Der Bruder erschossen, die Mutter auch
Es sind nur rund 450 hoch betagte Menschen, die Gefangene in NS-Kontentrationslagern oder Ghettos waren. Weil sie erst nach 1991 aus GUS-Staaten nach Deutschland eingewandert sind, bekommen sie keine Opferrente. Das empört sie.
"Das ist ein Paradox: Die SS- Leute, die haben uns bewacht, die bekommen Rente. Und wir, die waren hinter dem Stacheldraht, wir dürfen keine."
Leonid Edelman ist bis heute von Deutschland nicht als NS-Opfer anerkannt. Der 88–jährige ukrainische Jude wohnt seit 15 Jahren in Nürnberg – als so genannter "Kontingentflüchtling". Er lebt von der Sozialhilfe: 345 Euro pro Monat, die er jedes Jahr neu beantragen muss. Leonid Edelmann fühlt sich in Deutschland wie ein Bittsteller. Ein Paradoxon, wenn man sich seine Lebensgeschichte anhört. Der Schrecken begann, als 1941 die deutsche Wehrmacht in die Sowjetunion eindrang. Bald waren die Deutschen in seiner Stadt Kirowograd in der Ukraine.
"Ich und meine Mutter und mein Bruder, er war zwölf Jahre alt - wir sind geblieben auf dem besetzten Territorium und wir haben uns versteckt. Aber am 8. Juni 1942 waren wir verhaftet und in ein Lager für Leute jüdischer Herkunft eingesperrt und 9. Juni nächsten Tag war mein Bruderchen zusammen mit anderen Kindern und bejahrten Leuten waren alle erschossen."
Leonid blieb vom Massaker verschont. Er war 17 und galt zusammen mit seiner Mutter als nützliche Arbeitskraft. Sie arbeiteten in einem Steinbruch. Zum Essen gab es Molkereste aus der nahegelegenen Käserei. Um dem Hungertod zu entgehen, sind Leonid und seine Mutter aus dem Ghetto geflüchtet. Die Mutter wurde dabei von der Polizei getötet. Leonid blieb ganz allein.
Eine ukrainische Familie versteckte ihn zunächst und besorgte ihm falsche Papiere. Doch kaum auf der Straße, wurde er von einer Polizeirazzia aufgegriffen und zusammen mit anderen jungen Ukrainern als Zwangsarbeiter nach Deutschland in die Nähe von Bremen verschleppt. Für ihn als Juden war es doppelt gefährlich. Deswegen versuchte Leonid so bald wie möglich aus Deutschland zu fliehen. Doch er wurde gefasst und kam in ein Straflager.
"Nach drei Wochen hat man mich verlegt ins KZ Grafspäh. Die Häftlinge haben gearbeitet auf Schiffsbauwerft AG Weser."
Dort freundete sich Leonid mit einem Werftarbeiter Namens Rolf an.
"Und er fragte mich: 'Wofür warst du im Straflager?'- 'Ich wollte fliehen.' Er sagte: 'Du bist verrückt! In deiner Zebrakleidung, mit Hitlerstraße ... und du kannst kein Wort auf deutsch, das geht nicht. Wenn du willst fliehen, muss du alles wissen, was weiß deutscher Junge. Ich kann dir helfen.'"
Bei jeder Arbeitspause teilte Rolf mit Leonid seine belegten Brote und übte mit ihm Deutsch. Tag für Tag, Woche für Woche. Erst als Leonid fließend Deutsch konnte, half ihm Rolf bei der Flucht, die diesmal glückte.
Leonid ging in seine Heimatstadt Kirowograd zurück. Nach dem Krieg studierte er dort Ingenieurwesen und arbeitete als Bauingenieur, gründete eine Familie. Nie dachte Leonid, dass ihn das Schicksal noch mal nach Deutschland verschlagen würde. Doch es kam anders. Mit dem Zusammenbruch der UdSSR nahmen in der Ukraine wirtschaftliche Not, Nationalismus und Antisemitismus zu. 1996 entschloss sich Edelmans Familie zur Auswanderung nach Deutschland. Leonids Frau ist inzwischen gestorben. Seitdem geht es auch mit seiner Gesundheit bergab:
"Ich habe Diabetes und wegen Versagen meiner Niere, bin ich Dialyse- Patient, drei mal pro Woche bekomme ich Dialyse vier Stunden lang. Und ich kann nicht laufen, ich benutze den Gehwagen."
Eine NS-Opferrente würde dem 88-jährigen Invaliden in vieler Hinsicht helfen – nicht nur materiell, sondern auch als Zeichen der deutschen Anerkennung:
"Mensch ist nicht nur mit Brot zufrieden. Man muss auch moralische Entschädigung bekommen."
Doch gerade diese bleibt Opfern wie Leonid in Deutschland verwehrt. Etwa 450 Holocaustüberlebende aus der Ex- Sowjetunion leben hierzulande. Weil sie erst nach 1991 als jüdische Kontingentflüchtlinge eingewandert sind, kommen diese Menschen nicht mehr in den Genuss des Bundesentschädigungsgesetzes. Das galt nur bis 1969. Daher schlug vor kurzem das Land Mecklenburg Vorpommern dem Bundesrat vor, Bürger wie Leonid ebenfalls als NS-Regime-Opfer anzuerkennen.
Man könne denken, die Sache wäre selbstverständlich. Dass das nicht so ist, zeigt die jüngste Entwicklung, die in Bayern ihren Anfang nimmt. Seit 1996 wohnt in Nürnberg die 74-jährige Asja Levit. Sie hat als einziges Kind von ihrer großen Familie das Ghetto im ukrainischen Slawuta überlebt. Seit Jahren kämpft Asja als Vorstandsmitglied des Vereins "Holocaustüberlebende aus der GUS" für eine Opferrente:
"Mit der deutschen Rente wäre ich ein freier, unabhängiger Mensch. Ich könnte meine Zeit und mein Geld verwalten, ohne ständig dem Sozialamt Rechenschaft schuldig zu sein. Mir wurde damals alles genommen - Familie, Heim, Gesundheit. Und ich muss mich hier wie der letzte Bettler fühlen, denn die Gesetze der Sozialhilfe sind ja für alle gleich."
Und darum geht es in erster Linie den Holocaust-Überlebenden - raus aus der erniedrigenden Abhängigkeit von der Sozialhilfe.
Anfang des Jahres wandte sich Asja Levit an SPD Politiker in Nürnberg, damit auch das Land Bayern die Initiative von Mecklenburg-Vorpommern im Bundesrat unterstütze. Doch der SPD-Antrag "Rente statt Sozialhilfe für Holocaustüberlebende" ist im bayerischen Landtag vor einem Monat gescheitert – weil FDP und CSU dagegen waren. Hermann Imhof, CSU-Abgeoredneter in Nürnberg ist der Mann hinter dieser Ablehnung:
"Ich bin persönlich der Meinung – wenn wir in Deutschland Rente bezahlen, müssen wir von der Konsequenz her nicht das Rentenversicherungssystem, das einen begrenzten Personenkreis umfasst, sondern es muss eine Steuergemeinschaft sein. Das heißt, die ganz breite Bevölkerung muss diese Entschädigungsleistungen bezahlen."
Das Problem ist also die Rentenfinanzierung für nur 450 Menschen. Eine Kleinigkeit? Von wegen! Exakt aus diesen Gründen wird es wahrscheinlich kein neues Opferrentengesetz geben. Denn obwohl der Bundesrat am 15. April ein solches Gesetz ausdrücklich empfohlen hat, scheitert es jetzt am zuständigen Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Auf Anfrage von Deutschlandradio Kultur teilte das Ministerium mit:
"Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales sieht die zum Teil schwierige Situation der Betroffenen. Dennoch befürwortet das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Entschließung nicht. Sofern eigene Mittel der Betroffenen zum Lebensunterhalt nicht ausreichen, werden diese im Bedarfsfall durch Leistun¬gen der Grundsicherung aufgestockt."
Nach Ansicht des Ministeriums soll sich für Leonid Edelmann nichts ändern.
Er wird weder Rente noch seine Anerkennung als NS-Opfer erleben. Wenn Leonid die Möglichkeit hätte, mit den Verantwortlichen zu reden, würde er Ihnen folgendes sagen:
"Ich möchte sagen, dass Gerechtigkeit muss herrschen. Die ehemaligen Häftlinge sind nicht viel geblieben. Sie müssen Entschädigung bekommen."
Leonid Edelman ist bis heute von Deutschland nicht als NS-Opfer anerkannt. Der 88–jährige ukrainische Jude wohnt seit 15 Jahren in Nürnberg – als so genannter "Kontingentflüchtling". Er lebt von der Sozialhilfe: 345 Euro pro Monat, die er jedes Jahr neu beantragen muss. Leonid Edelmann fühlt sich in Deutschland wie ein Bittsteller. Ein Paradoxon, wenn man sich seine Lebensgeschichte anhört. Der Schrecken begann, als 1941 die deutsche Wehrmacht in die Sowjetunion eindrang. Bald waren die Deutschen in seiner Stadt Kirowograd in der Ukraine.
"Ich und meine Mutter und mein Bruder, er war zwölf Jahre alt - wir sind geblieben auf dem besetzten Territorium und wir haben uns versteckt. Aber am 8. Juni 1942 waren wir verhaftet und in ein Lager für Leute jüdischer Herkunft eingesperrt und 9. Juni nächsten Tag war mein Bruderchen zusammen mit anderen Kindern und bejahrten Leuten waren alle erschossen."
Leonid blieb vom Massaker verschont. Er war 17 und galt zusammen mit seiner Mutter als nützliche Arbeitskraft. Sie arbeiteten in einem Steinbruch. Zum Essen gab es Molkereste aus der nahegelegenen Käserei. Um dem Hungertod zu entgehen, sind Leonid und seine Mutter aus dem Ghetto geflüchtet. Die Mutter wurde dabei von der Polizei getötet. Leonid blieb ganz allein.
Eine ukrainische Familie versteckte ihn zunächst und besorgte ihm falsche Papiere. Doch kaum auf der Straße, wurde er von einer Polizeirazzia aufgegriffen und zusammen mit anderen jungen Ukrainern als Zwangsarbeiter nach Deutschland in die Nähe von Bremen verschleppt. Für ihn als Juden war es doppelt gefährlich. Deswegen versuchte Leonid so bald wie möglich aus Deutschland zu fliehen. Doch er wurde gefasst und kam in ein Straflager.
"Nach drei Wochen hat man mich verlegt ins KZ Grafspäh. Die Häftlinge haben gearbeitet auf Schiffsbauwerft AG Weser."
Dort freundete sich Leonid mit einem Werftarbeiter Namens Rolf an.
"Und er fragte mich: 'Wofür warst du im Straflager?'- 'Ich wollte fliehen.' Er sagte: 'Du bist verrückt! In deiner Zebrakleidung, mit Hitlerstraße ... und du kannst kein Wort auf deutsch, das geht nicht. Wenn du willst fliehen, muss du alles wissen, was weiß deutscher Junge. Ich kann dir helfen.'"
Bei jeder Arbeitspause teilte Rolf mit Leonid seine belegten Brote und übte mit ihm Deutsch. Tag für Tag, Woche für Woche. Erst als Leonid fließend Deutsch konnte, half ihm Rolf bei der Flucht, die diesmal glückte.
Leonid ging in seine Heimatstadt Kirowograd zurück. Nach dem Krieg studierte er dort Ingenieurwesen und arbeitete als Bauingenieur, gründete eine Familie. Nie dachte Leonid, dass ihn das Schicksal noch mal nach Deutschland verschlagen würde. Doch es kam anders. Mit dem Zusammenbruch der UdSSR nahmen in der Ukraine wirtschaftliche Not, Nationalismus und Antisemitismus zu. 1996 entschloss sich Edelmans Familie zur Auswanderung nach Deutschland. Leonids Frau ist inzwischen gestorben. Seitdem geht es auch mit seiner Gesundheit bergab:
"Ich habe Diabetes und wegen Versagen meiner Niere, bin ich Dialyse- Patient, drei mal pro Woche bekomme ich Dialyse vier Stunden lang. Und ich kann nicht laufen, ich benutze den Gehwagen."
Eine NS-Opferrente würde dem 88-jährigen Invaliden in vieler Hinsicht helfen – nicht nur materiell, sondern auch als Zeichen der deutschen Anerkennung:
"Mensch ist nicht nur mit Brot zufrieden. Man muss auch moralische Entschädigung bekommen."
Doch gerade diese bleibt Opfern wie Leonid in Deutschland verwehrt. Etwa 450 Holocaustüberlebende aus der Ex- Sowjetunion leben hierzulande. Weil sie erst nach 1991 als jüdische Kontingentflüchtlinge eingewandert sind, kommen diese Menschen nicht mehr in den Genuss des Bundesentschädigungsgesetzes. Das galt nur bis 1969. Daher schlug vor kurzem das Land Mecklenburg Vorpommern dem Bundesrat vor, Bürger wie Leonid ebenfalls als NS-Regime-Opfer anzuerkennen.
Man könne denken, die Sache wäre selbstverständlich. Dass das nicht so ist, zeigt die jüngste Entwicklung, die in Bayern ihren Anfang nimmt. Seit 1996 wohnt in Nürnberg die 74-jährige Asja Levit. Sie hat als einziges Kind von ihrer großen Familie das Ghetto im ukrainischen Slawuta überlebt. Seit Jahren kämpft Asja als Vorstandsmitglied des Vereins "Holocaustüberlebende aus der GUS" für eine Opferrente:
"Mit der deutschen Rente wäre ich ein freier, unabhängiger Mensch. Ich könnte meine Zeit und mein Geld verwalten, ohne ständig dem Sozialamt Rechenschaft schuldig zu sein. Mir wurde damals alles genommen - Familie, Heim, Gesundheit. Und ich muss mich hier wie der letzte Bettler fühlen, denn die Gesetze der Sozialhilfe sind ja für alle gleich."
Und darum geht es in erster Linie den Holocaust-Überlebenden - raus aus der erniedrigenden Abhängigkeit von der Sozialhilfe.
Anfang des Jahres wandte sich Asja Levit an SPD Politiker in Nürnberg, damit auch das Land Bayern die Initiative von Mecklenburg-Vorpommern im Bundesrat unterstütze. Doch der SPD-Antrag "Rente statt Sozialhilfe für Holocaustüberlebende" ist im bayerischen Landtag vor einem Monat gescheitert – weil FDP und CSU dagegen waren. Hermann Imhof, CSU-Abgeoredneter in Nürnberg ist der Mann hinter dieser Ablehnung:
"Ich bin persönlich der Meinung – wenn wir in Deutschland Rente bezahlen, müssen wir von der Konsequenz her nicht das Rentenversicherungssystem, das einen begrenzten Personenkreis umfasst, sondern es muss eine Steuergemeinschaft sein. Das heißt, die ganz breite Bevölkerung muss diese Entschädigungsleistungen bezahlen."
Das Problem ist also die Rentenfinanzierung für nur 450 Menschen. Eine Kleinigkeit? Von wegen! Exakt aus diesen Gründen wird es wahrscheinlich kein neues Opferrentengesetz geben. Denn obwohl der Bundesrat am 15. April ein solches Gesetz ausdrücklich empfohlen hat, scheitert es jetzt am zuständigen Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Auf Anfrage von Deutschlandradio Kultur teilte das Ministerium mit:
"Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales sieht die zum Teil schwierige Situation der Betroffenen. Dennoch befürwortet das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Entschließung nicht. Sofern eigene Mittel der Betroffenen zum Lebensunterhalt nicht ausreichen, werden diese im Bedarfsfall durch Leistun¬gen der Grundsicherung aufgestockt."
Nach Ansicht des Ministeriums soll sich für Leonid Edelmann nichts ändern.
Er wird weder Rente noch seine Anerkennung als NS-Opfer erleben. Wenn Leonid die Möglichkeit hätte, mit den Verantwortlichen zu reden, würde er Ihnen folgendes sagen:
"Ich möchte sagen, dass Gerechtigkeit muss herrschen. Die ehemaligen Häftlinge sind nicht viel geblieben. Sie müssen Entschädigung bekommen."