Der Blick der Kolonialherren
Das Haus der Fotografie in Berlin präsentiert eine ungewöhnliche Ausstellung: "Das Koloniale Auge" ermöglicht Einblick in eine Sammlung historischer Porträtfotografie Indiens. Die Sammlung entstand bereits in den 1880er-Jahren, damals brachten Reisende die in Indien kursierenden Fotografien mit.
Kostbar gewandete Maharadschas mit ihren Familien. Indigene Völker in traditioneller Kleidung. Schlangenbeschwörer. Prächtig gekleidete, mit schwerem Schmuck beladene Marwari-Mädchen. 300 Aufnahmen umfasst die Ausstellung, deren Auswahl unterschiedliche Strategien des "kolonialen Blicks" bewusst macht.
Denn seit Mitte des 19. Jahrhunderts schrieben die europäischen Kolonialherren ihre Macht auch mithilfe der Fotografie fest. Bereits um 1850 eröffneten britische Fotografen in Indien erste professionelle Fotostudios: Dort entstanden massenweise Porträts von Indern, erklärt Kuratorin Katrin Specht:
"Und die haben fotografiert vor allem für Europäer: für Kolonialbeamte, für Händler, Missionare. Und die konnten diese Fotografien als eine Art Souvenir wieder mit nach Hause nehmen. ... Das war also klar für ein europäisches Publikum konzipiert."
Keiner der Fotografen verstand seine Bilder als nüchterne Dokumentaraufnahmen. Alle Fotos waren inszeniert. Die Fotografen luden - oder zwangen - ihre Protagonisten ins Studio und setzten sie dort in Szene: Sie gruppierten sie nach europäischen Vorstellungen, fotografierten sie vor Rollbildern, die mal eine palastartige Architektur zeigte, mal betont exotische Landschaften.
"Das koloniale Auge manifestiert sich in der Motivauswahl der Fotografien. Zum Beispiel gewinnt man den Eindruck, dass diese Fotosammlung eine Inventur der indischen Gesellschaft darstellt. ...Und dieses Anliegen, einen großen Überblick über die indische Gesellschaft zu bekommen, war halt ganz klar ein koloniales Projekt, denn Wissen bedeutet Macht. Und wenn man die Inder beherrschen möchte, muss man also wissen, was glauben sie, wie herrschen sie."
Gegliedert in mehrere Kapitel die Ausstellung die damals zur Kenntnis genommenen gesellschaftlichen Klassen und Gruppen vor. Kurze Texte erläutern die Hintergründe: Man sieht Herren des Hochadels, Kaufleute, Beamte, Anhänger verschiedener Religionen, Ureinwohner. Vertreter der Bevölkerungsmehrheit erscheinen dagegen nur auf einigen wenigen Bildern. Dort sieht man Feldarbeiterinnen, Kaffeesammlerinnen, einen Barbier.
Und: Wie heute üblich, nutzten die Kolonialherren auch damals schon die Fotografie, um sich der Öffentlichkeit als Retter der von ihnen Unterdrückten zu präsentieren: 1877 starteten die Briten angesichts einer Hungersnot einen Spendenaufruf, für den sie in England Bilder von Hungernden vertreiben ließen. Dass sie gleichzeitig indisches Getreide nach Europa exportierten, verschwiegen sie lieber. Katrin Specht:
"Diese Fotografie sollte das Eindringen der Kolonialherren legitimieren. Die wollten zeigen: 'Hier, guckt!, so schlecht sind die Inder verwaltet, die können ihre eigenen Leute nicht ausreichend versorgen. Wir müssen kommen und die Eisenbahn bauen, damit das Getreide in alle Orte und Dörfer verteilt werden kann.' Aber das ist natürlich Humbug."
Die perverseste Form des kolonialen Auges, und gleichzeitig die konsequente Folge kolonialistischer - und damit rassistischer - Politik, ist die Vermessungsfotografie: Mit der Selbstverständlichkeit des vermeintlich Überlegenen, vermaßen die weißen Unterdrücker mit Messzangen und Lineal dunkelhäutige Menschen, kategorisierten sie, schrieben sie fest als Unterlegene. Solche Aufnahmen entstanden stets unter Anwendung von Gewalt.
"Zum Beispiel haben wir einen Sammler - Riebeck - der ganz klar schreibt, dass er die Inder mit Alkohol versucht hat zu überreden, sich vermessen und fotografieren zu lassen. Oder er war in einer Region, wo eine Hungersnot herrschte. Dann hat er den Leuten Reis versprochen.
Und wenn sie sich haben fotografieren lassen, dann haben sie auch den Reis bekommen. Es waren ganz klar Umstände, die unter Zwang und Nötigung entstanden sind, oft wurde auch in Gefängnissen fotografiert."
Eindrucksvoll führt die Bildauswahl die unterschiedlichen Strategien des "kolonialen Auges" vor. Und nach einem Rundgang muss vermutlich jeder schlucken, der erkennt, was die Fotografen damals am Liebsten und am Häufigsten fotografierten - und wie sie es taten: Es sind leicht bekleidete Frauen in lasziven Posen - so, wie der weiße Mann sie gern gehabt hätte, wie es aber dem Alltag nicht entsprach.
Es sind Schlangenbeschwörer, die so oft fotografiert wurden, als sei es damals der idealtypische Beruf eines Inders gewesen. Es sind Serien über Yogis und abgehärmte, geweißte Asketen, wie sie noch heute millionenfach von Touristen festgehalten werden.
Es ist das extrem Fremde, das Exotische, das vermeintlich Primitive, das die Mehrzahl der Aufnahmen ausmacht. Es sind Motive, mit denen die Kolonialherren - zurück in den Londoner Salons - Aufsehen erregen konnten. Es sind eben die Klischees, die noch immer das europäische Indienbild prägen. Das koloniale Auge, es reicht bis heute.
Denn seit Mitte des 19. Jahrhunderts schrieben die europäischen Kolonialherren ihre Macht auch mithilfe der Fotografie fest. Bereits um 1850 eröffneten britische Fotografen in Indien erste professionelle Fotostudios: Dort entstanden massenweise Porträts von Indern, erklärt Kuratorin Katrin Specht:
"Und die haben fotografiert vor allem für Europäer: für Kolonialbeamte, für Händler, Missionare. Und die konnten diese Fotografien als eine Art Souvenir wieder mit nach Hause nehmen. ... Das war also klar für ein europäisches Publikum konzipiert."
Keiner der Fotografen verstand seine Bilder als nüchterne Dokumentaraufnahmen. Alle Fotos waren inszeniert. Die Fotografen luden - oder zwangen - ihre Protagonisten ins Studio und setzten sie dort in Szene: Sie gruppierten sie nach europäischen Vorstellungen, fotografierten sie vor Rollbildern, die mal eine palastartige Architektur zeigte, mal betont exotische Landschaften.
"Das koloniale Auge manifestiert sich in der Motivauswahl der Fotografien. Zum Beispiel gewinnt man den Eindruck, dass diese Fotosammlung eine Inventur der indischen Gesellschaft darstellt. ...Und dieses Anliegen, einen großen Überblick über die indische Gesellschaft zu bekommen, war halt ganz klar ein koloniales Projekt, denn Wissen bedeutet Macht. Und wenn man die Inder beherrschen möchte, muss man also wissen, was glauben sie, wie herrschen sie."
Gegliedert in mehrere Kapitel die Ausstellung die damals zur Kenntnis genommenen gesellschaftlichen Klassen und Gruppen vor. Kurze Texte erläutern die Hintergründe: Man sieht Herren des Hochadels, Kaufleute, Beamte, Anhänger verschiedener Religionen, Ureinwohner. Vertreter der Bevölkerungsmehrheit erscheinen dagegen nur auf einigen wenigen Bildern. Dort sieht man Feldarbeiterinnen, Kaffeesammlerinnen, einen Barbier.
Und: Wie heute üblich, nutzten die Kolonialherren auch damals schon die Fotografie, um sich der Öffentlichkeit als Retter der von ihnen Unterdrückten zu präsentieren: 1877 starteten die Briten angesichts einer Hungersnot einen Spendenaufruf, für den sie in England Bilder von Hungernden vertreiben ließen. Dass sie gleichzeitig indisches Getreide nach Europa exportierten, verschwiegen sie lieber. Katrin Specht:
"Diese Fotografie sollte das Eindringen der Kolonialherren legitimieren. Die wollten zeigen: 'Hier, guckt!, so schlecht sind die Inder verwaltet, die können ihre eigenen Leute nicht ausreichend versorgen. Wir müssen kommen und die Eisenbahn bauen, damit das Getreide in alle Orte und Dörfer verteilt werden kann.' Aber das ist natürlich Humbug."
Die perverseste Form des kolonialen Auges, und gleichzeitig die konsequente Folge kolonialistischer - und damit rassistischer - Politik, ist die Vermessungsfotografie: Mit der Selbstverständlichkeit des vermeintlich Überlegenen, vermaßen die weißen Unterdrücker mit Messzangen und Lineal dunkelhäutige Menschen, kategorisierten sie, schrieben sie fest als Unterlegene. Solche Aufnahmen entstanden stets unter Anwendung von Gewalt.
"Zum Beispiel haben wir einen Sammler - Riebeck - der ganz klar schreibt, dass er die Inder mit Alkohol versucht hat zu überreden, sich vermessen und fotografieren zu lassen. Oder er war in einer Region, wo eine Hungersnot herrschte. Dann hat er den Leuten Reis versprochen.
Und wenn sie sich haben fotografieren lassen, dann haben sie auch den Reis bekommen. Es waren ganz klar Umstände, die unter Zwang und Nötigung entstanden sind, oft wurde auch in Gefängnissen fotografiert."
Eindrucksvoll führt die Bildauswahl die unterschiedlichen Strategien des "kolonialen Auges" vor. Und nach einem Rundgang muss vermutlich jeder schlucken, der erkennt, was die Fotografen damals am Liebsten und am Häufigsten fotografierten - und wie sie es taten: Es sind leicht bekleidete Frauen in lasziven Posen - so, wie der weiße Mann sie gern gehabt hätte, wie es aber dem Alltag nicht entsprach.
Es sind Schlangenbeschwörer, die so oft fotografiert wurden, als sei es damals der idealtypische Beruf eines Inders gewesen. Es sind Serien über Yogis und abgehärmte, geweißte Asketen, wie sie noch heute millionenfach von Touristen festgehalten werden.
Es ist das extrem Fremde, das Exotische, das vermeintlich Primitive, das die Mehrzahl der Aufnahmen ausmacht. Es sind Motive, mit denen die Kolonialherren - zurück in den Londoner Salons - Aufsehen erregen konnten. Es sind eben die Klischees, die noch immer das europäische Indienbild prägen. Das koloniale Auge, es reicht bis heute.