Der Büffel

Von Gerhard Richter · 06.09.2013
Rund 34.000 Kilometer umfasst das Schienennetz der Deutschen Bahn. Ungefähr ein Zehntel davon will das Unternehmen demnächst sanieren. Viel Arbeit für den Büffel - so heißt der Schnellumbauzug der Bahn -, der mit hydraulischer Kraft Schienen und Schwellen erneuert. Dabei hat er es immer eilig, denn Gleisbau ist nur in der warmen Jahreshälfte möglich.
Mit gelber Warnweste, Gehörschutz und Sicherheitsbrille kniet Wilfried Schröter im Bahnschotter und presst den Trennschleifer gegen die Schiene, dass die Funken sprühen. Aus sicherem Abstand schaut ihm Martin Heine zu. Er ist der Bauleiter. Mit dem Fuß tritt er prüfend gegen eine der rostbraunen Metallschwellen, darauf eingeprägt die Jahreszahl 1934.

Martin Heine: "Die ist mittlerweile schon 80, über 80 Jahre alt. Da ist sie durchgerostet, dort ganz besonders, da sind schon Löcher drinne von außen, und die Strecke soll ertüchtig werden, auf eine bestimmte Geschwindigkeit, wo die nicht mehr zugelassen wäre, so in der Form."
Martin Heine trägt ebenfalls einen Bauhelm. Gleisbau ist gefährlich. Vor allem, wenn sich der Schnellumbauzug 315, wie der Büffel, offiziell heißt, schnaubend und brüllend in Bewegung setzt.

450 Tonnen schwer und 110 Meter lang ist der Bauzug. Der vordere Teil rumpelt auf den alten rostigen Schienen, der hintere Teil rollt schon auf dem nagelneuen Gleis. Dazwischen biegt der Büffel die alte Schiene mit hydraulischen Greifern zur Seite, reißt die alten Schwellen aus dem Schotter, glättet das Gleisbett, legt neue Betonschwellen, setzt die neuen Schienen darauf und schottert das Ganze ein. Millimetergenau und computergesteuert.

250 Meter schafft der Büffel in einer Stunde, aber jetzt halten die Greifer inne, die Laufbänder für Schwellen und Schotter kommen zum Stehen. Martin Heine eilt nach vorn, der Büffel steht vor einer schmalen Brücke über einem Bach.

Martin Heine: "Normalerweise läuft die komplette Gleisanlage über einen automatischen Leitcomputer, in dem Fall aber, da musst du von Hand nachregeln, weil das ist so nicht kalkuliert und das musst du dann nachregulieren."
Eine Spezialaufgabe für die 18 Mitarbeiter, die im und am Zug arbeiten. Eckard Jagst misst mit einem Meterstab den Abstand zwischen den Schwellen und dem Bauzug.

Eckard Jagst: "Ja, die Brücke, die liegt wesentlich höher, und dadurch haben wir Schwierigkeiten mit der Messvorrichtung, und deswegen müssen wir das auch mit der Hand ausmessen. Und da müssen wir alles langsam machen."

Er drückt ein paar Knöpfe, mühelos ziehen die Greifarme die tonnenschweren Schienen heran, als wären es Gummiseile. Zentimeterweise ruckelt sich die gelbe staubige Riesenmaschine über die Brücke. Die Sanierung dieser eingleisigen Trasse hier im niedersächsischen Wittingen kostet 5 Millionen Euro, dafür werden 20 Kilometer Schiene erneuert, 16.000 Betonschwellen gelegt und 20.000 Tonnen Schotter gewechselt.

Nach zwei Stunden hat der Büffel die Brücke passiert und arbeitet im Normaltempo weiter bis es langsam dunkel wird. Dann schnaubt die Hydraulik ein letztes Mal und bleibt stehen.

Sebastian Schulz schaut auf seine Uhr:

"Oj, ja : zehn nach acht!"

Der 28-jährige Baugeräteführer überwacht den exakten Abstand zwischen den Schienen. Jetzt - nach einer 13-Stunden-Schicht - zieht er die Warnweste aus und hängt den Bauhelm im Mannschaftswagen an den Haken.

Mit dem Büffel von Baustelle zu Baustelle
Wie die meisten der Gleisbauer kommt er aus den neuen Bundesländern und fährt dem Büffel hinterher - von Baustelle zu Baustelle. Drei Wochen Holstein, zwei Wochen Bayern.

Jetzt sechs Wochen zwischen Wittingen und Gifhorn. Müde packen die Kollegen ihre leeren Vesperbeutel in den Transporter und fahren 30 Kilometer weit in ihr Hotel. Sebastian Schulz hängt sich die Laptop-Tasche um.

Sebastian Schulz: "Ja, ich muss noch was am Laptop machen, ein paar Daten eingeben, damit wir halt die nächsten Meter fahren können, das sind Verschiebe- und Höhenkorrekturen. Ja und dann mit den Kollegen zusammensitzen und noch ein kleines Bierchen trinken, und dann irgendwann ins Bett gehen, und dann wieder morgen früh fit dastehen und arbeiten."

Sebastian Schulz schläft noch, da geht Klaus-Dieter Schulz, sein Vater im Morgengrauen am Büffel entlang, eine Kanne Öl in der Hand. Der 57-Jährige hat den Gleisbauberuf an den Sohn weitergegeben, jetzt stakst er steifbeinig durch die feuchte kühle Morgenluft über den Schotter und gibt dem Büffel, was er braucht.

Klaus-Dieter Schulz: "Die ganzen Kompressoren müssen abgefettet werden, muss betankt werden die Maschine, damit die bis Abends durchhält. Die Überfahrbrücken, die Wagen müssen vorbereitet werden, sodass das nachher richtig losgehen kann."

Um sieben kommen die anderen Arbeiter, müde und gut gelaunt. Klaus Dieter Schulz drückt im Steuerpult den grünen Knopf:

Der 760 PS Diesel-Motor springt an. In den armdicken Hydraulikschläuchen steigt der Druck, der Büffel läuft sich warm. Die Arbeiter in orangen Hosen und Warnwesten setzen den Helm auf, nehmen ihre vertrauten Plätze rund um den Zug ein.

Trotz der Kraft des Büffels, bleibt viel Handarbeit: ein Knochenjob, immer draußen, bei jedem Wetter. Und wochenlang unterwegs. Sebastian Schulz schaut auf die alten rostigen Schwellen. Für einen jungen Gleisbauer bietet das 30.000 km lange Schienennetz der Bahn lebenslange krisenfeste Arbeit.

Sebastian Schulz: "Muss man anschauen, ob der Körper das mitmacht, ist auch sehr anstrengend hier. Schottern, laufen und die Beine. Rücken, die schweren Schwellen ab und zu hin und her wuchten. Geht ganz schön auf Kreuz mit, muss man mal schauen."

Mit einem Ruck setzt sich der Büffel in Bewegung, übertönt alle Bedenken und frisst sich mit brachialer Gewalt in das alte Gleis, um ein neues daraus zu machen.