Der bittere Geschmack des Sieges
Gegen etliche Widerstände hat Jan Robert von Renesse die Rentenansprüche vieler ehemaliger Ghetto-Arbeiter durchgesetzt. Doch für sein Engagement muss der Richter nun womöglich mit seiner Karriere zahlen.
Der Streit dauerte lange – über sieben Jahre. Die Rententräger argumentierten: Rente gibt es nur für freiwillige Arbeit. Die Ghettoarbeit sei aber Zwangsarbeit und die ist bereits von der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" entschädigt.. Die Klagen dagegen waren zumeist erfolglos. Vor allem am Landessozialgericht NRW, das für Prozesse aus Israel zuständig ist, war die Ablehnungsquote besonders hoch.
Es fand sich dort jedoch ein Richter Namens Jan Robert von Renesse, der sich grundsätzlich fragte - wurde die Ghettoarbeit freiwillig oder unter Zwang aufgenommen? Auf diese scheinbar zynische Frage haben für den Richter 36 Historiker weltweit eine Antwort gesucht. Sie forschten in Archiven und traten als Gutachter bei 120 Gerichtsverhandlungen in Israel auf. Von Renesse war der erste Richter in der Geschichte der BRD, der den hochbetagten Holocaustüberlebenden die Möglichkeit gab, zu Hause in ihrer eigenen Sprache vor Gericht auszusagen:
"Ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, dass es ausreicht, irgendeinen Fragebogen hinzuschicken, was sonst die Praxis ist, sozusagen 'nun schreib mal bitte auf drei Zeilen, wie war es im Ghetto. Vergiss mal bitte, dass deine Eltern da ermordet wurden, und sag doch, die Arbeit war doch schön?' Das kann ich im Grunde genommen fast nur als eine Verhöhnung empfinden, und das hätte ich nicht tun können, dann hätte ich mir nicht ins Gesicht schauen können."
Diese Aussage von Richter von Renesse, die er vor etwa neun Monaten der Presse gegenüber gemacht hat, führte zu großem Aufruhr unter seinen Kollegen. In Beschwerdebriefen an das Justizministerium meinten sie: Von Renesse unterstelle mit solchen Äußerungen den anderen Richtern Antisemitismus. Vor allem schrieben das solche Kollegen, die selbst an Stelle von persönlichen Anhörungen der Menschen Aktenstudium und Wikipedia-Recherche im eigenen Büro bevorzugten. Auch aufwendige Arbeitsmethoden von Richter von Renesse kritisierten seine Kollegen.
Jan Robert von Renesse ließ sich trotzdem nicht von seinem Weg abbringen. Sein Argument war: Der sorgfältige und menschliche Umgang mit den Überlebenden des Holocaust ist eine moralische Verpflichtung unseres Rechtsstaats. Wolfgang Benz, der Leiter des Zentrums für Antisemitismus und Forschung war einer seiner Gutachter in historischen Fragen:
"Dass ein Richter sich mit so viel persönlichem und auch menschlichem Engagement für diese Sache eingesetzt hat - das hat auch die Forschung, die historische Forschung erheblich befruchtet. Er hat keine Ruhe gegeben, er hat so viel Beweise gesammelt, dass dann schließlich höchstrichterlich dieses Interesse anerkannt werden musste: Hier gibt es einen Entschädigungsbedarf, diese Finessen müssen ein Ende haben, dass man auf den Tod der zu entschädigenden Ghettoinsassen spekuliert."
Uri Chanoch aus Israel kann das nur bestätigen. Er hat das Ghetto von Kaunas und das KZ Dachau überlebt. Heute ist er Vorsitzender des Verbands der Überlebenden des Dachauer Außenlagers Landsberg-Kaufering.
"Wir sind die letzten 15 Prozent. Ich bin jetzt 83, ich war 17 bei der Befreiung."
Uri Chanoch war Gerichtsbeobachter bei den Prozessen in Israel:
"Ich wollte verstehen - was will er eigentlich, von Renesse? Dann habe ich verstanden. Er will die Wahrheit. Und dafür kämpft er, für die Wahrheit und bravo für ihn!"
Von Renesse und seinem Historikerteam gelang es schließlich zu beweisen, dass die Menschen im Ghetto - im Unterschied zum KZ - sich um eine Arbeit selbst bemühen mussten. Ihre Arbeit gilt damit juristisch als "freiwillig". Im Juni 2009 hat das Bundessozialgericht in Kassel die Auslegung dementsprechend geändert. Alle Rentenanträge werden nun neu entschieden.
Ein Sieg über Justizbürokratie? Nicht für den Richter. Denn seine örtlichen Kollegen waren zutiefst verärgert. Der Vorsitzende des Vereins der Sozialrichter aus NRW, Hermann Frehse, schiebt in einem Leserbrief an den "Spiegel" die Schuld auf die Politik:
"Die Entscheidungspraxis war dem Bundestag durchgängig bekannt. Trotz mehrerer Vorstöße seitens der Grünen ist eine Änderung des Gesetzes am Widerstand von CD/CSU, SPD und FDP gescheitert. Hieraus folgt: diese enge Interpretation der gesetzlichen Grundlagen war politisch gewollt."
Da stellt sich die Frage, inwieweit unsere Justiz noch unabhängig ist...
Richter von Renesse kann diese Frage, wie viele andere, nicht beantworten. Seit fast einem Jahr darf er sich der Presse gegenüber nicht mehr äußern. Er wurde von allen seinen Ghettofällen abgezogen und prüft jetzt vor allem Schwerbehindertenausweise. Seine berufliche Perspektive scheint sehr fraglich. Wolfgang Benz:
"Ich glaube, er büßt jetzt sein Engagement, indem er in eine andere Kammer versetzt wurde. Und man wird den Verdacht nicht los, als hätte da so etwas wie ein Kesseltreiben gegen einen engagierten, mutigen, couragierten Richter stattgefunden."
Auf die Frage, warum der unbequeme Richter, der mit seiner Arbeit die Rechtsprechung maßgeblich verändert hat, in einen ganz anderen Bereich versetzt wurde, hat die Präsidentin des Landessozialgerichts NRW, Ricarda Brands, folgende Antwort gegeben:
"Die Änderungen der Zuordnung zu den einzelnen Senaten sind normale Vorgänge bei der Verteilung der richterlichen Geschäfte."
Um Richter von Renesse herrscht wohl eine Mauer des Schweigens. Sein Fall zeigt deutlich, wie schwierig es für einen Richter werden kann, wenn er sich zugunsten der Überlebenden entscheidet. Für seine Zivilcourage muss er womöglich mit seiner Karriere zahlen.
Uri Chanoch versteht die Welt nicht mehr:
"Er muss geehrt werden. Vielleicht Verdienstkreuz. Sonst schenke ich ihm meines! Er war sehr instrumental in dieser ganzen Odyssee von den Renten. Er hat davon nichts bekommen. Aber manche Leute, statt ihn zu schätzen, machen ihm Schwierigkeiten. Und das ist wirklich nicht fair."
Es fand sich dort jedoch ein Richter Namens Jan Robert von Renesse, der sich grundsätzlich fragte - wurde die Ghettoarbeit freiwillig oder unter Zwang aufgenommen? Auf diese scheinbar zynische Frage haben für den Richter 36 Historiker weltweit eine Antwort gesucht. Sie forschten in Archiven und traten als Gutachter bei 120 Gerichtsverhandlungen in Israel auf. Von Renesse war der erste Richter in der Geschichte der BRD, der den hochbetagten Holocaustüberlebenden die Möglichkeit gab, zu Hause in ihrer eigenen Sprache vor Gericht auszusagen:
"Ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, dass es ausreicht, irgendeinen Fragebogen hinzuschicken, was sonst die Praxis ist, sozusagen 'nun schreib mal bitte auf drei Zeilen, wie war es im Ghetto. Vergiss mal bitte, dass deine Eltern da ermordet wurden, und sag doch, die Arbeit war doch schön?' Das kann ich im Grunde genommen fast nur als eine Verhöhnung empfinden, und das hätte ich nicht tun können, dann hätte ich mir nicht ins Gesicht schauen können."
Diese Aussage von Richter von Renesse, die er vor etwa neun Monaten der Presse gegenüber gemacht hat, führte zu großem Aufruhr unter seinen Kollegen. In Beschwerdebriefen an das Justizministerium meinten sie: Von Renesse unterstelle mit solchen Äußerungen den anderen Richtern Antisemitismus. Vor allem schrieben das solche Kollegen, die selbst an Stelle von persönlichen Anhörungen der Menschen Aktenstudium und Wikipedia-Recherche im eigenen Büro bevorzugten. Auch aufwendige Arbeitsmethoden von Richter von Renesse kritisierten seine Kollegen.
Jan Robert von Renesse ließ sich trotzdem nicht von seinem Weg abbringen. Sein Argument war: Der sorgfältige und menschliche Umgang mit den Überlebenden des Holocaust ist eine moralische Verpflichtung unseres Rechtsstaats. Wolfgang Benz, der Leiter des Zentrums für Antisemitismus und Forschung war einer seiner Gutachter in historischen Fragen:
"Dass ein Richter sich mit so viel persönlichem und auch menschlichem Engagement für diese Sache eingesetzt hat - das hat auch die Forschung, die historische Forschung erheblich befruchtet. Er hat keine Ruhe gegeben, er hat so viel Beweise gesammelt, dass dann schließlich höchstrichterlich dieses Interesse anerkannt werden musste: Hier gibt es einen Entschädigungsbedarf, diese Finessen müssen ein Ende haben, dass man auf den Tod der zu entschädigenden Ghettoinsassen spekuliert."
Uri Chanoch aus Israel kann das nur bestätigen. Er hat das Ghetto von Kaunas und das KZ Dachau überlebt. Heute ist er Vorsitzender des Verbands der Überlebenden des Dachauer Außenlagers Landsberg-Kaufering.
"Wir sind die letzten 15 Prozent. Ich bin jetzt 83, ich war 17 bei der Befreiung."
Uri Chanoch war Gerichtsbeobachter bei den Prozessen in Israel:
"Ich wollte verstehen - was will er eigentlich, von Renesse? Dann habe ich verstanden. Er will die Wahrheit. Und dafür kämpft er, für die Wahrheit und bravo für ihn!"
Von Renesse und seinem Historikerteam gelang es schließlich zu beweisen, dass die Menschen im Ghetto - im Unterschied zum KZ - sich um eine Arbeit selbst bemühen mussten. Ihre Arbeit gilt damit juristisch als "freiwillig". Im Juni 2009 hat das Bundessozialgericht in Kassel die Auslegung dementsprechend geändert. Alle Rentenanträge werden nun neu entschieden.
Ein Sieg über Justizbürokratie? Nicht für den Richter. Denn seine örtlichen Kollegen waren zutiefst verärgert. Der Vorsitzende des Vereins der Sozialrichter aus NRW, Hermann Frehse, schiebt in einem Leserbrief an den "Spiegel" die Schuld auf die Politik:
"Die Entscheidungspraxis war dem Bundestag durchgängig bekannt. Trotz mehrerer Vorstöße seitens der Grünen ist eine Änderung des Gesetzes am Widerstand von CD/CSU, SPD und FDP gescheitert. Hieraus folgt: diese enge Interpretation der gesetzlichen Grundlagen war politisch gewollt."
Da stellt sich die Frage, inwieweit unsere Justiz noch unabhängig ist...
Richter von Renesse kann diese Frage, wie viele andere, nicht beantworten. Seit fast einem Jahr darf er sich der Presse gegenüber nicht mehr äußern. Er wurde von allen seinen Ghettofällen abgezogen und prüft jetzt vor allem Schwerbehindertenausweise. Seine berufliche Perspektive scheint sehr fraglich. Wolfgang Benz:
"Ich glaube, er büßt jetzt sein Engagement, indem er in eine andere Kammer versetzt wurde. Und man wird den Verdacht nicht los, als hätte da so etwas wie ein Kesseltreiben gegen einen engagierten, mutigen, couragierten Richter stattgefunden."
Auf die Frage, warum der unbequeme Richter, der mit seiner Arbeit die Rechtsprechung maßgeblich verändert hat, in einen ganz anderen Bereich versetzt wurde, hat die Präsidentin des Landessozialgerichts NRW, Ricarda Brands, folgende Antwort gegeben:
"Die Änderungen der Zuordnung zu den einzelnen Senaten sind normale Vorgänge bei der Verteilung der richterlichen Geschäfte."
Um Richter von Renesse herrscht wohl eine Mauer des Schweigens. Sein Fall zeigt deutlich, wie schwierig es für einen Richter werden kann, wenn er sich zugunsten der Überlebenden entscheidet. Für seine Zivilcourage muss er womöglich mit seiner Karriere zahlen.
Uri Chanoch versteht die Welt nicht mehr:
"Er muss geehrt werden. Vielleicht Verdienstkreuz. Sonst schenke ich ihm meines! Er war sehr instrumental in dieser ganzen Odyssee von den Renten. Er hat davon nichts bekommen. Aber manche Leute, statt ihn zu schätzen, machen ihm Schwierigkeiten. Und das ist wirklich nicht fair."