Der Bulle vom Nordstrand
Kenneth Rostig tut seinen Dienst auf Deutschlands abgelegenster Nordseeinsel. Auf Helgoland passt jeder auf jeden auf, sagt er, was seine Arbeit nicht unbedingt leichter macht. Kapitalverbrechen gibt es auf dem Quadratkilometer rotem Buntsteinfels kaum. Rostig hat es vielmehr mit Strauchdieben und Zechprellern zu tun.
"Justin, nicht so schnell. Justin. Bleib mal stehen. Justin! Pass auf das geht schräg, gestern hat er sich überschlagen …"
Justin hört nicht. Sitzt, den Oberkörper nach vorn gebeugt, auf seinem Trettraktor und gibt alles. Sein Verfolger, ein großer, tapsiger Friese in blauer Uniform und gelber Windjacke, auf der in großen Lettern POLIZEI steht – schüttelt den Kopf, gibt auf. Übergibt den Fall an Schwiegermutter. Wirklich gefährlich ist der Weg nicht, der Kindergarten um die Ecke, Autos gibt es keine. Nur Elektro-Karren.
Kenneth Rostig geht zum Dienst. Und gleichzeitig auf Streife.
"Moin. Und was sagt das Wetter? Bleibt so. Das sieht ja gut aus. Klasse. Tschüß. Morgen ..."
Klönschnack im Fahrstuhl, der das Oberland mit dem Unterland der Insel verbindet. Hier, 70 Kilometer weit draußen in der deutschen Bucht. Wo auf einem Quadratkilometer rotem Bundsteinfels knapp 1500 Einwohner leben. Fast jeder jeden kennt. Und alle den Inselpolizisten. Kaum ist der aus dem Fahrstuhl raus, trifft er einen Handwerksmeister im Blaumann, führt das erste Dienstgespräch.
"Das hatte sich aufgeklärt diese eine Sache. Ist das nicht verrückt, dass die die im Lager versteckt haben. Nichts desto trotz läuft das Strafverfahren weiter. Find ich auch in Ordnung. Tschüß."
Ein paar Wochen liegt es schon zurück. Da meldet der Handwerksmeister bei der Polizei den Diebstahl seiner Bohrmaschine. Verdächtigt wird ein anderer Handwerker. Später stellt sich raus: beide mögen sich nicht besonders. Der eine will den anderen ärgern, versteckt dessen Werkzeug. Für den Streich droht ihm jetzt ein Verfahren wegen versuchten Diebstahls bzw. Unterschlagung.
"Aber nichts desto trotz haben die Kollegen das durch Ermittlungsarbeit aufklären können, das ist dann schon mal ein guter Erfolg, was denn die Helgoländer Unternehmer auch so wahrnehmen, schon befriedigend für einen. Schnäuzer. Moin, moin."
Rostig drückt sein Kreuz durch, blinzelt in die Sonne, streckt sein markantes Kinn nach vorn. Mit seinen leicht gewellten, zurückweichenden Haaren und der Kinnpartie ähnelt er auf den ersten Blick irgendwie Kult-Regisseur Quentin Tarrantino. Die Einsätze des Hauptkommissars sind vielleicht nicht ganz so blutig wie in "Kill Bill" und die Dialoge auf der Insel: eher reif fürs Ohnesorg-Theater.
"Morgen Klaus. Hast wohl ordentlich was vor heute, ne. Jetzt schon zu viel. Ja?"
Rostig grüßt auf seiner Streife fast jeden, kommentiert fast alles. Man spürt, dass er beliebt ist, sich viel Mühe gibt. Der gute und enge Kontakt mit den Bürgern und Bürgerinnen, sagt er ein wenig förmlich, gehöre einfach dazu.
"Den Klönschnack halten sie eigentlich schon, wenn sie zum Dienst gehen. Da hören sie auch schon Neuigkeiten, was auch gut ist und dann zieht sich das so entlang. Und auch wenn man morgens beim Bäcker den Brückenkapitän trifft, dann spricht man mit dem Brückenkapitän kurz über das eine oder andere dienstliche. Das macht die Sache zum Teil auch wirklich einfacher, weil man das eine oder andere erfahren hat und das ist schon eine sehr gute Sache ist das und das unterscheidet auch den Dienst von drüben."
"Drüben" nennen die Helgoländer das Festland. Und von dort kommt auch er. Kein gebürtiger Insulaner, wächst Kenneth Rostig in der Wilster Marsch bei Brockdorf auf. Nach einer Verwaltungslehre geht er 1991 zur Schutzpolizei, wechselt dann zu den "Blauen", der Wasserschutzpolizei. Im April 1997 kommt er als Verstärkung nach Helgoland, soll fünf Monate bleiben. Heute ist er 36 und schon elf Jahre hier. Schuld daran ist Ina, seine Frau, eine waschechte Helgoländerin.
"So hat sich das ergeben. So hat man sich kennen gelernt und zack. Sie hat hier ein Geschäft ist selbständig. Da hab ich mir die Frage gestellt, was ist nun einfacher, ne Helgoländerin aufs Festland zu bekommen oder als Beamter auf die Insel Helgoland zu gehen. Und dann war die Entscheidung relativ klar zu sagen, dann geh ich rüber."
Sicher sei es ruhiger hier als auf so mancher Dienststelle drüben, sagt Rostig und unterdrückt ein Grinsen. Die soziale Kontrolle auf Helgoland ist hoch. Wo jeder jeden kennt, passt auch jeder auf jeden mit auf. Der letzte Mord auf der Insel liegt jedenfalls knapp drei Jahrhunderte zurück.
Plötzlich zieht Rostig die Augenbrauen zusammen, blickt streng auf die vielen teuren Auslagen in den Schmuck- und Juwelierläden der Hauptgeschäftsstraße Helgolands. Im Angebot: alles vom zollfreien japanischen Mini-Fernglas bis zum Brillianten-Collier.
"Hier in diesem Bereich lassen wir uns denn auch im Sommer häufig sehen durch entsprechende Fußstreifen, weil man hier auch optisch wahrgenommen wird und – dient auch ein bisschen der Prävention der Vorbeugung um den Langfingern zu zeigen: passt auf, uns gibt es hier es lohnt sich nicht irgendwas zu machen."
Weiter Richtung Binnenhafen, mit kurzem Abstecher zur Landungsbrücke. Hier kommen im Sommer bis zu sechs Fahrgastschiffe an und werfen Anker, erklärt Rostig. Zwei, drei, manchmal viertausend Tagestouristen werden von Bördebooten abgeholt und an Land gebracht. Vier fünf Stunden lang strömen sie dann durch die Einkaufsstraßen. Essen Taschenkrebse, trinken Pils und Eierbowle, kaufen zollfrei Zigaretten und Schnaps, Postkarten, ein paar Souvenirs. Und schon sind sie wieder weg.
"Hier ist auch ein Punkt wo wir uns auch im Sommer mal platzieren, um überhaupt zu sehen, was kommen überhaupt für Gäste. Von daher gucken wir auch und insbesondere auch bei Abfahrten stellen wir uns denn mal hin."
In den Wintermonaten kommt täglich nur ein Schiff mit einer Handvoll Touristen. Den Stopp Landungsbrücke könnte er sich der Kommissar auf seiner Streife also theoretisch sparen. Dennoch kommt er, sucht regelmäßig den vorgelagerten Südstrand ab. Nicht etwa nach betrunkenen Tagestouristen, sonder nach verletzten, gestrandeten Seehunden.
"Is aber nichts hier, letzte Woche hatten wir einen. Ja, jetzt gehen wir zur Frachtmole am Binnenhafen, man sieht auch schon geschäftiges Treiben."
Es ist Dienstag, das Versorgungsschiff ist da. Bringt Ware auf die Insel. Vor allem Nachschub an Spirituosen. Die Fracht ist abgepackt in Kartons, wird auf Kistenroller geladen und sofort per Elektro-Karren zum Empfänger gebracht. Alles geht blitzschnell und reibungslos. Rostig steht an einen Pöller gelehnt, eine Hand in der Hosentasche. Ab und zu haben wir hier eine Anzeige wegen Lärmbelästigung, sagt er, vielmehr nicht.
Vorbei die Zeiten, in denen Fischkutter aus Dänemark, Holland, Belgien und Frankreich im Hafen liegen, in der alten Südkantine gesoffen und geprügelt wird. Rostig winkt ab. Fischer, sagt er, sind ja kaum noch. Und wenn mal ein Kistenroller verschwindet, währt die Aufregung meist nicht lang. Wo soll der Dieb damit auch hin?
"Eins ist ja nun auch, wenn das rauskommt, dass ein Helgoländer einem anderen Helgoländer. Das ist ja nicht unbedingt so, dass das unverborgen bleibt."
Weiter die Hafenstraße runter, Richtung Dienststelle. Der Himmel: strahlend blau. Eine leichte Brise kommt vom Meer. Auf der Mole ist gut Betrieb.
"So, wir sind jetzt im Südhafen. Wolfgang. Wolfgang. Hallo, na? Ja. Also man kennt doch viele sag ich mal. Hallo, grüß dich. Wir laufen jetzt Hafenstraße entlang und sehen Hummerbuden. Das sind ... Hallo grüß dich Karin. Hallo grüß dich. ... zum Teil historische Buden, die die Fischer zum Teil heute noch benutzen bzw. Imbiss und die sind in verschiedenen Farben. Rot, blau, orange."
Um zehn Minuten nach neun ist Rostigs Frühstreife beendet, er schließt die Tür zu seiner Dienststelle auf. Ein kleines, mit oliv-grünen Schieferplatten beschlagenes Haus mit einem Handkarren und einem vier Meter langen, verrosteten Anker im Vorgarten. Gegenüber liegt das Sailors, einer der vielen Geschäfte, in denen man zollfrei Schnaps einkaufen kann. 1,75 Liter Wodka für 15 Euro.
Rostig wirft seine Jacke über eine Stuhllehne auf der Wachstation im Erdgeschoss, geht gleich die Treppe rauf ins Obergeschoss. Dort sitzt schon eine Kollegin.
"Guten Morgen Susanne. Grüß Dich. Ist ruhig geblieben heute Nacht? Erst mal Kaffee trinken?"
Der Dienstellenleiter geht direkt in die Küche, setzt Kaffee auf. Von dort aus in sein Büro. Ein unspektakulärer vier mal vier Meter kleiner Raum mit einem abgerundeten Resopal-Schreibtisch, auf dem viel Papierkram hin und her bewegt werden muss. Dienst- und Einsatzpläne, Rundmails, Fortbildungsflyer. Neben der Strafprozessordnung liegt ein ausgeleiertes Lederetui mit Stiften, auf einem Drucker hinter Rostig eine Blechdose Fishermens-Friends, an der Wand hängt eine ausrangierte Polzeibootflagge mit Schleswig-Holstein-Wappen.
Insgesamt wachen vier Beamte über die knapp 1500 Helgoländer, im Sommer sind es sechs. Polizeiobermeisterin Susanne Findersen ist seit acht Uhr heute Früh hier, ab 17 Uhr hat sie Rufbereitschaft. Ihr Schreibtisch – ordentlicher, übersichtlicher. Ein paar Post-its, zwei, drei schmale Heftordner. Findersen bearbeitet gerade den Vorgang mit der Nummer 154578, eine Strafanzeige gegen Strauchdiebe. Viele Hinweise habe ich nicht, sagt sie. Der oder die Diebin stehlen in der Otto Bartlingstraße Nr. 465 am helllichten Tag Mammut- und Obstbäume, graben gleich noch ein paar Erdbeerpflanzen mit aus. Ganz schon dreist, findet die Polizeiobermeisterin. Für harte Ermittlungen vor Ort aber hat sie keine Zeit.
"Zu viel Arbeit, jede Straße abzugehen und jeden Vorgarten dazu ist die Insel dann doch zu groß. Bei unseren Strauchdieben könnte es natürlich passieren, dass irgendeiner die Bäume wieder entdeckt und der Täter in Erklärungsnot kommt, wo er die her hat. Mammutbäume bekommt man ja nicht an jeder Straßenecke."
"Die Polizei auf Helgoland, Rostig. Guten Tag Herr Bichler. Von wo rufen sie denn an, von Österreich? Schönen Gruß nach Österreich. Sie wollen die Kollegin sprechen ..."
Rund 1200 Einsätze gibt es für Rostig und seine Kollegen im Jahr, macht etwa drei am Tag. Körperverletzung und Sachbeschädigung gehören genauso dazu wie Ehestreitigkeiten, Betrunkene oder eben Strauchdiebe. Den letzten Großeinsatz gibt es Ende der 80er Jahre.
"Ich sag mal auf so einer kleinen Insel, ich will mich da jetzt nicht festlegen aber ich sag jetzt mal ne Zahl zwei drei Delikte im Jahr haben, dann ist das für die Bevölkerung schon sehr viel und von daher bedeutet das für uns hier entsprechend tätig zu werden und unsere Ermittlung da voll raufzuwerfen."
Rostig lehnt sich in seinem Bürostuhl zurück, reibt sich die Hände. Vor ihm steht jetzt – wie es sich für einen echten Kommissar gehört - ein Pott Kaffee. Wir sind hier weit weg vom Festland, sagt er, ganz auf uns allein gestellt.
"Wir haben kaum Möglichkeiten, zeitnah Unterstützung zu bekommen, von daher haben wir hier auch nicht die Möglichkeit unbegrenzt Verstärkung anzufordern, sondern müssen egal welche Lage das ist eventuell über mehrere Stunden selbst bewältigen."
Das klappt bisher ohne große Probleme. Auch, weil hier eben nicht so viel los ist wie auf dem 10. Polizeirevier in Frankfurt oder der Davidwache in St. Pauli. Dennoch gibt es natürlich auch hier über jeden Vorgang Einsatzberichte. Die stehen im Ordnerschrank im Zimmer von Kollegin Findersen. Rostig steht auf, geht rüber.
"Wir haben ganz normal klassische Einsatzberichte, das ist genauso wie auf dem Festland. Das ist die Mutter aller Vorgänge, der Einsatzbericht."
Falschgeld, Waffen, Sprengstoffmeldungen. Immerhin: Formulare gibt es auch für mittlere und schwere Delikte. Aber: gibt es auf Helgoland überhaupt so etwas wie ein Kapitalverbrechen?
"Das letzte große Kapitalverbrechen? Wir haben, wo haben wir, da. Ja, dann greifen wir uns den Ordner hier mit der OB Nummer 238 241. Klacken. Und wir sehen hier dass wir einen besonders schweren Fall des Diebstahles haben. Schadenshöhe beträgt 100.000 Euro Es handelte sich hier um den Juwelendiebstahl auf der Insel Helgoland."
Ein Trickdiebstahl, bei dem einer der Täter die Verkäuferin eines Juweliergeschäftes ablenkt, seine Kumpels unterdessen die Ware einsammeln, in Smarties-Dosen verstecken. Aufgrund der Täterbeschreibung werden die Diebe später an Bord eines Reederschiffes gefasst.
"Bei der Durchsuchung fand man dann in einer sag ich mal in einer Bonbonverpackung, einer recht großen Verpackung purzelten da die Schmuckstücke heraus. Das war ne gute Sache."
Und knapp ist es, erinnert sich Rostig. Die Polizei weiß damals nicht, ob die Täter tatsächlich an Bord sind. Hält das Schiff mit 800 Tagestouristen aber trotzdem fest.
"Da ist natürlich ein Druck da, das muss man sagen, der Beamte hat sich da vorbildlich verhalten und den richtigen Riecher gehabt."
Er selbst ist leider nicht der Held. Ist, als einem seiner Kollegen endlich mal ein Polizei-Coup gelingt, gerade im Urlaub.
"Susanne ich nehm´ Handy 1 mit. Treppe. Jacke."
Rostig will noch mal los, auf Streife im Oberland. Draußen vor der Tür parkt jetzt ein Tourenrad, mattsilber, mit Polizeibeschriftung. Damit sind wir in drei bis vier Minuten an jedem Punkt der Insel, sagt er und klopft wie ein Cowboy auf den Sattel. Im Schuppen um die Ecke steht Rostigs Dienstwagen, ein gebrauchter Mercedes A-Klasse. Die verbraucht im Jahr nicht mehr als eine halbe Tankfüllung, sorgt anfangs aber für viel Wirbel. Denn: nach Paragraph 50 der Straßenverkehrsordnung sind Autos auf Helgoland verboten. Wozu bitte schön, fragen sich die Helgoländer, braucht dann die Polizei eins, wo sie doch binnen Minuten überall zu Fuß oder mit dem Rad ist? Rostig wirkt kurz genervt, fummelt irgendwas am Reißverschluss seiner Windjacke, sagt nur: Eine moderne Dienststelle braucht auch einen Dienstwagen.
"Ansonsten gibt es natürlich die Möglichkeit die klassische Fußstreife um auch möglichst direkt am Büger dran zu sein direkt am Ohr zu sein sag ich mal, da ist das die beste Möglichkeit. Das is´ ne gute Sache, das find ich einfach klasse."
"Moin Rainer, was gibt’s Neues Rainer. Gar nichts. Alles ruhig hier, heute kommen 150 Gäste sag ich mal, bisschen verhalten."
Wieder grüßt er jeden, bleibt beim Klönschnack auch schon mal stehen. Zweimal allein auf den ersten hundert Metern.
"Hallo. Na Oli. Na. Hast ne neue Brille. Ich bin doch Brillenträger geworden. Siehst ja richtig raffiniert aus. Meinst du? Meinst du wie viel Gäste heute. Höchstens 150 heute. Büsumer kommt heute nicht. Der Kat kommt auch."
Ins Oberland nimmt Rostig diesmal nicht den Fahrstuhl, er nimmt den steilen Weg am Nordosthafen.
"Ja, sehr beschwerlich wir haben 40 Höhenmeter zu überbrücken. Auch wenn sie nachts hier hoch müssen und schnell dann ist man doch schon gefordert."
Oben angekommen, wieder eine Geschäftsstraße. Wieder japanische Ferngläser, Luxusuhren, zollfreier Schnaps und edle Schokolade. Dazwischen Cafés, die mit Panoramablick werben und Restaurants, in denen irgendwann in den 80er Jahren die Zeit stehen geblieben zu sein scheint. Eine Handvoll Urlauber bummelt mit Blick auf die ruhige Nordsee. Die meisten tragen Freizeitjacken und bequeme Wanderschuhe, einige sind mit Nordic-Walking-Stöcken unterwegs. Alle sehen friedlich aus, keiner wie ein potentieller Strauch- oder Juwelendieb.
"Wir verlassen den Falm und schauen jetzt in einen großen Trichter, das so genannte Mittelland. Gehen jetzt mal Richtung Westseite. Das ist auch die Streifenrunde und wir haben auch einen Blick drauf, dass die Hunde an der Leine geführt werden."
Der Trichter ist ein Krater und wie so vieles auf Helgoland ein Relikt des Zweiten Weltkrieges und der Krater ist durch einen Tunnel mit dem Oberland verbunden. Polizeitechnisch herrscht hier das höchste Verkehrsaufkommen. Nirgends sonst fahren so viele E-Karren rauf und runter, transportieren Gepäck, Waren und Müll. Manche fahren dabei deutlich schneller als die erlaubten 10 Stundenkilometer. Und mancher Fahrer hat deutlich mehr als 0,8 Promille. Deshalb steht Rostig manchmal hier, winkt sie raus, zum pusten. Kein Scherz: auf der Insel ohne Autos gibt es regelmäßig eine Verkehrskontrolle. Die dauert maximal 20 Minuten. Dann hat sich das rumgesprochen, sagt Rostig.
"Wenn wir jetzt hier diesen Klippenrandweg entlang gehen, sehen wir dass hier ein Zaun ist und wir müssen drauf achten, dass keiner über diesen Zaun hinüber steigt und in den vorgelagerten Bereich geht, weil das lebensgefährlich ist."
40 bis 60 Meter geht es an manchen Stellen in die Tiefe. Unten sieht man nur die gewaltige Uferschutzmauer, die den porösen Sandstein der Insel vor der Brandung schützen soll. Wenn von hier oben jemand zu springen droht, wird Rostig sofort gerufen. Über Selbstmörder auf Helgoland möchte er aber nicht sprechen.
Weiter zum Lummfelsen. Die Hohlräume im Sandstein bieten im Frühjahr Nistplätze für Tausende von Vögeln. Möwen, Basstölpel, Lummen. Der Polizist lehnt sich einen Moment lang auf den hüfthohen Zaun, beobachtet das Naturschauspiel. Mitten in seinem Revier.
"Jetzt wo wir hier beide am Lummfelsen stehen und wir beide auf die brütenden Trottelum, Basstölpel sehen, wird mir das schon wieder bewusst, was man hier hautnah erleben kann, ja wenn ich das so sehe, ist schon schön mitzubekommen. Nee ich möchte nicht tauschen, das ist herrlich."
Gleich hinter dem Lummfelsen liegt das Wahrzeichen und Sorgenkind Helgolands, die lange Anna. Wasser wäscht den 48 Meter hohen, knapp 25.000 Tonnen schweren Sandsteinklotz immer mehr aus, die Aussichtsplattform ist längst aus Sicherheitsgründen gesperrt. Rostig kontrolliert mit geschultem Blick den Absperrzaun, guckt dann kurz auf seine Uhr. Zum Abschluss der Streife würde er gern noch rüber auf die Schwesterinsel Düne. Das Boot fährt in einer halben Stunde.
"Hallo. Schritte. Hallo. Schritte. Hallo. Geht die Saison wieder los. Muss ja, Sonne lacht ja. Was liegt denn an. Kartoffeln vorbereiten. Großes Treiben, alle am Gange. Ja, Lachen, Schritte."
Zeit für einen Klönschnack aber ist immer, diesmal in der Kleingartenkolonie. Von hier sind es nur ein paar Schritte in die Otto Bartlingstraße – den Tatort der Strauchdiebe. Das Haus mit der Nummer 465, ein großer weißer Klinkerbau, liegt quasi auf dem Weg. Die Rolläden sind herunter gelassen.
Rostig klingelt. Doch niemand öffnet. Zwei Handwerker, die am Haus gegenüber arbeiten, wissen von nichts. Und selbst die Friseuse, drei Häuser weiter kann nur bestätigen, was längst aktenkundig ist.
"Das ist Bäcker Meier, da hat einer letzte Woche gepflanzt, das habe ich gesehen. Die müsste vielleicht was wissen."
Der Kommissar blickt noch einmal auf seine Uhr, lässt den Fall dann ruhen. Die Fähre zur Düne geht in zehn Minuten.
Eine Viertelstunde später betritt er den Dünenhafen, geht direkt Richtung Nordstrand.
"Gehen wir mal ein Stück. Schritte. Bei diesem Gang hier schau ich mir insgesamt noch mal den Strand an und stelle fest, dass wir durch die Stürme, die wir über mehrere Monate doch starke Sandverluste hier sehen."
Mit ein bisschen Glück, sagt er, könne man hier den einen oder anderen Seehund sehen. Wenig später steht er vor einer ganzen Kolonie. 30, 40 Tiere liegen friedlich am Strand in der Sonne und dösen.
"Wo hat man das? Gucken sie sich das mal an. Wo haben sie so was? Das Tier guckt sie an und bewegt sich nicht. Erzählen sie mir nicht, dass sie hier jemals weg wollen. Ha, ha, das ist schon sehr schwer."
Und deswegen wird er wohl weiter auf Helgoland Streife gehen. Kenneth Rostig, der Bulle vom Nordstrand.
Justin hört nicht. Sitzt, den Oberkörper nach vorn gebeugt, auf seinem Trettraktor und gibt alles. Sein Verfolger, ein großer, tapsiger Friese in blauer Uniform und gelber Windjacke, auf der in großen Lettern POLIZEI steht – schüttelt den Kopf, gibt auf. Übergibt den Fall an Schwiegermutter. Wirklich gefährlich ist der Weg nicht, der Kindergarten um die Ecke, Autos gibt es keine. Nur Elektro-Karren.
Kenneth Rostig geht zum Dienst. Und gleichzeitig auf Streife.
"Moin. Und was sagt das Wetter? Bleibt so. Das sieht ja gut aus. Klasse. Tschüß. Morgen ..."
Klönschnack im Fahrstuhl, der das Oberland mit dem Unterland der Insel verbindet. Hier, 70 Kilometer weit draußen in der deutschen Bucht. Wo auf einem Quadratkilometer rotem Bundsteinfels knapp 1500 Einwohner leben. Fast jeder jeden kennt. Und alle den Inselpolizisten. Kaum ist der aus dem Fahrstuhl raus, trifft er einen Handwerksmeister im Blaumann, führt das erste Dienstgespräch.
"Das hatte sich aufgeklärt diese eine Sache. Ist das nicht verrückt, dass die die im Lager versteckt haben. Nichts desto trotz läuft das Strafverfahren weiter. Find ich auch in Ordnung. Tschüß."
Ein paar Wochen liegt es schon zurück. Da meldet der Handwerksmeister bei der Polizei den Diebstahl seiner Bohrmaschine. Verdächtigt wird ein anderer Handwerker. Später stellt sich raus: beide mögen sich nicht besonders. Der eine will den anderen ärgern, versteckt dessen Werkzeug. Für den Streich droht ihm jetzt ein Verfahren wegen versuchten Diebstahls bzw. Unterschlagung.
"Aber nichts desto trotz haben die Kollegen das durch Ermittlungsarbeit aufklären können, das ist dann schon mal ein guter Erfolg, was denn die Helgoländer Unternehmer auch so wahrnehmen, schon befriedigend für einen. Schnäuzer. Moin, moin."
Rostig drückt sein Kreuz durch, blinzelt in die Sonne, streckt sein markantes Kinn nach vorn. Mit seinen leicht gewellten, zurückweichenden Haaren und der Kinnpartie ähnelt er auf den ersten Blick irgendwie Kult-Regisseur Quentin Tarrantino. Die Einsätze des Hauptkommissars sind vielleicht nicht ganz so blutig wie in "Kill Bill" und die Dialoge auf der Insel: eher reif fürs Ohnesorg-Theater.
"Morgen Klaus. Hast wohl ordentlich was vor heute, ne. Jetzt schon zu viel. Ja?"
Rostig grüßt auf seiner Streife fast jeden, kommentiert fast alles. Man spürt, dass er beliebt ist, sich viel Mühe gibt. Der gute und enge Kontakt mit den Bürgern und Bürgerinnen, sagt er ein wenig förmlich, gehöre einfach dazu.
"Den Klönschnack halten sie eigentlich schon, wenn sie zum Dienst gehen. Da hören sie auch schon Neuigkeiten, was auch gut ist und dann zieht sich das so entlang. Und auch wenn man morgens beim Bäcker den Brückenkapitän trifft, dann spricht man mit dem Brückenkapitän kurz über das eine oder andere dienstliche. Das macht die Sache zum Teil auch wirklich einfacher, weil man das eine oder andere erfahren hat und das ist schon eine sehr gute Sache ist das und das unterscheidet auch den Dienst von drüben."
"Drüben" nennen die Helgoländer das Festland. Und von dort kommt auch er. Kein gebürtiger Insulaner, wächst Kenneth Rostig in der Wilster Marsch bei Brockdorf auf. Nach einer Verwaltungslehre geht er 1991 zur Schutzpolizei, wechselt dann zu den "Blauen", der Wasserschutzpolizei. Im April 1997 kommt er als Verstärkung nach Helgoland, soll fünf Monate bleiben. Heute ist er 36 und schon elf Jahre hier. Schuld daran ist Ina, seine Frau, eine waschechte Helgoländerin.
"So hat sich das ergeben. So hat man sich kennen gelernt und zack. Sie hat hier ein Geschäft ist selbständig. Da hab ich mir die Frage gestellt, was ist nun einfacher, ne Helgoländerin aufs Festland zu bekommen oder als Beamter auf die Insel Helgoland zu gehen. Und dann war die Entscheidung relativ klar zu sagen, dann geh ich rüber."
Sicher sei es ruhiger hier als auf so mancher Dienststelle drüben, sagt Rostig und unterdrückt ein Grinsen. Die soziale Kontrolle auf Helgoland ist hoch. Wo jeder jeden kennt, passt auch jeder auf jeden mit auf. Der letzte Mord auf der Insel liegt jedenfalls knapp drei Jahrhunderte zurück.
Plötzlich zieht Rostig die Augenbrauen zusammen, blickt streng auf die vielen teuren Auslagen in den Schmuck- und Juwelierläden der Hauptgeschäftsstraße Helgolands. Im Angebot: alles vom zollfreien japanischen Mini-Fernglas bis zum Brillianten-Collier.
"Hier in diesem Bereich lassen wir uns denn auch im Sommer häufig sehen durch entsprechende Fußstreifen, weil man hier auch optisch wahrgenommen wird und – dient auch ein bisschen der Prävention der Vorbeugung um den Langfingern zu zeigen: passt auf, uns gibt es hier es lohnt sich nicht irgendwas zu machen."
Weiter Richtung Binnenhafen, mit kurzem Abstecher zur Landungsbrücke. Hier kommen im Sommer bis zu sechs Fahrgastschiffe an und werfen Anker, erklärt Rostig. Zwei, drei, manchmal viertausend Tagestouristen werden von Bördebooten abgeholt und an Land gebracht. Vier fünf Stunden lang strömen sie dann durch die Einkaufsstraßen. Essen Taschenkrebse, trinken Pils und Eierbowle, kaufen zollfrei Zigaretten und Schnaps, Postkarten, ein paar Souvenirs. Und schon sind sie wieder weg.
"Hier ist auch ein Punkt wo wir uns auch im Sommer mal platzieren, um überhaupt zu sehen, was kommen überhaupt für Gäste. Von daher gucken wir auch und insbesondere auch bei Abfahrten stellen wir uns denn mal hin."
In den Wintermonaten kommt täglich nur ein Schiff mit einer Handvoll Touristen. Den Stopp Landungsbrücke könnte er sich der Kommissar auf seiner Streife also theoretisch sparen. Dennoch kommt er, sucht regelmäßig den vorgelagerten Südstrand ab. Nicht etwa nach betrunkenen Tagestouristen, sonder nach verletzten, gestrandeten Seehunden.
"Is aber nichts hier, letzte Woche hatten wir einen. Ja, jetzt gehen wir zur Frachtmole am Binnenhafen, man sieht auch schon geschäftiges Treiben."
Es ist Dienstag, das Versorgungsschiff ist da. Bringt Ware auf die Insel. Vor allem Nachschub an Spirituosen. Die Fracht ist abgepackt in Kartons, wird auf Kistenroller geladen und sofort per Elektro-Karren zum Empfänger gebracht. Alles geht blitzschnell und reibungslos. Rostig steht an einen Pöller gelehnt, eine Hand in der Hosentasche. Ab und zu haben wir hier eine Anzeige wegen Lärmbelästigung, sagt er, vielmehr nicht.
Vorbei die Zeiten, in denen Fischkutter aus Dänemark, Holland, Belgien und Frankreich im Hafen liegen, in der alten Südkantine gesoffen und geprügelt wird. Rostig winkt ab. Fischer, sagt er, sind ja kaum noch. Und wenn mal ein Kistenroller verschwindet, währt die Aufregung meist nicht lang. Wo soll der Dieb damit auch hin?
"Eins ist ja nun auch, wenn das rauskommt, dass ein Helgoländer einem anderen Helgoländer. Das ist ja nicht unbedingt so, dass das unverborgen bleibt."
Weiter die Hafenstraße runter, Richtung Dienststelle. Der Himmel: strahlend blau. Eine leichte Brise kommt vom Meer. Auf der Mole ist gut Betrieb.
"So, wir sind jetzt im Südhafen. Wolfgang. Wolfgang. Hallo, na? Ja. Also man kennt doch viele sag ich mal. Hallo, grüß dich. Wir laufen jetzt Hafenstraße entlang und sehen Hummerbuden. Das sind ... Hallo grüß dich Karin. Hallo grüß dich. ... zum Teil historische Buden, die die Fischer zum Teil heute noch benutzen bzw. Imbiss und die sind in verschiedenen Farben. Rot, blau, orange."
Um zehn Minuten nach neun ist Rostigs Frühstreife beendet, er schließt die Tür zu seiner Dienststelle auf. Ein kleines, mit oliv-grünen Schieferplatten beschlagenes Haus mit einem Handkarren und einem vier Meter langen, verrosteten Anker im Vorgarten. Gegenüber liegt das Sailors, einer der vielen Geschäfte, in denen man zollfrei Schnaps einkaufen kann. 1,75 Liter Wodka für 15 Euro.
Rostig wirft seine Jacke über eine Stuhllehne auf der Wachstation im Erdgeschoss, geht gleich die Treppe rauf ins Obergeschoss. Dort sitzt schon eine Kollegin.
"Guten Morgen Susanne. Grüß Dich. Ist ruhig geblieben heute Nacht? Erst mal Kaffee trinken?"
Der Dienstellenleiter geht direkt in die Küche, setzt Kaffee auf. Von dort aus in sein Büro. Ein unspektakulärer vier mal vier Meter kleiner Raum mit einem abgerundeten Resopal-Schreibtisch, auf dem viel Papierkram hin und her bewegt werden muss. Dienst- und Einsatzpläne, Rundmails, Fortbildungsflyer. Neben der Strafprozessordnung liegt ein ausgeleiertes Lederetui mit Stiften, auf einem Drucker hinter Rostig eine Blechdose Fishermens-Friends, an der Wand hängt eine ausrangierte Polzeibootflagge mit Schleswig-Holstein-Wappen.
Insgesamt wachen vier Beamte über die knapp 1500 Helgoländer, im Sommer sind es sechs. Polizeiobermeisterin Susanne Findersen ist seit acht Uhr heute Früh hier, ab 17 Uhr hat sie Rufbereitschaft. Ihr Schreibtisch – ordentlicher, übersichtlicher. Ein paar Post-its, zwei, drei schmale Heftordner. Findersen bearbeitet gerade den Vorgang mit der Nummer 154578, eine Strafanzeige gegen Strauchdiebe. Viele Hinweise habe ich nicht, sagt sie. Der oder die Diebin stehlen in der Otto Bartlingstraße Nr. 465 am helllichten Tag Mammut- und Obstbäume, graben gleich noch ein paar Erdbeerpflanzen mit aus. Ganz schon dreist, findet die Polizeiobermeisterin. Für harte Ermittlungen vor Ort aber hat sie keine Zeit.
"Zu viel Arbeit, jede Straße abzugehen und jeden Vorgarten dazu ist die Insel dann doch zu groß. Bei unseren Strauchdieben könnte es natürlich passieren, dass irgendeiner die Bäume wieder entdeckt und der Täter in Erklärungsnot kommt, wo er die her hat. Mammutbäume bekommt man ja nicht an jeder Straßenecke."
"Die Polizei auf Helgoland, Rostig. Guten Tag Herr Bichler. Von wo rufen sie denn an, von Österreich? Schönen Gruß nach Österreich. Sie wollen die Kollegin sprechen ..."
Rund 1200 Einsätze gibt es für Rostig und seine Kollegen im Jahr, macht etwa drei am Tag. Körperverletzung und Sachbeschädigung gehören genauso dazu wie Ehestreitigkeiten, Betrunkene oder eben Strauchdiebe. Den letzten Großeinsatz gibt es Ende der 80er Jahre.
"Ich sag mal auf so einer kleinen Insel, ich will mich da jetzt nicht festlegen aber ich sag jetzt mal ne Zahl zwei drei Delikte im Jahr haben, dann ist das für die Bevölkerung schon sehr viel und von daher bedeutet das für uns hier entsprechend tätig zu werden und unsere Ermittlung da voll raufzuwerfen."
Rostig lehnt sich in seinem Bürostuhl zurück, reibt sich die Hände. Vor ihm steht jetzt – wie es sich für einen echten Kommissar gehört - ein Pott Kaffee. Wir sind hier weit weg vom Festland, sagt er, ganz auf uns allein gestellt.
"Wir haben kaum Möglichkeiten, zeitnah Unterstützung zu bekommen, von daher haben wir hier auch nicht die Möglichkeit unbegrenzt Verstärkung anzufordern, sondern müssen egal welche Lage das ist eventuell über mehrere Stunden selbst bewältigen."
Das klappt bisher ohne große Probleme. Auch, weil hier eben nicht so viel los ist wie auf dem 10. Polizeirevier in Frankfurt oder der Davidwache in St. Pauli. Dennoch gibt es natürlich auch hier über jeden Vorgang Einsatzberichte. Die stehen im Ordnerschrank im Zimmer von Kollegin Findersen. Rostig steht auf, geht rüber.
"Wir haben ganz normal klassische Einsatzberichte, das ist genauso wie auf dem Festland. Das ist die Mutter aller Vorgänge, der Einsatzbericht."
Falschgeld, Waffen, Sprengstoffmeldungen. Immerhin: Formulare gibt es auch für mittlere und schwere Delikte. Aber: gibt es auf Helgoland überhaupt so etwas wie ein Kapitalverbrechen?
"Das letzte große Kapitalverbrechen? Wir haben, wo haben wir, da. Ja, dann greifen wir uns den Ordner hier mit der OB Nummer 238 241. Klacken. Und wir sehen hier dass wir einen besonders schweren Fall des Diebstahles haben. Schadenshöhe beträgt 100.000 Euro Es handelte sich hier um den Juwelendiebstahl auf der Insel Helgoland."
Ein Trickdiebstahl, bei dem einer der Täter die Verkäuferin eines Juweliergeschäftes ablenkt, seine Kumpels unterdessen die Ware einsammeln, in Smarties-Dosen verstecken. Aufgrund der Täterbeschreibung werden die Diebe später an Bord eines Reederschiffes gefasst.
"Bei der Durchsuchung fand man dann in einer sag ich mal in einer Bonbonverpackung, einer recht großen Verpackung purzelten da die Schmuckstücke heraus. Das war ne gute Sache."
Und knapp ist es, erinnert sich Rostig. Die Polizei weiß damals nicht, ob die Täter tatsächlich an Bord sind. Hält das Schiff mit 800 Tagestouristen aber trotzdem fest.
"Da ist natürlich ein Druck da, das muss man sagen, der Beamte hat sich da vorbildlich verhalten und den richtigen Riecher gehabt."
Er selbst ist leider nicht der Held. Ist, als einem seiner Kollegen endlich mal ein Polizei-Coup gelingt, gerade im Urlaub.
"Susanne ich nehm´ Handy 1 mit. Treppe. Jacke."
Rostig will noch mal los, auf Streife im Oberland. Draußen vor der Tür parkt jetzt ein Tourenrad, mattsilber, mit Polizeibeschriftung. Damit sind wir in drei bis vier Minuten an jedem Punkt der Insel, sagt er und klopft wie ein Cowboy auf den Sattel. Im Schuppen um die Ecke steht Rostigs Dienstwagen, ein gebrauchter Mercedes A-Klasse. Die verbraucht im Jahr nicht mehr als eine halbe Tankfüllung, sorgt anfangs aber für viel Wirbel. Denn: nach Paragraph 50 der Straßenverkehrsordnung sind Autos auf Helgoland verboten. Wozu bitte schön, fragen sich die Helgoländer, braucht dann die Polizei eins, wo sie doch binnen Minuten überall zu Fuß oder mit dem Rad ist? Rostig wirkt kurz genervt, fummelt irgendwas am Reißverschluss seiner Windjacke, sagt nur: Eine moderne Dienststelle braucht auch einen Dienstwagen.
"Ansonsten gibt es natürlich die Möglichkeit die klassische Fußstreife um auch möglichst direkt am Büger dran zu sein direkt am Ohr zu sein sag ich mal, da ist das die beste Möglichkeit. Das is´ ne gute Sache, das find ich einfach klasse."
"Moin Rainer, was gibt’s Neues Rainer. Gar nichts. Alles ruhig hier, heute kommen 150 Gäste sag ich mal, bisschen verhalten."
Wieder grüßt er jeden, bleibt beim Klönschnack auch schon mal stehen. Zweimal allein auf den ersten hundert Metern.
"Hallo. Na Oli. Na. Hast ne neue Brille. Ich bin doch Brillenträger geworden. Siehst ja richtig raffiniert aus. Meinst du? Meinst du wie viel Gäste heute. Höchstens 150 heute. Büsumer kommt heute nicht. Der Kat kommt auch."
Ins Oberland nimmt Rostig diesmal nicht den Fahrstuhl, er nimmt den steilen Weg am Nordosthafen.
"Ja, sehr beschwerlich wir haben 40 Höhenmeter zu überbrücken. Auch wenn sie nachts hier hoch müssen und schnell dann ist man doch schon gefordert."
Oben angekommen, wieder eine Geschäftsstraße. Wieder japanische Ferngläser, Luxusuhren, zollfreier Schnaps und edle Schokolade. Dazwischen Cafés, die mit Panoramablick werben und Restaurants, in denen irgendwann in den 80er Jahren die Zeit stehen geblieben zu sein scheint. Eine Handvoll Urlauber bummelt mit Blick auf die ruhige Nordsee. Die meisten tragen Freizeitjacken und bequeme Wanderschuhe, einige sind mit Nordic-Walking-Stöcken unterwegs. Alle sehen friedlich aus, keiner wie ein potentieller Strauch- oder Juwelendieb.
"Wir verlassen den Falm und schauen jetzt in einen großen Trichter, das so genannte Mittelland. Gehen jetzt mal Richtung Westseite. Das ist auch die Streifenrunde und wir haben auch einen Blick drauf, dass die Hunde an der Leine geführt werden."
Der Trichter ist ein Krater und wie so vieles auf Helgoland ein Relikt des Zweiten Weltkrieges und der Krater ist durch einen Tunnel mit dem Oberland verbunden. Polizeitechnisch herrscht hier das höchste Verkehrsaufkommen. Nirgends sonst fahren so viele E-Karren rauf und runter, transportieren Gepäck, Waren und Müll. Manche fahren dabei deutlich schneller als die erlaubten 10 Stundenkilometer. Und mancher Fahrer hat deutlich mehr als 0,8 Promille. Deshalb steht Rostig manchmal hier, winkt sie raus, zum pusten. Kein Scherz: auf der Insel ohne Autos gibt es regelmäßig eine Verkehrskontrolle. Die dauert maximal 20 Minuten. Dann hat sich das rumgesprochen, sagt Rostig.
"Wenn wir jetzt hier diesen Klippenrandweg entlang gehen, sehen wir dass hier ein Zaun ist und wir müssen drauf achten, dass keiner über diesen Zaun hinüber steigt und in den vorgelagerten Bereich geht, weil das lebensgefährlich ist."
40 bis 60 Meter geht es an manchen Stellen in die Tiefe. Unten sieht man nur die gewaltige Uferschutzmauer, die den porösen Sandstein der Insel vor der Brandung schützen soll. Wenn von hier oben jemand zu springen droht, wird Rostig sofort gerufen. Über Selbstmörder auf Helgoland möchte er aber nicht sprechen.
Weiter zum Lummfelsen. Die Hohlräume im Sandstein bieten im Frühjahr Nistplätze für Tausende von Vögeln. Möwen, Basstölpel, Lummen. Der Polizist lehnt sich einen Moment lang auf den hüfthohen Zaun, beobachtet das Naturschauspiel. Mitten in seinem Revier.
"Jetzt wo wir hier beide am Lummfelsen stehen und wir beide auf die brütenden Trottelum, Basstölpel sehen, wird mir das schon wieder bewusst, was man hier hautnah erleben kann, ja wenn ich das so sehe, ist schon schön mitzubekommen. Nee ich möchte nicht tauschen, das ist herrlich."
Gleich hinter dem Lummfelsen liegt das Wahrzeichen und Sorgenkind Helgolands, die lange Anna. Wasser wäscht den 48 Meter hohen, knapp 25.000 Tonnen schweren Sandsteinklotz immer mehr aus, die Aussichtsplattform ist längst aus Sicherheitsgründen gesperrt. Rostig kontrolliert mit geschultem Blick den Absperrzaun, guckt dann kurz auf seine Uhr. Zum Abschluss der Streife würde er gern noch rüber auf die Schwesterinsel Düne. Das Boot fährt in einer halben Stunde.
"Hallo. Schritte. Hallo. Schritte. Hallo. Geht die Saison wieder los. Muss ja, Sonne lacht ja. Was liegt denn an. Kartoffeln vorbereiten. Großes Treiben, alle am Gange. Ja, Lachen, Schritte."
Zeit für einen Klönschnack aber ist immer, diesmal in der Kleingartenkolonie. Von hier sind es nur ein paar Schritte in die Otto Bartlingstraße – den Tatort der Strauchdiebe. Das Haus mit der Nummer 465, ein großer weißer Klinkerbau, liegt quasi auf dem Weg. Die Rolläden sind herunter gelassen.
Rostig klingelt. Doch niemand öffnet. Zwei Handwerker, die am Haus gegenüber arbeiten, wissen von nichts. Und selbst die Friseuse, drei Häuser weiter kann nur bestätigen, was längst aktenkundig ist.
"Das ist Bäcker Meier, da hat einer letzte Woche gepflanzt, das habe ich gesehen. Die müsste vielleicht was wissen."
Der Kommissar blickt noch einmal auf seine Uhr, lässt den Fall dann ruhen. Die Fähre zur Düne geht in zehn Minuten.
Eine Viertelstunde später betritt er den Dünenhafen, geht direkt Richtung Nordstrand.
"Gehen wir mal ein Stück. Schritte. Bei diesem Gang hier schau ich mir insgesamt noch mal den Strand an und stelle fest, dass wir durch die Stürme, die wir über mehrere Monate doch starke Sandverluste hier sehen."
Mit ein bisschen Glück, sagt er, könne man hier den einen oder anderen Seehund sehen. Wenig später steht er vor einer ganzen Kolonie. 30, 40 Tiere liegen friedlich am Strand in der Sonne und dösen.
"Wo hat man das? Gucken sie sich das mal an. Wo haben sie so was? Das Tier guckt sie an und bewegt sich nicht. Erzählen sie mir nicht, dass sie hier jemals weg wollen. Ha, ha, das ist schon sehr schwer."
Und deswegen wird er wohl weiter auf Helgoland Streife gehen. Kenneth Rostig, der Bulle vom Nordstrand.

Touristen betrachten den Buntsandsteinfelsen "Lange Anna", das Wahrzeichen der einzigen deutschen Hochseeinsel Helgoland© AP