Der bekannteste DDR-Dissident
Robert Havemann war der bekannteste Dissident der DDR, und er ist bis heute ein Mythos. Der Soziologe Harald Hurwitz ergründet nun in einer Biografie diese Rolle.
Er war der bekannteste Dissident der DDR, er ist bis heute ein Mythos: der Chemiker Robert Havemann, 1910 in München geboren, gestorben 1982 in der Nähe von Berlin. Ein Soziologe versuchte den Mythos nun zu ergründen - Harald Hurwitz aus Connecticut, Jahrgang 1924. Hurwitz kam 1946 mit der US-Militärregierung nach Berlin, er war Berater von Willy Brandt und Professor an der Freien Universität.
In seiner Biografie skizziert der Soziologe Havemanns "Anfänge": Kindheit und Jugend in Hannover und Bielefeld, die schwierige "Bürgerfamilie" und Roberts Hassliebe zum Vater; dann das Studium in München ab 1929 und die Zeit im Berlin der Dreißiger. Eine resolute Geliebte, Taxifahrerin, bekehrt den Wissenschaftler zum Kommunismus. ("Der Marxismus kam über mich wie eine Offenbarung", schreibt er.) Havemann engagiert sich im Widerstand gegen Hitler, er arbeitet für den Geheimdienst der Komintern, 1943 wird er verhaftet und zum Tode verurteilt.
Hier enden Hurwitz’ "Anfänge", doch ein Exkurs führt bis zum Ende der Siebziger: Nach 1945 macht Havemann erst in West-, dann in Ost-Berlin Karriere als Wissenschaftler, er wird Professor, strammer SED-Funktionär und über 17 Jahre Spitzel für KGB und Stasi. Chruschtschows Rede von 1956 soll den Parteikader geläutert haben.
Fortan kritisiert er das DDR-Regime, erst subtil, dann frontal. Das Regime reagiert mit Repression: Lehr- und Publikationsverbot, soziale Ächtung, Hausarrest. Bis zum Lebensende wird Robert Havemann überwacht und führt dennoch ein recht offenes Leben, mit Publikationen im Westen und einer Runde treuer Jünger.
Was interessiert an dem Mann? Sein Weg. Und die Fülle offener Fragen. Wie wurde der Apparatschik zum Kritiker, der Opportunist zum Rebellen? War er wirklich ein Dissident, oder, wie Sohn Florian meint, "ein staatlich geduldeter Staatsfeind"? Was für eine Art Kommunismus wollte dieser unbekehrbare Kommunist eigentlich, einen soften oder einen rigideren als Ulbricht, Honecker & Co.? Wie sollte das funktionieren - Sozialismus mit Demokratie und Freiheit? Und wie erklärt sich der Vaterhass von Sohn Florian, ausgebreitet in dem Buch "Havemann" von 2007?
Das alles war Robert Havemann für Hurwitz: ein Individualist, Genussmensch und Überlebenskünstler, streitbar, widersprüchlich, ruhelos suchend. Ein Angehöriger des neuen Adels. Ein Provokateur, ein "Seher" gar, aber einer, der zeitlebens unter dem Liebesentzug der hohen Genossen litt. Und auch dies soll Havemann gewesen sein: ein Egoist und Verführer, einer, der gern täuschte, manipulierte, ein Mann mit Geheimnissen, Lügen, Fiktionen. Das Lebensbild, schreibt Biograph Hurwitz, sei sein Versuch, Havemann zu verstehen.
Der Autor sammelte Daten in großer Zahl. Er hatte einen hohen Anspruch – und ist am Ende gescheitert. Die Studie hat keinen roten Faden, keinen Schluss, kein Quellenverzeichnis. Der Protagonist verschwindet immer mal wieder über Dutzende Seiten, 200 Nebenfiguren okkupieren das Papier. Auf die drängenden Fragen hat das Buch keine Antwort, die Rätsel kann es nicht erhellen. Widersprüche seines Idols hat der Verfasser zwar benannt - verschämt benannt -, aber nicht erkundet. Beispiel: In Bezug auf Spitzeldienste raunt Hurwitz knapp, das Studienobjekt pflegte "gewisse Einvernehmlichkeiten mit der Stasi".
Über weite Strecken ist das Werk unlesbar. Die Fakten wirken wie verklebt, verklumpt. Es gibt Monstersätze mit vierzig, fünfzig Wörtern, Plattitüden, unverständliche Anspielungen. Auch Grammatik-, Stil- und Logikschnitzer ohne Zahl machen die Lektüre zur Qual. Bisweilen wird aus den Schnitzern Unsinn. Über Olga Benario und das Jahr 1937 lesen wir etwa: "Sie verbrachte, wie damals in Moabit, nur drei Monate in sowjetischer Untersuchungshaft."
Florian Havemann meinte vor wenigen Jahren: Historiker, so nahe sie an den Fakten auch sein mögen, könnten stets nur "ihren Robert Havemann schreiben", sprich: eine Figur erschaffen, die sie sich "zurechtgelegt" hätten. Harold Hurwitz’ Werk bestätigt, wie schwierig es ist, eine Havemann-Biografie zu schreiben. Er hat sich für die "Anfänge" der Biografie lediglich den Mythos zurechtgelegt. Ende Mai 2012 ist der Autor gestorben. Einen Folgeband wird es vielleicht dennoch geben, hoffentlich mit einem mutigen, differenzierteren Blick auf die eigenwillige Persönlichkeit.
Besprochen von Uwe Stolzmann
Harold Hurwitz: Robert Havemann. Eine persönlich-politische Biografie. Teil I. Die Anfänge
Entenfuß Verlag, Berlin 2012, 272 Seiten, 16,90 Euro
In seiner Biografie skizziert der Soziologe Havemanns "Anfänge": Kindheit und Jugend in Hannover und Bielefeld, die schwierige "Bürgerfamilie" und Roberts Hassliebe zum Vater; dann das Studium in München ab 1929 und die Zeit im Berlin der Dreißiger. Eine resolute Geliebte, Taxifahrerin, bekehrt den Wissenschaftler zum Kommunismus. ("Der Marxismus kam über mich wie eine Offenbarung", schreibt er.) Havemann engagiert sich im Widerstand gegen Hitler, er arbeitet für den Geheimdienst der Komintern, 1943 wird er verhaftet und zum Tode verurteilt.
Hier enden Hurwitz’ "Anfänge", doch ein Exkurs führt bis zum Ende der Siebziger: Nach 1945 macht Havemann erst in West-, dann in Ost-Berlin Karriere als Wissenschaftler, er wird Professor, strammer SED-Funktionär und über 17 Jahre Spitzel für KGB und Stasi. Chruschtschows Rede von 1956 soll den Parteikader geläutert haben.
Fortan kritisiert er das DDR-Regime, erst subtil, dann frontal. Das Regime reagiert mit Repression: Lehr- und Publikationsverbot, soziale Ächtung, Hausarrest. Bis zum Lebensende wird Robert Havemann überwacht und führt dennoch ein recht offenes Leben, mit Publikationen im Westen und einer Runde treuer Jünger.
Was interessiert an dem Mann? Sein Weg. Und die Fülle offener Fragen. Wie wurde der Apparatschik zum Kritiker, der Opportunist zum Rebellen? War er wirklich ein Dissident, oder, wie Sohn Florian meint, "ein staatlich geduldeter Staatsfeind"? Was für eine Art Kommunismus wollte dieser unbekehrbare Kommunist eigentlich, einen soften oder einen rigideren als Ulbricht, Honecker & Co.? Wie sollte das funktionieren - Sozialismus mit Demokratie und Freiheit? Und wie erklärt sich der Vaterhass von Sohn Florian, ausgebreitet in dem Buch "Havemann" von 2007?
Das alles war Robert Havemann für Hurwitz: ein Individualist, Genussmensch und Überlebenskünstler, streitbar, widersprüchlich, ruhelos suchend. Ein Angehöriger des neuen Adels. Ein Provokateur, ein "Seher" gar, aber einer, der zeitlebens unter dem Liebesentzug der hohen Genossen litt. Und auch dies soll Havemann gewesen sein: ein Egoist und Verführer, einer, der gern täuschte, manipulierte, ein Mann mit Geheimnissen, Lügen, Fiktionen. Das Lebensbild, schreibt Biograph Hurwitz, sei sein Versuch, Havemann zu verstehen.
Der Autor sammelte Daten in großer Zahl. Er hatte einen hohen Anspruch – und ist am Ende gescheitert. Die Studie hat keinen roten Faden, keinen Schluss, kein Quellenverzeichnis. Der Protagonist verschwindet immer mal wieder über Dutzende Seiten, 200 Nebenfiguren okkupieren das Papier. Auf die drängenden Fragen hat das Buch keine Antwort, die Rätsel kann es nicht erhellen. Widersprüche seines Idols hat der Verfasser zwar benannt - verschämt benannt -, aber nicht erkundet. Beispiel: In Bezug auf Spitzeldienste raunt Hurwitz knapp, das Studienobjekt pflegte "gewisse Einvernehmlichkeiten mit der Stasi".
Über weite Strecken ist das Werk unlesbar. Die Fakten wirken wie verklebt, verklumpt. Es gibt Monstersätze mit vierzig, fünfzig Wörtern, Plattitüden, unverständliche Anspielungen. Auch Grammatik-, Stil- und Logikschnitzer ohne Zahl machen die Lektüre zur Qual. Bisweilen wird aus den Schnitzern Unsinn. Über Olga Benario und das Jahr 1937 lesen wir etwa: "Sie verbrachte, wie damals in Moabit, nur drei Monate in sowjetischer Untersuchungshaft."
Florian Havemann meinte vor wenigen Jahren: Historiker, so nahe sie an den Fakten auch sein mögen, könnten stets nur "ihren Robert Havemann schreiben", sprich: eine Figur erschaffen, die sie sich "zurechtgelegt" hätten. Harold Hurwitz’ Werk bestätigt, wie schwierig es ist, eine Havemann-Biografie zu schreiben. Er hat sich für die "Anfänge" der Biografie lediglich den Mythos zurechtgelegt. Ende Mai 2012 ist der Autor gestorben. Einen Folgeband wird es vielleicht dennoch geben, hoffentlich mit einem mutigen, differenzierteren Blick auf die eigenwillige Persönlichkeit.
Besprochen von Uwe Stolzmann
Harold Hurwitz: Robert Havemann. Eine persönlich-politische Biografie. Teil I. Die Anfänge
Entenfuß Verlag, Berlin 2012, 272 Seiten, 16,90 Euro