Der bessere Teil Somalias

Von Benno Müchler |
Ausländische Unternehmer trauen sich selten ins offiziell gar nicht unabhängige Somaliland. Zu groß ist die Angst vor dem Krieg, der beim großen Nachbarn Somalia überwiegend noch herrscht. Dabei könnten die Einwohner dringend Unterstützung gebrauchen.
Im Hafen von Berbera liegt ein Schiff, das Kamele geladen hat. Zielort: Jeddah, Saudi Arabien, auf der anderen Seite des Roten Meers.

Der Handel mit den Kamelen, Ziegen, Schafen und Rindern ist das ökonomische Rückgrat Somalilands. Jeder zweite Einwohner lebt dort von der Viehzucht und vom Viehhandel. Viele der rund vier Millionen Menschen der Region sind Nomaden. Auch Berberas Hafenmanager, Ali Omer Mohamed, ist zwischen Ziegen und Kamelen groß geworden:

"Das Leben der Nomaden ist nicht schlecht. Ich bin bei meiner Mutter aufgewachsen. Wir hatten sechs- bis siebenhundert Schafe und Ziegen. Wir haben sie gemolken und auf die Weide gebracht. Während der Wintermonate von November bis Februar sind wir in den Küstengebieten geblieben, wo es wärmer ist. Im April, Mai, Juni, Juli und August zogen wir dann mit unseren Tieren ins Gebirge. Ich war damals sechs, sieben Jahre alt."

Vor zwei Jahren verließen knapp drei Millionen Tiere Berbera. 65 Prozent der Jahresgesamteinnahmen wurden dadurch erwirtschaftet. Somaliland könne problemlos noch mehr Tiere exportieren, sagt Hafenmanager Mohamed, dessen Büro fast bis zum Gefrierpunkt klimatisiert ist, während draußen über dem Asphalt die Hitze flimmert. Genug Vieh hätte das Land. Bloß gebe es da ein logistisches Problem:

"Der Hafen ist zu klein. Wir wollen ihn ausbauen, damit er größere Schiffe mit mehr Fracht abfertigen kann."

Der Hafen in Berbera ist die wichtigste Handelsverbindung des Zwerglandes am Horn von Afrika zum Rest der Welt. Dort werden fast 100 Prozent aller Waren umgeschlagen.

Doch für den Ausbau des Hafens braucht es Geld und das hat Somaliland nicht. 1991 erklärte die Region ihre Unabhängigkeit von Somalia. Eine internationale Anerkennung gibt es aber bis heute nicht. Dadurch hat das Land keinen direkten Zugriff auf internationale Entwicklungshilfe. Und Privatinvestoren schreckt der Gedanke ab, ihr Geld in das Terrorland Somalia zu investieren, zu dem Somaliland auf dem Papier nach wie vor gehört. Letztes Jahr hatte die Regierung deshalb einen Haushalt von gerade mal 80 Millionen Dollar.

Wenn die Ausländer doch nur wüssten, dass Somaliland nicht gleich Somalia ist, meint dazu der Hafenmanager. Somaliland, der friedliche und stabile Bruder Somalias.

Aber auf der Fahr zur Hauptstadt Hargeysa versperren Polizisten mit einer Schnur den Weg durch die Dörfer. Es sind Kontrollen, die der Sicherheit geschuldet sind, der Angst vor von außen ins Land getragenem Terror oder Kriminalität. Abkassiert wird nicht.

Auf der Gegenspur voll beladene LKW, die ihre Fracht zum Hafen von Berbera transportieren. Rechts und links ziehen hohe Berge vorbei. Eine Medizinball große Schildkröte kriecht über die Straße.

In Somalilands Hauptstadt Hargeysa sitzt Saad Shire, Minister für Planung, im ersten Stock eines Hotels und bestellt einen Mangosaft.

Der zierliche Mann, der in den USA studiert und bei der Weltbank gearbeitet hat, blickt optimistisch in die Zukunft seines Landes. Immerhin wurde zur internationalen Somalia-Konferenz Anfang des Jahres in London erstmals auch eine Delegation aus Somaliland eingeladen. Dort einigten sich westliche Geberländer auf einen Investitionsfonds für die Region. Shires Regierung wirbt mit Steuererlassen und der Befreiuung von Auflagen wie Mindestlöhnen um Auslandsinvestoren:

"Ich denke, wir haben hier sehr viele Investitionsmöglichkeiten. Doch wir brauchen Investoren. Wir brauchen Kapital, um damit Jobs zu schaffen und das Geld in Wohlstand umzuwandeln."

Die wichtigste Voraussetzung für wirtschaftliche Entwicklung ist Sicherheit und Frieden. Dass es beides in Somaliland gibt - der Minister zweifelt daran nicht.

1993 gab sich Somaliland nach einer Reihe ausgleichender Konferenzen zwischen den bestimmenden Clans des Landes seine eigene Verfassung, mit einem Präsidenten als Staatsoberhaupt. Fünf Jahre zuvor hatte der somalische Diktator Siad Barre die heutige Hauptstadt Hargeysa in Schutt und Asche legen lassen, weil von dort aus die Seperatisten der Region ihren Widerstand gegen ihn führten.

Heute wählen alle fünf Jahre die Bewohner des Zwergstaates ihr Repräsentantenhaus. Die wichtigere Kammer des Parlaments ist jedoch der Senat, in den die verschiedenen Clans des Landes auf sechs Jahre ihre Vertreter entsenden. Die Existenz dieses Forums hat bislang Verteilungskämpfe wie im Rest Somalias verhindert. Außerdem wurde damit ein gesellschaftlicher Konsens geschaffen, der bis heute islamistischen oder kriminellen Gruppen wie den im Mutterland operierenden Al-Shabaab-Milizen oder den Piraten weitgehend den Nährboden entzogen hat:

"Seit unserer Unabhäbgigkeit 1991 haben wir eine große Strecke zurückgelegt. Damals war das Land total zerstört. Hargeysa, wo heute rund eine Million Menschen leben, war dem Erdboden gleich. Nur wenige Menschen konnten dort noch leben. Es gab keine Schulen, absolut nichts. Wir haben diese Stadt von Grund auf neu errichtet. Heute haben wir ungefähr 200.000 eingeschulte Kinder und Jugendliche und über zwanzig Fachhochschulen und Universitäten."

Im Zentrum der Hauptstadt erinnert ein russisches Kampfflugzeug an Barres Mordkommando, das abertausenden Menschen das Leben kostete. Denn auch wenn die Trümmer von damals inzwischen bunten Cafés, Kiosken und Eletronikläden gewichen sind, der Krieg ist in Somaliland nicht vergessen.

Und doch leben heute in Hargeysa viele der ehemaligen Flüchtlinge, Rückkehrer, die in der jungen Hauptstadt Samalilands ihr - auch finanzielles - Glück suchen. Auch erste ausländische Investoren strecken ihre Fühler aus. Vor kurzem besuchte eine Handelsdelegation aus China das Land:

"Somaliland ist eine wachsende Volkswirtschaft. Wir haben keine genauen Zahlen, aber wir schätzen, dass Somalilands Wirtschaft jährlich um mindestens fünf Prozent wächst. Viele Sektoren sind noch vollkommen unerschlossen: der Tourismus, der Fischfang, der Viehhandel, der Bergbau, der Energiesektor."

Nahe einer Brücke in der Innenstadt, die über ein ausgetrocknetes, zugemülltes Flussbett führt, überragt mit acht Stockwerken das höchste Gebäude der Stadt die umliegenden Lehmhütten und Wohnhäuser.

Es ist der Firmensitz von Telesom: Marktführer und das größte von sechs einheimischen Telekommunikationsunternehmen, eines der Aushängeschilder von Somalilands neuer Wirtschaft, die in den vergangenen Jahren ein bemerkenswertes Wachstum hingelegt hat. Im Moment arbeite das Unternehmen daran, auch in einem anderen Sektor groß zu werden, sagt der Vorstandsvorsitzende Abdukarim Mohamed Eid:

"Selbstverständlich sind wir als Unternehmen daran interessiert, ein weiteres Standbein zu errichten. Der Energiesektor ist ganz offensichtlich in jedem Land einer der wichtigsten Industriezweige. Im Augenblick planen wir eine Fabrik zur Produktion von Flüssiggas. Zudem wollen wir in Flüssiggasfüllstationen in den größten Städten Somalilands investieren. Dadurch könnten wir Kohle als Mittel zum Kochen ersetzen."

Eid gründete das Unternehmen vor elf Jahren. Heute hat Telesom eine halbe Million Kunden. Die rasante Entwicklung der Telekombranche erklärt sich auch mit dem Fehlen des üblichen Banken- und Kreditsystems. Zwar gibt es in Somaliland die Möglichkeit, Geld zu empfangen und in die ganze Welt zu überweisen. Kleine Geldgeschäfte werden dagegen mit dem Handy abgewickelt. Dort kann sich jeder ein Handykonto einrichten, von dem aus per SMS-Überweisung zum Beispiel der Getränkehändler um die Ecke bezahlt werden kann.

Doch selbst wenn Kapital in Strömen nach Somaliland fließen sollte, wird es noch Jahrzehnte dauern, das Land wirtschaftlich so stark zu m achen, wie es die Regierung propagiert. Vom Optimismus, den man in den Wirtschafts- und Regierungskreisen Somalilands trifft, ist auf der Straße nicht viel zu finden.

Am Stadtrand Hargeysas liegt der Viehmarkt. Heute ist hier nicht viel los. Das Geschäft brummt erst zur Zeit der Hadj, der jährlichen Pilgerreise der Muslime, wenn in Saudi Arabien jeder Pilger auf dem Weg nach Mekka traditionell ein Tier schlachtet, sagt ein weißhaariger Bauer im für die Region typischen Männerrock.

Unter dem Dach einer Markthalle verkaufen Frauen gackernde Hühner, Kartoffeln und Zwiebeln. Kinder tollen herum. Auch der 22-jährige Abdulassis Hassan Rawdan ist auf den Markt gekommen. Er sucht für seine Familie ein paar Tiere und begutachtet fünf abgemagerte braune Ochsen.

Der junge Mann in dem sauberen weißen Hemd studiert an der Universität von Hargeysa und damit an der besten des Landes. Seine Zukunft sieht er dennoch nur außerhalb seiner Heimat:

"Wenn Somalilands Studenten ihre Schule oder ihr Studium abschließen, haben sie keine Hoffnung. Oft müssen ihnen ihre Angehörigen mit den Studiengebühren helfen. 80 Prozent finden nach dem Abschluss keinen Job und versuchen nach Europa zu kommen."

Gleichzeitig krankt das Land an einem Mangel von gut ausgebildeten Fachkräften. Dennoch liegt die Arbeitslosigkeit bei den Unter-Dreißigjährigen bei über 70 Prozent, die Arbeitslosenrate allgemein über 50 Prozent.

Im Zentrum Hargeysas verkaufen entlang der schlecht bis gar nicht asphaltierten Hauptstraße Jugendliche in Schubkarren Orangen und aufgeschnittene Wassermelonen.

Rostige, mit Kokaden verzierte Linienbusse fahren vorbei und pusten dunkele Auspuffgase in die Luft. Manchmal versperren Esel die Straße. Geldwechsler sitzen vor Metallkästen, die bis obenhin mit dem hoch inflationären Somalilandschilling gefüllt sind.

In grünangestrichenen, Ein-Quadrat-Meter großen Holzbuden hocken alte Mütterchen und verkaufen heißen Zuckertee oder die beliebte Droge Khat, die auf dem Bürgersteig herumliegende Männer in bestem Arbeitsalter in eine vermeintlich freundlichere Welt entführt.

Verglichen mit dem Mutterland Somalia, wo zwar die Hauptstadt Mogadischu befreit ist, in der Provinz aber weiterhin Warlords und islamistische Al-Shabaab-Milizen wüten, steht Somaliland für ein besseres Somalia. Doch der Frieden ist fragil. Das Invesitionsklima eher unfreundlich, weil staatliche Regularien fehlen und sich Unternehmen kaum oder gar nicht gegen Risiken absichern können. Zudem ist auch die Weste der hier Herrschenden nicht blütenweiß: 2007 ließ die damalige Regierung eine immer stärker werdende politische Gruppierung ohne Prozess einsperren. Und jüngst verurteilte eine Menschenrechtsorganisation, die sich sich weltweit für die Rechte von Journalisten einsetzt, die Verhaftung mehrerer regimekritischer Reporter.

Zudem haben die radikal-islamistischen Al-Shabaab Milizen noch vor nicht langer Zeit mit drei paralallel ausgeführten Anschlägen gezeigt, dass das Land sehr wohl verletzbar ist. Und in der Grenzregion zu Puntland im Osten Somalilands flammen immer wieder blutige Konflikte auf. Selbst Somalilands Minister für Innere Sicherheit, Abdillahi Abokor Osman, räumt auf Nachfragen ein, dass es im Land Al-Shabaab-Zellen gebe, daneben einige Koranschulen, die man sehr genau beobachte:

"Sie müssen sich bei uns registrieren. Wir kennen die Imame. Wir treffen uns mit ihnen, wir treffen uns auch mit den Schulleitern. Auf diese Weise versuchen wir, gefährliche Schulen von friedlichen Schulen zu unterscheiden."

"Kannst Du das weiße Gebäude dort am Hang des kleinen Bergs sehen? Das ist die Coca-Cola-Fabrik. Da, ganz am hinteren Ende des Bergs."

Moustapha Guelle sitzt am Lenkrad seines silbernen Land Cruisers und steuert den Wagen über die Staubpiste, die er in den letzten Monaten etliche Male gefahren ist. Hier in der Wüste Somalilands, rund 30 Kilometer vor der Hauptstadt Hargeysa entfernt, haben er und seine vier Brüder vor einem Jahr das größte Investitionsprojekt in der Geschichte des Landes verwirklicht:

Eine brandneue Coca-Cola-Fabrik, mit grünem Vorgarten, hübschen Wohnhäuschen für die Arbeiter und einer hochmodernen Wasserwiederaufbereitungsanlage. Die Fabrik beschäftigt derzeit 57 Menschen und produziert 11.000 Flaschen pro Stunde für mehr als 120 Kunden in ganz Somalia.

In der kargen Landschaft aus Sand und Stein wirkt der Ort wie eine Fata Morgana: Draußen am Fenster ziehen rote Termitenhügel vorbei. Ein dürrer Nomade treibt seine schwarzköpfigen Schafe mit einem Stock voran. Kamele fressen von den Wipfeln fahlbrauner Schirmakazien.

Die Brüder haben das 15-Millionen-Dollar-Projekt aus eigener Kraft gestemmt. Eine Versicherung bekamen sie nicht. Der Transport der Maschinen aus Europa über Somalilands ungeteerte Straßen war ein einziges Abenteuer. Das Problem des Fachkräftemangels im Land haben sie mit Werksarbeitern aus der Cola-Fabrik in Nairobi gelöst, die Einheimische über sechs Monate am Fließband anlernen. All diese Probleme konnten sie alleine bewältigen, sagt Moustapha Guelle. Doch auch ihr Pioniergeist habe Grenzen. Wenn Somalilands Regierung das Land tatsächlich nach vorne bringen will, müsse sie endlich Gesetze schaffen, die solche Investitionen schützt.

"Natürlich kann zu viel Regulierung der Wirtschaft schaden. Doch in Somaliland gibt es absolut gar keine Regulierung, keine Politik, die Investitionen ermuntert. Wir sind hier an einem sehr frühen Punkt."
Mehr zum Thema