Der Brecht-Mime

Von Martina Nix · 03.09.2005
Er war der Brecht-Mime schlechthin und seit über 40 Jahren mit Brechts Tochter Barbara verheiratet. Bis 1991 gehörte Ekkehard Schall fest zum Berliner Ensemble. Dort wurde er als Schauspieler berühmt. Doch nicht nur auf der Bühne auch in Film und Fernsehen, war er zu sehen. Am Samstag ist er im Alter von 75 Jahren gestorben.
Für die großen Rollen war er mit nur 1,71 eigentlich zu klein. Die Helden auf der Bühne brauchten mindestens neun Zentimeter mehr. Die Hauptrollen bekam er dennoch.

Ekkehard Schall: " Es stellte sich heraus, dass ich eine besondere Art hatte mich auszudrücken, ich lernte die Texte, wir lernten ja keine Rollen, quatsch, wir lernten Vorsprechkisten nannte man das, die großen Erzählungen, die in einzelnen Rollen hervorstechend sind, die lernte man. Lernte ich dann auch auswendig, dann habe ich mich aufgepumpt wie ein Maikäfer und dann habe ich das Ventil von dem vollen Reifen abgerissen das raste aus mir heraus bis zum Ende und ich hatte keine Ahnung, was ich da gesagt hatte und alle Leute waren nicht nur verblüfft, sondern waren hin und weg, waren hingerissen von dieser Leidenschaft."

Diese Leidenschaft – sie machte das Spiel von Ekkhard Schall unvergesslich. Ob als Baal, Arturo Ui, Fatzer oder Galilei – Schall füllte die Figuren mit Leben – kraftvoll und überzeugend. Dabei war die Schauspielerei für den gebürtigen Magdeburger keine Liebe auf den ersten Blick.

Schall: " Ich wollte gar nicht Schauspieler werden. Ich wollte nicht, wirklich nicht. Nicht, dass ich eine Abneigung gehabt hätte, aber ich wusste gar nicht, dass man Schauspieler werden kann. Ich ging zur Schule und wir spielten schon, zu Kriegszeiten noch, Theater – wie es in jedem anständigen Gymnasium gemacht wird, wir spielten Hans Sachs und wir spielten die Rüpelszenen aus dem Sommernachtstraum. Und danach, nach dem Krieg war eigentlich meine Lust neben der Schule, ich ging ja noch weiter zur Schule, zeichnen, ich zeichnete alles, was ich sah. Eigentlich hätte ich gedacht, ich würde Zeichner werden. "


Stattdessen nahm Ekkhard Schall privaten Schauspielunterricht in Magdeburg. Seine ersten Engagements führten ihn ans Stadttheater Frankfurt an der Oder und an die Berliner Bühne, das spätere Maxim Gorki Theater.

Seine eigentliche Karriere begann1952. Da holte Bertolt Brecht ihn ans Berliner Ensemble, engagierte ihn für die Rolle des Jose in seinem Theaterstück "Die Gewehre der Frau Carrar". Gerade 22jährig spielte Ekkehard Schall jetzt neben den Großen der Branche: Ernst Busch, Therese Giese, Helene Weigel und Erwin Geschonneck. Vier Jahre lernte er die Kunst des Theaters bei seinem späteren Schwiegervater Bertolt Brecht am Berliner Ensemble - bis zu dessen Tod im Jahr 1956.

Schall: " Brecht sagte: "Fang an und sprich durch, denk nicht, sprich durch, sprich in einer Linie, sprich linear, sprich bis zum Ende Deines Atems, hol schnell Luft und sprich weiter bis zum nächsten Ende des Atems". Das war ein Schnellkurs, den er mit mir vornahm. Ich lernte Sachen, die mir durchaus nicht einleuchteten. Er wusste, dass er nicht mehr viel Zeit hatte vielleicht und er hat bei mir zumindest mit Brachialgewalt versucht Dinge festzumachen, fest zu legen, die sich dann später auswirkten. Aber sich letztendlich dann in den nächsten, in den folgenden Jahren dann doch umsetzten in meinem Bewusstsein und in meiner Entwicklung. "

Fast vierzig Jahre blieb Ekkehard Schall am Berliner Ensemble, spielte dort über 500 Mal den Arturo Ui, die Rolle des Coriolan in der Shakespeare/Brecht Tragödie oder den Papst Urban im "Leben des Galilei". Ein diabolischer Brecht-Mime, gefeiert im In- und Ausland. Aber auch als Fernsehschauspieler machte er sich zu DDR-Zeiten einen Namen. Mit der Wende veränderte sich viel für ihn. Jetzt kamen neue Intendanten ins Berliner Ensemble und mit ihnen eine neue Spielart. Ekkehard Schall zog sich von seiner Bühne zurück. Nicht ohne Bitterkeit. Fortan spielte er an anderen Berliner Theatern und in der Off-Szene, gastierte in Salzburg und bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen, reiste mit abendfüllenden Brecht-
Soloprogrammen um die halbe Welt.

Schall: " Ich persönlich habe in meinem Leben genug Brecht gespielt. Ich werde, würde es natürlich auch wieder tun, aber im Moment habe ich Freude daran mich mit anderem zu beschäftigen, zum Beispiel mit Ödon von Horvath, das ist eine große Freude und auch mit Shakespeare wieder mal. "

In den letzten Jahren lebte er mit seiner Frau Barbara, der Tochter von Helene Weigel und Bertolt Brecht, im brandenburgischen Buckow. Zusammen verwalteten sie hier den Nachlass des Dichters. Schall begann – wie einst in seinen Jugendjahren – wieder Gedichte zu schreiben. Sein neues Theaterprojekt kann Ekkehard Schall nicht mehr verwirklichen. Im nächsten Jahr wollte er am Volkstheater Rostock, wo seine Tochter Johanna Schall Schauspieldirektorin ist, seine letzte große Rolle spielen – den alten König Lear.