Der Charakter des Geldes

Dieter Schnaas ist Autor der „Wirtschaftswoche“, in der er regelmäßig Essays zu philosophischen Hintergründen von Wirtschaftsfragen schreibt. Wort- und bildgewaltig will er in „Kulturgeschichte des Geldes“ dem Charakter dieses Mediums nachspüren.
Wir lernen aus der Geschichte. Geld, das die meisten von uns nur als Mangel kennen, hat ganz faszinierende Eigenschaften. Wir lesen bei Dieter Schnaas folgende Episode:

„Als während der Belagerung Tournays im Jahre 1745 die Verbindung zur Außenwelt abgeschnitten war und man die Geldmittel zur Besoldung der Garnison nicht aufbrachte, verfiel man darauf, bei den Marketendern die Summe von 7000 Gulden auszuleihen. Am Ende der Woche waren die 7000 Gulden wieder bei den Marketendern gelandet, wo sie neuerlich entliehen wurden. Dieser Vorgang wiederholte sich sieben Wochen lang bis zur Kapitulation, so dass dieselben 7000 Gulden einen Zahlungseffekt von 49000 hatten.“

Dieser Vorfall lässt doch wirklich an die übernatürliche Macht des Geldes glauben – 7000 sind vorhanden und am Ende erscheinen sie wie 49.000. Dass das kein Aussetzer, sondern das System selbst ist, schreibt Dieter Schnaas in seiner „Kulturgeschichte des Geldes“. Der Autor über seine Absicht:
„Die Geschichte des Geldes wird als Mysterienspiel erzählt, als Chronik seiner magischen Metamorphosen. Es wird gezeigt, wie sich das Geld vom universellen Symbol der Hingabe an Gott über Münzen, Wechsel und Papiergeld nach und nach in Fiktion verwandelt – und wie es an den Finanzmärkten zur Grundlage einer religiös fundierten, staatskapitalistischen Pumpwirtschaft wird.“

„Gold ist ohne Geld nichts – und Geld ist ohne Gold alles“, konstatiert Schnaas. In der Tat begann das Mysterium Geld seinen Siegeszug, als es vom Gold befreit wurde. Angefangen von den Münzen in römischer oder phönizischer Zeit war der Wert des Geldes abhängig davon, wie viel Edelmetall in der Münze vorhanden war. Noch bis ins 20. Jahrhundert entsprach den ausgegebenen Münzen und auch Scheinen eine Golddeckung, sodass, wenn einer es wollte, er sein Papiergeld gegen Goldbarren hätte umtauschen können. 1973 aber gibt der amerikanische Präsident Nixon das Ende der Einlösungsverpflichtung bekannt – die USA sind durch den Vietnamkrieg so verschuldet, dass die Goldreserven bedeutungslos werden. Jetzt ist das Geld von seinem Ballast, dem materiellen Gegenwert, befreit. Es liegt so viel Geld auf dem Tisch, wie die Druckerpressen ausspucken, und es ist nicht mehr von einem Gegenwert gedeckt.
„Bei diesem Als-ob-Geld, das die Zentralbanken den Geschäftsbanken und die Geschäftsbanken wiederum ihren Kunden zur Verfügung stellen, handelt es sich im Gegensatz zu einer weit verbreiteten Annahme nicht um verliehenes Geld, also vorhandenes Geld, das ‚tatsächlich‘ in der Welt wäre, sondern um neues, frisch geschöpftes Geld, das einerseits als Geld in der Welt ist – und andererseits eine Schuld repräsentiert.“

Über diesen Zeitpunkt der Begleichung will aber niemand reden, nur so kann die Fiktion, Geld etwas wert, aufrechterhalten werden. Dieter Schnaas ist Chefreporter und Autor der Zeitschrift „Wirtschaftswoche“, in der er regelmäßig mit Essays zu philosophischen Hintergründen von Wirtschaftsfragen auftritt. Wort- und bildgewaltig will er in seiner „Kulturgeschichte des Geldes“ dem Charakter dieses Mediums nachspüren und erklären, warum es zu der Finanzkrise kommen konnte, in der wir gegenwärtig stecken. Schnaas versteht sich als Kulturkritiker und er fürchtet, dass diese Nörgler von den Wirtschaftsleuten nicht gelesen werden, weil sie – diese Kritiker – doch nur alles schlecht machen. Über lange Seiten versucht er, sich wohlwollendes Gehör zu verschaffen, indem er postuliert, dass Fortschritt und Kulturkritik einander begleitende Faktoren sind, um Entgleisungen, wie sie vor der Krise entstanden sind, zu vermeiden.

„In Wirklichkeit haben wir es mit einem finanzmarktliberalen Staatskapitalismus zu tun, der auf dem säkularreligiösen Glauben an unendlich vermehrbares Kreditgeld beruht – und an eine unendlich verlängerbare Frist, die uns die ‚Realisierung‘ unserer Schulden erspart.“

Muss man das Buch lesen? Es ist nicht eben schlank geschrieben, Schnaas neigt zu barocker Fülle und zu Metaphernschwelgerei, auch zu überkomplexem Gelehrten-Jargon. Aber – wenn er sich durch das Dickicht des religionsphilosophischen Gelddiskurses einen Weg gebahnt hat – hat auch der Laie ein gewisses Gespür gewonnen, wo die Risiken und Gefahren dieser flüchtigen Masse liegen. Hilft uns das in der Krise? Am Ende legt Kulturkritiker Schnaas die Hoffnung auf die Globalisierung:

„Die Chancen stehen gut, dass wir unsere Zukunft zurückgewinnen – eben weil das global zirkulierende Geld uns voneinander abhängig macht und einen sozialen Zusammenhang jenseits aller Grenzen stiftet ... Eine intakte Natur, sauberes Wasser, Gesundheit, gute Arbeitsbedingungen und ein selbstbestimmtes Leben – das alles bedarf keiner Überzeugungsarbeit. Es bedarf nur ausreichenden Geldes.“

Das allerdings ahnte auch schon der blutige Laie.

Besprochen von Paul Stänner

Dieter Schnaas: Kleine Kulturgeschichte des Geldes
Wilhelm Fink Verlag, München 2010
188 Seiten, 19,90 Euro