Der Blick des Fotografen
Mit mancher Begegnung ist es wie mit der Liebe: Später fragt man nicht mehr, wie lange sie währte, später ist nur noch wichtig, dass es sie gab. Als ich "Sir Henry", wie ihn seine Freunde nennen, vor ein paar Monaten kennenlernte, lebte er schon über 50 Jahre in seiner Wahlheimat Köln. Viele seiner über 20 Bücher zeigen Maiteks Köln und den Karneval als zentrales Lebensgefühl im Wandel der Zeiten; nach dem Krieg feierten die Rheinländer - fast - unter sich, heute mischen sich Tausende aus über 100 Nationen darunter.
Oder Kinder, Jugendliche: vorsichtig, ungestüm, scheu oder auftrumpfend, mit ersten eigenen Erfahrungen von Nähe und Zurückweisung. Oder alte Menschen: Er zeigt sie nicht als Objekte von Vergänglichkeit. Henry Maitek fasziniert Alter als Prozess der Reifung, der erst endet, wenn der Mensch sich dieser Chance verweigert.
Mit all seinen Bildern erzählt Henry Maitek seinen Betrachtern Geschichten und gibt ihnen zugleich Rätsel auf, ermuntert sie, dem Geheimnis Mensch und damit sich selbst näher zu kommen.
Der 16. April 1945 ist für Henry Maitek der Tag seiner zweiten Geburt. Amerikaner befreiten den jungen jüdischen Elektriker nach einer über vierjährigen Odyssee durch mehrere Konzentrationslager. Bei der US-Army arbeitete er auch die ersten Jahre nach dem Krieg als Fotograf. Hier mag eine tiefe Dankbarkeit begründet liegen, die ihn Zeit seines Lebens mit den Amerikanern verbunden hat. Zwar fotografierte er in späteren Jahren auf seinen Reisen amerikanisches Leben in all seiner Widersprüchlichkeit, doch ohne jede heute allzu modische europäische Herablassung. Wie ihm auch jede Besserwisserei in der Begegnung fremd ist. Dabei weiß er so viel vom Leben, von den Abgründen des Menschseins. Seine Bilder sind Momentaufnahmen von Lebensgeschichten, die jeder Betrachter weitererzählen könnte. Ich habe nicht ein Bild entdeckt, das sein fotografisches Objekt verletzt oder lächerlich macht, aber viele Bilder voller Humor, den Moment auskostend, den Augen-Blick. Das ist wohl seine Art, seine Würde zu bewahren, sich dabei abzustoßen vom Erlebten, Erlittenen, Erbärmlichen und jene - auf seine Art - zu beschämen, die sich Genugtuung für erlittenes Unrecht über die Herabsetzung anderer verschaffen.
So haben Henry und seine Frau Ruth mit dem Vorsatz geheiratet: Wir sprechen nicht über die Zeit im Lager. Nur, wenn wir etwas erzählen, worüber man lächeln kann. Das Leben ist schön.
Freiheit und Würde und Respekt, auch oder gerade im Angesicht massenhaften Sterbens, haben ihm geholfen zu überleben und sein Leben bestimmt. Nur mit der Hoffnung steht er seither auf Kriegsfuß. Weil er sah, wie sie die letzten Kräfte verzehrt hat: Wer weniger hofft, ist gezwungen zu denken, etwas zu tun. Er hat beschlossen, den Blick auf seine Zukunft, die Mäander seines Lebens um jeden Preis selbst zu bestimmen. Ob die lakonische Einsicht entscheidend dafür ist, frei nach den Bremer Stadtmusikanten: Etwas Besseres als den Tod findest du überall? Oder die Kraft, die er aus seiner glücklichen Partnerschaft schöpft oder aus starken Freundschaften oder ein Destillat aus allem? Henry Maitek hat einen Zugang zum Leben gesucht und gefunden, der ihm zum Menschenfreund macht, ohne sich je vereinnahmen zu lassen.
Mit Freunden wie Wolf Vostell und Paul Karalus gründete er zwischen verrückten Happenings die Zeitschrift Stil 65: zeitkritisch, intelligent, provozierend auch in der strengen Schwarz-Weiß-Gestaltung. Stil 65 kostete eine Mark, aber die Blattmacher all ihre Zeit und all ihr Geld. Nur kaufen wollte die Zeitschrift damals keiner. Und so ist Stil 65 nur einmal erschienen ... Als Henry Maitek mir davon erzählte, war er so jung, so vergnügt, so rebellisch wie bei unserem Gespräch, das dieser "Langen Nacht" zugrunde liegt.
Vor wenigen Wochen - die gegenwärtige Ausstellung im Foyer des Deutschlandfunks in Köln war bereits in Vorbereitung - ist Henry Maitek im Alter von 84 Jahren in Köln gestorben.
Monika Künzel
"Ich habe Henry Maitek oft bei der Arbeit beobachtet. Er ist ein ungemein schneller Fotograf vor Ort, wenn er sich mit seinem Thema auseinandersetzt. Langsam nähert er sich seinem Motiv. Dabei möchte er nach Möglichkeit nicht beobachtet werden; es soll keiner merken, dass er fotografiert. Er hält nichts von der Pose, der gestellten Szene, er will Wirklichkeit, Ungezwungenheit, freie Bewegung, Lebendigkeit. Er manipuliert nicht, inszeniert sich nicht selbst, er tritt völlig zurück hinter das, was er aufnehmen, was er später mit dem Bild aussagen will."
Erik Emig, in:
So lebt der Mensch
Fotografien
Von Henry Maitek 1060 - 1985
Edition Braus, Heidelberg 1986
"Noch nie ging es der Mehrzahl der jungen Leute materiell so gut wie heute, verfügte die über so ausgedehnte Freiräume. Wie erklären sich dann aber Lebensangst, Drogensucht, Gewalttätigkeit und Zerstörungswut, die Pädagogen und Psychologen immer mehr Kopfzerbrechen machen? Henry Maitek geht diesen Fragen mit seinem Mitteln nach. Er hat sich die jungen Leute liebevoll und kritisch durch das Objektiv seiner Kamera angesehen. Seine Faszination für die Jugend durchzieht sein gesamtes bildnerisches Werk. Dabei ist jede Generation für ihn einzigartig und unverwechselbar, jeder einzelne junge Mensch für ihn etwas Besonderes."
Horst Neißer, in:
Henry Maitek
Jugend
Gewidmet der mißbrauchten Jugend
an allen Orten - zu allen Zeiten
"Köln ist Henry Maiteks Heimat. Hier hat er in aller Stille sein Leben als Fotograf auf unsere Stadt und ihre Menschen konzentriert. Köln war und ist, auch wenn ihn mancher Auftrag in die Ferne nach Israel oder in die USA führte, sein Feld ist oft zugleich sein Auftraggeber. ... Das Leben der Straßen, Momente der Stille am Rande des Karnevals, der Überschwang selbst dieser fünften Kölner Jahreszeit, die Sehnsucht nach Gesprächen wie die Erfüllung im intensiven Austausch, das freie Spiel von Kindern, der Überschwang der Jugend..., Menschen sind immer Henry Maiteks liebevoller Zuwendung sicher."
Werner Schäfke, in:
Maiteks Köln
Köln 1999
Kölner Szenen
1060 - 1985
gesehen von Henry Maitek
Rheinau-Verlag 1985
Viele Bildbände und Kataloge von Henry Maitek sind zurzeit nur antiquarisch erhältlich.
Im Buchhandel:
Der Erzbischof von Krakau.
von Gerd Biegel
Karol Wojtyla 1920-1978.
Henry Maitek auf den Spuren von Papst Johannes Paul II..
Aufn.: Henry Maitek
2005 2005 Kunstverlag Josef Fink
2006
Kölner Funkhaus:
Der Blick des Fotografen - Henry Maitek
Eine Ausstellung in Memoriam des Fotografen
Die Ausstellung ist geöffnet vom 14.03. - 31.05.2007 von 9:00 - 19:00 Uhr
Der Eintritt ist frei!
Mit all seinen Bildern erzählt Henry Maitek seinen Betrachtern Geschichten und gibt ihnen zugleich Rätsel auf, ermuntert sie, dem Geheimnis Mensch und damit sich selbst näher zu kommen.
Der 16. April 1945 ist für Henry Maitek der Tag seiner zweiten Geburt. Amerikaner befreiten den jungen jüdischen Elektriker nach einer über vierjährigen Odyssee durch mehrere Konzentrationslager. Bei der US-Army arbeitete er auch die ersten Jahre nach dem Krieg als Fotograf. Hier mag eine tiefe Dankbarkeit begründet liegen, die ihn Zeit seines Lebens mit den Amerikanern verbunden hat. Zwar fotografierte er in späteren Jahren auf seinen Reisen amerikanisches Leben in all seiner Widersprüchlichkeit, doch ohne jede heute allzu modische europäische Herablassung. Wie ihm auch jede Besserwisserei in der Begegnung fremd ist. Dabei weiß er so viel vom Leben, von den Abgründen des Menschseins. Seine Bilder sind Momentaufnahmen von Lebensgeschichten, die jeder Betrachter weitererzählen könnte. Ich habe nicht ein Bild entdeckt, das sein fotografisches Objekt verletzt oder lächerlich macht, aber viele Bilder voller Humor, den Moment auskostend, den Augen-Blick. Das ist wohl seine Art, seine Würde zu bewahren, sich dabei abzustoßen vom Erlebten, Erlittenen, Erbärmlichen und jene - auf seine Art - zu beschämen, die sich Genugtuung für erlittenes Unrecht über die Herabsetzung anderer verschaffen.
So haben Henry und seine Frau Ruth mit dem Vorsatz geheiratet: Wir sprechen nicht über die Zeit im Lager. Nur, wenn wir etwas erzählen, worüber man lächeln kann. Das Leben ist schön.
Freiheit und Würde und Respekt, auch oder gerade im Angesicht massenhaften Sterbens, haben ihm geholfen zu überleben und sein Leben bestimmt. Nur mit der Hoffnung steht er seither auf Kriegsfuß. Weil er sah, wie sie die letzten Kräfte verzehrt hat: Wer weniger hofft, ist gezwungen zu denken, etwas zu tun. Er hat beschlossen, den Blick auf seine Zukunft, die Mäander seines Lebens um jeden Preis selbst zu bestimmen. Ob die lakonische Einsicht entscheidend dafür ist, frei nach den Bremer Stadtmusikanten: Etwas Besseres als den Tod findest du überall? Oder die Kraft, die er aus seiner glücklichen Partnerschaft schöpft oder aus starken Freundschaften oder ein Destillat aus allem? Henry Maitek hat einen Zugang zum Leben gesucht und gefunden, der ihm zum Menschenfreund macht, ohne sich je vereinnahmen zu lassen.
Mit Freunden wie Wolf Vostell und Paul Karalus gründete er zwischen verrückten Happenings die Zeitschrift Stil 65: zeitkritisch, intelligent, provozierend auch in der strengen Schwarz-Weiß-Gestaltung. Stil 65 kostete eine Mark, aber die Blattmacher all ihre Zeit und all ihr Geld. Nur kaufen wollte die Zeitschrift damals keiner. Und so ist Stil 65 nur einmal erschienen ... Als Henry Maitek mir davon erzählte, war er so jung, so vergnügt, so rebellisch wie bei unserem Gespräch, das dieser "Langen Nacht" zugrunde liegt.
Vor wenigen Wochen - die gegenwärtige Ausstellung im Foyer des Deutschlandfunks in Köln war bereits in Vorbereitung - ist Henry Maitek im Alter von 84 Jahren in Köln gestorben.
Monika Künzel
"Ich habe Henry Maitek oft bei der Arbeit beobachtet. Er ist ein ungemein schneller Fotograf vor Ort, wenn er sich mit seinem Thema auseinandersetzt. Langsam nähert er sich seinem Motiv. Dabei möchte er nach Möglichkeit nicht beobachtet werden; es soll keiner merken, dass er fotografiert. Er hält nichts von der Pose, der gestellten Szene, er will Wirklichkeit, Ungezwungenheit, freie Bewegung, Lebendigkeit. Er manipuliert nicht, inszeniert sich nicht selbst, er tritt völlig zurück hinter das, was er aufnehmen, was er später mit dem Bild aussagen will."
Erik Emig, in:
So lebt der Mensch
Fotografien
Von Henry Maitek 1060 - 1985
Edition Braus, Heidelberg 1986
"Noch nie ging es der Mehrzahl der jungen Leute materiell so gut wie heute, verfügte die über so ausgedehnte Freiräume. Wie erklären sich dann aber Lebensangst, Drogensucht, Gewalttätigkeit und Zerstörungswut, die Pädagogen und Psychologen immer mehr Kopfzerbrechen machen? Henry Maitek geht diesen Fragen mit seinem Mitteln nach. Er hat sich die jungen Leute liebevoll und kritisch durch das Objektiv seiner Kamera angesehen. Seine Faszination für die Jugend durchzieht sein gesamtes bildnerisches Werk. Dabei ist jede Generation für ihn einzigartig und unverwechselbar, jeder einzelne junge Mensch für ihn etwas Besonderes."
Horst Neißer, in:
Henry Maitek
Jugend
Gewidmet der mißbrauchten Jugend
an allen Orten - zu allen Zeiten
"Köln ist Henry Maiteks Heimat. Hier hat er in aller Stille sein Leben als Fotograf auf unsere Stadt und ihre Menschen konzentriert. Köln war und ist, auch wenn ihn mancher Auftrag in die Ferne nach Israel oder in die USA führte, sein Feld ist oft zugleich sein Auftraggeber. ... Das Leben der Straßen, Momente der Stille am Rande des Karnevals, der Überschwang selbst dieser fünften Kölner Jahreszeit, die Sehnsucht nach Gesprächen wie die Erfüllung im intensiven Austausch, das freie Spiel von Kindern, der Überschwang der Jugend..., Menschen sind immer Henry Maiteks liebevoller Zuwendung sicher."
Werner Schäfke, in:
Maiteks Köln
Köln 1999
Kölner Szenen
1060 - 1985
gesehen von Henry Maitek
Rheinau-Verlag 1985
Viele Bildbände und Kataloge von Henry Maitek sind zurzeit nur antiquarisch erhältlich.
Im Buchhandel:
Der Erzbischof von Krakau.
von Gerd Biegel
Karol Wojtyla 1920-1978.
Henry Maitek auf den Spuren von Papst Johannes Paul II..
Aufn.: Henry Maitek
2005 2005 Kunstverlag Josef Fink
2006
Kölner Funkhaus:
Der Blick des Fotografen - Henry Maitek
Eine Ausstellung in Memoriam des Fotografen
Die Ausstellung ist geöffnet vom 14.03. - 31.05.2007 von 9:00 - 19:00 Uhr
Der Eintritt ist frei!