Der Begriff "Profitrate"

Wo Marx irrte

Der deutsche Philosoph, Schriftsteller und Politiker Karl Marx in einer Aquatinta-Radierung von Werner Ruhner "Karl Marx in seinem Arbeitszimmer in London".
Der deutsche Philosoph, Schriftsteller und Politiker Karl Marx in einer Aquatinta-Radierung von Werner Ruhner "Karl Marx in seinem Arbeitszimmer in London". © dpa/picture alliance
Von Hans-Werner Sinn · 23.03.2018
Der Kapitalismus würde scheitern, war Karl Marx überzeugt und untermauerte seine Theorie mit dem Verhältnis zwischen betrieblichen Rohgewinnen und dem eingesetzten Kapital – sprich der Profitrate. Doch die Theorie habe einen Haken, meint der Ökonom Hans-Werner Sinn.
Marx war vom Untergang des Kapitalismus überzeugt. Dieses System sei durch eine Abfolge von immer schärferen Wirtschaftskrisen gekennzeichnet, an denen es schließlich zugrunde gehe. Von zentraler Bedeutung bei diesem Krisengeschehen ist nach Marx die Profitrate, also das Verhältnis der betrieblichen Rohgewinne einschließlich aller daraus gezahlten Zinsen und Abgaben zum eingesetzten Kapital. Heute würde man von der Bruttoverzinsung des eingesetzten Gesamtkapitals einer Unternehmung reden.

Eine sinkende Profitrate führt zum Investitionsstreik

Marx war der Meinung, dass im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung mehr Kapital durch Ersparnis gebildet wird, als überhaupt sinnvoll verwendet werden kann. Zwar steige durch den vermehrten Kapitaleinsatz das Nationaleinkommen, weil immer bessere Maschinen finanziert werden können. Das Nationaleinkommen steige aber nur unterproportional. Und da der Profit ein Teil dieses Nationaleinkommens ist, müsse die Profitrate tendenziell fallen. Wenn schließlich die Profitrate so niedrig sei, dass die Unternehmer kein Interesse mehr hätten, neues Kapital zu investieren, um ihre Produktion auszudehnen, komme es zum Investitionsstreik, zur Krise. Die Industrien, die die Kapitalgüter, also im Wesentlichen Maschinen und Fabrikgebäude, herstellen, könnten ihre Produkte nicht mehr an andere Firmen verkaufen und gingen in Konkurs.

Wirtschaftskrisen lassen Profitrate steigen

In der Krise komme es zu Massenentlassungen, und die Produktionsanlagen der Firmenbesitzer verlören an Wert. Das sei freilich der Keim des neuen Aufschwungs, denn neue, junge Unternehmen könnten nun die nicht mehr benötigten Immobilien und Maschinen billig erwerben und die freigesetzten Arbeiter bei sich einstellen. Wegen der rapiden Entwertung des Kapitals sei nun auch die Profitrate wieder so hoch, so dass sich die Investitionen abermals lohnen. Freilich werde damit, so Marx, schon wieder der Keim einer neuen Krise gelegt.

Marxsche Annahme ist falsch

Was ist zu dieser Theorie aus heutiger Sicht zu sagen? Sie enthält richtige und wichtige Beobachtungen. Kein geringerer als Joseph Schumpeter, jener österreichische Nationalökonom, der 1932 nach Amerika auswanderte und von dort aus mit seiner "Theorie der schöpferischen Zerstörung" Furore machte, hat sich sehr stark an Marx angelehnt. Der Pferdefuß der Theorie liegt freilich in der Behauptung, dass der Kapitaleinsatz zwangsläufig schneller als das Volkseinkommen wachsen müsse, weil das Mehr an Kapital immer weniger neues Volkseinkommen erzeuge. Dieser Teil der Theorie hat sich empirisch nicht bewahrheitet. Vielmehr wachsen Volkseinkommen und Kapitaleinsatz langfristig in etwa mit derselben Rate.

Wirtschaftswachstum führt zu spekulativen Blasen

Dennoch hat Marxens Theorie insofern Relevanz, als immer wieder Phasen überschäumenden Wirtschaftswachstums zu beobachten sind, weil die Marktteilnehmer übermäßig optimistische Erwartungen haben und sich spekulative Blasen bilden. Das liegt regelmäßig auch daran, dass die Zentralbank die Blasen nicht zu stoppen wagt und die Staaten die im Boom sprudelnden Steuereinnahmen ausgeben, anstatt sie zur Schuldentilgung zu verwenden. Regelmäßig bauen sich Blasen auf und platzen dann, was eine Krise von der Art impliziert, wie sie Marx beschrieben hat.

Geldschwemme führt zur Entwertung des Kapitals

So ist zum Beispiel Südeuropa durch das billige Geld, das der Euro zur Verfügung gestellt hat in eine Blase geraten, deren Konsequenzen bis zum heutigen Tage nicht überwunden sind. Dass die Krise so lange anhält, liegt auch daran, dass die europäische Zentralbank mit einer Geldschwemme die Entwertung des Kapitals und damit die erneute Erhöhung der Profitrate verhindert hat. Eine dauerhaftes Siechtum, aber wohl nicht das Ende des Kapitalismus, könnte das Ergebnis einer solchen Politik sein.

Hans-Werner Sinn war bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2016 Präsident des ifo Instituts, Direktor des Center for Economic Studies (CES) und Geschäftsführer der CESifo GmbH. Sinn gehört zu den forschungsstärksten deutschsprachigen Ökonomen.

Die breite Öffentlichkeit kennt Sinn durch seine zahlreichen Medienauftritte und als Autor zahlreicher wirtschaftspolitischer Sachbücher, die selbst für den Laien verständlich sind. Seine neuesten Bücher sind "Der Euro. Von der Friedensidee zum Zankapfel" sowie "Der Schwarze Juni. Brexit, Flüchtlingswelle, Euro-Desaster – Wie die Neugründung Europas gelingen kann".

Seine Forschungsschwerpunkte sind Steuern, Umwelt, Wachstum und erschöpfbare Ressourcen, Risikotheorie, Klima und Energie, Banken, Demographie und Sozialversicherung, Makro, Systemwettbewerb. Er ist Mitglied zahlreicher Gremien in Politik und Wissenschaft und wurde mit vielen Auszeichnungen geehrt.

Der Wirtschaftsexperte Hans-Werner Sinn
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