Der Dialog in der Gesellschaft bleibt aus

Von Dunja Melcic |
Die Europäische Union hat Kroatien für fit genug erklärt, um der Gemeinschaft am 1. Juli beizutreten. Doch die Kroaten müssen weitere Reformen angehen, meint die Philosophin Dunja Melcic. Dringend nötig sei auch eine Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit.
Wie lernen Gesellschaften mit sich selbst ins Gespräch zu kommen? Die Erfahrung in Deutschland lehrt uns, dass dem Diskurs über die Vergangenheit und der "Vergangenheitsbewältigung" dabei eine entscheidende Rolle zukommt. Schaut man hingegen auf die postkommunistischen Gesellschaften, so ist generell das Fehlen einer seriösen Diskussion zu beobachten.

Meine These ist: politische Elite und Öffentlichkeit haben noch nicht einen richtigen Weg gefunden, sich mit der Zeitgeschichte auseinanderzusetzen; deshalb hapert es mit der Ausgestaltung eines freien Diskurses. Die einst feindseligen Lager bleiben als Polarisierung der Gesellschaft bestehen und verhindern, sich kritisch und produktiv über Vergangenheit und Gegenwart zu streiten.

Das kann man besonders anschaulich am Beispiel Kroatiens zeigen. Am Anfang steht die ideologische Geschichtsklitterung im kommunistischen Jugoslawien. Jahrzehnte lang waren Zeithistoriker bestrebt, Josip Broz Titos Widerstand gegen die Nazi-Besatzer und die faschistischen Marionetten über die Maßen zu glorifizieren – als siegreich, heldenhaft und makellos.

Zugleich satanisierten sie den Feind, bei dem es zwar nichts zu beschönigen gab, aber das war ihnen nicht genug: Die vielen Opfer der kroatischen Faschisten reichten nicht aus, ihre Zahl musste vervielfältigt werden, bis diese alle Dimensionen der Statistik sprengte – und den gesunden Menschenverstand beleidigte.

Dieses starre Freund-Feind-Denken prägte die politische Praxis der Nachkriegszeit, in der Titos Partisanen fleißig dabei waren, alle Gegner, auch nur vermutliche Gegner auszumerzen. Davon zeugen Tausende von Massengräbern – totgeschwiegenen, aber real existierenden.

Durch falsche Geschichtsschreibung wird alles beschädigt. Um sich mit Kroatiens Regime von Hitlers Gnaden zwischen April 1941 und Mai 1945 auseinanderzusetzen, hätte man erst alle Fakten zusammentragen und prüfen müssen. Doch darauf in einem ideologisch verbrämten Umfeld zu bestehen, genügt schon, um als Anhänger des Feindes und dessen Weltanschauung bezichtigt zu werden.

Zum Glück gab es in den 80ern Ansätze einer seriösen historischen Forschung, die letztlich dazu führten, dass das Land nunmehr mit dem schlimmen Erbe der Faschisten angemessen umgeht. Vor allem wurde die Gefahr eingehegt, dass die Gegenseite, der neu aufbrechende Nationalismus Franjo Tuðmans, des ersten nachjugoslawischen Präsidenten Kroatiens, die Geschichte nunmehr nach ihrer Façon umschreibt.
Es braucht aber mehr als Gedenkstätten, mehr als Gedenktage, damit vergangenes Unrecht im kollektiven oder nationalen Bewusstsein verankert wird. Solange das Lager der ehemaligen Partisanen und deren Nachkommen sich auf der Seite der Sieger wähnt, es ablehnt, sich für ihr eigenes Tun zu rechtfertigen und ihrerseits die Verantwortung für Opfer von Massenmorden zu übernehmen, wird Kroatien seine beiden schlimmen Vergangenheiten nicht aufrichtig verarbeiten, sondern weiterhin in sturer Polarisierung leben.

Die Folge ist: in der kroatischen Gesellschaft setzt sich die Sprachlosigkeit fort und der Dialog bleibt auch unter den nachfolgenden Generationen der Kinder und Enkel aus.


Dunja Melcic, geb. 1950 in Kroatien, Philosophin und freie Autorin; lebt seit 1974 in Frankfurt, wo sie 1981 über Martin Heidegger promovierte; setzt sich besonders mit Themen aus Philosophie und internationaler Politik auseinander - mit dem Akzent auf Südosteuropa.
Veröffentlichungen: Jugoslawien-Krieg. Handbuch zu Vorgeschichte, Verlauf und Konsequenzen (Hg.), VS Verlag für Sozialwissenschaften Wiesbaden (1999, 2007); "Das Denken der Freiheit zwischen gestern und heute. Auf den Spuren Hannah Arendts" in: Welche Freiheit: Plädoyers für eine liberale Gesellschaft, Matthes & Seitz Berlin (2007); "Jugoslawismus ohne Jugoslawien", Kommune 4/ (2011).
Dunja Melèiæ
Dunja Melèiæ© privat