Der "Beiseitesteher"
Bei seinem Tod 1956 ist er ein nicht mehr gelesener Autor. Das ändert sich erst, als der Suhrkamp Verlag das Werk Robert Walsers vollständig herausbringt und prominente Autoren zu Fürsprechern des Schweizers werden. Heute gilt er als Klassiker, dessen Literatur und Leben aber noch immer Rätsel aufgeben.
Abseits des Weges, vor einer Mauer im Gebüsch, findet man nach längerer Suche auf dem Herisauer Friedhof eine pechschwarz granitene Gedenktafel: "Robert Walser 1878 – 1956", steht da, und dann folgen, eingraviert, ein paar Zeilen von Walser: "Ich mache meinen Gang / Der führt ein Stückchen weit / und heim: ohne Klang / und Wort bin ich beiseit." Sein letzter Gang führte den "Beiseitesteher" Robert Walser rund um die Heilanstalt Herisau. Der Literaturwissenschaftler, Walser-Experte und -Biograf Bernhard Echte schildert diese letzten Stunden:
" Er ist am 25. 12. 1956 mittags zu einem seiner Spaziergänge aufgebrochen und ist einen relativ steilen Hang hinauf gelaufen durch einen Wald hindurch und kam oben an einer Kuppe an, wo sich dann der Blick weitet und wo es dann etwas hinuntergeht, und da ist er den Schnee hinuntergegangen, und dort hat ihn dann ein Herzschlag ereilt, und er ist im Schnee tot gefunden worden. "
Er sei gern allein. Da kämen einem die Gedanken und keiner störe, schreibt Robert Walser einmal. Als er den Satz notiert, ist er Anfang zwanzig. Die Gedanken des in Biel geborenen Dichters kreisen fast ausschließlich um die Poesie, auch wenn er einen Teil seines Lebens als Angestellter an unpoetischen Orten zubringt. Seine Karriere beginnt verheißungsvoll: Im Jahr 1898 druckt der einflussreiche Kritiker Joseph Victor Widmann in einer Berner Zeitung Gedichte des Bankkaufmannlehrlings. Franz Blei wird auf das Talent aufmerksam und führt Walser ein in den Kreis um die Zeitschrift "Die Insel". Gleichwohl wirkt er von Anfang an wie ein Getriebener.
Echte: " Robert Walsers Existenz hat schon ein bisschen etwas Vagabundisches. Insbesondere in Zürich, als er ganz jung gewesen ist, da ist er wirklich sehr sehr viel umhergezogen. Er hat in Zürich etwa 14 verschiedene Adressen gehabt und ist zwischendurch noch in Thun, in Solothurn, in Winterthur, in Wädenswil und an anderen Orten gewesen. Und man merkt schon, es steckte da eine ziemliche Unruhe in ihm drin. "
Walser verdingt sich als Bürokraft – weil er eine so schöne Schrift hat – oder auch als Diener, eine Betätigung, die später seinen Roman "Der Gehülfe" grundiert.
" Diese Diskrepanz zwischen einem literarischen Talent, einem Geheimtipp, der überall rumgeboten wurde einerseits, und dem Dasein als anonymen Büro-Commis, das ist natürlich etwas, was auch eine ziemlich hohe Spannung in einem auslöst. Und Robert Walser hat sich natürlich immer wieder fragen müssen: Bin ich ein Autor? Kann ich mal als Schriftsteller leben? Oder bin ich dazu verurteilt, ewig in irgendeinem Büro zu versauern? "
1905 folgt er seinem Bruder Karl nach Berlin: Karl Walser ist Maler und bereits etabliert. Auch Robert reüssiert. Im Literaturbetrieb. Er schreibt "Die Geschwister Tanner" und "Jakob von Gunten". Franz Kafka, Hermann Hesse und Robert Musil bewundern ihn. Allerdings ist Walser zuweilen selbst der für Extravaganzen empfänglichen Kulturszene zu skurril.
" Auf einer Abendgesellschaft hat er mal dem Hugo von Hofmannsthal gesagt: "Können Sie nicht wenigstens mal eine Minute mal vergessen, so berühmt zu sein." Robert Walser war dann schon ein manchmal ziemlich provokanter Kerl, und konnte – insbesondere, wenn er dann etwas zu viel Alkohol drin hatte – schon ziemlich dicke Dinge machen. Er muss auch mal bei Samuel Fischer einen Stapel Schellack-Platten in aller Ruhe zerbrochen haben. "
"Ist ein Leben ohne Sonderbarkeiten, ohne sogenannte Verrücktheiten überhaupt ein Leben?", schreibt Walser. Die Antwort gibt er, indem er einen der rätselhaftesten Abschiede der Literaturgeschichte inszeniert: Ab 1909 zieht sich Walser zurück, sein Misstrauen gegen die "dumme Erfolgsfabrik" und die geschwätzige Moderne wird immer größer. Er kehrt heim in die Schweiz. Zwar beliefert er weiter regelmäßig Zeitungen mit seinen Feuilletons, aber die Existenz als freier Schriftsteller ist nicht nur in finanzieller Hinsicht bedroht. Walser trinkt, ist überarbeitet, macht Frauen zwielichtige Avancen, mit 50 gerät er in eine psychische Krise, die zur Einweisung in eine Klinik führt. Die Ärzte diagnostizieren Schizophrenie.
" Er hat gesagt, das schade seinem Schriftstellernamen und er fürchte, nie wieder rauszukommen. Und man hat ihn aber reingenötigt. Und er hat dann den Ärzten nach zehn Tagen gesagt, er könne hier nicht bleiben, er könne da seinen Beruf nicht ausführen, das sei unmöglich für ihn zu bleiben. Und dann fügte er so etwas typisch Walserisches hinzu und sagte, es gehe ihm hier zu gut in der Klinik. Er war umsorgt, er hat zu essen bekommen, es waren Leute um ihn herum. Diese Exponiertheit des einsamen Lebens war er los. "
Die nächsten fast 28 Jahre verbringt Walser in Kliniken, zunächst in Bern, dann ab 1933 bis zum Lebensende in Herisau. Anfangs schreibt er weiter seine so genannten Mikrogramme: winzige, fast unleserliche Bleistiftnotizen in Sütterlin, eine ausufernde Zeichen-Landschaft, die Werner Morlang und Bernhard Echte in endloser Arbeit erkundet, kartografiert und in sechs Bänden herausgegeben haben.
" Diese Mikrogramme sind ja eigentlich fast der sichtbare Ausdruck von Robert Walsers großer Rätselhaftigkeit und dem Geheimnis, das um diesen Autor ist. "
Irgendwann aber versiegt auch die Freude am Schreiben, und Walser lebt 23 Jahre lang fast sprachlos vor sich hin. "Ich bin überzeugt, dass Hölderlin die letzten dreißig Jahre seines Lebens gar nicht so unglücklich war, wie es die Literaturprofessoren ausmalen", hat er einmal, fast prophetisch auf sich selbst gemünzt, geschrieben. In einem bescheidenen Winkel dahinträumen zu können, ohne beständig Ansprüche erfüllen zu müssen – das sei bestimmt kein Martyrium.
" Er ist am 25. 12. 1956 mittags zu einem seiner Spaziergänge aufgebrochen und ist einen relativ steilen Hang hinauf gelaufen durch einen Wald hindurch und kam oben an einer Kuppe an, wo sich dann der Blick weitet und wo es dann etwas hinuntergeht, und da ist er den Schnee hinuntergegangen, und dort hat ihn dann ein Herzschlag ereilt, und er ist im Schnee tot gefunden worden. "
Er sei gern allein. Da kämen einem die Gedanken und keiner störe, schreibt Robert Walser einmal. Als er den Satz notiert, ist er Anfang zwanzig. Die Gedanken des in Biel geborenen Dichters kreisen fast ausschließlich um die Poesie, auch wenn er einen Teil seines Lebens als Angestellter an unpoetischen Orten zubringt. Seine Karriere beginnt verheißungsvoll: Im Jahr 1898 druckt der einflussreiche Kritiker Joseph Victor Widmann in einer Berner Zeitung Gedichte des Bankkaufmannlehrlings. Franz Blei wird auf das Talent aufmerksam und führt Walser ein in den Kreis um die Zeitschrift "Die Insel". Gleichwohl wirkt er von Anfang an wie ein Getriebener.
Echte: " Robert Walsers Existenz hat schon ein bisschen etwas Vagabundisches. Insbesondere in Zürich, als er ganz jung gewesen ist, da ist er wirklich sehr sehr viel umhergezogen. Er hat in Zürich etwa 14 verschiedene Adressen gehabt und ist zwischendurch noch in Thun, in Solothurn, in Winterthur, in Wädenswil und an anderen Orten gewesen. Und man merkt schon, es steckte da eine ziemliche Unruhe in ihm drin. "
Walser verdingt sich als Bürokraft – weil er eine so schöne Schrift hat – oder auch als Diener, eine Betätigung, die später seinen Roman "Der Gehülfe" grundiert.
" Diese Diskrepanz zwischen einem literarischen Talent, einem Geheimtipp, der überall rumgeboten wurde einerseits, und dem Dasein als anonymen Büro-Commis, das ist natürlich etwas, was auch eine ziemlich hohe Spannung in einem auslöst. Und Robert Walser hat sich natürlich immer wieder fragen müssen: Bin ich ein Autor? Kann ich mal als Schriftsteller leben? Oder bin ich dazu verurteilt, ewig in irgendeinem Büro zu versauern? "
1905 folgt er seinem Bruder Karl nach Berlin: Karl Walser ist Maler und bereits etabliert. Auch Robert reüssiert. Im Literaturbetrieb. Er schreibt "Die Geschwister Tanner" und "Jakob von Gunten". Franz Kafka, Hermann Hesse und Robert Musil bewundern ihn. Allerdings ist Walser zuweilen selbst der für Extravaganzen empfänglichen Kulturszene zu skurril.
" Auf einer Abendgesellschaft hat er mal dem Hugo von Hofmannsthal gesagt: "Können Sie nicht wenigstens mal eine Minute mal vergessen, so berühmt zu sein." Robert Walser war dann schon ein manchmal ziemlich provokanter Kerl, und konnte – insbesondere, wenn er dann etwas zu viel Alkohol drin hatte – schon ziemlich dicke Dinge machen. Er muss auch mal bei Samuel Fischer einen Stapel Schellack-Platten in aller Ruhe zerbrochen haben. "
"Ist ein Leben ohne Sonderbarkeiten, ohne sogenannte Verrücktheiten überhaupt ein Leben?", schreibt Walser. Die Antwort gibt er, indem er einen der rätselhaftesten Abschiede der Literaturgeschichte inszeniert: Ab 1909 zieht sich Walser zurück, sein Misstrauen gegen die "dumme Erfolgsfabrik" und die geschwätzige Moderne wird immer größer. Er kehrt heim in die Schweiz. Zwar beliefert er weiter regelmäßig Zeitungen mit seinen Feuilletons, aber die Existenz als freier Schriftsteller ist nicht nur in finanzieller Hinsicht bedroht. Walser trinkt, ist überarbeitet, macht Frauen zwielichtige Avancen, mit 50 gerät er in eine psychische Krise, die zur Einweisung in eine Klinik führt. Die Ärzte diagnostizieren Schizophrenie.
" Er hat gesagt, das schade seinem Schriftstellernamen und er fürchte, nie wieder rauszukommen. Und man hat ihn aber reingenötigt. Und er hat dann den Ärzten nach zehn Tagen gesagt, er könne hier nicht bleiben, er könne da seinen Beruf nicht ausführen, das sei unmöglich für ihn zu bleiben. Und dann fügte er so etwas typisch Walserisches hinzu und sagte, es gehe ihm hier zu gut in der Klinik. Er war umsorgt, er hat zu essen bekommen, es waren Leute um ihn herum. Diese Exponiertheit des einsamen Lebens war er los. "
Die nächsten fast 28 Jahre verbringt Walser in Kliniken, zunächst in Bern, dann ab 1933 bis zum Lebensende in Herisau. Anfangs schreibt er weiter seine so genannten Mikrogramme: winzige, fast unleserliche Bleistiftnotizen in Sütterlin, eine ausufernde Zeichen-Landschaft, die Werner Morlang und Bernhard Echte in endloser Arbeit erkundet, kartografiert und in sechs Bänden herausgegeben haben.
" Diese Mikrogramme sind ja eigentlich fast der sichtbare Ausdruck von Robert Walsers großer Rätselhaftigkeit und dem Geheimnis, das um diesen Autor ist. "
Irgendwann aber versiegt auch die Freude am Schreiben, und Walser lebt 23 Jahre lang fast sprachlos vor sich hin. "Ich bin überzeugt, dass Hölderlin die letzten dreißig Jahre seines Lebens gar nicht so unglücklich war, wie es die Literaturprofessoren ausmalen", hat er einmal, fast prophetisch auf sich selbst gemünzt, geschrieben. In einem bescheidenen Winkel dahinträumen zu können, ohne beständig Ansprüche erfüllen zu müssen – das sei bestimmt kein Martyrium.