oder ganz schwer atmet. Dann geht es mir so, dass ich den irgendwie - aber man auch nicht immer in den Arm nehmen möchte oder trösten möchte oder irgendwie diesen Zustand erleichtern möchte. ( ... )Ich hab dann nur die Hand gehalten und erst mal gestreichelt, weil das immer so ein Besitz ergreifen wäre, bei jemandem, mit dem man nicht so vertraut ist, den würde ich jetzt nicht umarmen wollen.""

Es ist die Ausnahme, dass ehrenamtliche Hospizhelfer wie Margret Meyer die Pflegepatienten manchmal zwei Jahre lang kennen. Oft sind es nur ein paar Wochen Begleitung, bis der Mensch stirbt. Die ehemalige Lehrerin muss sich bei der Kontaktaufnahme und Kommunikation als Sterbebegleiterin also sehr auf ihre Intuition verlassen. Eine große Unsicherheit ist dabei auszuhalten, denn jeder Besuch kann der letzte sein. Und man kann nichts mehr ändern, weder zurücknehmen noch hinzufügen. Manchmal sitzt sie auch nur schweigend am Bett des Kranken.

"Da kann ich gar nichts anderes machen ( ... ) gut, Familienangehörige können etwas anderes sprechen, weil sie den Menschen ja länger kennen, wenn's die Mutter ist, oder der Vater oder die Schwester. Aber wenn ich jetzt komme, ich kenne ja immer nur das, was die Menschen mir erzählt haben, innerhalb von einem Jahr oder wie in diesem Fall von zwei Jahren, oder von acht Wochen oder noch weniger. Und was kann ich tun, was können die anderen Familienangehörigen tun? Sie können am Bett sitzen mit dem Sterbenden sprechen, sie können ihm irgendwas von früher erzählen, was ich natürlich nicht kann, weil ich den Menschen ja nicht lange kenne. Ich muss mich dann auf irgendwas anderes beschränken."

" ... rechte Demut weiß nimmer, dass sie demütig ist."

Auf Martin Luther geht dieses Zitat zurück. Luther als ehemaliger Augustiner machte die Erfahrung, dass man durch Buße nicht demütig wird, aber er übernimmt aus dem Mönchtum die Hochschätzung der Demut. Allerdings sieht er in ihr kein asketisches Ideal mehr oder gar eine verdienstliche Leistung. Vielmehr geht es ihm, um eine innere Selbstbeurteilung des Menschen, die aus der Auffassung kommt, der Mensch sei ein sündhaftes Wesen.

Dennoch war der Protestantismus immer wieder mit Frömmigkeitsbewegungen konfrontiert, welche Demut in der Selbstdemütigung suchten oder als wünschenswerte religiöse Leistung verstanden haben. Davon hat sich die evangelische Frömmigkeit längst wieder abgewandt. Heute kommt einer Handlungsethik wieder eine größere Rolle zu, sie wird von der Achtung vor der Schöpfung und ihrer Erhaltung gespeist.

Fulbert Steffensky: "Mir kommt's eigentlich sehr darauf an, dass man die Haltung der Demut nicht nur festmacht an einem Menschen, an einem Subjekt. Sondern dass man sie als eine Lebensbewegung auffasst."

Fulbert Steffensky, evangelischer Religionspädagoge, Autor und ehemaliger Benediktinermönch.

"Und dann würde ich schon sagen, es gibt Demutsbewegungen, zum Beispiel Attac. Also der Wunsch, anders mit der Natur umzugehen. Der Wunsch, anders mit dem Wasser umzugehen. Der Wunsch, nicht so viel Wasser zu verbrauchen, wie wir verbrauchen. Das sind Haltungen der Selbstbegrenzung. Und ich glaube, dass die wachsen und weithin gewachsen sind."

Sucht man ein Beispiel für einen demütigen Menschen, fällt vielen spontan Mutter Theresa ein oder Pastor Dietrich Bonhoeffer.

Liesbeth: "Ich denke dann zum Beispiel an jemand, den ich sehr demütig finde und darüber auch geschrieben hat. Das ist der vietnamesische Mönch Thich Nhat Hanh. Der lebt in Südfrankreich und (...) ja ist sehr demütig, wie er spricht und so. Es ist nicht, dass man eine große Sprecher hört. Es ist sehr einfach, aber hat eine sehr große Kraft. Und ich denke, die Kraft kommt vor aus dieser Demütigkeit von diesem Mann."
Christopher: "Demut hat für mich auch was mit Dankbarkeit zu tun (...), dass man das, was man hat, dafür auch dankbar sein kann."
Nikola: "Ich verbinde Demut (...) ganz stark mit Religion, also dass man sich demütig ergibt in den von Gott gegebenen Sachen, dass man eben auch respektiert und das gar nicht als sich klein machen ansieht, sondern mehr: Ich ergebe mich, aber mehr im positiven Sinne, also ich kann mich da hineinfallen lassen in etwas."

Dag Hammarskjöld. Der schwedische Generalsekretär der Vereinten Nationen hinterließ nach seinem Tod bei einem Flugzeugabsturz im Jahr 1961 ein vielbeachtetes spirituelles Tagebuch. Er schreibt:

"Demut heißt, sich nicht vergleichen."

Werfen wir einen Blick auf die mönchischen Traditionen, in welchen die Demut im Mittelalter geradezu eine Inflation erlebt hatte. Für Franz von Assisi, den Begründer des franziskanischen Bettelordens, bekam im 12. Jahrhundert die Demut in Verbindung mit der Armut eine ganz neue Anziehungskraft. Es gibt kaum einen radikaleren Demutsbefürworter:

"Selig, wer sich vor Untergebenen so demütig benimmt, wie wenn er vor seinem Obern und Herrn stünde." (Franz von Assisi, Seligpreisungen)

In seinem Orden wollte Franz von Assisi alles Machtstreben und die Gefahr der Ämtersucht unterbinden. Er ging so weit, dass er sich und andere nicht als Abt oder Prior ansprechen ließ, sondern nur als "Diener" oder "minderer Bruder". Dass seine Mitbrüder damals überhaupt eine feste Bleibe und später steinerne Klöster unterhalten durften, wurde dem Ordensgründer mühsam abgerungen. Den Grundstein für diese Auffassung von Demut legte zuvor bereits die ältere umfangreiche Ordensregel des Heiligen Benedikt. Das lange und schwer zu verstehende Kapitel 7 widmet sich den zwölf Stufen der Demut:

Kapitel 7: Die Demut

1. Laut ruft uns, Brüder, die Heilige Schrift zu: "Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, wer sich aber selbst erniedrigt, wird erhöht werden."
2. Mit diesen Worten zeigt sie uns also, dass jede Selbsterhöhung aus dem Stolz hervorgeht.
3. Davor hütet sich der Prophet und sagt: "Herr, mein Herz ist nicht überheblich, und meine Augen schauen nicht hochmütig; ich ergehe mich nicht in Dingen, die für mich zu hoch und zu wunderbar sind."

Bruder Gaudentius: "Ja, beim heiligen Benedikt kann ich sozusagen lernen. Nämlich die Frage ist für ihn: Wie können wir das Evangelium gemeinsam leben? Wie können wir leben, wie Jesus das gemeint hat und unter seiner Leitung? Und wie ist es möglich, dass wir uns diese Regel nicht nur äußerlich zu eigen machen, sondern innerlich, auch davon uns formen lassen? Das können wir nur gemeinsam. Also ein Einsiedler hat es da schwerer, weil er niemanden hat, dem er helfen kann, dem er beistehen kann, also man kann es nur miteinander lernen. (...) Benedikt ist überzeugt davon: Christ sein kann man eigentlich nur gemeinsam. Und Demut ist ne Form von gemeinsamem Leben.

Kannst Dir nicht verordnen. Du bist nicht demütig. Du kannst es nur erfahren. Du kannst es nur erfahren, dass du es nicht bist und du kannst dann merken, was dir fehlt. Also ich war 'ne Reihe von Jahren hier in der Verantwortung für das Kloster und erinnere mich noch, ich war 41, als das geschah. Und dann war hier Zusammenkunft von Menschen, wo ich gebraucht worden wäre und ich war nicht da, weil ich meine Zeit noch nicht richtig eingeteilt hatte und unser Bruder Johannes war der einzige, der da war und der ärgerte sich wahnsinnig, dass ich nicht da war. Und er war auch 15 Jahr älter als ich. Er hatte also Grund genug sich zu ärgern. Am Abend, als die Leute wieder weg waren, gab das zwischen mir und ihm ein Handgemenge beim Abendbrot. (lacht)

Das war also unerträglich und es war gleichzeitig noch der Vorabend vom Fest des Heiligen Gaudentius, also ich heiß ja Gaudentius (...) und eigentlich freut man sich und gratuliert. Und einer von unseren Mitbrüdern, der dachte, heute gibt es nur Chaos. Da kommen wir überhaupt nicht mehr zusammen. Und dann kamen wir hinterher zusammen und es war alles wie immer, als ob nichts passiert gewesen wäre. Da haben wir, wir waren nur fünf damals. Da haben wir uns alle miteinander uns angenommen, ohne dass ich noch zuviel hätte mich entschuldigen müssen und ich konnte das einfach darlegen und wir konnten uns annehmen und sagen, ja so sind wir jetzt zusammen."

Auf den mittelalterlichen Gelehrten Thomas von Aquin geht die Auslegung der Demut als eine der Kardinaltugenden zurück. Thomas geht es weniger um Unterwürfigkeit, sondern um das Erlebnis der Gnade und das eigene Bemühen, sich im Handeln zu mäßigen. Es gilt die rechte Mitte zwischen dem Hochmut und der Resignation zu finden. Durch realistische Selbsteinschätzung seiner Beziehung zu Gott findet der Mensch sich in Abhängigkeit von Gott wieder. Er erfährt seine Grenzen, die er weiter erkennen und annehmen soll.

Fulbert Steffensky: "Ich glaube, es gibt überhaupt keine Tugend, ohne dass man sie lernt. Es gibt auch Demut nicht, ohne dass man es lernt, sich seine Grenzen zuzugeben. Sie sich zu stecken, sich zu überwinden. Also das is' ein Stück Arbeit. Alle Begriffe der Ethik sind auch mit Arbeit verbunden. Würd ich schon sagen, dann aber kann es schon sein, dass plötzlich Augenblicke kommen, wo ich erfahre, wer ich bin. Wie ich verbunden bin, wie ich geliebt bin, wie klein ich bin. Wie ich wichtig bin. Also - geschenkte Augenblicke."

Sagt der evangelische Religionspädagoge Fulbert Steffensky.

"Also wenn ich Attac nenne oder eine Bewegung dieser Art, ist Selbstlosigkeit ja nicht Ziel. Sondern die Selbstlosigkeit ist das Mittel, dem Leben zu dienen. Dem eigenen Leben, dem Leben der anderen, dem Leben der Enkelkinder, und so weiter. Aber es hat natürlich auch, trifft das für einen einzelnen zu, dass der fragt, was darf ich nicht tun. Was muss ich nicht tun, um nicht mich selbst und das Leben der Welt zu gefährden. Also ich hätte ihn gerne als politischen Begriff. Obwohl es natürlich auch schön ist, wenn man Menschen trifft, die sich ihrer Grenzen bewusst sind. Die sterben können, die nicht gesund sein müssen bis dorthinaus. Die nicht schön sein müssen bis dort hinaus. Das sind ja alles Grenzenlosigkeiten, die der Mensch sich auferlegt. Das ist eine Last! Das ist eine Last, unter dem Zwang der Grenzenlosigkeit zu stehen. Irritiert zu sein, wenn ich mich nicht als der Schönste empfinde. Oder als der Klügste oder ich weiß es nicht was. Ich glaube, dass Demut sehr viel mit Heiterkeit zu tun hat. Mit heiterer Anerkennung der Grenze des eigenen Lebens, des eigenen Tuns. Eigentlich sehr schön."

Dabei muss man gar nicht religiös sein, um Demut erfahren zu können, sagt der Begründer der deutschen Sektion von Attac, Sven Giegold.

"Für mich ist diese Erfahrung von Demut am allerstärksten in der Natur und das ist etwas, was ich regelmäßig habe. Verschieden stark. Aber wenn ich offen bin, meist wenn ich alleine bin, aber gar nicht unbedingt, können sich immer so Erfahrungen von Einssein mit der Natur einstellen und das Realisieren, eigentlich nur ein kleiner Teil eines großen Ganzen, unglaublich Schönen zu sein. Und das würde ich schon als Demutserfahrung beschreiben. Und solche Erfahrungen in der Natur hab ich immer wieder gemacht, also schon als Jugendlicher und seitdem öffnet sich das immer wieder. Das ist sehr schön und gleichzeitig ist es auch 'ne Basis für die Wertschätzung der Schöpfung oder der Natur."

Davon berichten Menschen immer wieder, dass sie sich in der unberührten Natur plötzlich als Teil des Ganzen empfinden.

Wie wäre es denn mit einer Portion Demut im Parlament? Wer erst ein Amt inne hat, verabschiedet sich meist von seinen hochgesteckten Zielen. Dann heißt es, es müssten Kompromisse gemacht machen und vieles sei einfach nicht machbar in der realen Politik.

Steffensky: "Nein, das ist der Glaube an die Sachzwänge. Es geht nicht anders, man muss das machen, wie wir es jetzt tun. Das glaube ich nicht. Ich bin da eigentlich optimistisch, dem Menschen auch seiner gesellschaftlichen Verfassung gegenüber. Ich glaube schon, dass man was ändern kann. Ich glaube auch, dass die Aufmerksamkeit wächst."

Sven Giegold: "Ich weiß gar nicht, ob Politik das muss. Ich würde eher sagen, aus einer demütigen Haltung folgen bestimmte Prinzipien wie etwa der Erhaltung der Natur und zwar nicht nur so, dass wir als Menschen darin überleben, sondern auch das Schützen der Natur, so wie sie uns geschenkt wurde. Und das zum Prinzip oder zur Orientierung des eigenen politischen Handelns zu machen, das halte ich für notwendig."

Steffensky: "Man kann mit Tieren anders umgehen als wir umgehen. Das heißt natürlich eine Reduktion unserer Luxusbedürfnisse etwa. Wir brauchen einfach nicht, was wir benutzen. Wir benutzen ja viel mehr, als wir brauchen. Und damit verliert man, man könnte sagen, den Trost der Welt, auch den Trost der Natur. Wenn alles nur benutzbare Ware ist. Ich glaube auch, dass die Beziehungen der Menschen dann Nutzbeziehungen werden hauptsächlich, wenn man so mit der Welt umgeht. Nutzbeziehungen: Also dass der Mensch nicht um seiner selbst Willen da ist, sondern ein benutzbares Material, ich denke, was würde zum Beispiel aus der Liebe - wenn es eine Nutzbeziehung würde."

"Die Demut gibt jedem, auch dem einsam Verzweifelnden, das stärkste Verhältnis zum Mitmenschen, und zwar sofort, allerdings nur bei völliger und dauernder Demut."
(Franz Kafka: Betrachtungen über Sünde, Leid, Hoffnung und den wahren Weg)

Offenbar gibt es viele Deutungen von Demut. Vielleicht hat sich auch ein Wandel in der Grundbedeutung angebahnt.

Fulbert Steffensky: "Also das glaube ich nicht, ich glaube dass es ein ganz anderes, eine ganz moderne Sache ist, eine moderne Übersetzung aus der Notwendigkeit anderer Zeiten. Früher konnten die Menschen noch nicht so viel wie wir können und sie konnten auch nicht so viel zerstören, nicht mal durch den Krieg. So gewalttätig die waren, unsere Kriege sind viel schrecklicher. Früher konnten sie die Natur nicht auf diese Weise zerstören. Es gab auch große Naturzerstörungen, zum Beispiel die Abholzung der Wälder für Kriegszwecke. Aber dass wir ganze Erdteile unter Umständen zerstören kann, das konnte man noch nicht. Also ich glaube tatsächlich, dass das Herz diese Begriffes alt ist, aber dass seine Anwendung heute anders ist. Weil die Zeiten anders sind."

Demut hat - wie der Politiker Egon Bahr einmal sagte - eben auch viel mit Einsicht zu tun.

Steffensky: "Das ist überall eine Lebensweisheit: Ich bin ein Mensch mit Grenzen. Zum Beispiel, meine Kinder müssen nicht sein wie ich. Sie müssen nicht glauben, die Lebensvision haben wie ich. Ich werd ihnen meine Version zumuten. Meinen Glauben und meine Lebensauffassung zumuten, aber gewaltlos. Ich glaube, dass Demut viel mit Gewaltlosigkeit zu tun hat. So gewaltlos, dass sie sich anders entscheiden können. Oder zum Beispiel in der Partnerschaft zu wissen, dass man nicht der ist und nicht der sein kann, der vollkommen genügend für einen anderen Menschen ist. Das ist sehr wichtig. Dass ein anderer Mensch, ein Partner oder Partnerin vielleicht noch andere Leute braucht als mich selber, andere Freunde oder ich weiß es nicht. Also die Grenze anerkennen."

Der Benediktinerpater Gaudentius glaubt, dass der Weg der Demut über den Alltag führt.

"Und dieser Alltag ist wichtig und ernst zu nehmen. Also das ist nicht nur sozusagen ein als ob, ist auch nicht nur ein Durchgang. Sondern für Jesus ist der heutige Tag, der Tag an dem es passiert. Für die wichtigen Dinge des Lebens und für die Gesetzmäßigkeiten der Personalität, also der Begegnung zwischen Mensch und Mensch, ist es so. Der heutige Tag ist entscheidend, was da gut ist, das ist auch ein guter Schritt für morgen."