Der Berliner Stolz
Vor 50 Jahren sagte US-Präsident John F. Kennedy seinen berühmten Satz "Ich bin ein Berliner". Inzwischen hat sich die Stadt durch den Mauerfall und viele Zuzügler verändert. Geblieben ist die Berliner Schnauze und ein gewisses Gefühl für die gemeinsame Heimat.
"Ich bin ein Berliner"
Hahnemann: "Tja, wat soll ick ihnen von Berlin erzählen? Wir sind allet janz normale Verrückte."
Geht es etwas genauer, als von der legendären Kabarettistin Helga Hahnemann behauptet? Für die Schauspielerin Monika Bienert ist es exakt jener Humor, der für den Hauptstadtbewohner charakteristisch ist und neu Zugezogene mitunter verschreckt:
"Weil der Berliner Humor sehr direkt ist, ohne Umschweife daher kommt und der Berliner jeden Freund verrät für ´n guten Witz."
Thierse: "Steht ein Mann an einer großen Kreuzung und neben ihm eine Frau, die Hilfe suchend hin und her blickt und sich dann an ihn wendet: Entschuldigen Sie, können Sie mir sagen, wie ich da rüberkomme? Da kuckt er sie von oben bis unten an und sagt: Na, ick würde schwimmen."
Wofür der Witz steht, definiert Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Thierse umgehend:
"Schnell, direkt bis rotzig und neugierig - das macht den Berliner aus."
Hahnemann: "Tja, wat soll ick ihnen von Berlin erzählen? Wir sind allet janz normale Verrückte."
Geht es etwas genauer, als von der legendären Kabarettistin Helga Hahnemann behauptet? Für die Schauspielerin Monika Bienert ist es exakt jener Humor, der für den Hauptstadtbewohner charakteristisch ist und neu Zugezogene mitunter verschreckt:
"Weil der Berliner Humor sehr direkt ist, ohne Umschweife daher kommt und der Berliner jeden Freund verrät für ´n guten Witz."
Thierse: "Steht ein Mann an einer großen Kreuzung und neben ihm eine Frau, die Hilfe suchend hin und her blickt und sich dann an ihn wendet: Entschuldigen Sie, können Sie mir sagen, wie ich da rüberkomme? Da kuckt er sie von oben bis unten an und sagt: Na, ick würde schwimmen."
Wofür der Witz steht, definiert Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Thierse umgehend:
"Schnell, direkt bis rotzig und neugierig - das macht den Berliner aus."
Weckle statt Schrippen - Berliner Einwanderer
Und ein geringes Geschichtsbewusstsein, fügt er hinzu. Wolfgang Thierse ist Berliner Urgestein, wohnte bereits lange vor dem Mauerfall am Prenzlauer Berg und wurde vor kurzem durch die selbsternannten Nicht-Spießbürger des Feuilletons gescholten, als er sich darüber mokierte, dass Einwanderer aus Baden-Württemberg seinen Bezirksteil fluten:
"Ich habe zwei ironische Nebenbemerkungen gemacht über das Missverhältnis zwischen Berlinern und Schwaben. Ich konnte nicht ahnen, dass da ein richtiger Shitstorm entsteht, dass die Schwaben bestätigen, dass viele von ihnen jedenfalls nicht sonderlich humorvoll sind."
Am Prenzlauer Berg geht es nicht nur darum, dass der Bezirksteil zum Synonym für Gentrifizierung, für Bevölkerungsaustausch von bis zu 90 Prozent, geworden ist, nein: Straßennamen werden heimlich mit Strässle und Gässle überpinselt, Bäcker bieten Weckle statt bodenständiger Schrippen an, und die Lokale mit schwäbischen Maultaschen als Spezialität schießen in Berlin unübersehbar aus dem Boden. Dieser Versuch, anderen dialoglos die eigene Identität aufzuzwingen, ist es, der den Berliner irritiert. Denn grundsätzlich ist dieser seit jeher offen für alle Neuzugänge, ist Berlin ein Schmelztiegel der Kulturen.
Auch für Monika Bienert geht es in dieser Diskussion nicht um die Schwaben, die nebenbei bemerkt schon seit hunderten Jahren in Berlin leben:
"Es geht ja eigentlich darum, dass der Berliner das Gefühl hat, er verliert so seine Scholle, ja. Es gibt so einen schönen Berliner Spruch, der heißt: Mang uns mang is´ eener mang, der nicht mang uns mang jehört. Das heißt übersetzt: Unter uns ist einer, der überhaupt nicht hierher gehört. Und das ist genau der springende Punkt des Berliners: Wenn er dieses Gefühl hat, dann fängt er an zu kämpfen, um das, wovon er meint, es ist seins."
Monika Bienert sitzt in einem winzigen Café mit weiß lackierten Tischchen in einer stillen Charlottenburger Seitenstraße, das sich zwischen Bäumen und alten Gaslaternen duckt. Die Schauspielerin tritt seit vielen Jahren mit einem Programm über das Wesen des Berliners unter dem Titel "Immer rin ins Vergnüjen" auf. Herz mit Schnauze, dafür ist der Berliner bekannt, wobei erst die Schnauze kommt, das Herz wird nachgereicht - mitunter sogar in einer größeren Portion als anderswo.
"Alle sagn, icke und wir haben ne große Schnauze. Mensch, die brauchen wa och. Schließlich tragen wir unser großes Herz uff der Zunge."
"Was ist eine große Schnauze, frag´ ich da? Ist ja auch ein typisch Berliner Satz: Mir kann keener. Das ist geschichtlich, glaube ich, bedingt durch diese vielen Wirren: Zum Beispiel, als etwa die Franzosen vor 300 Jahren über ihn hergefallen sind, besonders nach dem Ersten Weltkrieg, nach dem Zweiten Weltkrieg, ich meine, diese Trümmerfrauen darf man ja nicht vergessen, die Berlinerin ist ja überhaupt ein Superwesen, finde ich, ja."
Hahnemann: "Von wegen, die Berlinerinnen sind schnüppe, püh, wir könn allet vertrajen, bloß keene Widerrede."
Widerspricht er nicht, so meckert der Berliner doch gerne. Deshalb gilt seine Feststellung "Da kann man nich meckern" als höchstes Lob. Der karge Sandboden, die Schicksalsschläge, all das hat den Berliner gelehrt, sich zu behaupten, auch gegen die Zugereisten. Dann besonders, aber ohnedies sonst auch kann den Berliner nichts erschüttern, nichts verblüffen. Monika Bienert spricht von einem "Überlebensgen":
"Berlin ist ja auch von den Franzosen überrannt worden, dreimal, die dann die Quadriga mitgenommen haben und sie dann erst falsch herum aufgestellt haben, denn die kuckte ja früher nach draußen, und seit sie die Franzosen zurückgebracht haben, seitdem kuckt sie nach innen. Das ist der Berliner auch: Fann lässt er sie so stehen. Er ist schon bereit auf etwas völlig Neues, immer wieder, und das findet er ja auch spannend."
Strunk: "Die Berliner sind wohl das liberalste Volk, was mir je begegnet ist."
"Ich habe zwei ironische Nebenbemerkungen gemacht über das Missverhältnis zwischen Berlinern und Schwaben. Ich konnte nicht ahnen, dass da ein richtiger Shitstorm entsteht, dass die Schwaben bestätigen, dass viele von ihnen jedenfalls nicht sonderlich humorvoll sind."
Am Prenzlauer Berg geht es nicht nur darum, dass der Bezirksteil zum Synonym für Gentrifizierung, für Bevölkerungsaustausch von bis zu 90 Prozent, geworden ist, nein: Straßennamen werden heimlich mit Strässle und Gässle überpinselt, Bäcker bieten Weckle statt bodenständiger Schrippen an, und die Lokale mit schwäbischen Maultaschen als Spezialität schießen in Berlin unübersehbar aus dem Boden. Dieser Versuch, anderen dialoglos die eigene Identität aufzuzwingen, ist es, der den Berliner irritiert. Denn grundsätzlich ist dieser seit jeher offen für alle Neuzugänge, ist Berlin ein Schmelztiegel der Kulturen.
Auch für Monika Bienert geht es in dieser Diskussion nicht um die Schwaben, die nebenbei bemerkt schon seit hunderten Jahren in Berlin leben:
"Es geht ja eigentlich darum, dass der Berliner das Gefühl hat, er verliert so seine Scholle, ja. Es gibt so einen schönen Berliner Spruch, der heißt: Mang uns mang is´ eener mang, der nicht mang uns mang jehört. Das heißt übersetzt: Unter uns ist einer, der überhaupt nicht hierher gehört. Und das ist genau der springende Punkt des Berliners: Wenn er dieses Gefühl hat, dann fängt er an zu kämpfen, um das, wovon er meint, es ist seins."
Monika Bienert sitzt in einem winzigen Café mit weiß lackierten Tischchen in einer stillen Charlottenburger Seitenstraße, das sich zwischen Bäumen und alten Gaslaternen duckt. Die Schauspielerin tritt seit vielen Jahren mit einem Programm über das Wesen des Berliners unter dem Titel "Immer rin ins Vergnüjen" auf. Herz mit Schnauze, dafür ist der Berliner bekannt, wobei erst die Schnauze kommt, das Herz wird nachgereicht - mitunter sogar in einer größeren Portion als anderswo.
"Alle sagn, icke und wir haben ne große Schnauze. Mensch, die brauchen wa och. Schließlich tragen wir unser großes Herz uff der Zunge."
"Was ist eine große Schnauze, frag´ ich da? Ist ja auch ein typisch Berliner Satz: Mir kann keener. Das ist geschichtlich, glaube ich, bedingt durch diese vielen Wirren: Zum Beispiel, als etwa die Franzosen vor 300 Jahren über ihn hergefallen sind, besonders nach dem Ersten Weltkrieg, nach dem Zweiten Weltkrieg, ich meine, diese Trümmerfrauen darf man ja nicht vergessen, die Berlinerin ist ja überhaupt ein Superwesen, finde ich, ja."
Hahnemann: "Von wegen, die Berlinerinnen sind schnüppe, püh, wir könn allet vertrajen, bloß keene Widerrede."
Widerspricht er nicht, so meckert der Berliner doch gerne. Deshalb gilt seine Feststellung "Da kann man nich meckern" als höchstes Lob. Der karge Sandboden, die Schicksalsschläge, all das hat den Berliner gelehrt, sich zu behaupten, auch gegen die Zugereisten. Dann besonders, aber ohnedies sonst auch kann den Berliner nichts erschüttern, nichts verblüffen. Monika Bienert spricht von einem "Überlebensgen":
"Berlin ist ja auch von den Franzosen überrannt worden, dreimal, die dann die Quadriga mitgenommen haben und sie dann erst falsch herum aufgestellt haben, denn die kuckte ja früher nach draußen, und seit sie die Franzosen zurückgebracht haben, seitdem kuckt sie nach innen. Das ist der Berliner auch: Fann lässt er sie so stehen. Er ist schon bereit auf etwas völlig Neues, immer wieder, und das findet er ja auch spannend."
Strunk: "Die Berliner sind wohl das liberalste Volk, was mir je begegnet ist."
Die Identifikation mit dem Kiez ist hoch
Eine große Auszeichnung, denn der 24-jährige Jan Friedrich Strunk ist als Kind nach Berlin gekommen und verbringt nun schon die Hälfte seines Lebens hier. Wenig hat ihn bei seiner Ankunft schockiert, am ehesten die zur hessischen Heimat auf dem Land riesigen Distanzen:
"Man musste ewig lange fahren, um an irgendwelche Ziele zu kommen. Ich habe einen guten Freund, da muss ich bis nach Müggelheim-Dorf fahren, und da fahre ich genauso lange, wie wenn ich mit einem Flugzeug Berlin-Frankfurt fliege. Das dauert genauso lange, wenn ich in der S-Bahn und in dem Bus sitze."
Und weil der Berliner sesshaft ist, ist für ihn schon bald etwas "jwd" - janz weit draußen. Die Identifikation des Berliners mit seinem Kiez und die Entfernungen in der Stadt mögen es auch sein, warum Ost- und Westberliner fast ein Vierteljahrhundert nach dem Mauerfall noch immer nicht zu einem Stadtvolk geworden sind.:
Dieck: "Als Spandauerin am ganz westlichen Rand ist es einfach auch mit viel Aufwand verbunden. Also, wenn ich mehr in der City wohnen würde, wäre ich vielleicht auch viel mehr in Ostberlin, also so ist das, wenn man das sukzessive sich in Ostberlin anschaut, dort auch so. Je weiter es von Mitte wieder Richtung Osten geht, umso weniger Kontakt besteht auch wieder zwischen den östlichsten Ostberlinern und den westlichsten Westberlinern. Ich glaube, da sind immer noch Kulturunterschiede."
Schirin Dieck ist in Spandau geboren und nie aus ihrem Bezirk weggezogen. Die Eigendefinition erfolgt zögernd:
"Ich fühle mich als Berlinerin - in der Außenwirkung. Und in der Innenwirkung in Berlin bin ich wahrscheinlich dann Spandauerin. Aber wenn ich weg bin aus Berlin, bin ich Berlinerin. Genau."
Die Spandauer sind ja nochmal ein eigenes Völkchen: In den 70er Jahren gab es Aufkleber mit der Aufschrift: Berlin bei Spandau. Und wenn sie ins Zentrum fahren, sagen sie: Ich fahre nach Berlin. Wenn sie fahren, denn die Berliner sind ja sesshaft, und, so Monika Bienert:
"Der Berliner ist ja auch provinziell, das preußische Vieldörferdorf. Und das merken Sie ja in jedem Bezirk, wo sie hinkommen, das ist ja immer eine Kleinstadt für sich. Zum Beispiel diese Abwandlung von diesem Indianersprichwort mit "erst wenn der letzte Baum" und so, da haben ja diese Clubbesitzer so schön draus gemacht: "Erst wenn der letzte Club geschlossen sein wird, werdet ihr merken, dass ihr in der Kleinstadt angekommen seid, vor der ihr geflohen seid."
Allerdings tragen die Clubs zur Mobilität innerhalb der Stadt bei, wirft Jan Friedrich Strunk ein:
"Meine Generation, die geht halt gerne in Ostberlin feiern, weil doch das Nachtleben in Ostberlin viel besser ist als das in Westberlin, aber umgekehrt ist es sehr selten, dass mal die Ostberliner nach Westberlin fahren."
"Man musste ewig lange fahren, um an irgendwelche Ziele zu kommen. Ich habe einen guten Freund, da muss ich bis nach Müggelheim-Dorf fahren, und da fahre ich genauso lange, wie wenn ich mit einem Flugzeug Berlin-Frankfurt fliege. Das dauert genauso lange, wenn ich in der S-Bahn und in dem Bus sitze."
Und weil der Berliner sesshaft ist, ist für ihn schon bald etwas "jwd" - janz weit draußen. Die Identifikation des Berliners mit seinem Kiez und die Entfernungen in der Stadt mögen es auch sein, warum Ost- und Westberliner fast ein Vierteljahrhundert nach dem Mauerfall noch immer nicht zu einem Stadtvolk geworden sind.:
Dieck: "Als Spandauerin am ganz westlichen Rand ist es einfach auch mit viel Aufwand verbunden. Also, wenn ich mehr in der City wohnen würde, wäre ich vielleicht auch viel mehr in Ostberlin, also so ist das, wenn man das sukzessive sich in Ostberlin anschaut, dort auch so. Je weiter es von Mitte wieder Richtung Osten geht, umso weniger Kontakt besteht auch wieder zwischen den östlichsten Ostberlinern und den westlichsten Westberlinern. Ich glaube, da sind immer noch Kulturunterschiede."
Schirin Dieck ist in Spandau geboren und nie aus ihrem Bezirk weggezogen. Die Eigendefinition erfolgt zögernd:
"Ich fühle mich als Berlinerin - in der Außenwirkung. Und in der Innenwirkung in Berlin bin ich wahrscheinlich dann Spandauerin. Aber wenn ich weg bin aus Berlin, bin ich Berlinerin. Genau."
Die Spandauer sind ja nochmal ein eigenes Völkchen: In den 70er Jahren gab es Aufkleber mit der Aufschrift: Berlin bei Spandau. Und wenn sie ins Zentrum fahren, sagen sie: Ich fahre nach Berlin. Wenn sie fahren, denn die Berliner sind ja sesshaft, und, so Monika Bienert:
"Der Berliner ist ja auch provinziell, das preußische Vieldörferdorf. Und das merken Sie ja in jedem Bezirk, wo sie hinkommen, das ist ja immer eine Kleinstadt für sich. Zum Beispiel diese Abwandlung von diesem Indianersprichwort mit "erst wenn der letzte Baum" und so, da haben ja diese Clubbesitzer so schön draus gemacht: "Erst wenn der letzte Club geschlossen sein wird, werdet ihr merken, dass ihr in der Kleinstadt angekommen seid, vor der ihr geflohen seid."
Allerdings tragen die Clubs zur Mobilität innerhalb der Stadt bei, wirft Jan Friedrich Strunk ein:
"Meine Generation, die geht halt gerne in Ostberlin feiern, weil doch das Nachtleben in Ostberlin viel besser ist als das in Westberlin, aber umgekehrt ist es sehr selten, dass mal die Ostberliner nach Westberlin fahren."
Im Osten wird mehr berlinert
<kein Wunder,="" dass="" die="" Berliner="" einander="" noch="" immer="" an="" der="" Nasenspitze="" ansehen,="" ob="" sie="" aus="" dem="" West-="" oder="" Ostteil="" Stadt="" kommen.="" Zumal="" man="" sich="" einig="" ist,="" im="" Osten="" weit="" mehr="" berlinert="" wird="" als="" Westteil.="" Für="" Wolfgang="" Thierse="" hat="" das="" einen="" politischen="" Grund="" in="" Vergangenheit:<br=""></kein>
"Auf keinen Fall wollte man sächsisch sprechen. Sächsisch, das war der Dialekt der SED-Funktionäre, also hat man ausdrücklich, absichtsvoll berlinert, um sich zu unterscheiden von diesen Funktionärstypen."
Im Westen sind es laut Monika Bienert mehr die sozialen Unterschiede:
"Die Wilmersdorfer Witwen, nicht, so, und die Steglitzer blondierten Frauen immer mit Täschchen und so, die sprechen ja dieses janz feine Berlinerisch, die sagen dann: Trautchen, jeben se mir doch mal bitte ihre Tasse. Das hat schon was mit Milieu zu tun, also dieses ganz dunkle Berlinerisch, würde ich mal sagen, das ist schon schichtenbedingt."
Der Meister des Milieus war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts der Zeichner Heinrich Zille, genannt Pinselheinrich. Vor dem Zille-Museum im alten Nikolaiviertel erinnert ein Leierkastenmann an jene Zeiten. Drinnen erzählt ein Film von Zille und seinem Miljöh, der Härte früherer Lebensbedingungen, die den Berliner geprägt haben. Der Stadtzeichner skizzierte mit einfachen Strichen seiner schwarzen Zeichenkreide bestürzende und anklagende Studien aus den Armenvierteln, die heute sentimental als identitätsstiftend angesehen werden.
An den Wänden des Museums hängen Zilles Bilder, versehen mit frechen Textzeilen, die das Proletariat Berlins, die Ärmsten und Bedürftigsten der Stadt zeigen: struppige Bärte, schlappe Bäuche, weite Hüften. Rotznasige, krummbeinige Kinder, ins Elend hineingeboren. Kinderschicksale im Wandel der Großstadt.
Hahnemann: "Wat heißt hier : Berliner Jörn sind frech wie rotz? Allet spinne ey. Wie kleine Engelchen sitzen se bis Sendeschluss vor der Röhre, obwohl Papa und Mama schon längst in Bett jejang sind."
In der Heinrich-Zille-Siedlung in Moabit wohnt Jutta Heintze. Das Berlin Zilles gibt es nun nicht mehr, aber ist die Identität des Berliners insgesamt in Gefahr?
Heintze: "Nein! Würde ich voller Überzeugung sagen. Nö, ich finde es ganz gut, dass es sich wie so ein Schmelztiegel darstellt, vor allen Dingen: Regt ja auch Jedankengänge an."
Jahrzehntelang war vor Jutta Heintzes Fenstern die Welt zu Ende, der Blick fiel auf die Mauer, doch gab es Kommunikation zwischen Berlin und Berlin auf besondere Weise:
"Da standen auch die Wachtürme. Und von dort aus wurde man mit Fernrohren beobachtet. Und wenn man sich selbst auf den Balkon gestellt hat, auch ein Fernrohr nahm, blitzte ja in der Sonne, denn man konnte es ja abends dann sehen, dann hat man den Grenzer da oben auf seinem Wachtürmchen jesehen, dann hat man ihm zujewunken - und schwupps war er weg."
Heute ist dieses Ende der Welt zur Mitte der Mitte Berlins geworden, Hauptbahnhof und Bundeskanzleramt als Nachbarn. Die Teilung Berlins ist verschwunden, und mit dem Berlinern scheint es bald ebenso zu sein, weil die Kinder schon in der Schule auf Hochdeutsch getrimmt werden. Aber eben nur dort:
"Wenn sie die Schule verlassen, dann würde ich sagen, ist die Mundart doch ein klein wenig anders."
Bienert: "Es gibt dieses Vulgärberlinerisch von Zille, um 1900 entstanden, und dann dieses Hochberlinerische, was ja schon vorher im Bürgertum auch war und bei den Künstlern, bei den Finanzleuten und so - Liebermann, beste Beispiel dafür, na? Dieses Milieu, so wie es immer beschrieben wurde um 1900, das gibt es ja nicht mehr. Diese Küchenmädchen diese Kutscher und so. Wobei - die Berliner Taxifahrer sind das Musterbeispiel noch für den Berliner Humor, für die Berliner Sprache."
Neben dem Hauptbahnhof warten die cremefarbenen Kutschen der Gegenwart auf Kundschaft. Kutscher 1 ist arabischer Abstammung, dem an den Berlinern das Chillen gefällt. Kutscher 2 kommt aus Bayern, vom Land, und findet, dass die Berliner beim Spurwechsel netter sind:
"Ich glaub, in Bayern is ein bisschen härter. Hier in Berlin, wenn man vorher sozusagen vorher, dann darf man."
Schließlich gibt es ihn doch noch, den direkten Nachfahren der Berliner Kutscher. Glücklich ist er aber nicht.
"Es ist schön, dass Berlin so gewachsen ist, aber irgendwie fand ick das alte Berlin, das alte Westberlin, da bin ick groß jeworden, fand ick schon jemütlicher."
Hahnemann: "Die Meister von Jaspedal sind unsere Taxifahrer. Deshalb werden se selten erwischt, weder vonne Radarfallen noch vonne Fahrjäste."
Es gibt ein weiteres Biotop, wo das Berliner Wesen hemmungslos blüht: In der Fankurve der O2-World, wenn die Eisbären, die Berliner Eishockeymannschaft, spielt. Das meint Katrin Hentschel, die seit 24 Jahren in Berlin lebt, durch ihren Sohn zum Fansport gekommen ist und seither keines der Spiele versäumt.
Hentschel: "Die Eisbären sind deutscher Meister, zum 7. Mal seit 2005. Ich meine, Alba ist Meister jetzt auch geworden, Hertha ist ja wieder aufgestiegen - doch, wir haben richtig gute Sportteams, wir können stolz sein. Wir haben Alba, die Handballer, die Füchse, Hertha, wir sind eine sportbegeisterte Stadt."
Und friedlich seien sie auch, die Berliner Fans, sagt Hentschel. Doch das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass das typische Berliner Wesen heute weniger erkennbar ist als früher, sich zumindest verändert. Erkennbar am Wandel der Sprache, wie Bundestagsvizepräsident Thierse bestätigt:
"Die berlinische Mundart, das ist ja kein Dialekt wie das Bayrische, Schwäbische Sächsische, oder so, sozusagen ein Hauptstadtslang, der aber seinen Reiz hat. Und ich erinnere mich, in den 80er Jahren hat es eine sprachwissenschaftliche Untersuchung gegeben, deren Ergebnis war: In Prenzlauer Berg wird das beste, das reinste Berlinerisch gesprochen. Das ist natürlich gefährdet durch den Zuzug so vieler anderer aus allen Teilen Deutschlands und auch so vieler Ausländer. Das bedaure ich ein bisschen, weil ich es ganz sympathisch finde, dass es nicht nur das Hochdeutsche gibt, sondern Deutsch in ganz unterschiedlichen Ausgaben. Und wenn das Berlinerische verloren geht, fände ich das schade. Wer sagt heute noch knorke, ein ehemals klassischer Berliner Ausdruck? Und Atze? Und das ist, glaube ich, alles verloren gegangen, weil die Jugendsprache durch ganz andere Dinge geprägt ist."
Das Englische, Amerikanische, die Computersprache, das Handy mit den damit verbundenen Verkürzungen seien die Ursache. Auch Monika Bienert konstatiert, dass infolge der Öffnung Berlins nach dem Mauerfall das typisch Berlinische abnimmt:
"Berlin wird ja auch zurzeit wieder jünger, und die bestimmen natürlich das Leben. Der Berliner ist ja sehr schnell, aber eigentlich hat er auch so ein Phlegma. Und diese junge Generation verliert dieses Phlegma ein bisschen. Das hat aber auch was mit der Zeit zu tun."
"Auf keinen Fall wollte man sächsisch sprechen. Sächsisch, das war der Dialekt der SED-Funktionäre, also hat man ausdrücklich, absichtsvoll berlinert, um sich zu unterscheiden von diesen Funktionärstypen."
Im Westen sind es laut Monika Bienert mehr die sozialen Unterschiede:
"Die Wilmersdorfer Witwen, nicht, so, und die Steglitzer blondierten Frauen immer mit Täschchen und so, die sprechen ja dieses janz feine Berlinerisch, die sagen dann: Trautchen, jeben se mir doch mal bitte ihre Tasse. Das hat schon was mit Milieu zu tun, also dieses ganz dunkle Berlinerisch, würde ich mal sagen, das ist schon schichtenbedingt."
Der Meister des Milieus war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts der Zeichner Heinrich Zille, genannt Pinselheinrich. Vor dem Zille-Museum im alten Nikolaiviertel erinnert ein Leierkastenmann an jene Zeiten. Drinnen erzählt ein Film von Zille und seinem Miljöh, der Härte früherer Lebensbedingungen, die den Berliner geprägt haben. Der Stadtzeichner skizzierte mit einfachen Strichen seiner schwarzen Zeichenkreide bestürzende und anklagende Studien aus den Armenvierteln, die heute sentimental als identitätsstiftend angesehen werden.
An den Wänden des Museums hängen Zilles Bilder, versehen mit frechen Textzeilen, die das Proletariat Berlins, die Ärmsten und Bedürftigsten der Stadt zeigen: struppige Bärte, schlappe Bäuche, weite Hüften. Rotznasige, krummbeinige Kinder, ins Elend hineingeboren. Kinderschicksale im Wandel der Großstadt.
Hahnemann: "Wat heißt hier : Berliner Jörn sind frech wie rotz? Allet spinne ey. Wie kleine Engelchen sitzen se bis Sendeschluss vor der Röhre, obwohl Papa und Mama schon längst in Bett jejang sind."
In der Heinrich-Zille-Siedlung in Moabit wohnt Jutta Heintze. Das Berlin Zilles gibt es nun nicht mehr, aber ist die Identität des Berliners insgesamt in Gefahr?
Heintze: "Nein! Würde ich voller Überzeugung sagen. Nö, ich finde es ganz gut, dass es sich wie so ein Schmelztiegel darstellt, vor allen Dingen: Regt ja auch Jedankengänge an."
Jahrzehntelang war vor Jutta Heintzes Fenstern die Welt zu Ende, der Blick fiel auf die Mauer, doch gab es Kommunikation zwischen Berlin und Berlin auf besondere Weise:
"Da standen auch die Wachtürme. Und von dort aus wurde man mit Fernrohren beobachtet. Und wenn man sich selbst auf den Balkon gestellt hat, auch ein Fernrohr nahm, blitzte ja in der Sonne, denn man konnte es ja abends dann sehen, dann hat man den Grenzer da oben auf seinem Wachtürmchen jesehen, dann hat man ihm zujewunken - und schwupps war er weg."
Heute ist dieses Ende der Welt zur Mitte der Mitte Berlins geworden, Hauptbahnhof und Bundeskanzleramt als Nachbarn. Die Teilung Berlins ist verschwunden, und mit dem Berlinern scheint es bald ebenso zu sein, weil die Kinder schon in der Schule auf Hochdeutsch getrimmt werden. Aber eben nur dort:
"Wenn sie die Schule verlassen, dann würde ich sagen, ist die Mundart doch ein klein wenig anders."
Bienert: "Es gibt dieses Vulgärberlinerisch von Zille, um 1900 entstanden, und dann dieses Hochberlinerische, was ja schon vorher im Bürgertum auch war und bei den Künstlern, bei den Finanzleuten und so - Liebermann, beste Beispiel dafür, na? Dieses Milieu, so wie es immer beschrieben wurde um 1900, das gibt es ja nicht mehr. Diese Küchenmädchen diese Kutscher und so. Wobei - die Berliner Taxifahrer sind das Musterbeispiel noch für den Berliner Humor, für die Berliner Sprache."
Neben dem Hauptbahnhof warten die cremefarbenen Kutschen der Gegenwart auf Kundschaft. Kutscher 1 ist arabischer Abstammung, dem an den Berlinern das Chillen gefällt. Kutscher 2 kommt aus Bayern, vom Land, und findet, dass die Berliner beim Spurwechsel netter sind:
"Ich glaub, in Bayern is ein bisschen härter. Hier in Berlin, wenn man vorher sozusagen vorher, dann darf man."
Schließlich gibt es ihn doch noch, den direkten Nachfahren der Berliner Kutscher. Glücklich ist er aber nicht.
"Es ist schön, dass Berlin so gewachsen ist, aber irgendwie fand ick das alte Berlin, das alte Westberlin, da bin ick groß jeworden, fand ick schon jemütlicher."
Hahnemann: "Die Meister von Jaspedal sind unsere Taxifahrer. Deshalb werden se selten erwischt, weder vonne Radarfallen noch vonne Fahrjäste."
Es gibt ein weiteres Biotop, wo das Berliner Wesen hemmungslos blüht: In der Fankurve der O2-World, wenn die Eisbären, die Berliner Eishockeymannschaft, spielt. Das meint Katrin Hentschel, die seit 24 Jahren in Berlin lebt, durch ihren Sohn zum Fansport gekommen ist und seither keines der Spiele versäumt.
Hentschel: "Die Eisbären sind deutscher Meister, zum 7. Mal seit 2005. Ich meine, Alba ist Meister jetzt auch geworden, Hertha ist ja wieder aufgestiegen - doch, wir haben richtig gute Sportteams, wir können stolz sein. Wir haben Alba, die Handballer, die Füchse, Hertha, wir sind eine sportbegeisterte Stadt."
Und friedlich seien sie auch, die Berliner Fans, sagt Hentschel. Doch das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass das typische Berliner Wesen heute weniger erkennbar ist als früher, sich zumindest verändert. Erkennbar am Wandel der Sprache, wie Bundestagsvizepräsident Thierse bestätigt:
"Die berlinische Mundart, das ist ja kein Dialekt wie das Bayrische, Schwäbische Sächsische, oder so, sozusagen ein Hauptstadtslang, der aber seinen Reiz hat. Und ich erinnere mich, in den 80er Jahren hat es eine sprachwissenschaftliche Untersuchung gegeben, deren Ergebnis war: In Prenzlauer Berg wird das beste, das reinste Berlinerisch gesprochen. Das ist natürlich gefährdet durch den Zuzug so vieler anderer aus allen Teilen Deutschlands und auch so vieler Ausländer. Das bedaure ich ein bisschen, weil ich es ganz sympathisch finde, dass es nicht nur das Hochdeutsche gibt, sondern Deutsch in ganz unterschiedlichen Ausgaben. Und wenn das Berlinerische verloren geht, fände ich das schade. Wer sagt heute noch knorke, ein ehemals klassischer Berliner Ausdruck? Und Atze? Und das ist, glaube ich, alles verloren gegangen, weil die Jugendsprache durch ganz andere Dinge geprägt ist."
Das Englische, Amerikanische, die Computersprache, das Handy mit den damit verbundenen Verkürzungen seien die Ursache. Auch Monika Bienert konstatiert, dass infolge der Öffnung Berlins nach dem Mauerfall das typisch Berlinische abnimmt:
"Berlin wird ja auch zurzeit wieder jünger, und die bestimmen natürlich das Leben. Der Berliner ist ja sehr schnell, aber eigentlich hat er auch so ein Phlegma. Und diese junge Generation verliert dieses Phlegma ein bisschen. Das hat aber auch was mit der Zeit zu tun."
Bundestag und Berlin - zwei Welten
Ziemlich phlegmatisch scheint der Berliner aber zu bleiben, wenn in den deutschen Medien über Berlin geschimpft wird. Es schreckt ihn zwar auf, wenn in den Nachrichten immer häufiger Berlin genannt wird. Früher war mit Berlin immer Berlin gemeint, jetzt geht es häufig um die große Politik, das Entscheidungszentrum der Republik. Am Berliner geht es vorbei, dass seine Stadt zum Synonym geworden ist. Für Jan Friedrich Strunk sind das zwei verschiedene Welten:
"Mich persönlich greift das nicht an. Wenn die immer sagen, in Berlin wird das und das gemacht, das ist jedem klar, dass die Politik damit gemeint wird. Der Berliner allgemein - mhm. Das stört ihn auch gar nicht eigentlich, stört ihn nicht. Das ist ja das Schöne an Berlin - es stört nicht. Keinen."
Und sollte es doch Menschen in der Stadt ärgern, dann können sie zumindest nicht auf das Verständnis von Wolfgang Thierse hoffen:
"Das müssen sie halt lernen. Das Schicksal einer Hauptstadt und ihrer Bewohner ist, dass alle anderen mit dreinreden, auf diese Stadt blicken, deswegen voller Spott oder Argwohn sind. Das ist so eine Mischung zwischen Eifersucht - da wird alles in die Hauptstadt hineingesteckt - dann dem behaglichem Beobachten - es klappt ja doch nicht, es ist gar nicht besser als bei uns. Während die Berliner natürlich denken, es müsse bei ihnen besser sein, aber es klappt natürlich auch nicht. Eine Hauptstadt gehört nie nur ihren Bewohnern."
Als deutsche Hauptstadt ist man aber nicht mehr nur das bisherige Vieldörferdorf. Der Wandel liegt in der Luft, der Berliner Luft. Andererseits hat das Berliner Wesen Beharrungstendenzen entwickelt, trotz aller Veränderungen - etwa in der Sprache, meint Monika Bienert.
"Selbst wenn wir jetzt dieses Türkisch-Deutsch nehmen, da sind so viele Berlinerische Dinge auch mit drinnen, ja: Man sagt immer, der Berliner kann mir und mich nicht verwechseln, weil der sagt entweder mir oder entweder mich. So, und das haben sie ja auch wieder - in einer anderen Form."
Die Vermählung von Currywurst und Döner könnte also mit ein neues Bild des Hauptstadtbewohners schaffen, doch die Kernsubstanzen des Berliners werden erhalten bleiben: das dit und dat und icke, seine latente Unzufriedenheit und sein zäher Behauptungswille, sein Sinn es sich in jeder Lebenslage möglichst behaglich zu machen, das Bedürfnis Hunger und Durst jederzeit und überall stillen zu können und seine Vorliebe für Kosenamen für alles und jeden in seiner Stadt. Das ist der Berliner: gerade heraus, ehrlich und gerechtigkeitsliebend, unsentimental, aber mit Gefühl, fast ein wenig un-deutsch, einer, der lebt und leben lässt - einer, der seine Stadt im gleichen Maß liebt und an ihr leidet.
Hahnemann: "Hundertmal hab ick Berlin verflucht, hundertmal weit weg mein Glück jesucht, hundertmal jeheult, Du machst mich krank, hundertmal jebetet, Jott sei Dank. Hundertmal jesacht, mit Dir is Schluss, hundertmal kam ick von dir nich los. Hundert billen haut ein je nich hin, dit sitzt zu tief, dit sitzt hier drin."
"Mich persönlich greift das nicht an. Wenn die immer sagen, in Berlin wird das und das gemacht, das ist jedem klar, dass die Politik damit gemeint wird. Der Berliner allgemein - mhm. Das stört ihn auch gar nicht eigentlich, stört ihn nicht. Das ist ja das Schöne an Berlin - es stört nicht. Keinen."
Und sollte es doch Menschen in der Stadt ärgern, dann können sie zumindest nicht auf das Verständnis von Wolfgang Thierse hoffen:
"Das müssen sie halt lernen. Das Schicksal einer Hauptstadt und ihrer Bewohner ist, dass alle anderen mit dreinreden, auf diese Stadt blicken, deswegen voller Spott oder Argwohn sind. Das ist so eine Mischung zwischen Eifersucht - da wird alles in die Hauptstadt hineingesteckt - dann dem behaglichem Beobachten - es klappt ja doch nicht, es ist gar nicht besser als bei uns. Während die Berliner natürlich denken, es müsse bei ihnen besser sein, aber es klappt natürlich auch nicht. Eine Hauptstadt gehört nie nur ihren Bewohnern."
Als deutsche Hauptstadt ist man aber nicht mehr nur das bisherige Vieldörferdorf. Der Wandel liegt in der Luft, der Berliner Luft. Andererseits hat das Berliner Wesen Beharrungstendenzen entwickelt, trotz aller Veränderungen - etwa in der Sprache, meint Monika Bienert.
"Selbst wenn wir jetzt dieses Türkisch-Deutsch nehmen, da sind so viele Berlinerische Dinge auch mit drinnen, ja: Man sagt immer, der Berliner kann mir und mich nicht verwechseln, weil der sagt entweder mir oder entweder mich. So, und das haben sie ja auch wieder - in einer anderen Form."
Die Vermählung von Currywurst und Döner könnte also mit ein neues Bild des Hauptstadtbewohners schaffen, doch die Kernsubstanzen des Berliners werden erhalten bleiben: das dit und dat und icke, seine latente Unzufriedenheit und sein zäher Behauptungswille, sein Sinn es sich in jeder Lebenslage möglichst behaglich zu machen, das Bedürfnis Hunger und Durst jederzeit und überall stillen zu können und seine Vorliebe für Kosenamen für alles und jeden in seiner Stadt. Das ist der Berliner: gerade heraus, ehrlich und gerechtigkeitsliebend, unsentimental, aber mit Gefühl, fast ein wenig un-deutsch, einer, der lebt und leben lässt - einer, der seine Stadt im gleichen Maß liebt und an ihr leidet.
Hahnemann: "Hundertmal hab ick Berlin verflucht, hundertmal weit weg mein Glück jesucht, hundertmal jeheult, Du machst mich krank, hundertmal jebetet, Jott sei Dank. Hundertmal jesacht, mit Dir is Schluss, hundertmal kam ick von dir nich los. Hundert billen haut ein je nich hin, dit sitzt zu tief, dit sitzt hier drin."