Der Champion, der Juden rettete
Gino Bartali war ein Champion, der mit seinem stahlharten Muskeln und seinen schnellen Rädern im Schweiße seines Angesichts half, Hunderte Juden vor der Ermordung zu retten. Dennoch wurde Bartali lange Zeit die Ehrung als "Gerechter unter den Völkern" verwehrt.
An seinen Retter hat Shlomo Pas lebhafte Erinnerungen. Er kannte ihn schon lange, bevor er ihn das erste Mal traf - aus den Zeitungen, aus dem Radio, aus der Wochenschau. Bei ihrer ersten Begegnung gab er dem Jungen ein Autogramm mit Widmung. Noch immer steht es auf dem Wohnzimmertisch. Wie oft haben er und seine Frau Mina die Geschichte dieses Bildes erzählt:
"Hier ist ein Bild, dass mir Gino Bartali gegeben hat. Hier können Sie sehen, hier hat er geschrieben: Goldenberg, Giorgio. "
Mina Pas: ""Während des Krieges, Goldenberg: 1941."
Damals hieß Shlomo Pas noch Giorgio Goldenberg - und wohnte mit seinen Eltern in Fiesole, in der Nähe von Florenz. Heute lebt er in Kfar Saba in Israel. Seinen Namen hat er ins Hebräische übertragen. Pas bedeutet Gold.
Was hätte ein kleiner Junge damals nicht alles getan für ein Autogramm des großen Gino Bartali, des italienischen Radsport-Helden, der zwei Mal die Tour de France und drei Mal den Giro d‘Italia gewinnen konnte- und der als einer der größten Athleten seiner Zeit galt?
Bartali schlug die Massen in seinen Bann. Den "radelnden Mönch" nannte man ihn, denn Bartali war ein tief religiöser Mann. Als Laienbruder gehörte er dem Orden der Karmeliter an. Drei Päpste segneten ihn. Er fuhr nach Lourdes, wann immer der Parcours der Tour de France daran vorbeiführte. Seinen Etappensieg von 1948 im Wallfahrtsort begriff Bartali als eine göttliche Fügung.
"Bartali ist ein Mann der Tradition. Er ist ein metaphysischer, von den Heiligen geschützter Mensch."
Das schrieb der Schriftsteller Curzio Malaparte.
Auch Jacques Goddet, wortmächtiger Direktor der Tour de France, war fasziniert, als er 1948 das unglaubliche Comeback Bartalis nach zehnjähriger Absenz erlebte:
"Aus dem Schneesturm, aus Wasser und Eis, stieg Bartali majestätisch wie ein Schlamm übersäter Engel, der unter seiner durchnässten Tunika die kostbare Seele eines außergewöhnlichen Champions trug.”
Es war die Aura eines Mystikers. Bartali war ein Eremit der Landstraße, ein Solitär des Peletons. Doch Bartali war noch mehr als ein Radler, dessen Siege Millionen an die Rennstrecke trieben. Während der deutschen Besatzung Italiens schloss er sich dem katholischen Widerstand an. Elia Dalla Costa, der Erzbischof von Florenz, hatte den klandestinen Widerstands-Zirkel ins Leben gerufen, gemeinsam mit Nathan Cassuto, dem Rabbi von Florenz.
Dalla Costa kannte Bartali gut. Der Bischof hatte Bartali und seine Ehefrau Adriana getraut. Er selber weihte Bartali in die Pläne zum Widerstand ein und bat ihn mitzumachen. Als die Goldenbergs während der deutschen Besatzung untertauchen mussten, fanden Giorgio in einem Kloster Unterschlupf. Er bekam einen neuen Namen - Giorgio Goldini, und er lernte, wie ein katholischer Junge zu leben. Nachdem die Situation dort immer unsicherer wurde, nahm Bartali die Familie auf.
Shlomo Pas: "Meine Mutter kam und holte mich aus dem Kloster. Sie kam und brachte mich zu einem Kellerraum im Haus in Florenz, wo wir uns versteckten. Ich glaube, für mehr als ein Jahr. Bartali brachte Essen, denn wir waren in diesem Keller und hatten Angst herauszugehen.
Die deutsche Armee marschierte ein und eroberte praktisch das Land. Es war gefährlich, in den Straßen herumzulaufen. Sie suchten nach Juden, und sie sperrten jeden ein und sandten sie in Arbeitslager. Bartali kam selten, um Essen zu bringen, oder seine Frau kam zu uns. Daran erinnere ich mich, ich war ein Kind von neun Jahren. Sieben, acht Mal, zehn mal insgesamt kam er."
Nun ist Gino Bartali von der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem geehrt worden - als ein "Gerechter unter den Völkern". Ein einzigartiger Ehrentitel, der an Menschen vergeben wird, die Juden unter Einsatz ihres eigenen Lebens retteten. Bartalis Name steht nun in einer Reihe mit Oskar Schindler und Berthold Beitz, mit dem schwedischen Diplomaten Raul Wallenberg und Miep Gies, die Anne Frank versteckt hielt.
Dass er diese Ehrung erhält, ist eine Überraschung. Denn das Verfahren dauerte seit Jahren an. Die jüdische Gemeinde in Florenz hatte den Antrag gestellt - lange erfolglos, was auch daran lag, dass Bartali eisern geschwiegen hatte von seinen Taten. Gerüchte, die gab es, ja es gab sogar einen Film: "Der Assisi-Untergrund" von 1985, in dem erzählt wird, wie katholische Priester und Nonnen mehr als 300 Juden in Klostern versteckten. Auch der Name Bartali taucht darin auf.
Darüber reden wollte er nicht, im Gegenteil, er war verärgert über die Ausstrahlung in Italien. Bartali sah sich in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt und wollte den Sender sogar verklagen. Sein Status als Italiens berühmtester Sportler, so fürchtete er, würde den Blick auf die anderen verstellen, die im Widerstand tätig waren und Juden retteten.
Niemanden gelang es, zu Lebzeiten mit Bartali über sein Geheimnis zu reden. Erst Jahre nach seinem Tod tauchten Dokumente auf, die seine Teilnahme am Netzwerk belegten. Dass Bartali trotz seiner Taten nicht ausgezeichnet wurde, löste Unverständnis bei den Überlebenden aus, die dank seiner Rettungstaten fliehen konnten. Denn er half nicht nur den Goldenbergs.
Im Rahmen seines Rennrades schmuggelte er auf Trainingsfahrten gefälschte Dokumente, die Juden eine neue Identität verhelfen sollten. Bartalis Dienste waren elementar. Denn obwohl es keine großen Rennen gab, schien es wegen der Hoffnung auf ein baldiges Ende des Kriegs nur plausibel, dass er lange Touren absolvierte. Er musste ja im Training bleiben. Das machte ihn halbwegs unverdächtig. Also tat er das, was er am besten konnte: Er stieg in den Sattel.
Fein säuberlich rollte er die Papiere ein - und verstaute sie im Sattelrohr seines Rennrades, ein nahezu perfektes Versteck. Einmal wurde er kontrolliert, und als der Streckenposten den Sattel abschrauben wollte, da verwies er auf die sensiblen Justierungen der Rennmaschine, die nötig seien, um hohe Geschwindigkeiten fahren zu können. Das genügte dem Streckenposten als Erklärung. Es war ja nicht irgendein Radfahrer.
Bartali fuhr bis in die Abruzzen, bis nach Umbrien und immer wieder durch die Toskana. Mehr als 300 Kilometer waren manche Touren lang, Hinweg und Rückweg zusammengenommen. Das war die Länge mancher Tour-de-France-Etappe in den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Und Bartali fuhr sie allein, ohne Mannschaft, ohne Unterstützung. In der Tasche ein bisschen Proviant, nur wenig Wasser, wie er es auch in den Rennen zu tun pflegte. Nur ein außergewöhnlicher Radfahrer war dazu in der Lage.
800 Juden sollen dank der Hilfe des Netzwerks, dem Baratli angehörte, der Deportation entkommen sein - Menschen wie Giulia Donati, die heute 91 Jahre alt ist und in Karkur in Israel lebt. Zwei Schwestern, die sich dem Netzwerk angeschlossen hatten, versteckten sie:
"Wir lebten in ständiger Angst. Aber wir wussten, dass wir in guten Händen waren. Diese Menschen sorgten gut für uns."
All diese Zeugnisse aber genügten in Yad Vashem lange nicht, um Bartali zu ehren. Die Begründung der Kommission "Gerechter unter den Völkern" war schwer nachzuvollziehen: Bei den Kurierfahrten hätte man nicht eindeutig klären können, ob es sich um eine bewusste Rettung von Juden gehandelt habe.
Und zudem habe man nicht gewusst, wem der Keller gehört hat, in dem Bartali die Familie Goldenberg versteckte, wie Irena Steinfeld, die Leiterin der Kommission, erklärt:
"Wenn die Polizei morgen kommt und Juden in dem Keller findet, an wen geht sie? An den, dem der Keller gehört. Wohnte er dort? Gehörte es seiner Tante? Diese Einzelheiten, das ist genau das, was uns fehlt. Wir haben viele Fälle, wo Person A jemanden zu Person B schickt. Wer ist verantwortlich? Wer hat das Risiko? Sagt die Kommission: Person B."
Und außerdem, erklärte Steinfeldt, interessiere sich doch niemand für einen Bauern aus Polen, der Juden in der gleichen Art rettete. Es klang fast so, als sei Bartali der Kommission ein wenig zu prominent gewesen. Für die Betroffen war dies nicht zu verstehen. Shlomo Pas war ratlos. Und auch seine Ehefrau, eine Holocaust-Überlebende wie er, konnte es nicht fassen:
Shlomo Pas: "Er war in Todesgefahr, weil er Juden schützte. Er brachte die Juden in diesen Keller, und er sorgte für sie. Er ist wahrscheinlich der Grund, dass ich noch am Leben bin. Warum ist es wichtig, ob er der Besitzer war? Wichtig war, dass er mich und meine Familie in diesen Keller brachte und unser Leben rettete und für uns sorgte und uns Essen brachte. Und höchstwahrscheinlich war seine gesamte Familie in großer Gefahr."
Mina Pas: "Warum ist das denn wichtig, wo er gelebt hat? Die Sache ist doch: Er hat Juden gerettet."
Shlomo Pas: "Sie regt sich auf... Sie ärgert sich."
Der Keller - er schien die Aufnahme in den Kreis der Gerechten zu vereiteln. Doch nun gibt es aus Yad Vashem dazu eine andere Version zu hören: Der Keller, der habe Bartali gehört, da sei man sich mittlerweile sicher. Doch er habe dort nicht gewohnt, und da er dort nicht gewohnt habe, sei er auch nicht in Gefahr gewesen.
Trotzdem: Es gibt nun eine andere Begründung, um Bartali diese Ehre doch noch zukommen zu lassen: Die Summe der Zeugenaussagen, die von Rettungstaten Bartalis berichten, ist mittlerweile so groß, dass an Bartalis Verdiensten nicht mehr zu zweifeln sei. Die vielen Zeugenaussagen, von denen jede einzelne nicht genügt hatte, die hätten sich eben addiert - was ihm Umkehrschluss, so Steinfeldt, eben auch heißt, dass Bartali sehr vielen Menschen geholfen hat.
Doch ob Bartali diesen Titel unbedingt gewollt hätte? Wo er doch sein Leben lang hatte er in der Öffentlichkeit davon eisern geschwiegen und niemanden außer seiner Familie hatte er davon erzählt. Für Giulia Donati ist die Ehrung nur folgerichtig - Bartali ist für sie:
"Ein Held, denn er riskierte sein Leben. Er bekam nichts dafür. Er tat es, weil er ein guter Mensch war. Es gibt gute Menschen und schlechte Menschen. Und er war gut."
Letztlich sahen es auch die Kommissionsmitglieder in Yad Vashem so. Und so erhält so erhält der Champion Bartali - 13 Jahre nach seinem Tod - einen wirklich einmaligen Titel.
"Hier ist ein Bild, dass mir Gino Bartali gegeben hat. Hier können Sie sehen, hier hat er geschrieben: Goldenberg, Giorgio. "
Mina Pas: ""Während des Krieges, Goldenberg: 1941."
Damals hieß Shlomo Pas noch Giorgio Goldenberg - und wohnte mit seinen Eltern in Fiesole, in der Nähe von Florenz. Heute lebt er in Kfar Saba in Israel. Seinen Namen hat er ins Hebräische übertragen. Pas bedeutet Gold.
Was hätte ein kleiner Junge damals nicht alles getan für ein Autogramm des großen Gino Bartali, des italienischen Radsport-Helden, der zwei Mal die Tour de France und drei Mal den Giro d‘Italia gewinnen konnte- und der als einer der größten Athleten seiner Zeit galt?
Bartali schlug die Massen in seinen Bann. Den "radelnden Mönch" nannte man ihn, denn Bartali war ein tief religiöser Mann. Als Laienbruder gehörte er dem Orden der Karmeliter an. Drei Päpste segneten ihn. Er fuhr nach Lourdes, wann immer der Parcours der Tour de France daran vorbeiführte. Seinen Etappensieg von 1948 im Wallfahrtsort begriff Bartali als eine göttliche Fügung.
"Bartali ist ein Mann der Tradition. Er ist ein metaphysischer, von den Heiligen geschützter Mensch."
Das schrieb der Schriftsteller Curzio Malaparte.
Auch Jacques Goddet, wortmächtiger Direktor der Tour de France, war fasziniert, als er 1948 das unglaubliche Comeback Bartalis nach zehnjähriger Absenz erlebte:
"Aus dem Schneesturm, aus Wasser und Eis, stieg Bartali majestätisch wie ein Schlamm übersäter Engel, der unter seiner durchnässten Tunika die kostbare Seele eines außergewöhnlichen Champions trug.”
Es war die Aura eines Mystikers. Bartali war ein Eremit der Landstraße, ein Solitär des Peletons. Doch Bartali war noch mehr als ein Radler, dessen Siege Millionen an die Rennstrecke trieben. Während der deutschen Besatzung Italiens schloss er sich dem katholischen Widerstand an. Elia Dalla Costa, der Erzbischof von Florenz, hatte den klandestinen Widerstands-Zirkel ins Leben gerufen, gemeinsam mit Nathan Cassuto, dem Rabbi von Florenz.
Dalla Costa kannte Bartali gut. Der Bischof hatte Bartali und seine Ehefrau Adriana getraut. Er selber weihte Bartali in die Pläne zum Widerstand ein und bat ihn mitzumachen. Als die Goldenbergs während der deutschen Besatzung untertauchen mussten, fanden Giorgio in einem Kloster Unterschlupf. Er bekam einen neuen Namen - Giorgio Goldini, und er lernte, wie ein katholischer Junge zu leben. Nachdem die Situation dort immer unsicherer wurde, nahm Bartali die Familie auf.
Shlomo Pas: "Meine Mutter kam und holte mich aus dem Kloster. Sie kam und brachte mich zu einem Kellerraum im Haus in Florenz, wo wir uns versteckten. Ich glaube, für mehr als ein Jahr. Bartali brachte Essen, denn wir waren in diesem Keller und hatten Angst herauszugehen.
Die deutsche Armee marschierte ein und eroberte praktisch das Land. Es war gefährlich, in den Straßen herumzulaufen. Sie suchten nach Juden, und sie sperrten jeden ein und sandten sie in Arbeitslager. Bartali kam selten, um Essen zu bringen, oder seine Frau kam zu uns. Daran erinnere ich mich, ich war ein Kind von neun Jahren. Sieben, acht Mal, zehn mal insgesamt kam er."
Nun ist Gino Bartali von der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem geehrt worden - als ein "Gerechter unter den Völkern". Ein einzigartiger Ehrentitel, der an Menschen vergeben wird, die Juden unter Einsatz ihres eigenen Lebens retteten. Bartalis Name steht nun in einer Reihe mit Oskar Schindler und Berthold Beitz, mit dem schwedischen Diplomaten Raul Wallenberg und Miep Gies, die Anne Frank versteckt hielt.
Dass er diese Ehrung erhält, ist eine Überraschung. Denn das Verfahren dauerte seit Jahren an. Die jüdische Gemeinde in Florenz hatte den Antrag gestellt - lange erfolglos, was auch daran lag, dass Bartali eisern geschwiegen hatte von seinen Taten. Gerüchte, die gab es, ja es gab sogar einen Film: "Der Assisi-Untergrund" von 1985, in dem erzählt wird, wie katholische Priester und Nonnen mehr als 300 Juden in Klostern versteckten. Auch der Name Bartali taucht darin auf.
Darüber reden wollte er nicht, im Gegenteil, er war verärgert über die Ausstrahlung in Italien. Bartali sah sich in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt und wollte den Sender sogar verklagen. Sein Status als Italiens berühmtester Sportler, so fürchtete er, würde den Blick auf die anderen verstellen, die im Widerstand tätig waren und Juden retteten.
Niemanden gelang es, zu Lebzeiten mit Bartali über sein Geheimnis zu reden. Erst Jahre nach seinem Tod tauchten Dokumente auf, die seine Teilnahme am Netzwerk belegten. Dass Bartali trotz seiner Taten nicht ausgezeichnet wurde, löste Unverständnis bei den Überlebenden aus, die dank seiner Rettungstaten fliehen konnten. Denn er half nicht nur den Goldenbergs.
Im Rahmen seines Rennrades schmuggelte er auf Trainingsfahrten gefälschte Dokumente, die Juden eine neue Identität verhelfen sollten. Bartalis Dienste waren elementar. Denn obwohl es keine großen Rennen gab, schien es wegen der Hoffnung auf ein baldiges Ende des Kriegs nur plausibel, dass er lange Touren absolvierte. Er musste ja im Training bleiben. Das machte ihn halbwegs unverdächtig. Also tat er das, was er am besten konnte: Er stieg in den Sattel.
Fein säuberlich rollte er die Papiere ein - und verstaute sie im Sattelrohr seines Rennrades, ein nahezu perfektes Versteck. Einmal wurde er kontrolliert, und als der Streckenposten den Sattel abschrauben wollte, da verwies er auf die sensiblen Justierungen der Rennmaschine, die nötig seien, um hohe Geschwindigkeiten fahren zu können. Das genügte dem Streckenposten als Erklärung. Es war ja nicht irgendein Radfahrer.
Bartali fuhr bis in die Abruzzen, bis nach Umbrien und immer wieder durch die Toskana. Mehr als 300 Kilometer waren manche Touren lang, Hinweg und Rückweg zusammengenommen. Das war die Länge mancher Tour-de-France-Etappe in den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Und Bartali fuhr sie allein, ohne Mannschaft, ohne Unterstützung. In der Tasche ein bisschen Proviant, nur wenig Wasser, wie er es auch in den Rennen zu tun pflegte. Nur ein außergewöhnlicher Radfahrer war dazu in der Lage.
800 Juden sollen dank der Hilfe des Netzwerks, dem Baratli angehörte, der Deportation entkommen sein - Menschen wie Giulia Donati, die heute 91 Jahre alt ist und in Karkur in Israel lebt. Zwei Schwestern, die sich dem Netzwerk angeschlossen hatten, versteckten sie:
"Wir lebten in ständiger Angst. Aber wir wussten, dass wir in guten Händen waren. Diese Menschen sorgten gut für uns."
All diese Zeugnisse aber genügten in Yad Vashem lange nicht, um Bartali zu ehren. Die Begründung der Kommission "Gerechter unter den Völkern" war schwer nachzuvollziehen: Bei den Kurierfahrten hätte man nicht eindeutig klären können, ob es sich um eine bewusste Rettung von Juden gehandelt habe.
Und zudem habe man nicht gewusst, wem der Keller gehört hat, in dem Bartali die Familie Goldenberg versteckte, wie Irena Steinfeld, die Leiterin der Kommission, erklärt:
"Wenn die Polizei morgen kommt und Juden in dem Keller findet, an wen geht sie? An den, dem der Keller gehört. Wohnte er dort? Gehörte es seiner Tante? Diese Einzelheiten, das ist genau das, was uns fehlt. Wir haben viele Fälle, wo Person A jemanden zu Person B schickt. Wer ist verantwortlich? Wer hat das Risiko? Sagt die Kommission: Person B."
Und außerdem, erklärte Steinfeldt, interessiere sich doch niemand für einen Bauern aus Polen, der Juden in der gleichen Art rettete. Es klang fast so, als sei Bartali der Kommission ein wenig zu prominent gewesen. Für die Betroffen war dies nicht zu verstehen. Shlomo Pas war ratlos. Und auch seine Ehefrau, eine Holocaust-Überlebende wie er, konnte es nicht fassen:
Shlomo Pas: "Er war in Todesgefahr, weil er Juden schützte. Er brachte die Juden in diesen Keller, und er sorgte für sie. Er ist wahrscheinlich der Grund, dass ich noch am Leben bin. Warum ist es wichtig, ob er der Besitzer war? Wichtig war, dass er mich und meine Familie in diesen Keller brachte und unser Leben rettete und für uns sorgte und uns Essen brachte. Und höchstwahrscheinlich war seine gesamte Familie in großer Gefahr."
Mina Pas: "Warum ist das denn wichtig, wo er gelebt hat? Die Sache ist doch: Er hat Juden gerettet."
Shlomo Pas: "Sie regt sich auf... Sie ärgert sich."
Der Keller - er schien die Aufnahme in den Kreis der Gerechten zu vereiteln. Doch nun gibt es aus Yad Vashem dazu eine andere Version zu hören: Der Keller, der habe Bartali gehört, da sei man sich mittlerweile sicher. Doch er habe dort nicht gewohnt, und da er dort nicht gewohnt habe, sei er auch nicht in Gefahr gewesen.
Trotzdem: Es gibt nun eine andere Begründung, um Bartali diese Ehre doch noch zukommen zu lassen: Die Summe der Zeugenaussagen, die von Rettungstaten Bartalis berichten, ist mittlerweile so groß, dass an Bartalis Verdiensten nicht mehr zu zweifeln sei. Die vielen Zeugenaussagen, von denen jede einzelne nicht genügt hatte, die hätten sich eben addiert - was ihm Umkehrschluss, so Steinfeldt, eben auch heißt, dass Bartali sehr vielen Menschen geholfen hat.
Doch ob Bartali diesen Titel unbedingt gewollt hätte? Wo er doch sein Leben lang hatte er in der Öffentlichkeit davon eisern geschwiegen und niemanden außer seiner Familie hatte er davon erzählt. Für Giulia Donati ist die Ehrung nur folgerichtig - Bartali ist für sie:
"Ein Held, denn er riskierte sein Leben. Er bekam nichts dafür. Er tat es, weil er ein guter Mensch war. Es gibt gute Menschen und schlechte Menschen. Und er war gut."
Letztlich sahen es auch die Kommissionsmitglieder in Yad Vashem so. Und so erhält so erhält der Champion Bartali - 13 Jahre nach seinem Tod - einen wirklich einmaligen Titel.